Auch ein Nachruf: Richard von Weizsäcker

WeizsäckerVon Peter Helmes

An von Weizsäcker scheiden sich nicht allzu viele Geister. Der politische Common Sense gebietet in ständiger Verbeugung vorgetragene Hochachtung und Lobpreisung, gepaart mit tiefer Demut vor diesem „großen Geist“. Da bleibt für kritische Äußerungen kein Raum. Die Medien huben den Alt-Bundespräsidenten, der wie kein anderer dem Zeitgeist ein Gesicht gab, schon zu Lebzeiten zu den Ehren der Geschichtsaltäre (Helmut Kohl sieht ihn gewiß ganz anders – Parteifreunde eben. Aber den fragt ja niemand mehr.)

Wer (wie der Autor dieses) den politischen Lebensweg des Verstorbenen begleiten konnte, darf ohne Verdrückung eines ganz gewiß festhalten: In der Politik unserer Bundesrepublik gab es kaum jemand Ehrgeizigeren als von Weizsäcker, der stets nach dem höchsten Amt strebte. Das aber tat er nicht so plump wie Johannes Rau, der mit seinem jahrelangen Anspruch selbst die eigenen Parteifreunde nervte. Wo und wenn andere mit Florett, Säbel oder harten Werkzeugen kämpften, wirkte der Aristokrat stets im Hintergrund, im Verborgenen. Der offene Kampf lag ihm nicht.

„altmod“*), mit dessen Meinung ich meist übereinstimme, widmet dem ehemaligen Bundespräsidenten im Folgenden einen besonderen Nachruf, für den wir (er und ich) wohl bei allen Zeitgeistigen um Entschuldigung werden bitten müssen. Sie dürfte mir durchaus verweigert werden (worüber ich nicht Trauer tragen werde):

De mortuis nihil nisi bene

“Über Tote (spricht man) nur Gutes!” heißt es (Solon, griech. Philosoph). Also soll mannicht herumtrampeln auf dem Gedenken an einen Menschen (schon gar nicht auf dem Grab), erst recht nicht bei Hochgeborenen und Hochgeschätzten. Ist es aber nicht trotzdem erlaubt zu sagen, den und seine Verdienste sehe ich etwas anders, als gemeinhin verbreitet? Gleichwohl Ehrerbietung seiner Asche!

Ich erlaube mir das jetzt; denn ich und Millionen werden in den kommenden Tagen durch ARD und ZDF in „Extras“ und „Spezials“ eingehend in Trauer- und gefasste Erinnerungsstimmung versetzt werden. Die Postillen werden über Tage mehrseitige Nekrologe und Preisungen abdrucken. Ein Staatsakt mit Beteiligung vieler „Großer“ der Welt ist ganz gewiss*). Wir werden die Bekräftigung eines nicht erst posthumen Mythos um einen „guten Deutschen“ erleben.

Nicht wenige Zeitgenossen hielten diesen Mann ja schon zu Lebzeiten für die Lichtgestalt auf dem bundesdeutschen Präsidentenposten schlechthin. Intelligent, gar weise, charismatisch-aristokratisch, integer, die moralisch-politische Instanz.

„Die wichtigste Rede“

Wir werden es bis zur Emesis hören, dass von Weizsäcker die wichtigste Rede in der deutschen Nachkriegsgeschichte gehalten habe, die am 8. Mai 1985 mit Blick zurück auf das Kriegsende vom 8. Mai 1945. Sprach er doch endlich von „Befreiung“! Nahezu religiös überhöht wie schon bisher, wird er noch und noch zitiert werden mit dem Satz: das „Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“. Das Mantra aller deutschen Bußprediger seither.

Ein Mann wie in einem Ölgemälde?

Die „Stuttgarter Zeitung“ feierte ihn einst mit hymnischen Sätzen: „Wäre Richard von Weizsäcker nicht, der er tatsächlich ist, die Republik hätte sich ihren Präsidenten kaum wirkungsvoller erträumen können. Wie er, diesen schönen Ernst im Blick, sich zurücklehnt im Empire-Gestühl der Villa Hammerschmidt, wie er die Beine fast tänzerisch übereinander legt, wie er die Hände faltet und wieder öffnet zu kleinen Gebärden, wie er – allein in seiner Erscheinung, seinem Auftreten – sich einpasst in den Rahmen des Amtssitzes, da könnte er gerade und für einen kurzen Moment aus einem der Ölgemälde an der Wand herabgestiegen sein.“

Verdammt viel „Öl“, was sich da ein Journalist heraus gequetscht hat. Und wir werden es erleben, es wird noch mehr herausgequetscht werden – noch mehr Chrisam der Erlösung durch und für diesen Mann.

