Merkels Rücktrittsankündigungsschreiben an die CDU-Mitglieder

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Heute, Dienstag, den 30. Oktober 2018 – 1 Tag nach Merkels Rücktrittsankündigung vom Amt der Bundeskanzlerin – schreiben sich die Gazetten die Finger wund. Den Jubelpersern der Königin von einst ist kein Superlativ zu hoch, um die baldige Ex-Kanzlerin zu preisen.

Es wundert mich aber nicht, daß die eher skeptischen oder negativen Stimmen aus den Presseorganen der neuen sowie der südlichen Bundesländer kommen. Dort herrscht nämlich heute eher Aufatmen – wie nach einer Befreiung von schwerer Last.

Hier einige Beispiele (Hervorhebungen von P.H.):

„Angela Merkel hat ihrer Partei die Tür für die Nach-Merkel-Ära geöffnet. Was die CDU daraus macht, liegt nun nur noch sehr begrenzt in ihrer Hand. Vielleicht auch deshalb wirkte sie in der Pressekonferenz fast ein wenig gelöst. Die Republik hingegen muss sich auf weiter unruhige Zeiten einstellen. Der 29. Oktober 2018 ist ein historischer Tag für unser Land. Wir erleben eine Zeitenwende.“ (WESTFALEN-BLATT aus Bielefeld)

„Ohne Beispiel ist auch der Stil, mit dem Angela Merkel nun ihren Rückzug aus der Politik in zwei Schritten ankündigt“ lobt die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG: „Nüchtern in der Analyse, würdevoll im Ton. Und zugleich ein wenig keck. So war diese Kanzlerin, wird es nun bald heißen: interessiert nur am Machbaren, an einer möglichst stabilen Versuchsanordnung. Interessiert daran, diesem Land zu dienen – in einer Welt, in der die politische Bühne immer mehr von machtbesessenen Männern, rücksichtslosen Diktatoren, selbstverliebten Präsidenten dominiert wird.“

Auch das FLENSBURGER TAGEBLATT zollt der Noch-CDU-Vorsitzenden Respekt: „Merkel hat ein neues Format auf die politische Bühne gebracht, ein nüchternes Geständnis ohne Selbstmitleid: Wenn es nicht mehr mit mir geht, dann wird es eben ohne mich gehen. Gehen müssen. Angela Merkel hat ihre Zeit gehabt, und sie hat sie genutzt. Wer kann das schon von sich sagen?“

Dagegen findet die SCHWERINER VOLKSZEITUNG, dass der Zeitpunkt für den Abgang schon längst gekommen war: „Aber die Frage nach der Alternative ließ offenbar Merkel und die CDU lange zaudern. Zu lange. Nicht einmal mehr die eigene Partei folgte ihrer Vorsitzenden noch ohne zu murren. Von den Wählern ganz zu schweigen. Eine Abwahl wie bei Helmut Kohl 1998 muss Merkel nun nicht mehr fürchten. Und sie ist klug beraten, für ihren Nachfolger im Regierungsamt auch schon frühzeitig den Stuhl zu räumen. Vor der Wahl“, betont die SCHWERINER VOLKSZEITUNG.

„Lang, viel zu lange schon haben die Uhren stillgestanden in Deutschland“, beklagt die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg. „Das mag seltsam klingen angesichts der Veränderungen der letzten Jahre: der Flüchtlingssituation, des damit zusammenhängenden Aufstiegs der AfD und ihres Einzugs in die Parlamente, des Zerfalls der Volksparteien, des innerpolitischen Streits. Aber, bei all diesen Umwälzungen herrschte doch ein seltsamer Stillstand in diesem Land, dominiert von einem immer leiser werdenden Mantra des ‚Wir schaffen das‘ und des ‚Weiter so‘. Diese Zeit ist nun vorbei. Merkel hat das Richtige getan: Sie hat angekündigt zu gehen. Sie macht den Weg frei. Sie lässt die Uhren weiterlaufen. Endlich.“

