Sag´ ja zur Heimat – eine chinesisch-deutsche, romantisch-ernste Geschichte

Von Peter Helmes

Haben auch Sie das schon einmal erfahren? Man begegnet einem Menschen – und findet einen Freund. You Xie (Aussprache etwa: J-o-u   Schi-è) ist ein solcher Mann. Von der Heimat verlassen, eine neue Heimat gefunden. Ein faszinierender Erzähler, Mahner, Bürger (in des Wortes wahrer Bedeutung). Ein Vorbild. Eine Geschichte, die man nicht erfinden kann. Wie erklärt sich das?

You stammt aus einer bedeutenden Familie. Er liebt Kultur und Tradition. Und aus diesem Grundverständnis heraus denkt und schreibt er. Er belehrt niemanden. Aber wir können von ihm lernen, was ein Bürger, der seinem Staate dient, an Rechten und Pflichten wahrnehmen sollte. Er schreibt von der Pflicht zur Arbeit, von der Pflicht zur Bildung usw. Er schreibt nichts darüber, wie man diesen Staat ausnützen kann, sondern er handelt nach dem Motto: „Frage nicht, was der Staat für Dich, sondern frage Dich, was Du für den Staat tun kannst.“ Und meint, jeder Bürger – auch einer mit ausländischen Wurzeln – der hier lebt, müsse sich engagieren, integrieren, die Gesetze und Bräuche Deutschlands mittragen und stolz auf die Heimat sein – ohne seine alte Heimat zu verraten.

You beschreibt all dies, als ob es selbstverständlich wäre. Ja, für ihn ist das selbstverständlich – so, wie sein Engagement in der Bamberger Bürgerschaft und im Stadtrat, in dem er für die CSU sein Mandat wahrnimmt, in das ihn die Bamberger gewählt haben (er erhielt die meisten aller abgegebenen CSU-Stimmen). Er ist – trotz all seiner Bescheidenheit – ein stolzer Bürger. Das ist seine Botschaft – an alle, nicht nur an Deutsche. Aus Liebe zur Heimat!

You Xie
You Xie

„Jeder ist Heimatpfleger“

So überschreibt You einen seiner Artikel – eine Liebeserklärung an die Heimat. Und er bekennt gleich im folgenden Satz: (Ich bin) „You Xie – In China geboren, in Bamberg glücklich“. Sachlich nüchtern schreibt Wikipedia über diesen Schriftsteller, der in die Auswahl der 100 bedeutendsten chinesischen Intellektuellen aufgenommen wurde:

Wikipedia über You Xie

You Xie (chinesisch 友谢, Pinyin Yǒu Xiè, eigentlich chinesisch 谢盛友, Pinyin Xiè Shèngyǒu) (* 1. Oktober 1958 in Hainan) ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller chinesischer Herkunft.

Nüchtern berichtet Wikipedia: „Als You Xie geboren wurde, herrschte Hungersnot in China. Er wuchs während der Kulturrevolution auf und konnte deshalb nicht die Schule besuchen, sondern mußte auf dem Land arbeiten. Von 1979 bis 1983 studierte er Deutsch und Englisch an der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou. Nach dem Abschluss des Studiums (B.A.) war er als Dolmetscher bei VW in Shanghai tätig.

