Bundestagswahl 2013 – Schnell-Kommentar

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Die Union hat die Bundestagswahl am Sonntag klar gewonnen und ist knapp an einer absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt. Die FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Die SPD gewinnt leicht hinzu, bleibt aber im 25 Prozent-Ghetto. Da aber die Grünen an Stimmen verloren haben, ist Rot-Grün genauso wenig eine Option wie Schwarz-Gelb. Die Folge: Deutschland muß sich auf eine Große Koalition einstellen. Rein rechnerisch würde es für Rot-Rot-Grün reichen – die SPD lehnt diese Option jedoch ab – und es gäbe auch eine ausreichende Mehrheit für Schwarz-Grün, was aber z. Zt. eher unwahrscheinlich ist. Für die Euro-kritische Partei Alternative für Deutschland (AfD) reicht es vermutlich nicht (Stand 23.9., 3 Uhr).

Also, die CDU knapp vor der absoluten Mehrheit, Angela Merkel und die Unionsparteien sind die strahlenden Sieger der Bundestagswahl. Die SPD ist erneut gedemütigt und dümpelt im prozentualen Niemandsland. Das katastrophale Abschneiden der FDP, das zur Abwahl von Schwarz-Gelb im Bund und in Hessen führen dürfte, ist allerdings der große Wermutstropfen im Siegersekt der Union.

Wer hätte gedacht, daß die Union wie Horst Seehofer in Bayern eine absolute Mehrheit im Bund beinahe erobern konnte? “Mutti ist die Beste”, das scheint tatsächlich die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung zu sein, ob uns das paßt oder nicht. „Wir kennen uns“, denkt der Wähler, „also soll sie uns weiterhin regieren.“ Gerade weil Merkel so unspektakulär ist, so abwartend, oft tastend erscheint, ist sie den Deutschen in ihrer Wesensart nahe. Die Deutschen wählen ihr Abbild.

Merkel führt – Deutschland und Europa

Merkel soll sie auch künftig sicher durch die Euro-Krise führen, ihnen das beruhigende Gefühl vermitteln, daß die Republik bei ihr in guten Händen liegt. Ihr Regierungsstil, der sich fundamental abhebt vom unbeherrschten und aufgesetzten Auftreten eines Peer Steinbrück, hat die CDU/CSU zu neuen Höhen geführt. Vier Jahre nach dem desaströsen Abschneiden der Union heißt es jetzt: Merkel ist zum ruhenden Pol in stürmischen Zeiten geworden, sie verkörpert die politische Mitte im wirtschaftlich so erfolgreichen Deutschland. Ein glanzvoller Sieg! Was andere bei Merkel als Zaudern kritisieren, empfinden viele Deutsche offenbar als überlegtes Handeln. Die Fairness der Siegerin gegenüber, liebe Leser, gebietet es, bei aller persönlichen Kritik an der Kanzlerin doch diese Anerkennung nicht zu verweigern. Kein Geheimnis, daß ich mir ein anderes Ergebnis erwartet hätte.

Die Wahl ist gleichzeitig ein Signal an Europa. Zu eindeutig ist der Wille der Wähler, das Signal aus Deutschland an Europa: An Angela Merkel führt auf diesem Kontinent weiterhin kein Weg vorbei. Die Bundesbürger setzten mit dem Wahlzettel Maßstäbe in Europa: Deutschland bleibt auch politisch ein Bollwerk der Stabilität in einem wankenden Kontinent. Mehr Ansprüche hat die Merkel allerdings nur von der erstarkten CSU und ihrem Vorsitzenden Seehofer zu erwarten. Die zukünftige Arbeit einer Koalitionsregierung unter Führung Merkels wird gewiß sehr stark von Seehofer mitbeeinflußt werden. Das ist er seinen Landsleuten und sie der CSU (aus Dank für das großartige Wahlergebnis der CSU in Bayern und Bund) schuldig.

Die Frage, mit wem die Kanzlerin den Regierungsauftrag umsetzen wird, rückt nach dieser dramatischen Wahlnacht fast in den Hintergrund – jedenfalls für diesen kurzen Moment. Es ist jedoch eine spannende Frage, wie sich die am Boden liegende SPD in Zukunft verhält, ob sie einer (wahrscheinlichen) großen Koalition treu bleibt oder nach einer Schamfrist ein Zerbrechen mit der Union riskiert, um mit den Altkommunisten regieren zu können. Der Eitelkeit des Möchtegernkanzlers Sigmar Gabriel wäre dies zuzutrauen.

