Merkel – der Anfang vom bitteren Ende

(www.conservo.wordpress.com)
Dieter Farwick

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist*)

„Totgesagte leben länger“ – diese alte Weisheit kann sich im Falle Merkel bestätigen, obwohl ihre Bilanz der dreizehn Jahre niederschmetternd ist.

Zur Erinnerung eine Auflistung ihrer größten Fehler und Fehlentscheidungen:

# Die “Rettung” Griechenlands im Mai 2010. Anstatt Griechenland zu einem Austritt aus der Eurozone zu überreden oder gar zu zwingen, wurde Griechenland auch auf Drängen des damaligen französischen Sarkozy mit großem milliardenschweren Aufwand gerettet – zu Lasten der – besonders der deutschen Steuerzahler und Sparer in der Eurozone. Später kamen weitere südeuropäische Länder hinzu.

# Ihr Verzicht auf Axel Weber als Spitzenkandidat für den Posten des Direktors der Europäischen Zentralbank und ihre Unterstützung für den italienischen Kandidaten, der für seine lockere Geldpolitik bekannt war, die über Jahre mit den Zinsen gegen Null und sogar zu Negativzinsen führte. Die Zinsen lagen lange Jahre unter der Inflationsrate. Die Differenz führte zu den Milliardenverlusten in der Eurozone.

Unter Draghis Schirmherrschaft verschuldeten sich die schwächeren Staaten erneut.

Ein Instrument wurden die Target 2-Salden, die sich mittlerweile für Deutschland auf über eine Billion belaufen – ohne die Hoffnung auf Rückzahlung. Ein für die schwächeren südeuropäischen Staaten risikoloses Anschreibesystem. Mit ihrer Verschuldung gegenüber Deutschland konnten sie u.a. die deutschen Güter kaufen, die zum kritisierten deutschen Exportüberschuss geführt haben.

Die Kredite kommen de facto vom deutschen Steuerzahler. Er bezahlt und unterstützt den deutschen Export.

Mit dem monatlichen Ankauf von Staatsanleihen in Höhe von anfänglich  60 Milliarden Euro im Monat hat Draghi gegen die vertraglich festgelegten Auflagen und Aufgaben der EZB verstoßen. Sie haben wenig bewegt.

Die Reduzierungen auf 30 Milliarden und zeitnah auf 15 Milliarden ändern wenig, zumal die für Deutschland zu niedrigen Zinsen nicht vor dem Frühjahr 2019 angehoben werden sollen.

Gegen diese für Deutschland verheerende Geldpolitik hat Merkel nichts gegen Draghi unternommen, der ohne demokratische Legitimation gehandelt hat.

Jetzt macht sie den Eindruck, dass sie Herrn Weidmann – wie Herrn Weber – nicht bei seiner Kandidatur unterstützt, weil sie für Deutschland – und (vielleicht) für sich selbst und andere „verdiente“ deutsche Politikveteranen wie Frau von der Leyen – wichtigere Posten in der NATO und in der EU im Auge hat.

# Nach der Katastrophe in Fukushima im März 2011 traf Merkel ohne eine genaue Untersuchung die überhastete Entscheidung, bis 2022 alle Kernkraftwerke zu schließen und eine Energiewende hin zu regenerativen Energien einzuleiten.

Sie hat die Folgen des Tsunami verwechselt mit dem Reaktorunfall. Es hat keinen einzigen Toten durch radioaktive Verseuchung gegeben. Die rd. 18.500 Toten sind der Überschwemmung anzulasten.

Da in Deutschland an keinem Standort von Kernkraftwerken die Gefahr eines Tsunamis besteht, hätte ein Abschaltung von Atomkraftwerken „Zug um Zug“ mit entsprechenden Kapazitäten der erneuerbaren Energien einen besseren Übergang geschaffen.

Bereits vor Fukushima hat es in Deutschland ein parteienübergreifendes Verständnis gegeben, die Nukleartechnologie als „Übergangstechnologie“ zu betrachten und den Übergang zu gestalten.

Die überhastete Entscheidung der Kanzlerin hat z.B. nicht in Betracht gezogen, dass die föderale Struktur Deutschlands ein koordiniertes Vorgehen erschweren würde.

So verzögert sich der Transport von Strom vom „produzierenden“ Norden in den „verbrauchenden“ Süden erheblich. Steigende Strompreise und die Gefährdung der Energiesicherheit sind die Folgen, die auch den deutschen Nutzer treffen.