„Nach 18 Jahren an der CDU-Spitze ist ein Wechsel notwendig“, unterstreicht auch der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. „Merkel hat sich große Verdienste erworben, hatte der Partei nach Helmut Kohls Abgang und der Parteispendenaffäre wieder Selbstvertrauen eingeflößt. Sie hat modernisiert, aber auch beherrscht. Zuletzt war die CDU vor allem ein Kanzlerwahlverein.“

Die PASSAUER NEUE PRESSE bilanziert: „Dass Merkel jetzt die Reißleine gezogen hat, ist ihr hoch anzurechnen. Sie befreit ihre Partei damit aus einer nur noch verkrampft wirkenden Nibelungentreue, die zudem mehr als löchrig geworden war. Merkels Aufgabe wird es nun sein, den Übergang zu managen. Dabei bekommt sie es mit einer pikanten Personalie zu tun. Sollte ihr Intimfeind Friedrich Merz statt ihrer Vertrauten Annegret Kramp-Karrenbauer Parteichef werden, wäre die Palastrevolution perfekt. Für einen glaubwürdigen Neustart der CDU müsste das kein Schaden sein“, meint die PASSAUER NEUE PRESSE.

Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fasst zusammen: „Die Ära Merkel endet. Die Erneuerung, die Reformation der CDU kann beginnen. Das bringt auch die CSU in Zugzwang, das bringt auch die SPD in Zugzwang. Und es bringt neue Dynamik in die deutsche Politik, weil ein ‚Weiter so‘ nun auch bei den anderen Koalitionsparteien nicht mehr funktioniert. Wenn Merkel geht, werden auch andere gehen müssen. Das heißt: So viel Anfang war schon lange nicht mehr.“

Liebe Leser, in vielen Artikeln habe ich meine Meinung über Merkel offen dargelegt und fordere schon seit Jahren ihren Rücktritt. Diese Frau ist kein Fleisch vom Fleisch der CDU. Ihr fehlt ein Wertegerüst ebenso wie ein Gespür für menschliche Befindlichkeit. Sie hat der CDU die ideologische Basis unter den Füßen weggezogen. Das bleibt – während ihre Leistungen bald vergessen werden.

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Hier der Merkelbrief an die CDU-Mitglieder:

Merkel: Zu meiner heute bekanntgegebenen Entscheidung

29.10.2018 19:06,, von Angela Merkel (CDU) <mitgliederbrief@cdu.de>

An die Damen und Herren

Mitglieder der CDU Deutschlands

Liebe Freundinnen und Freunde,

Sie haben es sicherlich heute schon aus den Nachrichten erfahren: Ich habe heute Morgen unserem Präsidium und unserem Bundesvorstand mitgeteilt, dass ich auf unserem kommenden Parteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht mehr als Vorsitzende der CDU Deutschlands kandidieren werde. Es ist mir ein Anliegen, auch Ihnen auf diesem Wege meine Beweggründe für diesen Schritt zu übermitteln, so wie ich sie heute unseren Gremien dargelegt habe:

„Bundespolitisch können wir nach der gestrigen Wahl in Hessen, nach der Landtagswahl in Bayern, nach den Verwerfungen zwischen CDU und CSU im Sommer, nach der quälend langen Regierungsbildung, nach dem vorausgegangenen Scheitern der Bemühungen, eine Regierung von CDU, CSU, FDP und Grünen zu bilden, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Ich bin überzeugt: Wir müssen innehalten. Ich jedenfalls tue das. Und ich wünsche mir, dass wir den gestrigen Wahltag als Zäsur nehmen, dass wir alles auf den Prüfstand stellen, was wir spätestens seit der Bundestagswahl bis heute gesagt und getan haben. Und dann könnte in einer solchen Zäsur auch eine Chance liegen für die Volksparteien CDU, CSU und SPD, für alle demokratischen Parteien unseres Landes – zu klären, was dem inneren Frieden dient, was dem Zusammenhalt des Landes dient, und was eben nicht. Denn es ist mein Verständnis sowohl als Bundeskanzlerin aber genauso als Vorsitzende der CDU Deutschlands, dass die Demokratie von der mehrheitlich getragenen Übereinkunft lebt, dass ihre Staatsdiener alles in ihrer Macht Stehende für den inneren Frieden und den Zusammenhalt unseres Landes tun. Und dass sie sich immer wieder prüfen, was genau sie dafür tun können.

