Die Militarisierung der Ostsee – der nächste Stellvertreterkrieg

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Deutschland im US-Auftrag? Wieder gegen Russland?

In der Ostsee treffen West und Ost seit je aufeinander, und militärisch konzentrieren dort die jeweiligen Staaten ihre militärischen Kräfte. Das gesamte Gebiet ist (und bleibt) hochgerüstet, weil für alle Beteiligte von besonderer strategischer Bedeutung.

Natürlich bleibt der Vorwurf nicht aus, die jeweils andere Seite betreibe „Aufrüstung“. Groß-Manöver werden auf beiden Seiten regelmäßig durchgeführt, und die genaueste Beobachtung des Gegenübers gehört zur akribisch wahrgenommenen Aufgabe.

Zeit für eine gründliche Bestandsaufnahme. Das renommierte Fachblatt „German-Foreign-Policy“ – allerdings mit leichter „Ost-Schlagseite“ – hat in seiner neuen Dokumentation (siehe: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59630) eine gründliche Analyse vorgelegt, die ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle:

Die Militarisierung der Ostsee

(Eigener Bericht) – Die deutsche Marine beginnt ihre Aktivitäten stärker denn je seit 1990 auf den Machtkampf gegen Russland in der Ostsee zu konzentrieren.Es sei “denkbar”, dass “die östliche Ostsee zum maritimen Austragungsort von Interessenkonflikten und Provokationen wird”, heißt es in einem aktuellen Beitrag in dem Fachblatt MarineForum, der von einem Dezernatsleiter im Marinekommando verfasst worden ist. Darauf müsse man sich mit einer “regelmäßige[n] und dauerhafte[n] Präsenz einsatzfähiger Kräfte” und mit entschlossener Aufrüstung vorbereiten. Die Ankündigung aus Berlin, fünf neue Korvetten zu beschaffen, gehe in die richtige Richtung.

Parallel finden regelmäßig Großmanöver in der Ostsee statt, zuletzt die Übung “BALTOPS 2017”, in deren Rahmen der Seekrieg gegen einen “aus Norden” vorrückenden Feind trainiert wurde.

Gleichzeitig waren unter anderem B-52-Bomber im Übungseinsatz – so nahe an der russischen Grenze, dass Moskau sich gezwungen sah, sie mit eigenen Kampfjets gezielt abzudrängen. B-52-Bomber können Atomwaffen tragen. Russland kündigt für diesen Monat zum ersten Mal ein russisch-chinesisches Marinemanöver in der Ostsee an.

Tor zum Atlantik

Die zunehmende Bedeutung des Machtkampfs gegen Russland für die Aktivitäten der deutschen Marine hatte die Fachzeitschrift MarineForum bereits im März beleuchtet. Nicht nur das Schwarze Meer, auch die Ostsee sei für Moskau strategisch sehr wichtig, hieß es in dem Blatt: Sie sei – neben ihrer Bedeutung “als rückwärtiger Raum” für die russischen Seestreitkräfte – “für den russischen Seehandel das Tor in den Atlantik”, das es aus russischer Sicht unbedingt “offen zu halten” gelte.[1]

Es sei sehr nachteilig für Moskau, dass die NATO den Ausgang der Ostsee in Richtung Atlantik “an den Dänischen Meerengen” klar kontrolliere und für den Fall eskalierender Auseinandersetzungen deren “sofortige und effektive Sperrung” einplane. Russlands Stellung sei zudem dadurch deutlich geschwächt, dass es “den weitaus größten Teil seiner früheren [Ostsee-, d.Red.] Küsten” verloren habe.

Wie es in einer Analyse hochrangiger NATO-Militärs heißt, sei Russland zwar bemüht, seine Nachteile durch eine Strategie des Anti Access/Area Denial (A2/AD) auszugleichen.[2] Dem könne das westliche Kriegsbündnis jedoch sein Streben nach “Sea Control” entgegensetzen, erläutert der Dezernatsleiter “Weiterentwicklung, Wirkung, Querschnitt” in der Abteilung Planung im Marinekommando, Peter Korte, im MarineForum.