# Sie hat mit Hilfe des selbstherrlichen Verteidigungsministers Freiherr zu Guttenberg zum 1. Juli die Wehrpflicht ohne ausreichende Debatte und ohne Übergangsregelung abgeschafft. Die Folgen, die auch vom Verfasser mehrfach öffentlich kritisiert worden sind, haben die Bundeswehr in eine desolate personelle Lage geführt, die man mit dem Etikett versehen muss: „strukturell nicht einsatzfähig“. Insgeheim wohl angestrebt von Angela Merkel, da es an ernsten Warnungen nicht gefehlt hat.

 # Die folgenschwersten Fehlentscheidungen von Frau Merkel fielen im September 2015. Es waren wieder überhastete Entscheidungen:

  • Am 4. September traf sie weitgehend eine wiederum einseitige Entscheidung: Die Öffnung der deutschen Grenzen führten zu einer weitgehend unkontrollierter illegalen Masseneinwanderung.
  • Am 13. September traf sie die Entscheidung, die von zuständigen Behörden detailliert geplante und vorbereitete Schließung der Grenzen abzublasen.

Die Folgen sind noch heute zu spüren:

Politik und Behörden wurden von dieser illegalen Masseneinwanderung heillos überfordert. Sie versagten völlig.

Noch heute Oktober 2018 – nach mehr als drei Jahren – muss die Regierung zugeben, dass sich vermutlich rd. 450.000 illegale „ Flüchtlinge“ in Deutschland aufhalten. Niemand weiß, wo diese „ Flüchtlinge“ leben und wer ihren Aufenthalt alimentiert.

Die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen – besonders dem gewaltbereiten „politischen Islam“ – und entfernten Weltregionen ist in Deutschland weitgehend gescheitert.

Die proportional höhere Kriminalitätsrate verunsichert die deutsche Bevölkerung.

Die anfängliche „ Willkommenskultur“ ist sehr geschrumpft.

# Die sog, „Abgas- und die Dieselaffäre“, die seit 2015 offiziell bekannt sind, sind durch Regierungs- und Behördenversagen weitgehend ungelöst. Es fehlen der Wille und der Mut zum Durchgreifen zu Lasten der Verursacher, die zur Rechenschaft gezogen werden müssten, zumal die deutschen Autobauer bereits ab 2005 die Käufer in den USA mit weitgehend sauberen Dieselmotoren versorgt haben.

Ein „Dieselgipfel“ jagt den anderen – ohne durchgreifendes Ergebnis. Die Lobby der Autobauerindustrie ist zu stark, um gegen kriminelles Verhalten vorzugehen. Die Verantwortlichen sitzen mit einer Ausnahme nicht im Gefängnis, sondern präsentieren sich bei Präsentationen als erfolgreiche Manager. Sie vertrauen augenscheinlich auf die Markentreue deutscher Autokäufer, die sie seit Jahren belogen und betrogen haben.

# Die „Ehe für alle“ wurde auf Drängen von Angela Merkel noch rechtzeitig vor den Wahlen im September 2017 durch den Bundestag gepeitscht und zur Abstimmung gebracht – ohne eine Debatte im Deutschen Bundestag. Ein Überraschungscoup der Parteivorsitzenden.

Das ist eine Auswahl von Merkels Fehlentscheidungen, die jeder Wähler in Deutschland bei seiner Wahlentscheidung beachten sollte.

Ein erster Schritt war die überraschende Abwahl des langjährigen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder– trotz der Fürsprache durch Merkel, Seehofer und Dobrindt.

Der Nachfolger, Ralf Brinkhaus, betonte nach seiner Wahl wiederholt, dass er Merkel weiterhin unterstütze und „ kein Blatt Papier zwischen Merkel und ihn passe“. Die Lust auf eine Wende hört sich anders an.

Die Bewertung eines Insiders

Norbert Röttgen hat dem „Spiegel ein aufschlussreiches Interview gegeben. (s. Spiegel 41/ 6. 10. 2018). Er hat in der CDU in NRW und dem Bund eine wechselvolle Karriere hinter sich. Es ging relativ schnell vom „Shooting star“ zum Umweltminister und zur Ablösung durch Frau Merkel im Jahre 2012 – gegen seinen persönlichen Willen und gegen den Widerstand etlicher Kollegen. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages.

