Russlands militärische Großübung „Zapad 2017“ – eine mißtrauensbildende Maßnahme

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)

Die „ Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE)“ hat mit ihren 57 Mitgliedstaaten – einschießlich Russlands – ein Paket sog. „vertrauensbildender Maßnahmen“ zusammengestellt und verabschiedet, das zum Ziel hat, das Mißtrauen zwischen den einzelnen Staaten – auch ehemals verfeindeter Staaten – abzubauen und durch Regeln vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.

So müssen Übungen mit bis zu 9.000 Soldaten angemeldet werden. Zu Übungen von über 13.000 Soldaten müssen Beobachter der OSZE eingeladen werden.

“Zapad 2017”

Russland versucht augenscheinlich, die große Übung „Zapad 2017“ geographisch und zeitlich so zu staffeln, dass sie mit jeder einzelnen Übung unter dem Limit von 13.000 Soldaten bleibt – aber im Rahmen von „Zapad 2017“. Das wäre zumindest ein Verstoß gegen den Geist des „Wiener Dokumentes“ – es wäre „mißtrauensbildend“.

Die „ Süddeutsche Zeitung“ mit dem Beitrag „ Angst vor Russlands grünen Männchen“ vom 11. August 2017 und der britische „Econmist“ mit den Beiträgen „ Mr. Putin flexes his muscles“ und „Dangerous games“ vom 12. August 2017 haben sich eingehend mit der Großübung „Zapad (Westen) 2017“ befasst, die im Abstand von vier Jahren durchgeführt werden.

Die Baltischen Staaten, Polen und die Ukraine hegen gemäß „Süddeutscher Zeitung“ in ihrem Beitrag vom 11. August den Verdacht, dass in der „Übung Zapad 2017“ Mitte September 2017 um die 100.000 Soldaten eingesetzt werden – auch in Weißrussland. Der „Economist“ geht von einer ähnlichen Größenordnung aus. Es wäre dann die größte Militärübung seit dem Bestehen des heutigen Russlands mit gut ausgebildeten und modern ausgerüsteten Großverbänden – mit Schwerpunkt in den westlichen Militärbezirken Russlands – einschließlich des auch mit Nuklearwaffen hochgerüsteten Oblast Kaliningrad und in Weißrussland.

Die Unruhe in den Nachbarländern ist angesichts der Erinnerung an die leidvolle Besatzung durch die Sowjetunion, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und der zwei von Separatisten mit offener russischer Unterstützung von der Ukraine unabhängig gewordenen Provinzen Donezk und Lugansk nicht als Hysterie abzutun.

Die geopolitische Lage

Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die sicherheitspolitische Lage der Baltischen Staaten und Polens – alles NATO-Mitgliedstaaten – nicht komfortabel ist. Daran kann die temporäre Stationierung von bunt zusammengewürfelten 4000 NATO-Soldaten – die nicht mehr als einen „Stolperdraht“ bilden, nichts ändern, auch wenn sie der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Steinmeier als unverantwortliches „Säbelrasseln“ bezeichnet hat. Das vermeintliche „Säbelrasseln“ bezeichnet Russland als militärische Provokation und „verkauft“ die Großübung „Zapad 2017 als Verteidigung russischer Interessen. Putin und Pawlow werden nicht müde zu betonen, dass sie für den Schutz aller Russen – unabhängig wo sie wohnen – verantwortlich sind, besonders für die in den Baltischen Staaten.

Eine besondere Rolle spielt in der Region die sog.“ Suwalki Gap“, die in der Bedrohungsperzeption der NATO die berühmte „Fulda Gap“ abgelöst hat und „den NATO-Chefs schlaflose Nächte bereitet“ (Schweizer Soldat, Januar 2017“).