Das Ergebnis meines ganz persönlichen Innehaltens und meines Nachdenkens möchte ich Ihnen heute vortragen. Genauso wie ich das an dieser Stelle vor fast zwei Jahren schon einmal getan habe, als ich mich nach langem Nachdenken für die Bundestagswahl 2017 zur erneuten Kanzlerkandidatur entschlossen hatte. Ich habe heute den Eindruck, dass ich mit meinen Schlussfolgerungen und Erläuterungen nicht bis zur Klausurtagung unseres Bundesvorstandes in der kommenden Woche, die wir ja schon vor langer Zeit vereinbart haben, warten sollte. Denn jeder Tag trägt auch zur Klärung der Dinge bei, ganz besonders wenn die Menschen im Land, wie zuletzt gestern in Hessen, uns und letztlich auch mich persönlich in der Verantwortung sehen. Ganz egal, ob man immer an allem Schuld ist: Aber als Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende trage ich schon qua Amt die Verantwortung für alles. Für Gelungenes genauso wie für Misslungenes.

Wenn die Menschen uns also ins Stammbuch schreiben, was sie von den Vorgängen der Regierungsbildung auf Bundesebene und von der Arbeit der Bundesregierung in den ersten sieben Monaten halten, dann ist das ein deutliches Signal, dass es so nicht weitergehen kann. Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptabel. Ihre in weiten Teilen sehr ordentliche Sacharbeit hatte bislang überhaupt keine Chance, wahrgenommen zu werden. Und das hat tiefere Ursachen als nur kommunikative. Ich rede hier wirklich nicht allein, wie es so schön heißt, über ein Vermittlungsproblem. Ich rede über eine Arbeitskultur. Ich rede darüber, dass es eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte wäre, wenn man schon nach gut sechs Monaten den Stab über diese Bundesregierung brechen müsste, nur weil sie sich nicht in der Lage sieht, so zu arbeiten, dass es die Menschen nicht abstößt. Und darauf gilt es, sich zu konzentrieren.

Manche Entwicklungen der zurückliegenden Wochen und Monate halten meinen persönlichen Ansprüchen an die Qualität der Arbeit nicht stand. Ich habe das auch durch mein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Ich habe mir immer gewünscht und vorgenommen, meine staatspolitischen und parteipolitischen Ämter in Würde zu tragen und sie eines Tages auch in Würde zu verlassen. Zugleich weiß ich, dass so etwas in einer politischen Ordnung nicht gleichsam am Reißbrett geplant werden kann, sondern dass das nur in einer fortwährenden persönlichen Abwägung von Freiheit und Verantwortung wie auch in enger Abstimmung mit meiner Partei und zwischen den Koalitionspartnern einer Bundesregierung zu geschehen hat. Denn welche Entscheidung auch immer in welche Richtung getroffen wird, hat tiefgreifende Auswirkungen. Das muss nach bestem Wissen und Gewissen abgewogen und bedacht werden. Und das habe ich getan und das werde ich auch täglich weiter tun.

Welchen Beitrag kann ich also persönlich in der jetzigen Situation leisten für unser Land und für meine Partei? Ich bin seit nunmehr über 18 Jahren Vorsitzende der CDU Deutschlands. Eine Aufgabe, die ich mit Leidenschaft und Hingabe versuche auszufüllen. Und seit fast genau 13 Jahren bin ich Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland – ein Amt, das auszufüllen eine tägliche Ehre und Herausforderung ist.

