Unrecht zementieren – Der Bundestag und die Ostzonen-Rentenprobleme

RenteAusschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) des Deutschen Bundestages “empfiehlt” Unrecht zu zementieren

Worum geht es? Deutscher Bundestag, Drucksache, 18/5278 / 18. Wahlperiode / 18.06.2015: Der Antrag, die Anrechnung von Unfallrenten Wehrdienstpflichtiger der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehem. DDR auf die Grundsicherung im Alter zu beenden und eine Gleichstellung mit Soldaten der Bundeswehr herzustellen, soll abgelehnt werden. Im 25. Jahr der deutschen Einheit zeigen sich die Fehler bei der Rentenüberleitung von Unfallrenten, Renten Wehrdienstpflichtiger, aber auch von DDR-Flüchtlingen („Ostzonen-Flüchtlinge“) und Übersiedlern (Beispiel Fremdrentengesetz, siehe weitere Beiträge auf diesem Blog (zuletzt: https://www.conservo.blog/2015/06/12/deutsche-zweimal-verkauft-der-rentenbetrug-an-ddr-fluchtlingen/ ), in erschreckender Deutlichkeit. Die Politik ist aber weder bemüht noch gewillt, die Versäumnisse und Fehler zu beenden und verletzt damit erneut die Rechte der Betroffenen.

Dabei wäre die Unabhängigkeit der Rechtsprechung durch Gerichte ein weiteres Thema, das wegen des Umfanges hier nicht behandelt werden kann. Das führt die Betroffenen in einen Teufelskreis, da die Gerichte der Argumentation der Politik folgen und sich auf die Gesetzgebung berufen. Das vorliegende Beispiel steht dafür Pars pro toto für weitere renten- und sozialrechtliche Problemstellungen. Die bis heute ungeklärte Ungleichbehandlung von NVA-Wehrdienstleistenden und Soldaten der Bundeswehr ist dabei besonders schwerwiegend, weil hier der Staat seine Entschädigungs- und Versorgungspflicht verletzt. Wehrdienst war eine Pflicht. Das betrifft die ehem. DDR wie auch die Bundesrepublik. Für daraus resultierende Schäden trägt der Staat die Verantwortung. Mit dem Einigungsvertrag hat die Bundesrepublik diese Pflichten übernommen. 2011 wurde eine Anrechnungsfreiheit nach BVG (§ 31) von NVA-Unfallrenten auf Leistungen nach SGB II erreicht. Dem Autor liegen Informationen vor, dass durch ein Fehler das SGB XII nicht einbezogen wurde. Man hatte schlicht daran nicht gedacht. Seinerzeit hatte sich die noch im Bundestag vertretende FDP-Fraktion für eine Lösung eingesetzt und diese auch umgesetzt, in dem sie die CDU/CSU-Fraktion von der Notwendigkeit dieser Korrektur überzeugte.

Ende 2014 hat die Fraktion “Die Linke” auf die Problematik erneut verwiesen und nachfolgenden Antrag in den Bundestag eingebracht:

“I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Wehrpflichtigen der DDR, die wegen Unfalls oder erlittener Schädigung bei der Nationalen Volksarmee (NVA) eine Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erhalten, wird diese Rente bei der Gewährung von Grundsicherung im Alter angerechnet. Das ist eine Ungleichbehandlung gegenüber vergleichbaren Dienstbeschädigten, die ihre Versehrtheit im Dienst der Bundeswehr erfuhren, da deren Dienstbeschädigtenrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz als privilegiertes Einkommen gelten und nicht angerechnet werden. Die Anrechnung bei der Grundsicherung im Alter ist zwischenzeitlich auch eine Ungleichbehandlung gegenüber der Behandlung von Verletztenrenten nach Schädigungen bei der NVA beim Bezug von Arbeitslosengeld II, da in dieser Konstellation zumindest die Teile, die den Ausgleich für den immateriellen Schaden und den unfallbedingten Mehraufwand sicher stellen, anrechnungsfrei gestellt wurden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bis zum 30. September 2015 den Entwurf für eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die die Gleichbehandlung aller von Dienstbeschädigungen Betroffenen herstellt und die Verletztenrente nach dem SGB VII für Beschädigungen beim Wehrdienst der NVA für den Fall anrechnungsfrei stellt, dass Grundsicherung im Alter gewährt wird. (Berlin, den 12. November 2014, Dr. Gregor Gysi und Fraktion)”

In seiner Beschlussempfehlung vom 17. Juni 2015 stellt sich der Ausschuss wie oben gegen die Anrechnungsfreiheit von NVA-Verletztenrenten auf die Grundsicherung im Alter.

“A. Problem

Wehrpflichtigen der DDR, die wegen Unfalls oder erlittener Schädigung bei der Nationalen Volksarmee (NVA) eine Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erhalten, wird diese Rente bei der Gewährung von Grundsicherung im Alter angerechnet, stellt die antragstellende Fraktion fest.

