PSYCHOLOGIE UND PHILOSOPHIE DES PARANORMALEN

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dr. Wolfgang Caspart *)

KÖRPER

Was körperlich ist, fällt nicht schwer zu begreifen. Gerne wird es Natur und Materie genannt. Der Körper ist endlich, beschränkt und sterblich. Von seiner Hinfälligkeit sind auch Gehirn und Nervensystem betroffen. Gehirn und neuronale Ausstattung sind Teil des Körpers. Mit dem Tod stirbt nicht nur der Körper, sondern auch das Gehirn.

GEIST

Was wir über Gehirn, Materie und Natur wissen, ist das Ergebnis geistiger Auseinandersetzung. Natur und Materie kommen nämlich nicht unmittelbar in der Natur und der Materie selbst vor, sondern sind semantische Bezeichnungen für die Ergebnisse unserer Beobachtungen. Diese selbst werden im Zuge unserer geistigen Erkenntnisbemühungen interpretiert, in Theorien und Gesetze zusammengefasst und so maßgeblich zu menschlichen Artefakten. In Annäherung an den Konstruktivismus sagen Ausführungen über unsere Beobachtungen nicht weniger über uns selbst als über die beobachteten Objekte aus. Womit sich erklärt, warum wir jetzt nach der aristotelisch und Newtonschen in der dritten Physik leben, in der Heisenbergschen, obwohl die natürlichen Beobachtungen dieselben geblieben sind. Unsere Physiken sind wesentlich geistige Erzeugnisse.

Woher kommt und geht aber der Geist? Da wir auch vom Gehirn und der Natur nur geistige Vorstellungen gewinnen, erscheinen die materiellen Objekte erkenntnistheoretisch zu Ergebnissen von über die reinen Gegenstände hinausgehenden, transzendentalen Prozessen. Wenn sogar im physikalischen Sinne nach dem Energieerhaltungssatz ein Verlust von Energie nicht möglich ist, kann auch der Geist mit und nach dem Tode nicht verloren gehen. Naturwissenschaftlich lässt sich (noch) nicht beantworten, wohin der Geist geht und woher er kommt. Da aber die Naturwissenschaft selbst auf hermeneutisch-heuristisch gewonnenen Axiomen beruht (Logik, Beobachtbarkeit, Wiederholbarkeit, Mathematisierbarkeit und Experimentierbarkeit) , wird die Frage nach dem woher und wohin auch „nur“ hermeneutisch einsichtig und kann allein heuristisch beantwortet werden. Hermeneutik will verstehen und Heuristik Lösungen durch Aufstellung von Hypothesen finden, welche bei Nichtwiderspruch zu geisteswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Theorien erhoben werden.

SEELE

Im andauernden hermeneutischen Zirkel verschwindet auch das Geistige nie. Der Geist kann bloß in das eingehen, woraus er gekommen ist: in und aus dem kosmischen Geist. Gemäß hermeneutischer Einfühlung entäußert sich der kosmische Geist in die Psyche der lebenden Individuen, um nach deren Lebensende wieder zu ihrem Ursprung zurückzukehren, dem kosmischen Geist. Der individuelle Anteil des Geistigen durchläuft damit eine quasi dialektische Wanderschaft und wird „Seele“ genannt. Die Unsterblichkeit der Seele beruht heuristisch auf der Unsterblichkeit des kosmischen Geistes oder Weltgeistes.

Die Erinnerung an andere Menschen und Ereignisse ist auch bei unmittelbarer Abwesenheit ihres Körperlichen jederzeit möglich. Plötzliche Einsichten, Intuität, Spontanität, Kreativität, „Aha“-Erlebnisse und Déjà-vu-Erscheinungen sind alltäglich, verlaufen nichtlinear und entbehren einer materialistischen Grundlage. Darüber hinaus vermögen auch nichtalltägliche Phänomene auf diese Art und Weise verständlich zu werden, selbst wenn sie ein positivistisches Denken übersteigen und uns zunächst verwundern.

WUNDER

Menschen besitzen unterschiedliche Begabungen, zum Beispiel mathematische, musikalische oder sprachliche, aber auch mediale. Nur weil solche Fähigkeiten nicht alle Lebewesen in demselben Ausmaß besitzen oder einzelne Personen manche Anlagen überhaupt nicht entwickeln, existieren sie dennoch. Nicht jedem Menschen sind alle Spektren des Bewusstseins gleich oder leicht zugänglich. Trotzdem sind ihre Einsichten real und müssen nicht Ausfluss von schizophrenen Halluzinationen sein. Überhaupt ist Eindimensionalität kein Anzeichen überlegener Intelligenz. Keine einzige Methode vermag alle Zustände zu untersuchen und kein einziges Rezept heilt alle Krankheiten.

