Wenn Journalisten nicht mal mehr lesen können…

(www.conservo.wordpress.com)
Von Thomas Böhm *)

Thomas Böhm
Thomas Böhm

In der „Welt“ ist mal wieder ein Beitrag erschienen, der belegt, dass viele Journalisten nicht mehr von dieser Welt sind, dass sie nicht mal mehr in der Lage sind, zu recherchieren, oder bei den Kollegen abzugucken bzw. Polizeimeldungen zu durchforsten:
„Die Deutschen haben ein gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit. Pfeffersprays und Schreckschusspistolen sind gefragt wie nie – ebenso scharfe Waffen. Die Menschen haben offenbar Angst. Doch wovor?…
…Es herrscht kein Krieg. Es gibt nicht einmal einen statistisch evidenten Anstieg der Gewaltkriminalität. Und doch scheint zumindest ein Teil der Bevölkerung einen Anlass zur privaten Aufrüstung zu sehen. Die zentrale Kaufmotivation, das räumt Meinhard ein, ist ein Gefühl. „Es geht hier um Angst. Die Leute fragen sich: Bin ich noch sicher? Nach den Anschlägen von Paris hat das noch mal zugenommen.“ Bei den Kauforgien in den Waffengeschäften handelt es sich also, hier passt das Wort, um Panikkäufe…“
Für Autor Steffen Fründt ist es anscheinend sogar zu anstrengend, die Blätter aus dem eigenen Verlag durchzulesen.
Gerade eben schrieb die „Bild“: „
Neue Zahlen aus dem Stuttgarter Innenministerium: Die Zahl der Straftaten von Asylbewerbern hat 2015 stark zugenommen. Von Januar bis Oktober zählte die Polizei rund 23.511 Fälle (davon rund 4000 in