CDU und CSU haben in diesem Wahlkampf nicht auf ein Programm gesetzt, sondern auf eine Person: die Kanzlerin. Das Kalkül ist aufgegangen. Das Wahlergebnis ist offensichtlich eine Bestätigung ihrer Politik wie auch ihres Politikstils. Merkel kann sich nach Lage der Dinge aussuchen, ob sie mit geschwächten Grünen oder der SPD koalieren will – so sie, wer hätte das für möglich gehalten, überhaupt einen Koalitionspartner braucht. (Anmerkung des Verfassers: Es ist jetzt 3 Uhr morgens am 23. Sept., und noch immer ist kein „vorläufiges Wahlergebnis“ bekannt.)

Bei der Stimmabgabe für die Union dürfte gewiß eine Rolle gespielt haben, daß die Kanzlerin absolut affairen- und abenteuerfrei erscheint – im Gegensatz zur großen Schar der politischen Laiendarsteller in Deutschland: Ein SPD-Möchtegern-Kanzler, der der Republik den Stinkefinger zeigt, ein Spitzengrüner, der seinen steuerzahlenden Wählern das Fell über die Ohren zu ziehen droht und nicht versteht, wann falsch verstandene „Liberalisierung“ im Umgang mit Kindern in Pädophilie umschlagen kann, eine FDP, die in an Peinlichkeit kaum zu überbietender Weise um Stimmen bettelt, aber kein greifbares Programm anzubieten hat bzw. verdeutlichen konnte – nicht Inhalte, sondern Sprüche wurden angeboten. Doch dann kam nichts. Die Sprüche entpuppten sich als ungedeckte Wechsel; der Absturz war überfällig usw.,usw. – da fiel vielen Deutschen die Wahl nicht schwer.

Schwierige Koalitions-Optionen

ABER es ist dennoch kein Erfolg auf der ganzen Linie. Einerseits nämlich triumphiert die Kanzlerin, und alle anderen politischen Kräfte sind weit abgeschlagen. Andererseits aber ist Schwarz-Gelb neuerlich abgewählt. Im Bund und in Hessen. Merkel wird wohl auf die Sozialdemokratie zugehen müssen. Wirklich schwer dürfte ihr das nicht fallen. Wahlweise wären da auch noch die Grünen. Aber eine solche Entscheidung wäre für beide ein Quantensprung in ihrer politischen Grundeinstellung.

Aber vermutlich bevorzugen die Deutschen als Idealmodell die große Koalition, einfach deswegen, weil das die parteipolitischen Konfliktlinien zurückdrängt. Ralf Dahrendorf hat einmal gesagt, wir Deutschen seien „geschlagen von einer Sehnsucht nach Harmonie“. Ob das aber der Problemlösung jeweils zugutekommt und ob Richtungsweisungen damit verbunden sind, das ist eben eine offene Frage. Ich glaube nicht, daß wir beruhigt in die Zukunft gehen können, wenn wir wichtige Themen ausklammern (siehe auch Kapitel AfD).

Merkel hatte – anders als vielfach selbst von Fachleuten behauptet – seit langem mehrere Optionen für die Regierungsbildung nach der Wahl: Union/FDP, Union/SPD und Union/Grüne (wenn auch sehr unwahrscheinlich). Steinbrück hatte letztlich gar keine echte Option; denn es war seit Monaten klar, daß es für Rot/Grün nie und nimmer reichen wird. Und eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei hat er von Anfang ausgeschlossen – jedenfalls für seine Person. Ob dies auch für die SPD insgesamt gilt, darf füglich bezweifelt werden. Der SPD blieb nur die ungeliebte Option, Junior-Partner der Union sein zu dürfen. Jedenfalls für die nächste Zeit; denn es ist kein Geheimnis, daß viele Linke in der SPD eine solche Koalition zwar bejahen, aber schon nach einer kurzen Schamfrist platzen lassen würden. Daß die Grünen mit ihrer voreiligen einseitigen Festlegung auf die SPD alle Alternativen leichtfertig (borniert) vergeben hatten, wurde spätestens klar, als die Demoskopen ein mickriges Ergebnis für die Grünen in Aussicht stellten. Rot und Grün hatten sich so eng aneinander gekettet, daß sie wie kommunizierende Röhren empfunden wurden: Was der eine verliert, kommt dem anderen zugute – ein Nullsummen-Spiel.