In einer Breite von 65 Kilometern zwischen Polen, Kaliningrad, Litauen und Weißrussland wäre die Lücke Einfallstor für russische Truppen aus dem Oblast Kaliningrad und Weißrussland nach Litauen und/oder die Blockade der Landverbindung zwischen den NATO-Staaten Polen und Litauen. Verstärkungen über die Ostsee würden durch die russischen Marinestreitkräfte erschwert. Für Truppenverstärkungen und Nachschub bliebe der NATO nur den Luftweg. Eine heikle Lage.

Die Aktivitäten Russlands in der gesamten Region – wie das Eindringen russischer Kampfjets mit ausgeschalteten Respondern in die Lufträume Schwedens und Finnlands – haben diese beiden Staaten ihr Zusammenwirken mit der NATO verstärkt. Eine Nebenwirkung, die Russland nicht beabsichtigt hat – ein „Kollateralschaden“.

Mögliche Ziele von „Zapad 2017“

Aus der Sicht der NATO ist „Zapad 2017“ die wichtigste Übung der rd. 2.800 militärischen Übungen Russlands im Jahre 2017. Sie richtet sich – wie der Name sagt – gen Westen.

Die ehemaligen Sowjetrepubliken Litauen, Lettland und Estland sind heute auf eigenen Wunsch NATO-Mitgliedsstaaten – wie Polen auch. Sie beherbergen unterschiedliche große russische Minderheiten, die ein mögliches Unruhepotential darstellen.

Jede russische militärische Übung ist in einen politischen Prozess eingebettet, den der chinesische General Sun Tsu schon vor 2500 Jahren entwickelt hat. Das Mittel, das den militärischen Einsatz vorbereitet, heißt heute. „Information warfare“. Die „ Zielstaaten“ werden über Jahre durch geschickte Propaganda destabilisiert und ihres Behauptungs- und Verteidigungswillens beraubt. Es ist eine umgekehrte Abschreckung: Die vorgezeigte militärische Überlegenheit soll signalisieren: Verteidigung ist zwecklos.

Für General Sun Tsu heißt dies in seinem Buch „Über die Kriegskunst: Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft“ – noch deutlicher „Wer nicht kämpfen muss.“

Ohne Zweifel ist es das russische Ziel, den Baltischen Staaten mit militärischen und nicht-militärischen Mitteln und Maßnahmen den Schneid abzukaufen – wie es in der Ukraine mit der Annexion der Krim der Fall war.

Da sie jedoch NATO-Mitglieder sind, sind die Baltischen Staaten politisch nicht mit der Ukraine zu vergleichen. Ein Angriff auf sie würde ein Angriff gegen alle 28 NATO-Mitgliedstaaten bedeuten, die gem. Art 5 des NATO-Vertrages verpflichtet sind, den angegriffenen Staaten zur Hilfe zu kommen. Das heißt daher heute und verstärkt für die Zukunft, dass ein zukünftiger Krieg nicht mehr vom Einsatz von Panzerarmeen gekennzeichnet wird. „Cyber warfare“ – besonders gegen Führungs- und Kommunikationseinrichtungen – werden Ziele von Cyber Attacken“ und „Special Operations“ sein. Jedes NATO-Mitglied kann sich mit seinen militärischen und nicht-militärischen Fähigkeiten an der „ kollektiven Verteidigung“ beteiligen.

Russland kann sich nicht sicher sei, wie der Verteidigungsfall der NATO aussehen wird. Es weiß auch nicht, ob seine militärische Führung von Großverbänden über mittlere Entfernung überhaupt funktionieren wird. Russland weiß auch nicht, wie die eigene Bevölkerung auf einen verlustreichen Krieg reagieren würde. Die heutigen „kleinen Kriege“ in der Ukraine und in Syrien belasten den russischen Haushalt und die Bevölkerung durch die Verluste an Soldaten dramatisch.

Die beste Sicherheitsvorsorge der Baltischen Staaten besteht daher darin, den eigenen Staat und seine Bevölkerung so zu stabilisieren, dass sie immun sind gegen Versuche der Destabilisierung.