Asylunterkünften). Damit gehen mehr als sechs Prozent aller registrierten Straftaten (insgesamt 450 000) auf das Konto von Flüchtlingen. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum waren es 13 135 Delikte. Die häufigsten Straftaten im Einzelnen: Ladendiebstahl (rund 6451 Fälle), Schwarzfahren (4385), leichte/schwere Körperverletzung (1823/873), Drogen-Kriminalität (1565), Wohnungseinbrüche (663) und Sexualdelikte (202)… http://www.bild.de/regional/stuttgart/straftaten/durch-fluechtlinge-stark-gestiegen-43536708.bild.html
Hier handelt es sich lediglich um EIN Bundesland. In Städten wie Berlin, Hamburg oder in den Metropolen am Rhein wird das um einiges höher sein – auch wenn die Polizei versucht, das zu deckeln.
Weiter mit dem Stuss:
„Es mehren sich Pressemeldungen über Einbrüche und Überfälle. Das macht den Leuten Angst“, sagt Helmut Kremser, Inhaber eines Jagdhauses im niedersächsischen Stade. Er rate seinen Kunden, im Fall der Fälle am besten einfach das Weite zu suchen…“
Nicht, dass sich etwa Einbrüche und Überfälle mehren, nein sondern lediglich die Pressemitteilungen. Was für ein Gedrehe. Aber hier wäre mal so eine „Pressemitteilung“ – aus der „Welt“:
„Die Zahl der Wohnungseinbrüche hat in Deutschland ein neues Rekordhoch erreicht. Nach der neuesten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2013, die der „Welt am Sonntag“ vorliegt, haben solche Delikte im vergangenen Jahr bundesweit um 3,7 Prozent auf 149.500 Fälle zugenommen. Das ist der höchste Wert der vergangenen 15 Jahre.
Die Zahl der Einbruchdiebstähle steigt seit 2009 – innerhalb der vergangenen fünf Jahre um insgesamt gut 33 Prozent. Inzwischen wird alle dreieinhalb Minuten eine Wohnung oder ein Haus aufgebrochen. Zu den neuen Trends gehört, dass die Einbrecher immer öfter tagsüber zuschlagen. Von der Gesamtzahl sind das 64.754 Fälle, was ein Plus von 5,8 Prozent bedeutet…“ (http://www.welt.de/politik/deutschland/article128587984/Ein-Drittel-mehr-Einbrueche-binnen-fuenf-Jahren.html)
Dem bevölkerungsreichsten Bundesland droht der Kollaps – die Polizei kapituliert vor der Massenkriminalität, die Kommunen sind mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert… (http://www.focus.de/politik/deutschland/politik-und-gesellschaft-nrw-in-hoechster-not_id_4850396.html)
Und der Stuss geht weiter:
„…Offenbar kulminiert in den Waffenkäufen nun ein schon seit Jahren wachsendes Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Schon die EU-Osterweiterung war von massiven Ängsten begleitet, dass bald osteuropäische Verbrecherbanden die Straßen unsicher machen könnten…“
Auch hier hat der Autor es versäumt, bei seinen Kollegen einmal nachzuschauen:
„…Seit einigen Jahren mischt die organisierte Kriminalität stark mit: Mobile Banden suchen in wenigen Stunden ganze Nachbarschaften heim und verschwinden mit ihrer Beute. Viele dieser Banden kommen nach BKA-Angaben aus den neuen EU-Mitgliedern Rumänien und Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern…“ (http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_73162800/wohnungseinbrueche-nehmen-sehr-stark-zu.html)
Vielleicht aber vermutet Fründt aber hinter dem BKA nur eine Bande rechter Hetzer und hat deswegen nicht dort nachgefragt.
Der Stuss geht weiter:
„Offenbar gibt es in der Bevölkerung ein gesunkenes Sicherheitsgefühl und den Eindruck, man müsse seinen Schutz selbst in die Hand nehmen“, sagt Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. „Das kann schnell Züge von Selbstjustiz annehmen. Ich halte das für gefährlich.“
Was aber sollen die Menschen machen, wenn sie überfallen werden? Dem Verbrecher alles Gute für die Zukunft wünschen? Denn bis die Polizei kommt – wenn diese überhaupt alarmiert werden kann, sind die Ganoven über alle Berge. Nicht mal ganz normale Verkehrskontrollen können noch ordnungsgemäß durchgeführt werden. Auch hier hätte der anscheinend komplett überforderte Journalist einfach mal ein etwas älteres Exemplar seiner Zeitung zu Rate ziehen müssen:
„Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft warnt in der Asylkrise vor völliger Überlastung. Er sagt: Aufgaben wie die Verkehrskontrolle werden vernachlässigt, die ersten Familien brechen auseinander…
…In allen Bundesländern wird die Verkehrsüberwachung drastisch zurückgefahren – mit fatalen Folgen. Wir stellen bereits jetzt fest, dass wir das deutsche Ziel, bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken, klar verfehlen. Wir sind jetzt erst bei 16 Prozent. Die Zahl der Unfalltoten steigt sogar wieder…“ (http://www.welt.de/politik/deutschland/article147921764/Das-System-droht-zu-kollabieren.html)
„Rechtsradikale Interessengruppen“
Der Stuss geht weiter und wird sogar noch schlimmer: „Rechtsradikale Interessengruppen streuen seit Monaten Berichte über angebliche Überfälle und Vergewaltigungen durch Flüchtlinge. Die Gerüchte finden in einem Maße Verbreitung, dass sich selbst Polizeisprecher mittlerweile genötigt sehen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Flüchtlinge keineswegs häufiger straffällig werden als durchschnittliche Bundesbürger.
Reibereien ereignen sich fast ausschließlich innerhalb der Einrichtungen. Obwohl Flüchtlinge unter wesentlich intensiverer Beobachtung stehen, tendiert die Zahl der festgestellten Straftaten gegen die einheimische Bevölkerung gegen null. Doch Fakten scheinen ein schwaches Mittel gegen Furcht…“ Der einzige, der sich hier als faktenschwach zeigt, ist der Autor selber:
Im Prozess um eine junge Frau, die in einem Waldstück an der Rödgener Straße vergewaltigt wurde, fiel nun das Urteil für die beiden Angeklagten. Einem Täter droht die Abschiebung…
„…Werden beide Männer nun abgeschoben? Die Möglichkeit bestehe, sagte Seichter. Allerdings fälle diese Entscheidung die Ausländerbehörde und nicht das Gericht. Auf Anfrage berichtete Gabriele Fischer, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Gießen: Ein Asylbewerber könne abgeschoben werden, wenn er zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werde. Wenn ihm jedoch in seinem Heimatland »Gefahr für Leib und Leben drohe«, sei dies nicht möglich…“ (http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Uebersicht/Artikel,-Haftstrafen-wegen-Vergewaltigung-_arid,609540_regid,1_puid,1_pageid,113.html)
Ein 36-Jähriger aus Syrien wird verdächtigt, Anfang November eine 20-Jährige aus Syrien in der Flüchtlingsunterkunft an der Johanna-Vogt-Straße vergewaltigt zu haben.