Keine unbekannte Größe ist hingegen das künftige Programm der deutschen Regierung, denn ideologisch liegen die Parteien bei der Wirtschafts- und Europapolitik nah beieinander. Das hat schon die große Koalition von 2005 bis 2009 gezeigt. Europa mochte sich viel von der kommenden Bundestagswahl erhofft haben, aber es ist nun kein Platz mehr für Illusionen. Sie dürfte sich vor allem durch innenpolitische Themen leiten lassen, aber die Wahl geht eigentlich alle Europäer an. In den acht Jahren ihrer Kanzlerschaft hat Merkel Alphamännchen wie Italiens Silvio Berlusconi und Frankreichs Nicolas Sarkozy Lektionen erteilt – und sie verschwinden sehen. Eigentlich sollte Merkel als führende Politikerin eines wirtschaftlichen Riesen dazu beitragen, die diplomatisch-militärische Rolle Europas in der internationalen Gemeinschaft zu festigen. Dies tut sie nicht, im Gegenteil. Doch leider ist sie wohl deshalb auch so beliebt”,

SPD im Jammertal

Wenn man – auch am Wahlabend – die kraftstrotzenden Sprüche der SPD-Oberen hört, drängt sich einem unweigerlich das Bild vom „Pfeifen im Wald“ auf. Denn trotz der möglichen künftigen Regierungsbeteiligung und trotz des geringfügigen Stimmenzuwachses wird der Katzenjammer bei der SPD lange anhalten. Die Partei, die Volkspartei sein möchte, befindet sich – das machte der Wahltag deutlich – in einem sozialdemokratischen Jammertal. Sie hat vergessen, daß Wahlen in der Mitte gewonnen werden, und nicht begriffen, daß man mit einem linken Programm und einem rechten Kandidaten eben jene Mitte nicht erobern kann. Stattdessen hat sie damit die Linkspartei stabilisiert, mit der die SPD nicht koalieren will.

Wird die SPD nun eine Koalition mit der CDU eingehen? Diese Frage stellt sich nicht nur die Union. Diese Frage treibt sicherlich in den nächsten Stunden und Tagen den Blutdruck der an sich blutleeren SPD in die Höhe. Man wird sagen: Im Prinzip ja – denn diese große Koalition ist ja die Regierung, die eine Mehrheit der Bürger nach allen Umfragen will und die auch gleich als Partei hätte antreten können. Aber wird die SPD das auch tun? Für Zuversicht reicht das Resultat. Und mögen die Genossen Steinbrück, Steinmeier und Gabriel noch so oft einer rot-rot-grünen Koalition abgeschworen haben – die eigenen Anhänger werden Druck auf die SPD-Spitze machen, eine linke Mehrheit zu nutzen, wenn es sie gibt. Und sei es als Mittel zum Zweck in Koalitionsverhandlungen. Merkel ist also nur im Prinzip Siegerin. Ihre Chancen, Kanzlerin zu bleiben, stehen zumindest gut.

Die SPD, diese 150 Jahre alte, staatstragende Partei, hat von allen den erbärmlichsten Wahlkampf gemacht: das falsche Programm, den (die) falschen Spitzenkandidaten, die falsche Strategie. Wer heute als angebliche „Partei der Mitte“ einen Wahlkampf mit linken Parolen führt, verschreckt die politische Mitte, also die Mehrheit der Bürger. Wenn dann auch noch der Kandidat überhaupt nicht – weder in seinen bisherigen politischen Positionen, noch als Person („P€€R, der Millionär“) – zum Wahlkampf-Programm seiner Partei paßt, dann werden sowohl die Partei als erst recht der Kandidat unglaubwürdig. Steinbrück hat alles noch dadurch verschlimmert, als er versuchte, dieses (zu ihm nicht passende) Programm als seines auszugeben. Und die Wähler ließen sich offensichtlich vom SPD-Wahlprogramm nicht beeindrucken, Diese Partei ist im Moment, nein seit langem, bar jeglicher zündender Idee und einer entsprechenden Persönlichkeit. Es scheint – zur genaueren Analyse ist es noch zu früh -, daß die SPD gerade mal ihre Stammwählerschaft um sich geschart hätte. Nennenswerten Neuzugang hat sie wohl nicht gefunden – weil nicht überzeugend.