Medial Begabte können zu Telepathie, Präkognition, Telekinese, Nahtoderfahrungen, Reinkarnation und anderen übersinnlichen Wahrnehmungen fähig sein, auch wenn sie am Rande der Streuung der Normalverteilung liegen. Schon grundsätzlich sind „parapsychologische“ Erscheinungen rein naturwissenschaftlichen Überprüfungen nicht voll zugänglich, da sich die zu Grunde liegenden Phänomene nicht durch alle Axiome der Naturwissenschaftlichkeit abdecken lassen.

Aber auch alltägliche Beobachtungen teilen vielfach dieses Schicksal, sind dennoch real und heuristisch zugänglich, beispielsweise Geschichte, Philologie, Ethik oder Ästhetik. Selbstverständlich unterliegen auch parapsychologische Forschungsgebiete den Möglichkeiten betrügerischer Manipulationen. Doch auch „seriöse“ und „normale“ Wissenschaften sitzen immer wieder Betrügern und Irrtümern auf, wie bereits die häufigen Selbstreferenzen aus Übereinstimmungssuche, illusionären Korrelationen, Verankerungs- und Anpassungseffekten, Nichtrepräsentativität und Nachbetrachtungsfehlern zeigen. Missbrauchsmöglichkeiten sprechen nicht gegen Nutzungsfähigkeiten.

NORMALITÄT

Es gibt einfach mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eine im materialistischen Positivismus gefangene Schulweisheit sich träumen lässt. Was „normal“ ist, beruht auf menschlichen Moden und Konventionen, welche sich beim Wechsel der Paradigmen mitändern. Ein Wunderglaube war früher normal und gilt heute als nahezu absurd. Der Grund dafür liegt im vielfach verlorengegangenen Verständnis für außergewöhnliche Erscheinungen und nicht „stinknormale“ Alltäglichkeiten im Bereich des zweiten oder dritten Sigmas der Gaußschen Glockenkurve. Eine oberflächliche und halbgebildete Öffentlichkeit vertraut lieber auf eine „naturwissenschaftliche Sicherheit“, die es aber gemäß Kritischem Rationalismus gar nicht gibt, da empirische Theorien grundsätzlich nur provisorisch und solange gelten, bis sie falsifiziert, revidiert, geändert oder überholt werden. Einstein bezeichnete die Naturgesetze sogar als „Fiktionen“ und formulierte die Regel, dass das wissenschaftliche Niveau einer Kultur umso höher ist, je mehr sie ihr aktuelles Weltbild als Fiktion begreift

Das alte Bild empirischer Wissenschaften hat sich mittlerweile gründlich gewandelt: Relativitätstheorien, Heisenbergs Unschärferelation, Gödels Unvollständigkeitstheorem, Systemtheorie, Chaosphysik, Autopoiese (Selbstorganisation) und Synergetik haben selbst den alten Materialismus überwunden und zu ausgesprochen idealistischen Ergebnissen geführt. Die Welt gleicht nicht mehr einer überdimensionalen linearen Maschine, sondern eher einem großen Gedanken. Naturwissenschaft und Religion sind sogar kompatibel geworden.

PARANORMALITÄT

Akzeptiert man Mehrdimensionalität und gewöhnt sich an Normalverteilungsstatistik, werden nun sogar ungewöhnliche Ereignisse plötzlich verständlich. Die „Wunder“ verlieren ihren verwunderlichen Charakter, auch wenn sie schon früher selten, erstaunlich und außergewöhnlich waren. Im Religiösen zählen dazu Prophezeiungen, Mystik, Berufungen, Verkündigungen, persönliche Erscheinungen, Wiederauferstehungen oder Himmelfahrten. Aus der Vergangenheit sind uns dergleichen Überlieferungen bekannt, doch auch für Gegenwart und Zukunft sind paranormale Phänomene keineswegs auszuschließen. Dies gilt auch für „weltliche“ Ereignisse wie unter anderen die erwähnten parapsychologische Phänomene der Telepathie, Präkognition, Telekinese, Nahtoderfahrungen und dergleichen.

Erkenntnistheorie und Wissenschaftsgeschichte zeigen, dass das Paranormale durchaus normal ist, genauso statische Standardabweichungen. Die informationelle Unzulänglichkeit des Menschen verlangt nach möglichst ganzheitlichen Wirklichkeitszugängen, während eine auf das Materielle fokussierten Mantik die Entfremdungszustände verschärft und verstärkt. Ein Methodenmonismus ist irreal. Das „Ding an sich“, die „Absichten Gottes“ oder zukünftige Entwicklungen werden wir auch holistisch nie voll erfassen, sollten uns ihnen aber im Eigeninteresse möglichst zu nähern suchen. Die Menschheit weiß zwar vieles und wird im Lauf der Zeit noch einiges Zusätzliche in Erfahrung bringen, jedoch nie alles wissen können. Absichtlich auf einzelne Methoden zu verzichten und nichtbanale Fakten auszuklammern, wirkt krass reduktionistisch wie neurotisierend und erweitert weder den Horizont, noch dient es der Annäherung an die Wirklichkeit.

* (Fakten 4/15, Seebarn 2015, S. 17-18)
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