Ich bin kein Pazifist – und das ist gut so

(www.conservo.wordpress.com)

Adrian F. Lauber *)

Da ich es schon kommen sehe, dass der Titel dieses Textes manche Menschen erschrecken wird, will ich zunächst etwas klar stellen:

Wenn sich die Welt nach dem richten würde, was ich persönlich möchte, hätten wir morgen eine Welt ohne Krieg.

Das wäre mir am liebsten.

Aber ich verwechsle nicht meine persönlichen Wunschträume mit der Realität.

Mir waren Gesinnungspazifisten, die kompromisslos daran glauben, dass der Einsatz von Waffengewalt niemals in Ordnung geht, immer suspekt. Ich habe sie immer als weltfremd empfunden.

Ich bin schließlich kein Daniele Ganser, der vermutlich auch noch dann selig lächelnd vom Weltfrieden vor sich hin säuseln würde, wenn zwanzig Meter weiter seinen Mitbürgern von Salafisten mit Macheten die Bäuche aufgeschlitzt würden.Ich bitte, den rauen Ton zu verzeihen, aber Gesinnungspazifisten bringen mich inzwischen richtig auf die Palme. Warum, das werde ich im Lauf dieser Zeilen hoffentlich deutlich machen können.

Historiker Daniele Ganser im Juli 2014 (psiram)

Leute wie eben besagter Herr Ganser haben sich ein ganz bestimmtes Feindbild ausgeguckt – vorzugsweise den Westen, also vor allem Amerika – und drehen sich alles so lange zurecht, bis die großen Übel dieser Welt nur oder wenigstens hauptsächlich diesem einen Akteur zugeschrieben werden können. Mit Fakten nimmt man es entweder nicht so genau oder reißt selbige aus dem Zusammenhang.

Gewiss, eine Supermacht wie Amerika ist in großer Versuchung, ihrer große Macht zu missbrauchen. Das ist auch mehr als einmal passiert. Und selbstverständlich hat diese Supermacht in der Vergangenheit schon eigennützig und rücksichtlos gehandelt, um ihre Machtinteressen durchzusetzen. Auch vor Zusammenarbeit mit Fundamentalisten und Verbrechern wurde dabei nicht zurückgeschreckt. Auch hat es Sündenfälle wie den herbei gelogenen Irak-Krieg gegeben. Und ich war schon damals dagegen, obwohl Saddam Hussein ohne Zweifel ein widerlicher Despot und Verbrecher war. Aber wenn man sich die langfristigen Folgen dieses Krieges und die über weite Strecken verfehlten Politiken der Administrationen Bush und Obama anschaut, kann man wohl feststellen, dass es besser gewesen wäre, es hätte ihn nicht gegeben.

Dennoch:

Die Welt ist nicht so einfach, wie Herr Ganser und Konsorten sie gerne hätten. Sie sehen die Welt so, wie sie sie sehen wollen, und blenden alles aus, was auch nur im Entferntesten dazu geeignet wäre, ihre Weltsicht zu erschüttern.

Was Mächte wie Russland oder der Iran in der Welt treiben, scheint einen Herrn Ganser – obwohl er ja Historiker ist und eigentlich wissenschaftlich sauber arbeiten können müsste – herzlich wenig zu interessieren.

Wenn er – oder meinetwegen auch ein Ken Jebsen oder ein Jürgen Todenhöfer oder ein Eugen Drewermann oder wie die Prediger des radikalen Pazifismus alle heißen – auf der Welt Böses ausmacht, dann können daran nur die Amerikaner, vielleicht auch noch die Israelis und die Europäer schuld sein.

Wehe, der Amerikaner bombardiert irgendetwas!

Ob Iraner oder Syrer Menschen tot foltern, vergasen, abstechen, erschießen, aushungern lassen oder vertreiben ist völlig wurscht.

Menschen können ruhig zu Hunderttausenden oder zu Millionen umkommen – Hauptsache, der edle Pazifist, der es so mühsam geschafft hat, sich sein Weltbild zurecht zu legen, kommt niemals in die vielleicht unangenehme Situation, sich eingestehen zu müssen, dass er im Irrtum sein könnte.