Dazu ist die Mitgliedschaft in der NATO eine große Stütze – anders als vor Jahren in der Ukraine.

Ein anderer Nachbar bereitet Sorgen: Weißrussland – ein enger Verbündeter Russlands. Zum ersten Mal werden russische Soldaten auf dem Territorium Weißrusslands an „Zapad 2017“ teilnehmen.

Im Westen gibt es – und in Weißrussland selbst – Befürchtungen, dass russische Soldaten nach der Übung in Weißrussland bleiben – unterstützt von „Grünen Männchen“. Das würde die Bedrohungsperzeption der Baltischen Staaten noch verstärken und die Handlungsfreiheit Weißrussland stark einschränken.

Russland hat vor seinen Kriegen in Georgien und in der Ukraine immer mit den Verbänden nahe seiner Westgrenze geübt, die aus den Übungen den Angriff durchgeführt haben.

Was bedeutete die Übung „ Zapad 2017“ für die NATO und für Deutschland?

  • Es ist möglich, dass die Durchführung von „Zapad 2017“ der Vorbereitung eines Angriffs gegen einen oder alle Baltischen Staaten dient. Wegen der Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens der NATO ist dies wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
  • Die NATO muss Putin sehr deutlich machen, dass sie bei einer Eskalation der Lage den Art. 5 des NATO-Vertrages „Kollektive Verteidigung“ aktivieren wird. Zur Untermauerung dieser Erklärung sollte die Luftraumüberwachung über den Baltischen Staaten verstärkt werden. Dies gilt auch für die Überwachung des Luftraumes über der Ostsee, Schwedens und Finnlands.
  • Die NATO muss zu erkennen geben, dass sie die Aktivitäten der russischen Marinestreitkräfte beobachten und bewerten wird.
  • Sie muss die Zusammenarbeit mit Schweden und Finnland verstärken.
  • Mit Polen sind Unterstützungsoperationen für die Baltischen Staaten und auf       binationaler Ebene mit der Ukraine vorzubereiten.
  • Die NATO muss durch vorbereitete Maßnahmen Polen und Litauen unterstützen, den „Korridor Suwalki“ gegen Kaliningrad und Weißrussland abzusichern.
  • Durch die Summe aller Maßnahmen muss Putin erkennen, dass die NATO gewarnt und nicht zu überraschen ist.
  • Die NATO und die OSZE sollten das Übungsgeschehen genau beobachten, um Verstöße Russlands gegen das „Wiener Dokument“ festzustellen und zu dokumentieren. Falls es Verstöße des OSZE-Mitgliedstaates gibt, sollte die OSZE Sanktionen prüfen.
    • Die NATO-Mitgliedstaaten – besonders die USA – müssen die Baltischen Staaten noch stärker gegen die Destabilisierung durch „Information warfare“ Russlands mit den Mitteln der Propaganda, der Desinformation und mit „faked news“ wappnen.
    • Die Bevölkerung in den Baltischen Staaten muss durch klare Zusagen zur           Unterstützung im Ernstfall in ihrem Behauptungs- und Verteidigungswillen bestärkt werden. Ohne dieses Vertrauen wären sie verwundbarer.
  • Die NATO muss erkennen, dass Putin keinen Wert darauf legt, die ehrliche, transparente Zusammenarbeit im „NATO-Russia-Council“ zu suchen.
  • Auch mit „Zapad 2017“ will Putin die Reaktion der NATO testen.

 

  • Die Menschen in Deutschland, die Putin-Russland mehr oder weniger diskret unterstützen, sollten nachdenklich werden und auf gut bezahlte Jobs in Russland und auf ebenfalls gut bezahlte „Propaganda“ in Deutschland verzichten. Sie müssen erkennen, dass sie in dem russischen „ information warfare“ eine wichtige Rolle spielen.
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*)  Über den Autor
Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
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www.conservo.wordpress.com   30. August 2017
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