Den Raum beherrschen

Mittlerweile hat das Fachblatt seine damaligen Überlegungen um zwei grundlegende Beiträge zum “Wiederaufbau” der Fähigkeit zur “Randmeerkriegsführung” in der deutschen Marine ergänzt:

Es sei “denkbar, dass z.B. die östliche Ostsee zum maritimen Austragungsort von Interessenkonflikten und Provokationen wird”, heißt es in der Zeitschrift mit Blick auf den eskalierenden Machtkampf gegen Russland.

Um sich in dem Meer wirkungsvoll in Stellung zu bringen, sei eine “regelmäßige und dauerhafte Präsenz einsatzfähiger Kräfte” unerlässlich. Letztlich gehe es dabei “um die Wiedererlangung regionaler Fachexpertise” und vor allem um “den Willen, den (insbesondere See- und Luft-)Raum gemeinsam mit unseren Partnern zu beherrschen”.[3] Dazu seien umfassende Aufrüstungsmaßnahmen notwendig.

Hilfreich sei es, dass inzwischen der Beschluss gefällt worden sei, fünf neue Korvetten zu beschaffen (german-foreign-policy.com berichtete [4]): Diese besäßen “das Potenzial zur Erbringung wesentlicher Beiträge” zur Kriegführung vor den baltischen Küsten, etwa mit ihrer “Führungsfähigkeit” oder mit der “direkte[n] Wirkung durch hochpräzise Waffensysteme” – “sowohl auf See als auch an Land”.[5]

Ergänzend schlägt Dezernatsleiter Korte im MarineForum diverse weitere Aufrüstungsmaßnahmen vor, darunter die “Fertigentwicklung und Integration von Waffensystemen neuer Technologien” (Laser), die “weitere Intensivierung der Entwicklung und Nutzung unbemannter Systeme auf, über und unter Wasser” sowie die “Neu- und Weiterentwicklung der Fähigkeiten zur Detektion und Bekämpfung von Unterwasserzielen”.[6]

Luftzielbekämpfung und U-Boot-Jagd

Neben militärstrategischen Überlegungen und Rüstungsplanungen haben auch praktische Übungen für einen Krieg in der Ostsee längst begonnen. Jüngstes Beispiel war das US-geführte Manöver BALTOPS 2017, an dem sich rund 4.000 Soldaten aus 14 Ländern beteiligten, darunter die offiziell noch neutralen, sich aber immer enger an die NATO bindenden Staaten Finnland und Schweden.[7]

Die Bundeswehr war mit fünf Marineschiffen vertreten. In der ersten Hälfte der Kriegsübung, die am 2. Juni begann und am 17. Juni zu Ende ging, wurden laut Angaben der deutschen Marine vor allem “gemeinsame Fahrmanöver, das simulierte Bekämpfen von See- und Luftzielen mit Raketen oder Geschützen, die Minensuche oder die Uboot-Jagd” trainiert; gelegentlich sei dabei auch scharf geschossen worden.[8]

Der zweiten Hälfte des Manövers lag ein Szenario zugrunde, laut dem es “zu politischen Spannungen” in der Region, zu “Unruhen”, “Provokationen” und “asymmetrische[n] Übergriffe[n]” gekommen war. Geübt habe man dabei das Vorgehen gegen einen “fiktiven Gegner”, der in der Ostsee “aus Norden” vorgerückt sei, heißt es. Der Bezug auf Russland ist unverkennbar.

Atomwaffenfähige Bomber

Begleitet wurden die Marinemanöver von kontinuierlichen Provokationen der NATO-Luftwaffen, vor allem der U.S. Air Force. Gleich mehrmals sind US-Flugzeuge, aber auch ein norwegischer Jet in der ersten Hälfte des vergangenen Monats über der Ostsee der russischen Grenze bedrohlich nahegekommen, unter ihnen ein B-52-Bomber, der Atomwaffen mit sich führen kann. Die russische Luftwaffe sah sich gezwungen, die Maschine abzudrängen.