Kriege werden immer herbei gelogen. Wer Krieg führt, verfolgt doch nur seine Machtinteressen. Es geht doch bloß ums Öl. Mag sein, dass solche Dinge immer wieder eine Rolle spielen. Menschen sind nun mal Lebewesen, die auf ihren eigenen Vorteil aus sind. Aber könnte es nicht sein, könnte es nicht sein, dass es vielleicht hin und wieder nötig ist, militärische Macht einzusetzen, um Verbrecher zur Strecke zu bringen, um ein schlimmeres Unheil zu verhindern?

Was ist, wenn es hart auf hart kommt, schlimmer? Dass gewisse Akteure auch eigennützige Motive verfolgen? Oder ist es schlimmer, der Ermordung von Hunderttausenden oder Millionen stillschweigend zuzuschauen, nur um das eigene Weltbild niemals hinterfragen zu müssen? Ist es im Zweifel wichtiger, Recht zu behalten, oder sind Menschenleben wichtiger?

Daniele Ganser sagt: „Das Leben ist heilig.“

Klingt ja sehr schön, wie er dann aufzählt, welche Gewalttaten er alle verurteilt, weil das Leben heilig ist.

Aber wie gedenkt der Herr eigentlich die Gewalttaten von Regimen wie denen des Iran oder Syriens zu verhindern, wenn nicht mit dem Einsatz von Waffengewalt?

Wenn das Leben heilig ist, gilt das dann nicht auch für die Leben derjenigen, die im Orient in Massen abgeschlachtet werden?

Oder ist das Leben nur dann heilig und der Einsatz von Waffengewalt strikt verboten, wenn westliche Mächte damit irgendetwas zu tun haben?

Da bin ich noch nicht so ganz hinter gestiegen. Ich müsste Herrn Ganser mal persönlich schreiben und ihn fragen, ob er glaubt, Iran und Syrien durch ein beherztes Singen von „Kumbaja my Lord!“ oder durch eine Gruppenumarmung mit Baschar al-Assad und Irans Oberstem Führer Ali Khamenei von ihrem Tun abbringen zu können.

Bei der Gelegenheit frage ich ihn am besten auch gleich – ohne das, was heute in Syrien passiert, mit dem damaligen Geschehen gleichsetzen zu wollen! –, ob seiner Meinung nach die Befreiung von Auschwitz auch durch einen Ostermarsch gelungen wäre. Oder ob man im Namen des Weltfriedens die Nazis einfach hätte in Ruhe machen lassen sollen.

Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass die am Syrien-Krieg beteiligten Akteure – die westlichen nicht ausgenommen – auch persönliche Machtinteressen verfolgen.

Das ist sicherlich so.

Aber:

Wenn ich sehe, dass über zehn Millionen Syrer inzwischen Flüchtlinge sind und dass die Flüchtlingskrise wohl unlösbar ist, solange Assad an der Macht bleibt und der Iran weiter versucht, Syrien seinem neuen Imperium einzuverleiben, dann weiß ich Prioritäten zu setzen. Dann ist es mir wirklich vollkommen schnuppe, ob der Hafen von Tartus russisch beherrscht bleibt oder nicht oder ob konkurrierende Pipeline-Geschäfte im Kampf um Syrien eine Rolle spielen, wie Daniele Ganser behauptet.1 (Wobei er in seinen Betrachtungen sehr viel außer Acht lässt.)

Mich interessiert im Moment vordringlich: Wie kann Syrien gerettet werden? Wie können die Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden? Wie kann der Iran aufgehalten werden, der größte Staatssponsor des Dschihadismus, der durch seine Unterstützung von Dschihadisten die Region destabilisiert und der Israel auslöschen will? Wie kann die syrische Flüchtlingskrise gelöst werden, zumal unser Land durch die Flüchtlings- bzw. Migrationskrise auch existenziell gefährdet ist.

Gerade gestern hatte ich wieder so ein Gespräch mit einem Bekannten, der sogar ziemlich klarsichtig ist. Auch er bestreitet nicht, was der Iran und sein Schützling Assad im Orient anrichten. Aber dass jemand etwas dagegen unternimmt, will er auch wieder nicht. Trump, Bolton und Pompeo sind gefährlich – wehe, die lassen zur Waffe greifen!

