Erpressung auf Türkisch – oder: Das Elend der Europäer

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmeserdogan neu

Rohrkrepierer: Der EU-Sondergipfel mit der Türkei zur Flüchtlingspolitik

Die EU-Regierungschefs trafen sich mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmed Davutoglu. Wie nicht anders zu erwarten, blieben wichtige Fragen in der umstrittenen Flüchtlingspolitik offen. Auf der langen Nachtsitzung in Brüssel konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit den Türken nicht einigen. Es gibt Absichtserklärungen, aber keine endgültige Vereinbarung – alles wie gehabt. Zur Sache:

„Der Berg kreißte und gebar eine Maus…“

Einen endgültigen Beschluß haben die Teilnehmer auf dem EU-Sondergipfel vertagt. Bis zum nächsten regulären EU-Gipfel am 17. und 18. März bleibe noch Arbeit zu tun, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den rund zwölfstündigen Beratungen.

Ziel ist es, den Flüchtlingszustrom nach Europa deutlich zu verringern. Der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu machte dabei ein für viele überraschendes Angebot. Dieses sieht vor, daß die EU alle einreisenden Migranten von den griechischen Inseln wieder in die Türkei zurückschicken kann. Für jeden Syrer, den die Türkei zurücknimmt, soll allerdings ein Syrer auf legalem Weg in die EU kommen dürfen. Welche Staaten diese Menschen aufnehmen sollen, blieb in Brüssel aber unklar.

Türkischer Basar

Im Gegenzug forderte die Türkei die EU auf, ihre Hilfszusagen für die Flüchtlinge zu verdoppeln, die in der Türkei leben. Statt drei will sie sechs Milliarden Euro, um die Menschen dort zu versorgen und an der Weiterreise zu hindern. Beschlossen wurden die Gelder aber nicht. In der Abschlußerklärung ist lediglich die Rede von zusätzlichen Mitteln.

EU will Griechenland helfen

Weil wegen der Grenzschließungen tausende Menschen in Griechenland festsitzen, wollen die EU-Länder dort aushelfen. Die EU werde „in diesem schwierigen Moment an der Seite Griechenlands stehen und ihr Äußerstes tun“, heißt es in der Erklärung. Nötig sei „eine schnelle und wirksame Mobilisierung aller verfügbaren EU-Mittel und Ressourcen sowie Beiträge der Mitgliedstaaten“. Griechenland soll in diesem Jahr etwa 300 Millionen Euro bekommen; insgesamt geht es um 700 Millionen Euro für alle betroffenen Länder bis zum Jahr 2018. Offiziell beschlossen werden soll der Nothilfeplan bis zum nächsten Gipfel.

Es darf gelacht werden! 160.00:872 – eine unglaubliche „Umverteilung“

Die „Umverteilung von Flüchtlingen soll vorankommen“, heißt es jetzt. Wie das gehen soll, kann man jedenfalls an den jüngsten Entwicklungen nicht erkennen: Im vorigen Jahr hatten die EU-Länder schon beschlossen, 160.000 Flüchtlinge „umzuverteilen“. Verteilt sind aber bisher erst 872 Menschen. Dieser Prozess soll „bedeutend beschleunigt“ werden, „um die schwere Last zu verringern, die derzeit auf Griechenland liegt“. Das sind hohle Phrasen, genauso hohl wie die Hoffnung auf ein einiges Vorgehen aller EU-Europäer. Also: „parole, parole“ – Worte, nichts als Worte

Merkels Durchfall zum Abschluß

Bundeskanzlerin Merkel zog eine positive Bilanz des Gipfels. „Viele waren sich einig, daß das ein Durchbruch ist”, machte sie sich selbst froh. „Die Beitrittsfrage stellt sich derzeit nicht“, sagte sie mit Blick auf türkische Forderungen nach einer EU-Mitgliedschaft. Der Merkelsche „Durchbruch“ ist wohl eher ein Durchfall.

Der ist wohl der Hoffnung zuzuschreiben, ein schlechter Deal um ein paar Milliarden mehr sei besser als gar keiner. Die Flüchtlingskrise wird damit aber noch lang nicht gelöst sein. Denn es zeigte sich deutlich, welch ein Fehler es von Bundeskanzlerin Merkel war, ganz auf eine Türkei-Lösung zu setzen. Der türkische Präsident Erdogan darf wohl glauben, daß er sich fast alles erlauben kann. Die Europäer kuschen. Die Umsetzung des Aktionsplans, so er denn wirklich kommt, wird ein harter Weg.

Schnelle Visumsfrage – der „gleichberechtigte Platz“

Noch schwieriger ist es mit dem „gleichberechtigten Platz“ am Europa-Tisch, den die Türkei anstrebt. Eine Prestigefrage für die Regierung in Ankara ist z. B. die Frage der schnellen Visumsbefreiung für ihre Bürger. Da tun sich viele Regierungen aus innenpolitischen Gründen schwer. Ebenso problematisch ist auch die türkische Forderung, den Beitrittsprozess zu beschleunigen und neue Verhandlungskapitel zu öffnen.

Die Türkei nimmt die Europäische Union in Geiselhaft. Nur die Türkei kann den Strom der Flüchtlinge aufhalten und damit den Schengenraum vor dem Zerfall retten. Aber das Vertrauen in die Europäische Union steht auf wackligen Füßen. Und alle schauen gebannt auf Ungarns Victor Orbán, der den Deal platzen lassen will…

Und die Menschenrechte? Erdogan pokert!

Wer redet angesichts der schwierigen Lage noch von Menschenrechten oder Meinungsfreiheit? Ist der Preis, den wir dafür bezahlen sollen, nicht zu hoch? Verraten wir uns nicht selbst, wenn wir mit dem türkischen Präsidenten Erdogan paktieren?

Der Vollständigkeit halber: Ja natürlich wurde das Thema irgendwie angesprochen – vermutlich mit geschlossenem Mund. Jedenfalls kommt man sich veralbert vor, wenn Ministerpräsident Davutoglu in Brüssel von Meinungsfreiheit als „gemeinsamem Wert“ spricht, der in der Türkei geschützt werde. Und genauso phrasenhaft ergänzte EU-Ratschef Tusk: „Wir wissen alle, wie wichtig Freiheit der Rede und Meinungsfreiheit sind.“

Ankara behandelt die Meinungsfreiheit und die Opposition wie einst die Kommunisten. Das weiß auch Angela Merkel, die in der sozialistischen DDR aufwuchs. Und doch setzt sie auf Pragmatismus. Wenn die Türkei der EU nicht hilft, steht uns ein noch größeres Chaos bevor. Die EU könnte sogar auseinanderbrechen. Erdogan weiß das und pokert daher hoch.

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  1. März 2016
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