1988 kam er zum Studium an die Otto-Friedrich-Universität Bamberg und studierte Germanistik, Journalistik und Europäische Ethnologie. 1993 diplomierte er über die Pressepolitik der Kommunistischen Partei Chinas. Von 1993 bis 1996 studierte er Jura an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Zur Zeit des Tian’anmen-Massakers war er Bundesvorsitzender des “Verbandes der chinesischen Studenten und Wissenschaftler in Deutschland e.V.” 1999 gründete er die chinesischsprachige Zeitschrift European Chinese News, die ihr Erscheinen 2011 einstellte. Xie ist seit 2006 Herausgeber der Europaausgabe der christlichen Zeitschrift “Overseas Campus”. 2010 kam Xie in die Auswahl der Top 100 Chinese Public Intellectuals. Am 20. April 2013 wählten die Mitglieder der Bamberger CSU Xie in den Kreisvorstand. Er erhält 141 von 220 Stimmen. Damit erzielte er das beste Wahlergebnis aller Kreisvorstandsmitglieder. Am 26. Juli 2013 wurde You Xie von der CSU-Mitgliederversammlung mit 97 von 110 Stimmen auf die Kandidatenliste für die Stadtratswahl 2014 für Platz 29 gewählt. Bei der Wahl wurde Xie mit den meisten Stimmen aller CSU-Kandidaten in den Stadtrat gewählt.

Xie ist Vizepräsident der Association of Chinese Language Writers in Europe und lebt mit seiner Frau Shenhua Xie-Zhang in Bamberg, wo er einen China-Imbiss betreibt und auch weiterhin als Schriftsteller arbeitet. Seit 2010 besitzt er die deutsche Staatsangehörigkeit.

Xie ist ein Nachfahre von Xie An (chinesisch 謝安, Pinyin Xiè Ān, 320–385), des Herzogs Wenjing von Luling während der Jin-Dynastie, in 56. Generation. Seine Großtante war Xie Fei (chinesisch 谢飞, Pinyin Xiè Fēi, 1913-2013) aus Wenchang, Provinz Hainan. Xie Fei nahm 1934 am Langen Marsch teil und war die dritte Ehefrau von Liu Shaoqi, dem Staatspräsidenten der Volksrepublik China von 1959 bis 1968“ (Quelle: wikipedia.org/wiki/You_Xie)

Buch you

„Jeder ist Heimatpfleger“ – oder: Ein Chinese erklärt, was Liebe zur (deutschen) Heimat bedeutet *)

You Xie schreibt:

„You“ heißt „Freund“, „Xie“ heißt „Danke“. In China wird das „e“ wie Mittelhochdeutsch oder Althochdeutsch ausgesprochen. Hier ist das anders, aber ich habe mich daran gewöhnt. In China begegneten die Schulkinder in den Geschichtsbüchern oft meinem Familiennamen. In China ist er ähnlich bekannt wie in Deutschland der Name Bismarck. Mein Urahn Xie An war ein bedeutender Herzog, der während der Jin-Dynastie im 4. Jh. n. Chr. herrschte. Seither hatten die Xies auf unterschiedliche Weise das Land geprägt. Ich bin ein Nachfahre von Xie An in der 56. Generation.

Ich lebe in Bamberg – mit Qualität. Vor ungefähr zehn Jahren war ich mit Freunden von VW aus Shanghai auf dem Michaelsberg beim Kaffeetrinken. Wir betrachteten den blauen Himmel und die weißen Wolken. Herr Liu, der Direktor, sagte: „So was haben wir in Shanghai schon lange nicht mehr, alles Smog. So einen blauen Himmel und weiße Wolken haben wir Chinesen nicht.“

Sonntags gehe ich sehr gerne in Bamberg spazieren, beeindruckt lese ich die Gedenktafeln an den Gebäuden. Bamberg lebt mit seiner Geschichte. Das schöne Stadtbild nicht nur mit all seinen Kirchen, Palais und Bürgerhäusern, sondern die Gedenktafeln sind ein spannendes Geschichtsbuch, mindestens für mich. Bamberg hat seine Kultur gut erhalten.

2010 kam ich in die Auswahl der Top 100 Chinese Public Intellectuals. Zu den 100 Chinesen gehören auch Ai Weiwei, der Konzeptkünstler, und Gao Xingjian, Nobelpreisträger. Die Top 100 Chinese Public Intellectuals leben in China oder im Ausland. Sie haben gute wissenschaftlichen Beiträge und/oder Vorschläge für die chinesische Regierung vorgelegt.