  1. Lösung

Die Initiatoren fordern eine gesetzliche Regelung, wonach Verletztenrente nach dem SGB VII für Beschädigungen beim Wehrdienst der NVA bei der Grundsicherung im Alter anrechnungsfrei gestellt werde. Ablehnung des Antrags auf mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

  1. Alternativen

Annahme des Antrags.

… Beschlussempfehlung Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag auf Drucksache 18/3170 abzulehnen.

(Berlin, den 17. Juni 2015, Der Ausschuss für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese, Vorsitzende, Daniela Kolbe …)

Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 18/3170 ist in der 70. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. November 2014 an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung und an den Innenausschuss, den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie den Verteidigungsausschuss zur Mitberatung überwiesen worden.

  1. Wesentlicher Inhalt der Vorlage Unfallteilrenten, die Wehrpflichtige wegen eines Unfalls oder einer erlittenen Schädigung bei der NVA erhalten hätten, seien nach den Ausführungen der Antragsteller mit der deutschen Einheit in die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) überführt (Verletztenrente) worden. Für Dienstbeschädigte, die ihre Versehrtheit im Dienst der Bundeswehr erfahren hätten, werde die Beschädigtenrente entsprechend des Bundesversorgungsgesetzes bzw. des Soldatenversorgungsgesetzes geregelt. Diese Unterscheidung habe sich bislang beim gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosengeld II oder dem Bezug von Grundsicherung im Alter zu Ungunsten derer ausgewirkt, die sich ihre Schädigung bei der NVA zugezogen hätten. Insofern sei im Falle der Bundeswehrangehörigen ein vom Einzelnen im Militärdienst für die staatliche Gemeinschaft erbrachtes gesundheitliches Sonderopfer respektiert wor- den, im Falle der NVA-Angehörigen aber negiert. Mit der Fünften Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 21. Juni 2011 durch die Anfügung folgenden Absatzes (§ 1 Absatz 6) zum 1. Juli 2011 sei eine Gleichbehandlung erreicht worden: „Die Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch ist teilweise nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie auf Grund eines in Ausübung der Wehrpflicht bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlittenen Gesundheitsschadens erbracht wird.“ Es sei unerlässlich, auch beim Bezug einer Altersrente unterhalb der Grundsicherungshöhe nicht die Verletztenrente der Unfallversicherung voll als Einkommen heranzuziehen, sondern zumindest die Teile, die Ersatz für den immateriellen Schaden und den unfallbedingten Mehraufwand seien, nicht auf die Grundsicherung im Alter anzurechnen.

III. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Haushaltsausschuss hat den Antrag auf Drucksache 18/3170 in seiner Sitzung am 4. Februar 2015 beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung empfohlen. Der Innenausschuss, der Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie der Verteidigungsausschuss haben den Antrag auf Drucksache 18/3170 in ihren Sitzungen am 17. Juni 2015 beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ebenfalls die Ablehnung empfohlen.

  1. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf Drucksache 18/3170 in seiner 46. Sitzung am 17. Juni 2015 abschließend beraten. Dabei hat der Ausschuss dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags empfohlen. Die Fraktion der CDU/CSU lehnte den Antrag ab. Für die Schwierigkeit, unterschiedliche Rechtssysteme zu überführen, habe man eine Lösung gefunden. Alle betroffenen ehemaligen NVA-Soldaten seien im Zuge der Einheit in die Unfallversicherung aufgenommen worden. Insofern habe man eine eindeutige Rechtslage. Insgesamt gehe es bei dem Antrag zudem nur um sehr wenige Betroffene. Insgesamt bezögen nur 2,1 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland Grundsicherung im Alter. Davon stelle die vorgesehene Antragsgruppe einen Bruchteil dar.”

(Ende Auszug aus der Beschlussempfehlung)

Dazu ist anzumerken. Es wird argumentiert, dass nur 2,1% der Rentner in Ostdeutschland Grundsicherung im Alter beziehen. (Es geht dabei nicht nur um Rentner in Ostdeutschland)

  1. Selbst wenn nur ein einziger Fall vorläge, hat der Gesetzgeber nach rechtsstaatlichen Grundsätze die Grundrechte der Betroffenen zu garantieren.
  2. Gibt es DDR-Flüchtlinge und Übersiedler, die von 1989 in die Bundesrepublik kamen und Wehrdienstschäden erlitten hatten. Diese hätten nach dem FRG eigentlich in die Bundesversorgungssysteme übernommen werden müssen, was aber nicht geschah. Sie wären damit automatisch Soldaten der Bundeswehr nach dem Sodatengesetz gleichgestellt worden. Durch die Einheit und Rentenüberleitung wurden diese de facto wieder zu “DDR-Bürgern”. Ein unglaublicher Akt. Infolge konnte das Problem auch nicht durch unterschiedliche Rechtsprechungen der Gerichte geklärt werden.