Ein einziger, „befreiender“ Satz

Sein großes Ansehen verdankt Richard von Weizsäcker einer einzigen wichtigen Rede – und einem zentralen Satz“ schreibt der Spiegel. Der Rede sei zu verdanken, dass Deutschland wieder ein ehrenvoller Platz in der Welt einnehmen konnte, sie habe die Grundlage gelegt für die Möglichkeit der 2+4 – Gespräche und der Wiedervereinigung“, hieß es bald (Genscher).

Der Spiegel: „Geprägt hatte ihn das Grauen des Krieges, das er ebenso schrecklich und hautnah erfahren hatte wie die Verstrickung seines Vaters in die Nazi-Verbrechen. Er war vom ersten Tag des Krieges an der Front, hat im Osten und im Westen gekämpft, war bei der Belagerung Leningrads dabei, wurde zwei Mal verwundet und war am Ende des Krieges Hauptmann. Schon am zweiten Kriegstag war sein Bruder Heinrich in Polen gefallen, nur wenige Hundert Meter entfernt von ihm. Gegen Ende des Krieges bekam Weizsäcker Kontakt zur Widerstandsgruppe um Claus Graf Schenk von Stauffenberg.“

So müssen Nachrufe klingen, auch wenn Fakten bei eingehender Nachforschung die Form verlieren. Auch und wenn er die Vertreibung seiner Landsleute „erzwungene Wanderschaft“ nennt.

Eintreten für die „Völkerversöhnung“

Als sein Hauptverdienst als Staatsmann wird man ihm natürlich wieder das Eintreten für die „Völkerversöhnung“ durch diese „berühmte“ (und andere) Reden bescheinigen. Ich neige dabei aber ketzerisch eher zu der Einschätzung von Thorsten Hinz:

Theoretisch kann man ihm den Versuch zugutehalten, die geschichtlichen Lasten und politischen Zwänge dadurch zu mildern, daß er den Schuldvorwurf an die deutsche Adresse akzeptierte. Doch die Erwartung, durch den Nachweis seiner Harmlosigkeit würde Deutschland politische und moralische Schonung erlangen, blieb unerfüllt. In Wahrheit wurde das emphatische Schuldbekenntnis als Eingeständnis der Schwäche und Einladung zur fortgesetzten Erpressung verstanden. Die Völkerversöhnung, die Weizsäcker preist, wird als eine einseitig von Deutschland zu leistende Angelegenheit aufgefaßt, die darin besteht, daß Deutschland sich den Standpunkt der jeweils anderen Seite zueigen macht.

Vertreter des Zeitgeistes

Brigitte Seebacher-Brandt hat festgestellt: »Er brachte es fertig, was fertigzubringen keinem vor ihm auch nur in den Sinn gekommen war: dem Zeitgeist vollkommenen Ausdruck zu verleihen, ihn zu repräsentieren.«

Ein „Spezialgewissenträger im Präsidentenamt“ (F.J.Strauß) ist verstorben, aber er kann sein Erbe in guten Händen wissen. Wenn schon nicht in aristokratischen, doch in denen eines ebenfalls besonders Erleuchteten.

Er hat sich also doch um die Bundesrepublik verdient gemacht! Ich werde nun, wie im katholischen Ritus am Karfreitag das Kruzifix verhüllt wird, für die nächsten Tage meine ketzerische Literatur zum „Weizsäcker-Komplex“, zum „Bußprediger“, den deutschen „Nasenring“ usw. aus dem Regal nehmen. Auch werde ich demütig inmichgehen, ob ich nicht doch zur Beichte muss, um für eine Pietätlosigkeit oder gar einen Ikonoklasmus Vergebung zu erbeten.

*) dem Anlass immanente Zusatzfrage: Wird der neue König von Saudi Arabien persönlich anreisen oder auch nur einen Großneffen aus der fünften Seitenlinie schicken?

*)altmod.de ist ein befreundetes blog, dessen Beiträge häufig in conservo erscheinen.

www.conservo.wordpress.com

Über conservo 7864 Artikel
Conservo-Redaktion