Das bestätigte Dr. Götz Wied, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel, am Mittwoch auf Nachfrage der HNA. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittele gegen den 36-Jährigen wegen des Verdachts einer Vergewaltigung, die er in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge an der Marbachshöhe am 6. November begangen haben soll… (http://www.hna.de/kassel/bad-wilhelmshoehe-ort183787/vergewaltigungsvorwurf-syrer-u-haft-5899264.html)
Wie kommt der Autor auf die Idee, dass eine Lokalzeitung oder die Staatsanwaltschaft Kassel Mitglieder rechtsradikaler Interessengruppen sind?
Will er die Frauen beruhigen, in dem er uns weismacht, dass die meisten Vergewaltigungen innerhalb der Flüchtlingslager stattfinden? Sind für den Autoren etwa Frauen aus anderen Ländern weniger wert als deutsche Frauen?
„Hilflose Menschen in Flüchtlingsunterkünften“
Der Stuss findet nun langsam seinen Höhepunkt: Dass sich die Menschen ausgerechnet vor den hilflosen Menschen in den Flüchtlingsunterkünften fürchten, erklärt Radek mit einer psychologischen Wirkungskette, die vor Jahren in New York als „Broken Windows Theory“ bekannt wurde. „Wenn Menschen auch nur kleine Veränderungen in ihrem Wohnumfeld feststellen, kann das zu großer Verunsicherung führen. Da reicht schon ein überfüllter Mülleimer“, erklärt Radek. „Diese Ängste stehen in keinem rationalen Verhältnis zum realen Geschehen. Das ist sehr diffus…“
Die überwiegend gut gebauten jungen Männer hinterlassen, wenn es darum geht, Geld zu kassieren eigentlich gar nicht so einen hilflosen Eindruck.
Auch die Schlagzeile in der „Welt“ vom selben Tag, sagt uns etwas anderes:
Flüchtlinge durchbrechen Grenzzaun
Und was versteht Fründt unter einer „kleinen Veränderung“? Etwa das?:
„In Sumte gibt es weder Polizei noch Supermarkt. Dennoch sollen in dem niedersächsischen Dorf bald 1000 Flüchtlinge leben. CDU-Bürgermeister Christian Fabel spricht im Interview über die Ängste der Bewohner. „Wir können überhaupt nicht abschätzen, was da auf uns zukommt…“ (http://www.n-tv.de/politik/1000-Fluechtlinge-Das-geht-nicht-article16117561.html)
Ich kenne viele ältere Frauen persönlich, die Angst haben, wenn sie plötzlich von einer großen Gruppe Männer umkreist werden. Diese Angst aber ist nicht diffus – sie beruht auf Erfahrungen, auf Tatsachen, die auch die täglichen Polizeimeldungen belegen. Wer hier von „diffus“ spricht, verharmlost die Angelegenheit. Bleibt die Frage, warum?
Und jetzt setzt der Autor zum finalen Stuss-Schuss an:
„Womöglich ist es nur die Angst vor Wölfen“
Also bitte wieder zurück ins Gehege, lieber Herr Fründt! (http://www.welt.de/wirtschaft/article149324141/Deutschland-hat-Angst-und-greift-zur-Waffe.html)
*) Der Berufsjournalist Thomas Böhm ist Chefredakteur des Mediendienstes „Journalistenwatch“ und ständiger Kolumnist bei conservo
http://www.conservo.wordpress.com
29.11.2015

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