Glaubwürdigkeit verloren

Glaubwürdigkeit ist das höchste Pfand in der Politik. Und dieses Pfand haben die Partei und ihr Spitzenkandidat leichtfertig weggegeben. Übrigens zeigt sich an dieser Entwicklung wieder mal die alte Krankheit Ideologie-verbohrter Parteien, nämlich die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Hinzu kommt, daß die Wähler der SPD – und Steinbrück – nicht abnahmen, nie, nein niemals mit der SED-Linke eine Koalition einzugehen. Doch, um es einmal plastisch zu sagen: Wer glaubte, daß Peer Steinbrück ohne die Stimmen der Linkspartei Kanzler würde, der glaubt auch, daß ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Hinzu kamen die ungezählten Fettnäpfchen, die Steinbrück nicht ausgelassen hat. So entstand auch bei den unvoreingenommenen Bürgern der Eindruck, daß er „es“ gar nicht wirklich will. Niemand wählt einen Loser, sondern will einen strahlenden Helden („Themensetzer“) vorne sehen. Selbst „geneigte“ Medien haben am Schluß dem SPD-Kandidaten das Wohlwollen – zumindest die Unterstützung – versagt, weil die Blamage mit den Händen zu greifen war. Gerade diese Leute identifizieren sich nicht gerne mit Verlierern. (Dazu könnten Willy Brandt und Helmut Kohl ein gar garstig Lied anstimmen.) Während Merkel recht glaubwürdig vermittelte, aus Fehlern gelernt zu haben, zeigte Steinbrück wie ein bockiges Kind Trotz: „Ich war immer so, ich bin so, wie ich bin.“ Fehlte nur noch das Aufstampfen des Fußes auf den Boden. Hätte er das doch so gemacht! Stattdessen zog er es vor, den Proll-Finger zu zeigen, was ihn den Rest ohnehin zweifelnder Sympathisanten gekostet haben dürfte.

Dies verleitete den sonst sehr SPD-frommen SPIEGEL zu einem hämischen Kommentar seines Redakteurs Dirk Kurbjuweit: „Steinbrück ist unbeherrscht, er ist aggressiv, er ist narzißtisch. Es fällt ihm schwer, etwas wirklich ernstzunehmen, nicht einmal seine Kandidatur.“ Nein, Steinbrück handelte unverantwortlich, zumal er in Sachen Sympathiewerte kaum Spielraum hatte (siehe Statistik). Er mißachtete in unglaublicher Arroganz ausgerechnet diejenigen, die auf einen Wechsel in diesem Lande gehofft hatten. Seine Botschaft war letztlich (Verzeihung!): „Leckt mich!“ Damit auch machte er die Kanzlerin „alternativlos“.

Die Grünen – im Sinkflug

Die große Zeit der Öko-Partei und Gesellschaftsveränderer scheint vorbei. Es ist nicht zu übersehen, daß die Grünen einen rapiden Sympathieverlust zu registrieren haben. Der har natürlich viele Ursachen – allen voran ihre Leitfiguren. Alle (!) Umfragen der jüngsten Zeit zeigten auf, daß die Bürger zunehmend vom Besserwissertum und von den Bevormundungsabsichten der Grünen genervt waren. Zahlreiche Affairen zeigten auch, daß die Grünen (wie die oft von ihnen Getriebenen) lieber Wasser predigen, aber selbst lieber Schampus konsumieren. Ein völlig verunglücktes Steuerprogramm und jede Menge Widersprüchlichkeiten (z. B. Windräder versus Natur- und Tier-Schutz) kamen hinzu, und die Pädophilen-Debatte gab den Rest. So ist in der Bevölkerung ein widersprüchliches Bild über die Grünen entstanden: Das sind die Leute, die einen Baum retten, viel Wind machen, die Lichter ausdrehen usw., aber sie haben sich auch an der Zerstörung der Gesellschaft beteiligt. Sie haben dabei völlig versagt, wenn es darum geht, Kinder vor Übergriffen von Gewalt und Verführung zu bewahren. Schlimmer noch: In einer entscheidenden Phase dieser Partei haben sie diese Tendenzen mit Verve unterstützt. Ihr Anspruch, als moralische Institution aufzutreten, war damit in sich zusammengefallen. Und ganz am Schluß entzogen die ansonsten gern grünaffinen Medien den einst Verehrten ihre Gunst.