Im Orient ist die Hölle los, aber die größte Sorge des braven Deutschen ist Donald Trump! Wehe, der lässt zur Waffe greifen! Nein, dann sollen Iraner und Syrer lieber weiter morden und vertreiben, dass die Schwarte kracht.

Trump könnte Krieg anzetteln, hörte ich gestern. Dass im Orient längst Krieg herrscht, interessiert nicht. Auch nicht, dass man ihn nach Lage der Dinge wohl nur noch mit militärischer Macht beenden kann – nach dem Motto „Frieden schaffen, auch mit Waffen!“2

Wie benebelt ist diese Gesellschaft bloß?

Aber das scheint ja für das heutige Deutschland ohnehin eine typische Attitüde zu sein. Man kann sie auch in Bezug auf die Innenpolitik beobachten. Selbst Leute, die durchaus einsehen, dass die Bundesmerkel und die Altparteien dieses Land kaputt machen, verwahren sich mit aller Vehemenz dagegen, die AfD als eine gleichberechtigte politische Kraft anzuerkennen und sie in den politischen Prozess mit einzubeziehen.

Die Altparteien bauen Scheiße, aber was anderes wählen oder auch nur mit Andersdenkenden reden? Gott bewahre! Es könnte ja was besser werden!

Da fällt mir der Kabarettist Volker Pispers ein, mit dem ich zwar sehr viele Differenzen habe, den ich aber zwischendurch auch mal loben muss. Vor Jahren beschrieb er den deutschen Wähler sinngemäß wie folgt: der Deutsche ist ein Mensch, der immer wieder um denselben Häuserblock läuft, dabei jedes Mal wieder in denselben Scheißhaufen tritt, sich dann eine Runde lang darüber beschwert, dass er Scheiße am Schuh kleben hat, nur um dann beim nächsten Mal erneut zielsicher in denselben Haufen zu treten, anstatt mal eine andere Route auszuprobieren.

Ob diese Borniertheit eine spezifisch deutsche Deformität ist, lasse ich mal dahin gestellt.

Der Umgang mit dem Syrien-Krieg war für mich, wenn ich es mal so pathetisch ausdrücken darf, eine Art Erweckungserlebnis.

Ich habe so genannte humanitäre Interventionen in der Regel auch skeptisch gesehen, weil man uns Bürger über die Motive von Kriegen oft genug belogen hat.

Außerdem habe ich, das muss ich mir als schweres Versäumnis ankreiden, zu lange einseitig westliche Schandtaten gesehen: herbei gelogene Kriege (Irak 2003), inszenierte Staatsstreiche (Iran 1953), Kollaboration mit islamischen Fundamentalisten usw.

All das, was man westlichen Mächten zu Recht vorgeworfen hat und was sie nicht hätten tun dürfen, trifft aber auf eine Reihe von nicht-westlichen Mächten genauso zu.

Was macht denn Russland in der Ukraine? Schon vergessen?

Ist es nicht der Rede wert, dass Russland in Syrien einen Machthaber unterstützt, in dessen Gefängnissen Menschen tot gefoltert und ausgehungert werden, dessen Armee Menschen vergast hat, der gemeinsam mit seinem Partner Iran offenbar ethnische Säuberungen durchführen lässt? (Und dass seine Gegner zum Teil ähnlich schlimme Dinge tun, macht die Sache nicht besser!)

Ist es keiner Erwähnung wert, dass der früher zu Sowjetzeiten der KGB in großem Stil mit islamischen Fundamentalisten gemeinsame Sache gemacht, Terror, Dschihadismus und Antisemitismus im Orient gefördert hat, wie wir zum Beispiel dank der Aufzeichnungen des KGB-Überläufers Ion Pacepa wissen?3 Wieso reden wir ständig nur von der Zusammenarbeit der CIA und des ISI mit Osama bin Ladens Mudschaheddin, damals 1979 gegen die Sowjets in Afghanistan?

Was macht der Iran, wenn er fremde Länder mit seinen Milizionären unterwandert? Ist das nicht eine unzulässige, sogar gewalttätige Einmischung in fremder Länder Angelegenheiten?

