Norbert Lammerts letztes Memento – „ÜBER IDENTITÄT“

(www.conservo.wordpress.com)

Von altmod *)

Und wer sind wir?…

Norbert Lammert
Norbert Lammert

…titelt die FAZ zu einem Aufsatz des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Bruder Norbert, der schon mal in bunt-deutscher politischer Opportunität einen anderen Papst haben wollte und der „für uns“ das Vaterunser umdichtete: „Gib uns das, was wir brauchen“. Einer, der sich auch gern als „protestantischer Katholik“ ausgibt.

„Nach einem Jahr, in dem der Terror endgültig auch Deutschland erreicht hat und das von überraschenden Ereignissen, von populistischen Höhenflügen und von einschneidenden Plebisziten geprägt war,“ meint er jetzt, Grundsätzliches über sein Demokratieverständnis, zu Volk, Volkssouveränität und zum „Deutschtum“ zum Besten zu geben. Hier nachzulesen.

Lammert fragt „was ist (…) das Volk?“ Er stellt richtigerweise fest, dass „Volk“ ein schillernder Begriff ist, wobei er den „Volksbegriff auf Grundlage eines gemeinsamen Bekenntnisses, etwa zu Werten und Normen,“ einem „auf Abstammung basierenden, sich von anderen nach innen wie nach außen abgrenzenden Volksbegriff“ gegenüberstellt.

Dabei macht er gleich einen zielgerichteten Schlenker, indem er von einer „erschreckenden Renaissance,“ des „ebenso geschichtsblinden wie politisch unsensibelen –  antiliberal und rassistisch besetzten Begriffs des „Völkischen“ spricht, den er im Jahr – 2016 – gefunden habe.

An dieser Stelle fragte ich mich sogleich, in welchem Land, in welcher Öffentlichkeit bewegt sich Lammert, dass er unterstellt, der stigmatisierte und stigmatisierende Begriff des „Völkischen“ hätte irgendwo den öffentlichen Diskurs so dominiert, als wäre die NSDAP wiedererstanden.

Was Lammert im Folgenden zur Nation- oder Volk-Bildung Deutschlands historisch und wertend feststellt, kann nicht in Abrede gestellt werden, auch „dass es »dem deutschen Volke« selbst aufgegeben ist, nach einer zeitgemäßen Bestimmung dessen zu suchen, was Deutschland im 21. Jahrhundert sein will“. Bezeichnenderweise setzt er „deutsches Volk“ in Anführungszeichen und spricht im Folgenden von Veränderungen innerhalb des „Volkes in Deutschland“.

Es trifft zu, dass es viele Identitäten im deutschen Volk (oder doch eher Bevölkerung) gibt. Auch ich selbst, Katholik, Deutscher, Franke, freistaatlich Bayer mit deutsch-böhmisch-österreichischen Wurzeln, lasse mich nicht auf eine einzige ausschließliche Identität reduzieren.

Auch richtig, wenn er schreibt:

„Nach meiner Überzeugung brauchen wir in Deutschland mehr denn je den kontinuierlichen Diskurs über den Mindestbestand an gemeinsamen Orientierungen und Überzeugungen, unter allen Bürgerinnen und Bürgern, den Einheimischen wie den Zuwanderern – ohne Tabuisierungen. Nicht zur Disposition steht dabei die in Europa gewachsene Verfassung der Freiheit … Diese Freiheit haben wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vor denen zu schützen, die sie angreifen – und gerade weil unser Land sich zur Humanität als Leitlinie politischen Handelns bekennt, haben wir die Verpflichtung, darauf zu bestehen, dass es in seinen Grundorientierungen so bleibt, wie es ist. Das muss als Anspruch allerdings ganz besonders für diejenigen gelten, die es immer wieder lautstark einfordern: Wer das Abendland gegen tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen verteidigen will, muss seinerseits den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen: Toleranz üben, die Freiheit der Meinung, der Rede, der Religion wahren und den Rechtsstaat achten. Darauf insistieren zu müssen gehört leider auch zu den Lektionen des Jahres 2016.“

Toleranz üben, die Freiheit der Meinung, der Rede, der Religion wahren und den Rechtsstaat achten! Toleranz auch gegen die Intoleranz? Freiheit der Meinung und der Rede nur für die, welche auf der richtigen Seite, der des Establishments und der veröffentlichten, politisch korrekten „Mehrheitsmeinung“ stehen? Den Rechtsstaat missachten darf aber die Kanzlerin, ihr Justizminister und das Parlament? Das gehört wahrlich zu den Fragen und Lektionen der letzten Jahre. Für Lammert, und dazu zitiert er Verfassungsrichter und Philosophen, ist das Repräsentationsprinzip die einzige Möglichkeit und Ausdruck der Volkssouveränität:

„(Der) Souverän ist der Bürger, der sich vertreten lässt“, meint Lammert. Das stellen leider die Populisten – natürlich wohl die „Rechten“ – infrage:

„Ihrer antielitären und antipluralistischen Haltung folgend, versuchen Populisten, „das Volk“ gegen seine gewählten Vertreter auszuspielen: „wir“ gegen „die da oben“ – verbunden mit der gedanklich ebenso schlichten wie anmaßenden Überzeugung, für das Volk zu sprechen, und unter konsequenter Missachtung der Tatsache, dass auch gewählte Repräsentanten eben genau diesem Volk angehören.“

Gehören diese „Populisten“ nicht genauso zum Volk, und sollte es jemandem, der anderer Meinung ist, als sie von den herrschenden Parteien vorgegeben wird, verwehrt sein, sich zu äußern? Ist es nicht populistisch, was Vertreter der SPD, der Linken und der Grünen in Propagierung ihrer Ideologien versprechen?

Es ist natürlich, dass sich Menschen „aus dem Volk“ äußern, wenn „die da oben“ keinerlei Bezug mehr zu den Nöten, Sorgen und Bedürfnissen „des Volkes“ mehr haben. Diesen von vornherein unlautere Motive zuzusprechen, im Gegensatz zu den gewählten „Volksvertretern“, ist jene ärgerliche Dünkelhaftigkeit der herrschenden, selbstgewissen und selbstvergessenen Politelite, welche dann „das Volk“ zu Populisten-“Followern“ macht.

„Verantwortliche Politik … muss auch Entscheidungen treffen, die nicht populär sind. Wäre das anders, hätte es bei den großen Richtungsentscheidungen der jungen Bundesrepublik – für die Soziale Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung mit einer Wehrpflichtarmee, die Nato-Mitgliedschaft – die notwendigen Mehrheiten im Bundestag nicht gegeben und würden wir heute nicht mit dem Euro bezahlen, der keinem Land mehr Vorteile gebracht hat als unserem.“

Trefflich, wie Lammert auf wirklich essentielle Entscheidungen in der „jungen Bundesrepublik“ verweist. Mit seiner Aussage zum Euro – was der schon „älteren“ Bundesrepublik zuzurechnen ist – wählt er selbst eine durchaus „populistische“ Argumentation.

„Die einfachen Patentlösungen, mit denen Populisten auf Stimmenfang gehen, gibt es angesichts der komplexen Herausforderungen, mit denen es die Politik heute zu tun hat, eben nicht. Verantwortlich agierende Politik weigert sich deshalb zu Recht, solche Erwartungen zu bedienen – und darf dabei nicht das damit verbundene Erklärungsbedürfnis vernachlässigen.“

Da ist sie schon wieder, diese Dünkelhaftigkeit: für sich selbst allein Verantwortungsbewusstsein zu reklamieren, dies einem Opponenten aber abzusprechen.

Dazu ein Einwurf von einem klugen Mann* contra Lammerts Vorstellung von der  gegenwärtigen, angeblich verantwortungsbewußten Politik:

Die heutige Demokratie der Moderne ist -bestenfalls! – ein mühsames Zusammengeschustere und Abgleichen von Partikularinteressen, das ohne den geringsten Gedanken ans Allge­meinwohl von geschickten Lobbyisten besorgt wird. Die Politiker spie­len dabei, soweit sie sich nicht längst zu schlichten Lobbyisten gewan­delt haben, nur noch die Rolle des Pausenclowns und Fernsehstatisten, und statt für die angestammte Polis, engagieren sie sich planvoll für deren Auflösung durch Migranten und fremde Kulturen.

„Verantwortliche Politik“? Dazu muss sich der oberste Parlamentsvertreter schon Fragen gefallen lassen. War es Ausdruck von Verantwortung gegenüber Volk und Staat, wenn staats- und völkerrechtliche Verträge oder die Verfassung gebrochen wurden? Bei der „Eurorettung“, dem Atom-Ausstieg, der vorsätzlichen Einladung und Aufnahme von massenhaften Nicht-Asylberechtigten, angeblichen Flüchtlingen – zudem aus einer „dem Volk“ („denen schon länger hier lebenden“) wesensfremden Kultur. Ist es ein Ausdruck von Verantwortung, wenn durch letztere Maßnahme die Sicherheitslage für das „gemeine Volk“ nicht mal mehr allein in den Großstädten auf eine tatsächlich Angst-machende Stufe gebracht wurde?

Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie sind für Lammert offensichtlich ein Gräuel, der Ruf danach kann nur von autoritär gestrickten Kräften kommen, wenn er meint: „Es sind vor allem autoritäre Machthaber, die dazu neigen, über das Plebiszit die propagierte Identität von Führer und Untertanen zu demonstrieren.“

Hat die  Schweiz ein autoritäres Regime oder solche Strukturen?