Vorbei die Lichtgestalt Jürgen Trittin! Seine Zukunft liegt in der Vergangenheit. Er hat das Programm zu verantworten, er sah sich schon als neuer Finanzminister – auf Augenhöhe mit der SPD. Als er in die Krise geriet (Göttinger Pädophilen-Papier) reagierte er wie ein Polit-Anfänger: erst wegducken, dann jeweils scheibchenweise nur so viel rausrücken, wie eh schon bekannt war. Das hatte keinen Stil und keinen Charakter. Und genau dies „zierte“ auch die restliche grüne Spitzenriege. Die sonst klamaukhaft laute Vorsitzende Claudia Roth war in der Pädophilie-Debatte abgetaucht, die entsetzliche Renate Künast ging in den Gegenangriff über, die Spitzenkandidatin Göring-Eckardt, von der man als EKD-Präses ein deutliches  Wort erwarten durfte, suchte die Ablenkung auf die Diskussion um die Vergewaltigung in der Ehe vor 25 Jahren. Der einzige, der noch eine halbwegs glaubwürdige Entschuldigung zuwege brachte, war ausgerechnet Cem Özdemir. Von einer gerade von den Grünen gegenüber anderen geforderten offenen Debatte sind die Grünen selbst meilenwert entfernt und handeln „muffiger“ als die politischen Gegner. Unmoral und Scheinheiligkeit paaren sich gerne.

Trittin trägt auch die ungeteilte Verantwortung für die völlig mißratene Strategie der Grünen, die im Wesentlichen, was gerne übersehen wird, eine Partei der Besserverdiener ist – und ausgerechnet ihrer eigenen Klientel ins Portemonnaie greifen wollten. Nun gehören die Alten zum alten Eisen, die Tage Trittins, Roths und Künasts dürften gezählt sein. Von den obersten 10 Prozent der Deutschen (bezogen auf das Einkommen) mögen 17 % die Grünen, aber nur 10 % die FDP z. B. Das heißt, die Grünen hätten ein Potential von 17 % bei dieser Wahl gehabt, aber nicht einmal die Hälfte davon für ihre Pläne begeistern können. Nur jeder Zweite der eigenen Klientel wollte „grün“. Die grüne Rechnung, die den Namen Trittin trägt, bezahlen nicht einige wenige Reiche, sondern der große Rest. Wir haben sehr früh auf diese Schieflage hingewiesen. Das haben endlich auch die Wähler gemerkt – und machten ihr Kreuz mehrheitlich bei der Union. Trittin hat die Schlacht verloren und den Krieg gegen die Gesellschaft auch. Niemand weint ihm nach.

Zur AfD – Alternative für Deutschland

Auch das respektable Abschneiden der AfD (“Alternative für Deutschland”) steht im Fokus der Wahlbeobachter und sollte nicht kleingeredet werden. Ihre Politik findet offensichtlich Sympathisanten – und das in einem Land, das von Europa lebt. Und weil viele Altliberale nun für die AfD votierten, kamen die Euro-Skeptiker beinahe ins Parlament. Ich habe schon früh in meinen Kommentaren darauf hingewiesen, daß man die AfD nicht auf den Begriff „Euro-Gegner“ reduzieren soll. Erstens ist zu fragen, ob sie tatsächlich den Euro abschaffen oder einen anderen, härteren Euro wollen. Zweitens zeigt die Wählerwanderung (siehe Statistik), daß die AfD nicht nur eine Art Protestpartei einer bürgerlichen Elite ist, die offenbar Angst um ihr Vermögen hat. Es ist der AfD in unerwartet hohem Maße gelungen, von allen etablierten Parteien Stimmen in ernstzunehmendem Umfang abzuziehen. Doch diese marktwirtschaftlich-konservative Wählergruppe war vielleicht doch noch ein Quäntchen zu unbekannt, als daß es zum Parlamentseinzug gereicht hätte: Jetzt gucken FDP und AfD beide in die Röhre.

Wenn die AfD gut beraten ist und sich (vor allem!) davor hütet, innerparteilichen Streit aufkommen zu lassen – eine leider allzu traurige Erscheinung kleiner Parteien und Partei-Neugründungen –, wird sie jetzt die gewonnene Kraft (und die Finanzmittel aus der Wahlkostenerstattung) gezielt für einen professionellen Aufbau der Partei einsetzen und sich ein eindeutigeres Profil erarbeiten. Noch kann man die AfD nicht unzweideutig als „konservative Partei“ bezeichnen. Würde sie diesen Anspruch erfüllen, könnte sie mittelfristig der CDU ein großes Wählerpotential abnehmen und die FDP gar überflüssig machen, zumal sie in ihrem Führungspersonal einen hohen wirtschafts- und finanzwirtschaftlichen Sachverstand versammelt. Nach übereinstimmenden Umfragen liegt das Reservoir für eine konservative Partei bei 10-15 Prozent. So könnte die AfD zu einer neuen Heimat für Traditionskonservative werden, die sich in der sozialdemokratisierten CDU schon längst nicht mehr wohlfühlen, oder die ins Nichtwählerlager abgewandert sind. Die Zahlen der Wählerwanderung – „von wem hat die AfD Stimmen abgezogen?“ – sprechen eine deutliche Sprache.