Als ich am 30. Mai 2005 von dieser Stelle aus meine erste Kanzlerkandidatur öffentlich bekannt gegeben habe, habe ich sie unter anderem damit begründet, dass ich Deutschland dienen möchte. Deutschland und den Menschen zu dienen, das ist in Zeiten wie diesen eine sehr herausfordernde, aber auch erfüllende Aufgabe. Und dass ich das nun schon so lange tun darf, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe mal gesagt: Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren. Und das habe ich auch nie vergessen.

Zugleich habe ich das sichere Gefühl, dass es heute an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Und für mich ist es heute an der Zeit, Ihnen folgende Entscheidung mitzuteilen:

Erstens: Auf dem nächsten Bundesparteitag der CDU im Dezember in Hamburg werde ich nicht wieder für das Amt der Vorsitzenden der CDU Deutschlands kandidieren.

Zweitens: Diese vierte Amtszeit ist meine letzte als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2021 werde ich nicht wieder als Kanzlerkandidatin der Union antreten und auch nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren. Und – das will ich nur zu Protokoll geben – auch keine weiteren politischen Ämter anstreben.

Drittens: Für den Rest der Legislaturperiode bin ich bereit, weiter als Bundeskanzlerin zu arbeiten.

Viertens: Ja, mit dieser Entscheidung weiche ich in einem ganz erheblichen Maße von meiner tiefen Überzeugung ab, dass Parteivorsitz und Kanzleramt in einer Hand sein sollten. Das ist ein Wagnis, keine Frage. Aber unter Abwägung aller Vor- und Nachteile bin ich dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass es vertretbar ist, dieses Wagnis einzugehen. Wenn ich 2021 wieder als Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl antreten wollen würde oder ich mir heute darüber im Unklaren wäre, dann hätte ich diese Entscheidung so nicht getroffen. Aber ich versuche mit dieser Entscheidung, einen Beitrag zu leisten, der es der Bundesregierung ermöglicht, ihre Kräfte auf gutes Regieren zu konzentrieren, und das verlangen die Menschen ja zu recht. Und dieses Vorgehen fußt im Übrigen ausdrücklich auch auf der Absicht der Bundesregierung, eine Evaluierung ihrer Regierungsarbeit zur Mitte der Legislaturperiode vorzunehmen, die CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.

Fünftens: Meine Partei, die CDU, kann sich mit einer auf dem Bundesparteitag in Hamburg gewählten neuen Führungsmannschaft, verbunden auch mit dem Prozess für ein neues Grundsatzprogramm, auf die Zeit nach mir einstellen.

Ich bin mir bewusst, dass ein solches Vorgehen in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist. Aber ich bin davon überzeugt, dass das Vorgehen viel mehr Chancen als Risiko bietet – für unser Land, die Bundesregierung und auch für meine Partei. Diese Überzeugung habe ich auch aus meiner persönlichen Lebenserfahrung gewonnen: Zur Bundestagswahl 2002 habe ich dem damaligen CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur überlassen und für ihn und die Ziele der Union aus vollem Herzen und aus voller Überzeugung Wahlkampf geführt. Und heute ist es mir eine Herzensangelegenheit, in der letzten Legislaturperiode meines politischen Arbeitens einen Beitrag zu leisten, mit dem neuer Erfolg der CDU unter gleichzeitiger Wahrung staatspolitischer Verantwortung möglich ist.“

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Angela Merkel

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(Hinweis: Diese E-Mail ist für Peter Helmes bestimmt und wurde an die E-Mail-Adresse Peter.Helmes@t-online.de verschickt.)
Diese E-Mail wurde versendet durch die CDU Deutschlands, Klingelhöferstraße 8, 10785 Berlin, Telefon: 030-22070-0, Telefax: 030-22070-111, E-Mail: mitgliederbrief(at)cdu.de)
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