Sein Interview ist überschrieben: „Den Bach runter – der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen, 53, über die Fehler von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den drohenden Absturz der Volkspartei.“

Röttgen hat sich bislang nicht den Ruf eines „ Querdenkers“ oder eines Rebellen erworben.

Einige Bewertungen und Urteile Röttgens:

  • „systemische Erschöpfung“
  • „wenn wir das, worüber wir gerade gesprochen haben, nicht ändern, wird die Abwärtsspirale weiter-gehen.“
  • „wenn wir jetzt zunächst darüber diskutieren, wer wann was wird, anstatt uns endlich darüber zu einigen, wo wir politisch hinwollen, wäre das ein strategischer Fehler mit weitreichender Wirkung.
  • „Das Jahr seit der Bundestagswahl ist ein verlorenes Jahr.“
  • „Wir brauchen jedoch eine klare Botschaft, dass wir unsere Art, Politik zu machen, ändern werden. Sonst wird es uns nicht gelingen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.“

„Spiegel“: „Sie reden die ganze Zeit von inhaltlicher Erneuerung. Was meinen Sie konkret?“

Röttgen: „Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Migrationskrise hat uns völlig unvorbereitet getroffen. Dabei hat Deutschland wie fast alle europäischen Länder einen Hilferuf des Welternährungspro-gramms der Vereinten Nationen ignoriert. Offensichtlich stimmt etwas nicht in unserer Organisation der Politik, wenn es darum geht, Krisen zu erkennen. Selbst wenn sie eigentlich nicht mehr zu übersehen sind, reagieren wir nicht. Daraus muss man doch mal Schlüsse ziehen. Ich kann nicht erkennen, dass wir das bisher getan haben.“ (s. hierzu den Kommentar des Verfassers „Wann bekommt Deutschland endlich einen „Nationalen Sicherheitsberater“ – siehe https://www.conservo.blog/?s=nationale+sicherheitsberater vom 3. 10.18)

  • „Wir führen in der Union unproduktive Scheindebatten.“
  • „Aber es sind jetzt rund eine Million Menschen aus zum Teil sehr entfernten Kulturen hier. Anzunehmen, dass wir das mit unserem traditionellen Integrationsinstrumentarium, das einmal für türkische Gastarbeiter entwickelt wurde, bewältigen können, ist unrealistisch. Aber darüber diskutieren wir nicht.“
  • „Deshalb müssen wir in der Politik wieder strategische Führungskompetenz etablieren“
  • „Aber abstrakt gesehen, halte ich eine begrenzte Amtszeit für sinnvoll.“

Das zweiseitige Interview ist informativ. Es wäre wohl zu viel verlangt, nach der Analyse mehr über zukünftige Inhalte zu erfahren.

Es stellt sich die Frage nach seinen Motiven: Will er einen seriösen Beitrag zur notwendigen Erneuerung leisten, oder will er eine Rechnung mit Frau Merkel begleichen?

Egal, die Analyse kann hilfreich sein, wenn sie in der Spitze der CDU gelesen, ergänzt oder verworfen wird.

Die Zeit zum Parteitag im Dezember scheint zu kurz, um ein besseres Konzept für die Regierungsarbeit zu entwickeln, das über das über den Koalitionsvertrag hinausgeht,

Jetzt haben zunächst die Wähler in Bayern und Hessen das Wort    Die bisherigen Umfrageergebnisse lassen erwarten, dass die sog. “Altparteien“ Verluste erzielen werden, die das Bilden stabiler Koalitionen in kurzer Zeit weiter erschweren werden, zumal Gespräche mit der AfD tabuisiert werden. Eine weitere Ohrfeige für die Millionen AfD-Wähler, deren Stimmzettel in die Tonne getreten werden.

Ein schlechtes Omen für eine wehrhafte Demokratie.

Die aufgezeigte Bilanz der Regierung Merkel wird sich auf beide Landtagswahlen auswirken – nicht zu Gunsten der sog. “Altparteien“.

Der Ausgang der beiden Landtagswahlen wird das Thema Nr. 1 auf dem Parteitag der CDU im September sein.

Überraschungen sind nicht zu erwarten, aber nicht auszuschließen.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht. Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
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www.conservo.wordpress.com      10.10.2018
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Conservo-Redaktion