Das Fallbeispiel am Ende des Beitrages zeigt das in aller Deutlichkeit auf.

Weiter heißt es in der Beschlussenpfehlung:

“Die Fraktion der SPD stellte fest, dass der Sachverhalt nachvollziehbar dargestellt sei. Im SGB II habe man für die beschriebenen Fälle bereits eine Lösung geschaffen, damit die Verletztenrente in bestimmten Fällen nicht vollständig auf die Grundsicherung angerechnet werden müsse. Für das SGB XII sei die Bedeutung des Themas vergleichsweise niedrig, da es nur wenige Fälle in der Praxis betreffe. All dies müsse bei der Frage nach einer Gesetzesänderung Berücksichtigung finden.”

Das bedeutet im Klartext: Wenn es nur wenige betrifft, die keine Lobby haben, sind deren Rechte nicht relevant. Man hätte an Stelle einer Gesetzesänderung wie im Fall des SGB II im Jahr 2011 auf dem Verordnungsweg eine Korrektur erreichen können. wollte es aber offenbar nicht. Und auch die Kosten wären wegen der kleinen Zahl der Betroffenen (vorrausgesetzt, die Angaben treffen zu) gering.

Weiter im Beschlussempfehlungstext:

“Die Fraktion DIE LINKE argumentierte, dass verletzte Angehörige der Bundeswehr Versorgung nach dem Soldatengesetz erhielten. Die ehemaligen Soldaten der NVA seien in dessen Wirkungsbereich aber nicht aufgenommen. Das bedeute eine offensichtliche Ungleichbehandlung. Erinnert sei zudem daran, dass es in dem Antrag ausschließlich um ehemalige Wehrpflichtige gehe, also um Menschen, die sich den Militärdienst nicht hätten selbst aussuchen können. Nachdem die Verletztenrenten für ehemalige NVA-Soldaten seit 2011 nicht mehr auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet würden, müssten diese Regelungen auf die Grundsicherung im Alter ausgeweitet werden. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sah die Fakten in dem Antrag richtig wiedergegebenen. In diesen, Fällen liege eine echte Ungleichbehandlung vor. Für die Grundsicherung im Alter müsse jetzt eine Regelung analog zu den Änderungen im SGB II gefunden werden.

Berlin, den 17. Juni 2015 Daniela Kolbe Berichterstatterin”

(Ende des Auszugs aus der Beschlussempfehlung)

Es wird in der Beschlussempfehlung kein Bemühen durch die Regierungsfraktionen erkennbar, die Ungleichbehandlung zu beenden. Der vorliegende Beitrag zeigt aber auf, dass Fraktionszwang nicht alle Probleme sachlich und konstruktiv entscheiden kann, denn er schließt a priori aus, dass der politische Gegner in der Sache recht hat. Darunter leiden nun seit 25 Jahren die Betroffenen, die ihre Gesundheit beim Wehrdienst verloren. Wechselnde Regierungsverantwortung hat in den Jahren darüber hinaus gezeigt, wie sich die Argumente der politisch Verantwortlichen änderten (das würde hier zu weit führen). Die Regierungskoalition und ihre Fraktionen im Bundestag wetteifern täglich, wenn es um die Rechte von Minderheiten, so von Flüchtlingen geht. Haben deutsche Staatsbürger im Dienst für ihr Land ihre Gesundheit verloren, werden sie von der Politik schlicht ignoriert. Bereits vor Jahren wurde in der Sache argumentiert, die Betroffenen hätten sich durch die Unfallrenten “Einkommen erarbeitet”, das anzurechnen sei. Zynischer kann man es nicht formulieren. Der Verlust der Gesundheit, schwere Körperschäden und -behinderungen, Schmerzen und Einschränkungen, sind also “Einkommen”.

Wo ist der Unterschied zu Menschen, die dieses “Sonderopfer” nicht erbracht haben, wenn die Leistungen auf die Grundsicherung und Altersbezüge angerechnet wird. Hier zeigt sich ein “wirres” Verständnis von Recht und Demokratie der Verantwortlichen.

Wer nach dem Lesen des nachfolgenden Fallbeispiels noch in den Spiegel schauen kann, darf den Autor zur Vertiefung des Themas gern kontaktieren. Entscheidern aus Politik, Medien und Verbänden, die in Bezug auf das Thema jahrelang Zurückhaltung übten und ihre Fehler zementierten, empfehle ich über gute Argumente gegenüber ihren Kindern nachzudenken, die ihnen eines Tages Fragen stellen werden – vielleicht als Opfer eines Bundeswehreinsatzes.

Fallbeispiel: Chronik eines NVA-Unfalls: http://www.medienfabrik-b.de/blog/blog01/index01.html

(Quelle: https://text030.wordpress.com/2015/06/24/ausschuss-fur-arbeit-und-soziales-11-ausschuss-des-deutschen-bundestages-empfiehlt-unrecht-zu-zementieren/)

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