Irrsinn an der Sprachfront – Bildung in Deutschland

Nein, ich weigere mich nachdrücklich, zu schreiben, wir hätten uns ja schon an die neue Rechtschreibung gewöhnt. Was sollen unsere Kinder denn noch tun, um in der Schule für das spätere Leben zu lernen? Die neue „reformpädagogische“ (ich kann das Wort nicht mehr hören) Methode „Lesen durch Schreiben“ erscheint mir schon im Titel unlogisch; denn beide Kulturtechniken müssen gleichermaßen erworben werden und sind nicht austauschbar. Ach, schrieb ich gerade „gleichermaßen“? Neudeutsch muß es doch wohl richtiger heißen: „gleicher massen“!? Es ist schließlich egal, ob mein Arzt mir „Alkohol in Maßen!“ oder „Alkohol in Massen!“ empfiehlt. Der Wahnsinn feiert fröhliche Urständ´.

Das Problem mit den Reformern ist, daß sie allezeit aus den Fehlern ihrer Vorgänger nichts lernen oder schlicht nicht wissen, welche Reformversuche es vor ihnen bereits gegeben hat und mit welchen Ergebnissen. Nachdenken lohnt nicht. „Reformiert“ bloß weiter! zukunfts-weisend ist ja schließlich, daß man im internet, bei google oder wikipedia etc. mit kleinschreibung genauso zum ziel kommt wie mit grossschreibung. es kommt eben nicht auf die form, sondern auf den sachlichen inhalt an. Gell?

Bei soviel korrektem Neudeutsch will auch der Staat nicht abseits stehen. Ausgerechnet der „Deutsche Germanistenverband“ richtet ein Rundschreiben an seine „Mitglieder und Mitgliederinnen“. Dank der Gendersprache ertragen wir auch schon „Lehrer und Lehrerinnen“ oder „Richter und Richterinnen“. Das schließt legislative Grotesken nicht aus: Paragraph 91a des Ausländergesetzes sieht (lediglich) „eine Ausländerbeauftragte“ vor, das männliche Pendant fehlt – also eine Männer-Diskriminierung. Doch halt, ich hab ´was über-lesen. Hinter der „Ausländerbeauftragten“ folgt noch ein Satz: „Die Amtsbezeichnung kann auch in der männlichen Form geführt werden“. Nun bin ich aber beruhigt. Oder eigentlich doch wieder beunruhigt, und ich frage mich: Was droht uns, wenn die lieben Gender-Gutmenschen sich dereinst den Text des Grundgesetzes vorknöpfen. Heißt es dann z. B. „die“ Bevölkerung, „der“ Bevölkerung oder „das“ Bevölkerung. Mir schwant Unheil. Hier ein bißchen Nachhilfe für alle Gendermenschen im Germanistenverband: Ob Kind, Mitglied, Soldat oder Reiter – es handelt sich um einen Gattungsbegriff, der alle Geschlechtsformen umfaßt. Oder heißt es bald „Kinderinnen und Kinder“, „Mitgliederinnen und Mitglieder“?

Die Coolness des Dichters

Es ist wohltuend alarmierend, daß die 10. Klasse eines Gymnasiums in Frankenthal (Nähe Ludwigshafen) bei der FAZ dafür plädieren, „…Anglizismen zu vermeiden.“ In ihrem Brief  zitiert die Klasse folgenden Satz eines Feuilletonisten der FAZ zu Gottfried Benn: „Es ist wahr, die Coolness dieses Dichters, sein raffiniert verschattetes Pathos, der melancholische Sound seiner Zerebrallyrik wirken immer wieder unwiderstehlich…“. Dieser Satz war Gegenstand der Deutschstunde dieser Schüler, die an die FAZ appellieren: “Wir bitten Sie im Sinne einer jugendlichen Leserschaft, künftig Ihre Texte verständlicher und ohne überflüssige Anglizismen zu formulieren, denn solche Satzkonstruktionen wirken abschreckend und motivieren uns nicht…“. Richtig gelesen: Das waren beherzte Schüler, nicht deren Lehrer oder Eltern – was Hoffnung gibt.

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