Wenn ich mir anschaue, wie im Wahlkampf argumentiert worden ist, dann ist das, Klartext geredet, das Argument, „mit Schmuddelkindern spielt man nicht“. Wobei das keine Schmuddelkinder sind, sondern sie haben in einer Frage, die sozusagen zur Staatsräson der Bundesrepublik gehört, nämlich zur europäischen Integration, in ihrer währungspolitischen Zuspitzung eine ganz detaillierte Position.  Sie bringen ein Thema aufs Tapet, das für die nächsten Jahre von großer Bedeutung ist und das von den etablierten Parteien lange schweigend übergangen wurde. Wir brauchen zukunftsgewandte Entscheidungen und Richtungsvorgaben, z. B. zur Frage Eurobonds, Schuldenunion usw. Da wird es ganz schwer für Schwarz und Rot, sich zu einigen. Und da legt die AfD den Finger in die Wunde.

Das hat alles mit extremen Rändern nichts zu tun, das wollen uns nur die Linken dieser Republik einreden. Die extremen Ränder in der Bundesrepublik Deutschland sind so schwach ausgeprägt wie sonst nirgendwo in Europa. Selbst die Linke hat wohl ihre sektiererischen Elemente, aber ist an sich nicht extremistisch, wenn man sie insgesamt betrachtet. Der Rechtsextremismus spielt im Parteiensystem und an der Wahlurne so gut wie keine Rolle – auch wenn er von den Gutmenschen immer wieder beschworen wird wie der leibhaftige Gottseibeiuns. Wir sind im Augenblick in vielfältiger Weise in einer Umbruchsituation, ohne daß die extremen Ränder gestärkt werden würden.

Wahlbeteiligung/Wahlwerbung etc.

Bei dieser Wahl gab es rund 62 Millionen Wahlberechtigte. Mehr als die Hälfte davon gehört der Altersgruppe 40-70 J. an. Nur knapp 20 Mio. Bürger sind zwischen 20 und 40 J. alt. (Der Anteil der unter 20-Jährigen beträgt z. Zt. nur noch 18,4 % (rd. 15 Mio. Menschen). Die über 60-Jährigen erreichen aber jetzt schon 26,3 % – mit steigender Tendenz. Die Altersstatistik beweist es: Die demographischen Verhältnisse machen es verständlich, warum sich z. B. die Grünen oder die Piraten mit ihren (vorgeblich) „jugendlichen“ Themen wie Umweltschutz oder Internet so schwer tun, einen zweistelligen Prozentsatz an Wählerstimmen zu gewinnen.

Die Zeiten, in denen sich Intellektuelle im Wahlkampf für eine Partei engagierten, scheinen vorbei zu sein. Dieses Mal gehört es zum ‘radical chic’, sich als Nichtwähler zu bekennen, der die Politik verachtet und dies als politische Haltung ausgibt. Wer nicht wählt, gibt seinen Einfluss auf den Bundestag auf, dessen Bedeutung systematisch unterschätzt wird. Dort werden die Abgeordneten auch in der nächsten Legislatur mit alten und neuen, großen und kleineren Problemen ringen. Niemand sollte das verachten.

Die Wahlbeteiligung sank seit Jahren und steuerte auf eine Katastrophe zu. In diesem Jahr ist die Wahlbeteiligung (in Bayern, in Hessen und auch im Bund) wieder deutlich gestiegen – im Bund auf 72 %, in Hessen auf 73 %. Trotzdem: Jeder 4. Wahlberechtigte geht nicht zur Wahl. Aufgabe aller Parteien ist es, Folgendes deutlich zu machen: Wer glaubt, nur die Partei wählen zu können, mit deren Programmen und Personen er hundertprozentig übereinstimmt, macht es sich zu leicht. Im Politischen wie im Privaten braucht es Kompromisse. Diese von vorneherein auszuschließen, macht einsam und angreifbar. Jede Stimme ist wichtig. Kneifen gilt nicht. Die meisten Wahlberechtigten wissen sehr wohl, daß die Vorzüge der Demokratie nicht selbstverständlich sind und daß es ein Privileg ist, in einem Staat zu leben, in dem jede Stimme zählt.