Außerdem ist trotz aller Sünden, die er begangen hat, der Westen immer noch die freiheitlichste Zivilisation der Welt. Mächte wie Russland und der Iran werden diktatorisch regiert und Menschenrechte zählen dort wenig bis gar nichts. Also hat man auch vergleichsweise wenig Skrupel, sich auch mit den übelsten Verbrechern gemein zu machen.

Auch solche Mächte verfolgen ihre eigenen Machtinteressen und aktuell tun sie das derart aggressiv, dass hunderttausende oder Millionen Menschenleben gefährdet und zu einem Großteil schon vernichtet worden sind.

Ihre Skrupellosigkeit ist ihre Stärke. Ihnen gegenüber steht ein noch zaudernder Westen, der zwar lautstark verurteilt, was sie tun, aber sich trotz des angeblich so tief empfundenen Mitleids für syrische Flüchtlinge bislang nicht dazu aufraffen will, sie zu stoppen.

(Ich hoffe ja darauf, dass sich das ändert, jetzt wo Donald Trump einen neuen Nationalen Sicherheitsberater und einen neuen Außenminister hat. Die beiden haben, so scheint mir, die beispielsweise vom Iran ausgehende Gefahr richtig verstanden. Und im Gegensatz zu den Politikern der deutschen Regierung haben sie – so mein Eindruck – die notwendige Härte, solche Feinde zu konfrontieren.)

In meinem Umfeld beobachte ich, dass das alles mehr oder weniger gleichgültig ist. Im Zweifel sind die Amerikaner die Bösen – jetzt mit diesem ganz besonders bösen Trump im Weißen Haus sowieso.

Ob mein Erleben repräsentativ ist, weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls hat mich diese Gleichgültigkeit gegen die Aggressionen und Verbrechen nicht-westlicher Mächte derart umgehauen, dass ich so einige Punkte meiner Weltsicht radikal hinterfragen musste.

Früher zum Beispiel hätte ich es als Unfug abgetan, wenn man mir gesagt hätte, dass in der deutschen Gesellschaft ein starker Antiamerikanismus vorhanden ist. Heute, nachdem ich mich mit diesem Thema eingehender beschäftigt habe4 und da ich sehe, wie viele Leute sich immer wieder nur auf Amerika einschießen und die Taten anderer großer Mächte überhaupt nicht sehen wollen, werde ich doch sehr nachdenklich …

Jedenfalls merke ich, dass ich mich in einen krassen Gegensatz zu den meisten Menschen begeben habe, die ich persönlich kenne. Ich bin ja bekanntlich – auch wenn es Dinge gibt, die auch ich an ihm kritisiere – pro Trump und aufgrund der konservativen Rebellion, für die er steht, so pro-amerikanisch wie lange nicht mehr. Diese Position wird in meinem Umfeld aber definitiv nicht geteilt. Und mehr als einmal merkte ich, wie in Gesprächen starke Ressentiments gegen Amerika zum Vorschein kommen. Na ja, wie dem auch sei. Weiter im Text:

Ja, es hat herbei gelogene Kriege gegeben. Ja, mit Kriegen werden in der Regel auch eigennützige Motive verfolgt.

Aber ein anderer Aspekt der Wirklichkeit ist, dass es unsagbar grausame Verbrechen gegeben hat, die mit militärischer Macht hätten verhindert werden können. Denken wir beispielsweise an den Völkermord in Ruanda im Jahre 1994. Zwischen 800.000 und einer Million Menschen sind dort getötet worden. Niemand ist eingeschritten. Der damalige US-Präsident Bill Clinton hat später bereut, nichts unternommen zu haben. Er sprach von seinem „größten Fehler“ und einem persönlichen Scheitern.5

So wie sich die Dinge in Syrien entwickelt haben, bin ich der Meinung, dass hier eingeschritten werden muss. Wegschauen und Heraushalten sind keine Optionen mehr. 500.000 Tote und zehn Millionen Flüchtlinge – ja, reicht das nicht?! (Abgesehen davon, dass uns diese Krise ja auch ganz unmittelbar betrifft. Wenn das Flüchtlingsproblem nicht gelöst wird, steht auch die Existenz unseres Landes und seiner Kultur auf dem Spiel.)