Mitte Juni näherte sich ein NATO-Kampfjet vom Typ F-16 einem russischen Flugzeug an, in dem sich Russlands Verteidigungsminister befand – auf dem Weg über internationale Gewässer in die russische Exklave Kaliningrad. Den gegnerischen Verteidigungsminister persönlich zu bedrohen, ist ein neues Eskalationselement im Machtkampf der NATO-Mächte gegen Russland, das die Kriegsgefahr weiter steigert. Auch in diesem Fall drängte die russische Luftwaffe den NATO-Jet ab.[9]

Verschärft werden die Spannungen dadurch, dass die US-Streitkräfte inzwischen anderswo – nämlich in Syrien – einen Flughafen, der von der russischen Luftwaffe mitgenutzt wird, mit Cruise Missiles beschossen haben und dass sie sogar vor dem lange Zeit tabuisierten Abschuss syrischer Flugzeuge nicht mehr zurückschrecken.

Dies führt dazu, dass das Ziel ihrer Operationen auch in der Ostsee für Außenstehende immer schwerer einzuschätzen ist. Russlands Botschafter bei der NATO, Alexander Gruschko, wurde bereits anlässlich der NATO-Truppenverstärkung im Baltikum mit der Äußerung zitiert: “Die Nato baut eine neue militärische Sicherheitslage auf, die wir nicht ignorieren können, die wir mit eigenen militärischen Instrumenten angehen müssen.”[10] Der Druck wird durch die stetigen NATO-Provokationen noch verstärkt.

Russisch-chinesische Manöver

Tatsächlich geht Moskau zunehmend zu Gegenmaßnahmen über. Für diesen Monat ist das sechste Marinemanöver seit dem Jahr 2012 angekündigt, das Russland gemeinsam mit der Volksrepublik China abhält; es wird in der Ostsee stattfinden – bei Kaliningrad und St. Petersburg.

Bereits Mitte Juni hat ein chinesischer Schiffsverband den Hafen Sanya verlassen und ist nach Europa aufgebrochen, wo er in Kürze eintreffen soll. Beijing hat einen Zerstörer, eine Fregatte sowie ein Versorgungsschiff in die Ostsee entsandt. Laut Angaben aus China zielt das aktuelle Manöver vor allem darauf ab, gemeinsame Rettungsmaßnahmen und militärische Operationen zum Schutz der Handelsschifffahrt einzuüben.[11]

Geben chinesische Stellungnahmen sich rein defensiv und beziehen sich auf Szenarien wie den Kampf gegen die Piraterie etwa am Horn von Afrika, so verweisen russische Medien ganz offen darauf, dass sich das aktuelle Manöver (“Joint Sea 2017”) “im Zentrum der Spannungen und Widersprüche zwischen Russland und der Nato” abspielen wird.[12]

Fußnoten

[1] Heinz Dieter Jopp, Klaus Mommsen: Ostsee und Schwarzes Meer im Fokus. Russland und die NATO in den Randmeeren auf Konfrontationskurs? marineforum.info. S. dazu Kampf um die Randmeere.

[2] Wesley Clark, Jüri Luik, Egon Ramms, Richard Shirreff: Closing NATO’s Baltic Gap. Tallinn, May 2016.

[3] Peter Korte: Randmeerkriegsführung. Wiederaufbau einer Fähigkeit. Teil 1. In: MarineForum 5/2017. S. 6-9.

[4] S. dazu Milliarden für europäische Kriege (II).

[5], [6] Peter Korte: Randmeerkriegsführung. Wiederaufbau einer Fähigkeit. Teil 2. In: MarineForum 6/2017. S. 17-19.

[7] S. dazu Die NATO-Norderweiterung und Die NATO wächst.

[8] BALTOPS: Mittendrin statt nur dabei. www.marine.de 23.06.2017.

[9] Kampfjet-Pilot wackelt mit Tragflächen, um Waffen zu zeigen. www.welt.de 21.06.2017.

[10] Russischer Kampfjet fängt B-52-Bomber über Ostsee ab. www.welt.de 07.06.2017.

[11] Chinese naval fleet departs for joint drill in Russia. news.xinhuanet.com 18.06.2017.

[12] Darauf zielt das erste russisch-chinesische Ostseemanöver ab. de.sputniknews.com 24.06.2017.

www.conservo.wordpress.com   4.7.2017
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