Meine Vorschläge waren:

Die Einführung von Arbeitsverträgen und einer Sozialversicherung für Wanderarbeiter;

China und Japan sollen von Deutschland und Frankreich lernen, sich zu versöhnen;

China soll von Deutschland lernen, ein Verfassungsgericht zu errichten;

China sollte von Bamberg lernen, seine alte Kultur zu erhalten.

Von Bamberg gelernt

Su Qing (1914-1982)war eine chinesische Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Sie zählt zu den modernen Klassikern der chinesischen Literatur. Anfang 2010 haben mir ihre Verwandten geschrieben, Su Qings Geburtshaus werde abgerissen. Über meine Blogs im Internet und Tageszeitungen in der Stadt Ningbo (Su Qings Heimat) appellierte ich an die chinesische Regierung, Su Qings Geburtshaus nicht abzureißen. In einem offenen Brief verglich ich Su Qing mit E.T.A. Hoffmann. Ende März 2010 hat mir Ningbos Oberbürger-meister geschrieben: “Su Qings Geburtshaus wird nicht abgerissen.“ In diesem Moment war ich dankbar und dachte zuerst an engagierte Bamberger Bürger, von denen ich viel gelernt habe. Ich bin aus diesem Grund auch Mitglied im Bamberger Bürgerverein Mitte geworden, dessen Arbeit und Zeitung ich sehr schätze.

Integriert in Bamberg

Unter Integration verstehe ich 入国问禁, 入乡随俗 (rù ɡuó wèn jìn, rù xiānɡ suí sú). Es gibt eine schlechte englische Übersetzung: „When in Rome do as the Romans do.“ Als chinesischer Germanist interpretiere ich den Satz so: Unbedingt die Gesetze und Vorschriften in deinem neuen Land einhalten; unbedingt die Sitten und Bräuche in deiner neuen Gemeinde beachten.

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich von der Einschätzung seines Vorgängers Christian Wulff abgesetzt, der Islam gehöre zu Deutschland: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

Ich bin nicht zufrieden, auch nicht einverstanden mit diesen zwei Sätzen. Die Intention nehme ich an: Alle Migranten, die hier in Deutschland leben und das deutsche Wertesystem des Grundgesetzes anerkennen, gehören zu Deutschland. Der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie die Bindung der staatlichen Gewalt an die weiteren Grundrechte (Artikel 1 bis 19) der bundesdeutschen „Verfassung“, des Grundgesetzes. Ebenso wie Artikel 4 GG gewährleistet sie Religionsfreiheit für alle, also auch für hier lebende Muslime, Taoisten, Buddhisten und Konfuzianisten. Sie haben das Recht, ihre Religion hier auszuüben und genauso wie Christen oder Juden Häuser für ihre Versammlungen zu bauen. Artikel 5 gewährleistet die Pressefreiheit. Ich darf hier Zeitungen herausgeben, aber wir Migranten haben nicht das Recht, sich über die für alle geltenden Gesetze hinwegzusetzen.

Alte und neue Heimat

Ich lebe in Bamberg seit mehr als 27 Jahren. Ich wollte mein Deutsch verbessern und deutsche Philosophie studieren. 1988 kam ich mit dem Zug durch Nord-China, die ehemalige Sowjetunion, Polen und die DDR in Bamberg an. Hier studierte ich Germanistik, Journalistik und Europäische Ethnologie. 1993 diplomierte ich über die Pressepolitik der Kommunistischen Partei Chinas. Von 1993 bis 1996 studierte ich Jura an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Rechte und Pflichten

Heimat ist immer verbunden mit Herz, Liebe und Ärger, mit Rechten und Pflichten.

Man kann hier den blauen Himmel und die weiße Wolke genießen, man muss auch wissen, wie das Wasser in der Regnitz fließt. Man muss auch so handeln, dass das Wasser in der Regnitz sauber bleibt. Man muss großen Wert auf Schule und Altenheim legen. Jeder hat die Verpflichtung und Verantwortung, seine Heimat gut zu pflegen. Wenn man nicht kompetent ist, bringt man dann Ideen ein; wenn man keine Idee hat, bringt man dann Geld ein; wenn man kein Geld hat, bringt man dann Kraft ein.