Zwei Aspekte sind noch herauszuheben (siehe Statistik): Die Union hat wieder sowohl bei den Jungwählern als auch bei den Arbeitern deutlich die Nase vorn. Und: Die Wähler haben sich insgesamt – wohl auch zur eigenen Überraschung – deutlich zur CDU bekannt, weil sie das Programm in den Vordergrund ihrer Entscheidung stellten. Das muß konservative Merkel-Kritiker zum Nachdenken bringen. Die Union ist also die Arbeiter-, die Jugend- und die Programm-Partei. Wer hätte das noch vor Wochen für möglich gehalten?!

Das ist auch insofern recht bemerkenswert, als der Wahlkampf, besser gesagt: die eingesetzten Wahlkampf-Instrumente, nur so vor Langeweile strotzten. Plakate und Rundfunk-/Fernsehspots verbreiteten die Langweile eines gut bürgerlichen Wohnzimmers. Es war sozusagen die Entpolitisierung der Politik durch die Politik. Die Slogans waren gegenseitig austauschbar oder hätten zu jedem anderen Partner gepaßt – schön glattgebügelt und durch den Parteisprech-Generator gejagt. Worthülsen, Waschmittelreklame, Wohlfühl-Parolen. Alle wollten „gute Arbeit“ zu „guten Löhnen“, „Sicherheit“ (für alle und alles) usw. Angela Merkel hat dies gar zu einer Kunst erhoben, weil sie am meisten von der Entpolitisierung des Wahlkampfes profitierte. Sie tat so, als seien bei ihr alle Wünsche bestens aufgehoben – von rechts bis links, von der Bankenregulierung bis zum Mindestlohn, vom Ja zur Atomkraft bis zur radikalen Energiewende etc. – begleitet von einer konturlosen Opposition, oder wie ein Spötter sagte: Es war die Wahl zwischen Cola und Cola light.

Schluß/Fazit:

Das nur temporär unterdrückte Bedürfnis nach deutschen Antworten auf die Baustellen der Gegenwart duldet keinen Aufschub mehr. Ist die deutsche politische Klasse darauf vorbereitet? Schon zu Beginn ihrer Regierungszeit 2005 gab Angela Merkel eine ‘Politik der kleinen Schritte’ auch für sich als Leitmotiv aus. Das entspricht der Mentalität einer Nation, die sich gerne zurückhält und sich, wenn überhaupt, nur zum Nötigsten, dem, was von Fall zu Fall zu tun ist, bereitfindet. Im Zögern treffen sich Merkel und der deutsche Michel. Eine Ausnahme – der Atomausstieg – bestätigt die Regel.

Baustellen gibt es zuhauf. Sie weiter ruhen zu lassen, kann und darf sich die Regierung nicht leisten. „Durchwursteln“ ist nicht mehr denkbar. Dafür sind die Herausforderungen allzu erdrückend. Nur ein paar Stichworte dazu: Reform des Bankensystems, Abbau der öffentlichen Verschuldung, Überprüfung des deutschen Verhältnisses zu Moskau und Washington, die Folgen der globalen Kommunikationsgesellschaft, das Aufblühen des asiatisch-pazifischen Raumes, das die Weltachse weiter nach Fernost verschiebt, die demographischen Veränderungen und die Anpassung daran (Stichworte z. B. Alterung, Rente, Pflege, Familie), die verkorkste Bildung, Zuwanderung und Integration, Neuordnung des föderalen Systems in Deutschland und Europa usw., um nur die wichtigsten zu nennen.

Im nächsten Jahr stehen nicht nur die Europawahl, sondern auch fünf Landtagswahlen auf dem Programm. Das gibt zusätzlichen Druck auf die Bundesregierung, zumindest so lange, wie die Bundesratsmehrheit in rot-grüner Hand liegt.

Und ein Letztes, falls dies im Kapitel AfD nicht klar genug wurde: Die Union – CDU und CSU – müssen einen Weg aufzeigen, wie sie in Zukunft ihre alten Stammwähler einbinden will. Das Potential der echten Konservativen ist keine vernachlässigende Größe. Sie fühlen sich längst nicht mehr wohl in der Union. Viele sind schon weggelaufen (Nichtwähler, AfD). Was will die CDU bzw. CSU?