Natürlich hat damit Recht, wenn er darauf verweist, dass „Sogar die Demokratie  ausgeliefert werden (kann) – im Namen des Volkes“ und dazu Peter Sloterdijk zitiert: „Plebiszite tragen das Potential in sich, Demokratien demokratisch zu beenden“. Was ja mit der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers ein deutsches „demokratisches Trauma“ darstellt.

Aber erleben wir nicht schon wieder ein „demokratisches Trauma“ da sich die „Demokratie – der Gott, der keiner ist“ sich selbst mehr und mehr desavouiert: als Parteien- und Medien-Oligarchie und -Diktatur.

Lammert meint: „In der parlamentarischen Demokratie … haben sich Regierungen und Abgeordnete – die auch nicht im Besitz der Wahrheit sind, aber nach Abwägung jeweils mehrheitsfähige Lösungen gefunden haben – für die getroffenen Entscheidungen zu verantworten, die Bürger können sie bei der nächsten Wahl sanktionieren. Für Volksentscheide aber kann niemand verantwortlich gemacht werden …“

„Abgewählt“ zu werden sei die Sanktion, das „verantwortlich-Machen“ für falsche oder nicht mehr mehrheitsfähige Entscheidungen. Daß man nicht lache!

Wie sehen die Sanktionen aus? Der Sanktionierte wird grundsätzlich mit einer üppigen Abgeordnetenpension/Altersentschädigung versorgt: Zehn Jahre Parlament ergeben schon 2270,50 Euro monatlich im Alter. Welcher Erwerbstätige kann auf eine derartige Rente hoffen? Von Minister- oder Staatssekretärspensionen wollen wir mal noch gar nicht sprechen. Wann ist ein Politiker der Exekutive oder Legislative wegen einer falschen, finanzielle oder ideelle Folgen zeitigenden Entscheidung wegen überhaupt schon mal persönlich in Haft genommen worden? Rechtsbrüche z.B. im Rahmen der Parteispendenaffären wurde auf einem Niveau geahndet, für das die Strafen der Steuersünder Uli Hoeneß oder Klaus Zumwinkel (der zwar nicht „einrücken“ musste) mit allen Konsequenzen gar krude anmuten. Wann wurde mal ein Politiker aufgrund politischer Fehlentscheidungen bis in letzte  Konsequenz „staatsanwaltlich“ belangt oder gar verurteilt? Wann hat das Prinzip „Amtshaftung“ schon mal Wirkung gezeigt? Da sei illustrierend auf den Fall der vormaligen hessischen Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) in Hessen verwiesen. Wird ein „Volksvertreter“ nur abgewählt, hat seine Partei oder ein sich erkenntlich erweisender Lobbyist schon ein sanft abfederndes Auffangnetz gespannt.

Norbert Lammert zum Schluss:

„Eine Politik, die vom Volke legitimiert und dem Volke gewidmet ist, bleibt eine ständig neue Herausforderung – mit vorläufigen Lösungen; sie gelten, wenn und weil sie demokratisch zustande kommen und nur so lange, bis andere demokratisch ermittelte Mehrheiten im Rahmen der Verfassung anderes beschließen.“

Wie wahr! Also nehme man die Herausforderung an und sorgen wir für neue demokratisch ermittelte Mehrheiten, die auf die Herausforderungen und die realen Verhältnisse anders reagieren und auch anders agieren als die inzwischen demokratisch und rechtsstaatlich verluderten Parteien und ihre Repräsentanten – für die auch ein Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident inzwischen steht.

Lammert will uns die (repräsentative) Demokratie als eingesessen Gott verschachern. Dazu ein Einwurf eines klugen Mannes* contra zu der Anschauung von der  gegenwärtigen, angeblich verantwortungsbewußten und „alternativlosen“ Politik:

Die heutige Demokratie der Moderne ist – bestenfalls! – ein mühsames Zusammengeschustere und Abgleichen von Partikularinteressen, das ohne den geringsten Gedanken ans Allge­meinwohl von geschickten Lobbyisten besorgt wird. Die Politiker spie­len dabei, soweit sie sich nicht längst zu schlichten Lobbyisten gewan­delt haben, nur noch die Rolle des Pausenclowns und Fernsehstatisten, und statt für die angestammte Polis, engagieren sie sich planvoll für deren Auflösung durch Migranten und fremde Kulturen.

Damit genug, Herr Lammert!

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*Günter Zehm, „An der Kehre“, 2012 Junge Freiheit Verlag

*) „altmod“ ist Blogger (altmod.de), Facharzt und Philosoph sowie regelmäßiger Kolumnist bei conservo
www.conservo.wordpress.com   6.1.2017
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