Gedanken zum Totensonntag und zur „Sterbehilfe“

 constant-63613_640Von Peter Helmes

Tod – ständiger Schatten unseres Lebens

Der Totensonntag ist in protestantischer Tradition der Tag des Gedenkens der Toten; in der katholischen Kirche ist dies das Fest „Allerseelen“. Ein Tag, der dazu aufruft, an das Vergängliche, eben den Tod, zu denken und auch innezuhalten, um über den Sinn des Lebens nachzudenken. Leben und Tod sind eine Einheit: Der Tod ist der ständige Schatten unseres Lebens und sein notwendiger Gegenpol.Friedhof

Verunsicherte Gesellschaft

Der Suizid, das freiwillige Ausscheiden aus dem Leben, scheint zunehmend vielen Menschen der einzige Weg zu sein, einem vermeintlich „würdelosen“ Altern oder einem würdelosen Dahinsiechen auszuweichen. Oft aber – und das gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte – entsprechen Suizidwünsche nicht nur einer privaten Motivation einzelner Menschen, sondern sind (auch) Resultat eines sozialen Defizits bzw. eines Defizits an sozialer Verantwortung. Viele Schwerkranke – oder auch solche, die sich vor einem solchen Schicksalsschlag fürchten – wollen lieber vorher aus dem Leben scheiden, als am Ende ihres Lebens vermeintlich vollkommen entwertet, ja unwürdig, dazustehen. Das aber – reden wir doch Klartext! – ist auch Ausdruck einer entsolidarisierten Gesellschaft, die den Menschen einredet, es sei doch eigentlich ganz vernünftig, sich vorher zu verabschieden.

(Zu) große Zustimmung zur „Sterbehilfe“

Vier Fünftel der Deutschen stehen der Sterbehilfe einer Umfrage zufolge aufgeschlossen gegenüber. Das ermittelte die ARD im neuen „Deutschlandtrend“. Das hochsensibleThema wird den Bundestag auch im kommenden Jahr beschäftigen: Für das zweite Halbjahr 2015 ist ein Gesetz geplant. Bis dahin bleiben viele Fragen offen.

Knapp die Hälfte der Bevölkerung (46 Prozent) sei der Ansicht, die Beihilfe zur Selbsttötung sollte erlaubt sein, so das Ergebnis der Umfrage. 37 Prozent würden darüber hinaus auch eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe begrüßen. Dagegen lehnten in der Umfrage des Instituts Infratest dimap nur 12 Prozent die Sterbehilfe grundsätzlich ab. Etwas höher ist dieser Anteil mit 18 Prozent bei den Bürgern über 60 Jahren. Der Bundestag will die heikle Frage der Sterbehilfe im kommenden Jahr neu regeln.

„Volkes Stimme“ ist zuweilen emotional bestimmt. Wenn noch entsprechende mediale Unterstützung hinzukommt, wird oftmals die reine Vernunft an den Rand gedrängt. Der Drang zu „würdevollem Sterben“ wird umso größer, je mehr wir die Beihilfe zur Selbsttötung liberalisieren, sie also fast zu einem gesetzlich geschützten „Recht“ erklären. Mit Respekt habe ich demnach die jüngste Debatte im Deutschen Bundestag dazu verfolgt, die von hoher sozialer Verantwortung getragen war und einem „Geschäft mit dem Selbstmord“ eine über alle Parteigrenzen hinweg eindeutige Absage erteilt hat.

Die menschliche Würde

Ein Begriff steht im Zentrum der Diskussionen über Sterbehilfe, den alle Deutschen wohl sofort mit dem Grundgesetz verbinden: die Würde des Menschen. Ist es sinnvoll, Menschen, die geistig noch gesund sind, aber an körperlichen Krankheiten leiden, den Weg zu erleichtern, indem man die Beihilfe zur Sterbehilfe in Deutschland rechtlich eindeutig regelt und gestattet? Würdigt man dadurch Menschen mit geistiger Behinderung herab? Würdigt man kranke Menschen dadurch generell herab? Oder wird man so endlich überhaupt nur der Würde des Menschen gerecht?