Peter Helmes, 23.09.13

Bundestagswahl 2013: Statistik-Anhang

Wählerwanderung (auszugsweise)

(von Partei…zu Partei…)

CDU/CSU gewonnene Stimmen von:                                  CDU/CSU abgegebene Stimmen an:

SPD                                      300.000                                      AfD                                 300.000

FDP                                   2.200.000

Linke                                   160.000                                     

Grüne                                 460.000

Nichtwähler                     1.250.000

SPD gewonnene Stimmen von:                                            SPD abgegebene Stimmen an:

FDP                                      520.000                                      CDU/CSU                          300.000

Linke                                   360.000                                      AfD                                    180.000

Grüne                                 570.000

Nichtwähler                        380.000

FDP gewonnene Stimmen von:                                            FDP abgegebene Stimmen an:

CDU/CSU                       2.200.000

SPD                                    520.000

Keine Stimmen gewonnen                                                                                  Linke                                              90.000

Grüne                               160.000

AfD                                    450.000

Nichtwähler                      430.000

Grüne gewonnene Stimmen von:                                        Grüne abgegebene Stimmen an:

FDP                                      160.000                                      CDU/CSU                          460.000

Linke                                     30.000                                      SPD                                    570.000

AfD                                    100.000

Nichtwählern                     30.000

Linke gewonnene Stimmen von:                                         Linke abgegebene Stimmen an:

FDP                                        90.000                                      CDU/CSU                          160.000

SPD                                    570.000

Grüne                                 30.000

AfD                                    360.000

Nichtwähler                      310.000

AfD gewonnene Stimmen von:                                            Partei AfD abgegebene Stimmen an:

CDU/CSU                            300.000

SPD                                      180.000

FDP                                      450.000                                      Abgegebene Stimmen keine, da noch

Linke                                   360.000                                      keine Wahl bisher

Grüne                                 100.000

Nichtwähler                       240.000

Zufriedenheit mit der Bundesregierung

Gesamt 51 %

CDU 57 %

CSU 43 %

2005                 2009                 2013

Gesamt zufrieden                                               25%           43 %                           51 %

Gesamt unzufrieden                                           74 %                 56 %                           48 %

Wer soll die nächste Bundesregierung führen?

Union 54 %

SPD     40 %

                              Spitzenkandidaten im Vergleich

(Wenn Direktwahl, dann bekämen…)

                                                                       Merkel          58 %

Steinbrück    34 %

Profilvergleich                                         Merkel              Steinbrück

Führungsstärke                                             70 %                         22 %

Kompetenter                                                 57 %  (Medien)        26 %

Sympathischer                                              57 %  (Medien)        30 %

Glaubwürdiger                                              53 %                         31 %

Problembewußter                                                         40 %                                 40 %

Wahlentscheidend war

Kandidat      25%

Programm   52 %

Langfristige Parteibindung    19 %

Wer wählte was?

 

                                 Union                SPD               Linke            Grüne                    FDP

                                            

Männer                                39 %                26 %                9 %                    7 %                   5 %

Frauen                                  44 %                25 %               9 %                    8 % 4 %

Arbeitslose                           26 %                24%               23 %                    8 %                   4 %

Arbeiter                                35 %                22 %              13 %                    4 %                   3 %

Erstwähler                            30 %                24 %              12 %                    7 %                    4%

 

Kein „Jugend-Bonus“ bei Grünen:

Wähler nach Altersgruppen

                                             Union                SPD            Linke               Grüne                                             FDP

18 – 24 J.                              30 %                24 %                8 %                  11 %                   6 %

25 – 34 J.                              37 %                22 %                9 %                  10 % 6 %

35 – 44 J.                              40 %                22 %                8 %                  11 %                   6 %

45 – 59 J.                              38 %                27 %              10 %                  10 %                   5 %

60 – 69 J.                              45 %                28 %                9 %                    6 %                   4 %

über 70 J.                              54 %                28 %                6 %                    3 %                   3 %

alle                                        42 %                26 %                9 %                    8 %                    5%

Wähler nach Beruf und Tätigkeit

 

Tätigkeit                              Union                SPD            Linke               Grüne                                             FDP

 

Arbeiter                                35 %                27 %                4 %                    4 %                   3 %

Angestellte                           39 %                26 %              11 %                  11 %                   5 %

Selbständige                        49 %                14 %              11 %                  11 %                 10 %

Rentner                                49 %                28 %                4 %                    4 %                   4 %

Arbeitslose                           24 %                26 %                8 %                    8 %                   4 %

alle                                        42 %                26 %                8 %                    8 %                    5%

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