Die Erfahrung der letzten paar Jahre lehrt, dass es völlig wirkungslos ist, syrische, iranische oder russische Sünden anzuprangern. In Moskau, Damaskus und Teheran interessiert es doch niemanden, ob der Westen mit ihrer Art der Kriegsführung einverstanden ist oder nicht! Die dortigen Machthaber sehen nur: die anderen mögen schimpfen und maulig sein, aber sie tun uns ja nichts. Also können wir nach Gusto weitermachen.

Baschar al-Assad zu Besuch bei den verbündeten Russen (Wikipedia)

Tony Badran von der Foundation for Defense of Democracies bringt es auf den Punkt.6 Die Ziele für Syrien hat der Nicht-Mehr-US-Außenminister Tillerson im Januar richtig benannt. Abgesehen davon, die Herrschaft Assads zu beenden, muss es vor allem darum gehen, den Iran zurückzudrängen, der es mit russischer Rückendeckung geschafft hat, weite Teile Syriens unter Kontrolle zu bekommen. Er und die von ihm finanzierten Dschihadisten-Milizen befinden sich auf dem Vormarsch. Nach dem zuvor schon der Libanon und der Irak unter iranische Kontrolle gebracht worden sind, soll ein weiteres Land dem angestrebten Landkorridor von Teheran bis ans Mittelmeer und vor die Haustür Israels hinzugefügt werden.

Aber bislang besteht eine Kluft zwischen den richtigen Zielen, die die Trump-Administration benannt hat, und dem, was unternommen werden soll, sie zu erreichen.

Amerika hat die Macht, einzuschreiten. Die Europäer sind dagegen zu schwach (allein unsere Bundeswehr ist u. a. dank des segensreichen Wirkens der Merkel-Regierung hochgradig ramponiert) und vor allem sind sie zu sehr auf Appeasement gebürstet.

Die Amerikaner haben am 7. Februar in Deir Ez-Zor ihre Macht demonstriert, als sie einen Angriff syrischer Regierungstruppen, iranischer Revolutionsgardisten und russischer Söldner erfolgreich abwehrten und die Hälfte der feindlichen Streitmacht vernichteten.

Nur verharren die Amerikaner weiterhin in der Defensive. Sie sind so zwar in der Lage, das von ihnen und ihren verbündeten gehaltene Gebiet zu sichern, aber den Iran zurückdrängen oder gar den Krieg beenden können sie auf diese Weise nicht.

Wenn sich irgendetwas ändern soll, kommt Amerika nicht drum herum, in die Offensive zu gehen – am besten in Zusammenarbeit mit Israel und anderen regionalen Verbündeten. Es mangelt ihnen nicht an Schlagkraft, das Blutvergießen zu beenden.

Israel hat es demonstriert, als es auf das Eindringen einer iranischen Drohne in seinen Luftraum mit kraftvollen Schlägen gegen iranische und syrische Stellungen bei Palmyra reagierte. So machtvoll sie im Moment auftreten mögen: Assad und seine Mullah-Protektoren sind verwundbar. Würden Israel, die USA und weitere Partner gemeinsam vorgehen, werden Irans Fußsoldaten das, was sie bislang erobert haben, nicht halten können.

Das Problem dabei ist nicht Schwäche, sondern das Risiko. Energische Schritte zur Befriedung Syriens werden es wohl unumgänglich machen, sich nicht nur mit dem Iran anzulegen, sondern auch mit dessen Partner Russland.

Noch steht Moskau stramm an Assads und Irans Seite.

Keiner kann sich ernsthaft wünschen, dass es über Syrien zu einem Krieg gegen Russland kommt, der alles noch viel schlimmer machen würde.

Aber irgendwie muss es gelingen, Russlands Machtposition in Syrien so weit zu schwächen, dass es Assad nicht mehr wird halten können oder wollen. Schritt für Schritt auf syrischem Boden gegen die Assad-Kräfte und gegen Irans Milizen vorzugehen, kann dazu beitragen. Parallel könnte, wie Badran vorschlägt, das syrische Regime auch durch Sanktionen noch weiter geschwächt werden. Hier ist Druck auf den Libanon und andere Nachbarn von Nöten, die Assad noch immer dabei helfen, Sanktionen zu umgehen.