„Menschliches Leben hat Würde, weil es menschliches Leben ist“, stellt der evangelische Theologe Schneider klar, der in der Beihilfe zur Sterbehilfe eine Verletzung der Menschenwürde sieht. Ärzte, die in Deutschland aktuell noch durch ihre Standesrechte und Standesethik daran gehindert werden, Sterbehilfe zu leisten, seien per Berufsbild dazu verpflichtet, sich am „Leben“ ihrer Patienten zu orientieren.

Doch ist das wirklich so? Ist es nicht auch Kernaufgabe eines Arztes, nicht nur zu heilen, sondern Schmerzen zu lindern, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist? Und ist die ultimative Schmerzlinderung nicht unter Umständen der Tod als letzter Ausweg? Menschen wollen vielleicht nicht unbedingt nur wegen des Nicht-mehr-Aushaltens des körperlichen Schmerzes sterben, sondern vielleicht auch wegen der Angst vor Kontrollverlust, Autonomieverlust und Verlust des Lebenssinns. Wer kann das beantworten?

Wie verfahren ohne Patientenverfügung?

Wie soll aber mit Menschen ohne Patientenverfügung umgegangen werden? Diese Frage ist noch völlig offen. Für mich darf es nur eine Antwort geben: Ein Mensch, der keine Patientenverfügung besitzt, darf sicherlich nicht durch Dritte, „durch Sterbehilfe“, sein Leben beenden. Ein solcher Mensch liegt z. B. auf einer Intensivpflegestation und fällt den Angehörigen finanziell und emotional zur Last. Wenn einer der Angehörigen die Pflegschaft (Vormundschaft) hat, liegt die Versuchung nahe, dem „Elend“ durch Sterbehilfe ein Ende zu bereiten. Das aber wäre für mich Totschlag, vielleicht sogar kalkulierter Mord. Dritte dürfen nicht darüber entscheiden, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht!

Zu Ende gedacht, darf man durchaus polemisch festhalten: Wer „Sterbehilfe!“ ruft und das mit der „Entlastung“ der Gesellschaft begründet, ist nicht weit von Euthanasie und Totschlag. Die solches fordern, müßten auch Abtreibung und das Ende jedes menschlichen Daseins fordern: „Wenn ich lebe, muß ich sterben. Dann will ich doch lieber erst gar nicht leben!“ Welch´ eine abstruse Moral! Und sie wird auch nicht dadurch besser, daß ein protestantischer Pastor ausgerechnet aus den Reihen der CDU (Peter Hintze) sich für eine Verbesserung der Sterbehilfe einsetzt – für mich gänzlich unerträglich!

Tod, wo ist dein Schrecken?

Ist es nicht vielmehr so, daß der Wunsch nach erlaubter Tötung und seine Begründung mit „menschenwürdigem Sterben“ eher Tarnung einer Angst ist, der man auszuweichen trachtet? Auch der Tod hat eine Würde! Ich finde es menschenunwürdig, das Sterben aus unserem gesellschaftlichen Leben zu verdrängen bzw. auf dem Niveau von Talk- und Boulevard-Politik zu diskutieren.

Unsere Gesellschaft als Ganzes ist auf diese Debatte offensichtlich nicht vorbereitet – letztlich auch ein Ergebnis zunehmender Entchristlichung. Hinzu kommt, daß findige „Sterbehelfer“ uns die Argumente für eine Selbsttötung (das Wort „Selbstmord“ will ich ausdrücklich vermeiden, weil es keine Tat aus niederen Beweggründen ist) einprägsam vorbeten und von einem „Sterben in Würde“ reden und davon, daß man im Falle des Falles der Familie, dem Partner und/oder der Gesellschaft nicht zur Last fallen soll. So erreichen die Sterbehilfevereine einen nicht geahnten Zuspruch.

Wer sich aus dem Diesseits verabschieden will, soll das tun (können), lautet die gängige Parole. Niemand scheint danach zu fragen, ob dies nicht einer Kapitulation vor dem Leben (und dem Tod) gleichkommt und auch Ausdruck einer tiefen Resignation ist: Der Mensch verabschiedet sich lieber, als weiter unter uns zu leben. Und damit dreht sich die Spirale: Der Ruf nach gesetzlich erlaubter Beihilfe zum Suizid wird immer lauter.