Recht auf Pflichten – auch Treuepflicht gegenüber der neuen Heimat

Im Grunde genommen liebe ich meine Bamberger Heimat mehr als meine alte Heimat. Hier bin ich zufrieden und sehr glücklich. Ich habe eine Treuepflicht gegenüber meiner neuen Heimat. Als Kaufmann muss ich fleißig arbeiten und meine Bücher immer in klarer Ordnung halten und meine Steuern korrekt zahlen. Das sind Pflichten, die ich zu erfüllen habe. Für mich ist es auch ein Recht, meine Pflicht tun zu dürfen, worüber ich glücklich bin und von manchen beneidet werde. Pflichten sind eine Freude in meinem Leben. Ich verfolge zur Zeit gespannt die Entwicklung des ICE-Ausbaus, der Konversion (US-Gelände) und des Quartiers an der Stadtmauer.

Stolz auf Bamberg

Ich bin stolz, Bamberger zu sein. Hier haben wir nicht nur einen 1000-jährigen Dom, hier haben wir auch Willy Aron (mit Graf Stauffenberg einer der Widerständler im 3. Reich). Mein Lieblingsort ist der Schillerplatz, wo sich nicht nur das Wohnhaus des Justus Heinrich Dientzenhofer (* 5. November 1702 in Fulda; † 4. Dezember 1744 in Bamberg, Architekt und Baumeister) und das E.T.A.Hoffmann-Museum befinden, sondern auch eine Etappe auf dem Weg zum Rechtsstaat zurückgelegt wurde. Die Bamberger Verfassung ist mir sehr wichtig.

Mit leeren Händen gekommen

Ich bin mit leeren Händen gekommen, sollte eigentlich mit leeren Händen und vollem Kopf nach China zurück. Das habe ich nicht geschafft. Nach dem Abschluss des Diplom-Studiengangs 1993 wollte ich nach China zurück. Leider erhielt ich ein Einreiseverbot, weil ich zu viele Artikel gegen die Regierung veröffentlicht hatte und Dissident wurde. Bis heute darf ich noch nicht nach China zurück. Wenn es möglich wird, will ich meine Geschwister besuchen. Mein Vater verstarb 1990, ich durfte nicht nach Hause zu seiner Beerdigung. Ich will sein Grab sehen und persönlich ´mal pflegen.

Jetzt ist es umgekehrt: Ich habe volle Hände, aber einen leeren Kopf. Ich schäme mich zu sagen, dass ich ein Bamberger bin, weil ich noch zu wenig Ahnung von Bamberg habe, zu wenig über Bamberger Geschichte und Kultur weiß.

Ich muss nach wie vor fleißig arbeiten, lesen, lernen, denken und schreiben.

Nach meinem Tod werde ich verbrannt, meine Asche sieht wie die eines Chinesen aus, aber ich bin ein Bamberger! Ich werde hier in Bamberg begraben. Es ist klar, ich bin kein alteingesessener Bamberger. Und wer ist ein altangesessener oder ein altansässiger Bamberger? Laut meiner kulturellen Beobachtung ist jemand ein Bamberger, wenn er seit drei Generationen in Bamberg lebt, nämlich schon sein Großvater in Bamberg geboren wurde und seine Familie noch immer in Bamberg lebt.

Ich (You Xie) bin ein Ausländer, denn ich denke und träume noch chinesisch. Mein Sohn Edwar ist in Bamberg geboren und aufgewachsen, er ist ein Halbausländer, mein Enkel sollte deutsch sein.

Vielen Dank!

You Xie, Journalist und Schriftsteller

*) Textheraushebungen und Erläuterungen von P. H.

中德雙語專欄作家

Stadtrat der Stadt Bamberg

班貝格民選市議員

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