Weiterhin muss Irans Machtposition in Syrien gebrochen werden und wenn das gelingt, fällt eine entscheidende Stütze des Assad-Regimes weg. Ganz abgesehen davon, dass Iran gestoppt werden muss, weil es sonst den planvollen Austausch von Sunniten durch Schiiten weiter vorantreiben und die Flüchtlingskrise noch schlimmer machen kann.

Heute bin ich der Meinung, dass es zur Befriedung des Landes viel eher nötig gewesen wäre, mit eigenen Truppen einzugreifen. Amerikas anfängliche Strategie, Anti-Assad-Rebellen mit Waffen zu beliefern, war gefährlich, weil man sich nicht sicher sein konnte, in wessen Händen dieses Kriegsgerät am Ende landen würde. Selbst die so genannte Freie Syrische Armee, die viele anfangs für moderat und freiheitlich orientiert hielten, besteht zumindest zum Teil aus Dschihadisten, die sicherlich kein Stück besser sind als Assad und seine Kämpfer.

Das Land ist zerrissen von inneren Kämpfen. Ohne das Eingreifen einer äußeren Macht ist seine Befriedung aussichtslos. Amerika und seine Verbündeten hätten das Potenzial dazu und weder die Iran-treuen Milizen noch sonstige dschihadistische Gruppen könnten ihnen das Wasser reichen. So trostlos die Lage im Moment aussieht: wenn etwa Amerika oder Israel einmal zugeschlagen hat, hat sich gezeigt, wer hier in Wahrheit der Stärkere ist. Iran und seine Schützlinge sind – Allah sei Dank! – nicht so stark, wie sie sich geben.

Sie sind allerdings auch nicht schwach! Sie sind eine ernst zu nehmende Bedrohung. Aber in einer direkten Konfrontation mit den Amerikanern oder den Israelis könnten sie nicht gewinnen.

Der Westen muss handeln. Abgesehen von den Verbrechen, für die er verantwortlich ist, muss man realistisch feststellen, dass Baschar al-Assad ja gar nicht in der Lage ist, das Land zu befrieden. Selbst wenn er moralisch in Ordnung wäre, hätte er gar nicht mehr die Macht dazu, Syrien wieder zu einen und neu aufzubauen. Sein Regime ist so stark geschwächt, dass es ohne russische und iranische Hilfe wohl schon Geschichte wäre. Es will und will ihm nicht gelingen, das Land wieder unter Kontrolle zu nehmen, auch wenn der Präsident noch so vollmundig ankündigt, ganz Syrien zurückerobern zu wollen. Assads Regime ist nur noch ein Schatten dessen, was es vor dem Krieg mal war.7

Samuel Tadros schreibt mit Recht, dass Assad nicht die Macht hat, das Land wieder zu einen. Die Sunniten, denen er so übel mitgespielt hat, werden seine Alawiten-Herrschaft in großer Zahl nicht mehr akzeptieren. Zu viel Blut ist vergossen worden. Die ohnehin brüchigen Bande zwischen der sunnitischen Mehrheit und der alawitschen Elite dürften gerissen sein.8

Kein Wunder, dass Assad und seine iranischen Protektoren dazu übergegangen sind, so viele Sunniten wie möglich durch Vertreibung und „demographic engineering“ loszuwerden. Eben deshalb kann die Flüchtlingskrise mit Assad nicht mehr gelöst werden.9

Die Zeit drängt. Hoffentlich handelt Washington rasch. Und es soll sich bloß nicht dadurch beirren lassen, dass in Deutschland und anderen europäischen Ländern viele mal wieder maulig sein und in Amerika den Bösen sehen werden.

Auf deutsches Urteilsvermögen ist leider angesichts der Unausgeglichenheit und der Traumatisierung dieses Landes kein Verlass, wenn es um Kriege geht.