Suizid als einfacher Ausweg?

Die Enzyklika „Evangelium vitae“ aus dem Jahr 1995, die die traditionelle Auffassung der katholischen Kirche zusammenfaßt, findet klare Worte: „Unter Euthanasie/Sterbehilfe versteht man eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden“.

Weiter heißt es in der Enzyklika: „Abtreibung und Euthanasie sind Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen.“

Auch Papst Pius XII. hob die besondere Bedeutung des Naturrechts hervor und verkündete: „Keine Indikation, kein Notstand kann ein in sich sittenwidriges Tun in ein sittengemäßes und erlaubtes verwandeln.“ Wer hier das Totschlagsargument bei der Hand hat, die Kirche sei ja eine ewiggestrige, dem sei nachgeschoben – ebenfalls aus „Evangelium vitae“: „Der Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie/Sterbehilfe; er ist vielmehr Ausdruck dafür, daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird.“ So lebensfremd scheint die katholische Kirche denn doch nicht zu sein, wie manche glauben (machen) wollen. Dies bedeutet aber nicht, daß fundamentale, lebenserhaltende Maßnahmen, wie Nahrung, Flüssigkeitszufuhr, Lagerung und Körperpflege, eingestellt werden dürfen.

Primat des Naturrechts

Auch Atheisten können eine Weisheit nicht umgehen – und kluge Agnostiker bestätigen dies: Es gibt ein Recht, das über das vom Menschen gemachte Recht hinausgeht und an das sich alle menschlichen Gesetze halten müssen, um nicht ungerecht und sittenwidrig zu werden. Dies ist das Naturrecht, das sich aus der Natur, dem Wesen des Menschen als vernunftbegabtes Sinneswesen, ergibt. Deshalb kann sich „kein menschliches Gesetz anmaßen“, dieses Gesetz zu ignorieren.

Wir, die Gesellschaft, sind also im Zugzwang: eine Gesellschaft zu schaffen oder sie so zu beeinflussen, daß niemand auf die Idee kommen sollte, sich lieber zu verabschieden, als weiter unter uns zu leben. Grundvoraussetzung dazu ist nicht nur das Bejahen des Lebens – auch mit seinen Grausamkeiten –, sondern auch die notwendige Vorsorge für ein würdevolles Altern und Sterben: durch Ausbau der Pflege- und der Hospiz- bzw. Palliativeinrichtungen. Die Ausgangsfrage sollte lauten: Wie können wir in der Gesellschaft eine neue Kultur des Sterbens ermöglichen, die den Menschen eben die Angst vor dem Sterben nimmt? Und wie weit sollte die bisher straffreie Beihilfe zur Selbsttötung verhindert werden?

Nein zu Sterbehilfevereinen

Vor allem geht es um ein Verbot von Sterbehilfevereinen oder insgesamt von organisierter, regelmäßiger, geschäftsmäßiger Hilfe zum Suizid. Es geht auch um die Sorge, Menschen könnten aus Unkenntnis über Linderungsmöglichkeiten, aus Angst, anderen zu Last zu fallen, nicht ausreichend aufgeklärt und ihrer sicher, den Schritt zum „begleiteten Sterben“ gehen – ein scheinbar einfacher Ausweg, der ihnen da geboten wird.

Der Journalist Jakob Augstein, Erbe des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein, sondert gemeinhin viel sozialistischen Unsinn ab. Deshalb war ich doch sehr verwundert, von ihm in dieser Debatte im SPIEGEL ein so klares Wort zu lesen, für das ich ihm meine Hochachtung zolle:

In Wahrheit ist der Tod auf Bestellung kein Gewinn an Freiheit. Sondern eine Kapitulation – vor dem Leben und vor dem Geist des Zwecks. Ärzte und Konzerne helfen uns mit chirurgischen und kosmetischen Mitteln dabei, das Altern zu verlernen. Nun sollen wir uns von Schmerz und Leid abwenden.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

P.S.: Der Autor hat sowohl seine krebskranken Eltern und erst kürzlich seine ebenfalls krebskranken Geschwister bis in den Tod begleitet, weiß also, wovon er spricht.

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