Dennis Prager hat über die Deutschen von heute etwas sehr Richtiges gesagt. Sinngemäß lautete die Aussage so: die Deutschen haben aus der NS-Vergangenheit nicht etwa die Lehre gezogen, dass das Böse bekämpft werden muss, sondern dass Kämpfen böse ist.

Mit diesem Satz zum Nachdenken beende ich diesen Kommentar.

 

Siehe auch:

  1. uncutnews.ch: „Juni 2016 Daniele Ganser erklärt den Syrienkrieg ! Wenn das die Bevölkerung herausfindet..☢“ https://www.youtube.com/watch?v=KBIAeWb0Wbg
  2. Spirit of Entebbe, 9.4.2010: „Frieden schaffen, auch mit Waffen!“ von Claudio Casula https://spiritofentebbe.wordpress.com/2010/04/09/frieden-schaffen-auch-mit-waffen/
  3. National Review, 24.8.2006: „Russian footprints“ by Ion Mihai Pacepa https://www.nationalreview.com/2006/08/russian-footprints-ion-mihai-pacepa/

Clarion Project, 30.9.2012: „The Soviet-Jihad Connection: Interview with Pavel Stroilov“ by Meira Svirsky https://clarionproject.org/soviet-jihad-connection-interview-pavel-stroilov/

Gatestone Institute, 16.10.2016: „The Soviet-Palestinian Lie“ by Judith Bergman https://www.gatestoneinstitute.org/9090/soviet-union-palestinians

  1. copyriot.com: „George W. Bush – Enemy No. 1 – Zum deutschen Antiamerikanismus“ http://www.copyriot.com/sinistra/reading/texte/antiam.html

(Leider ein stark antideutsch gefärbter und zum Teil verzerrter Text, aber die Erkenntnisse über den Antiamerikanismus sind gleichwohl lesenswert.)

Siehe zum Thema außerdem:

Cicero Online, 31.10.2015: „Antiwestliche Ressentiments sind in der Mitte angekommen“ von Alexander Grau https://www.cicero.de/kultur/antiwestliche-ressentiments-die-gefaehrliche-querfront-ist-der-mitte-der-gesellschaft

Aron Sperber, 31.10.2015: „Mad Merkel macht die Querfront salonfähig“ https://aron2201sperber.wordpress.com/2015/10/31/mad-merkel-macht-die-querfront-salonfaehig/

Telepolis, 15.12.2017: „Querfront-Projekt endete als Farce“ von Peter Nowak https://www.heise.de/tp/features/Querfront-Projekt-endete-als-Farce-3918874.html

  1. The Tower Magazine, Issue 12, March 2014: „Yes, We Really Can Stop the Slaughter in Syria“ by Brooklyn Middleton http://www.thetower.org/article/yes-we-really-can-stop-the-slaughter-in-syria/
  2. Foundation for Defense of Democracies, 20.3.2018: „Why Offense is the Best Defense Against Russia and Iran in Syria“ by Tony Badran (Hoover Institute) http://www.defenddemocracy.org/media-hit/badran-tony-why-offense-is-the-best-defense-against-russia-and-iran-in-syria/
  3. War on the Rocks, 31.8.2016: „The Decay of the Syrian Regime Is Much Worse Than You Think“ by Tobias Schneider https://warontherocks.com/2016/08/the-decay-of-the-syrian-regime-is-much-worse-than-you-think/
  4. Mosaic Magazine, 23.3.2018: „To Move Forward on Syria, Abandon Illusions First“ https://mosaicmagazine.com/picks/2018/03/to-move-forward-on-syria-abandon-illusions-first/
  5. Middle East Forum, 15.3.2017: „The Syrian Civil War & Demographic Change“ by Aymenn Jawad al-Tamimi https://www.meforum.org/articles/2017/the-syrian-civil-war-demographic-change

Zum Lesen empfohlen:

Achse des Guten, 22.3.2018: „Achgut-Briefing für Maybritt Illner: Erdogans Mordfeldzug“ von Günter Ederer http://www.achgut.com/artikel/achgut_briefing_fuer_illner_erdogans_mordfeldzug

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*) Der bekannte Blogger Adrian F. Lauber ist seit November 2017 regelmäßig Autor auf conservo.
www.conservo.wordpress.com   2.4.2018
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