Gewichtsverlagerung im EU-Parlament möglich

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Farwick
Dieter Farwick

Von Dieter Farwick BrigGen a.D. und Publizist *)

Die „Europawahlen“ am 26.5.2019, die in Wahrheit „EU-Wahlen“ sind, können den Anfang einer Gewichtsverlagerung einläuten, in der Vernunft und Realpolitik als Handlungsanweisungen an Gewicht zunehmen können.

Der Begriff „Europa“ wird bewusst missbräuchlich verwendet, weil der Begriff „Europa“ als – noch – positiv wahrgenommen wird, besonders bei den Wählern, die „Europa“ in der misslichen Lage Deutschlands nach dem 2.Weltkrieg als Hoffnungsträger für den Ausbruch Deutschlands aus der politischen Isolation und dem eigenen Ausflug in die fremde, weite Welt erlebt haben – nicht nur geographisch durch Reisen, sondern auch durch das Erlernen von Fremdsprachen, durch die „neue“ Literatur und Aufführungen von aktuellen, westlich geprägten Theateraufführungen und Kinofilmen von Arthur Miller oder John Steinbeck oder Oscar Wilde.

Meine Generation, die das Glück hatte, im Westen Deutschlands leben zu dürfen, wurde in der westlichen Kultur „sozialisiert“. Daher ist die Enttäuschung umso größer, wenn man realisiert, was die überforderte Politik aus den Versprechen und Erwartungen der Anfangsjahre gemacht hat.

Diese Enttäuschung beschränkt sich nicht auf Deutschland, wie die jüngsten Wahlen in EU-Ländern belegen. Europakritische Parteien haben enorme Erfolge erzielt – wie zum Beispiel in Italien, Spanien und in Großbritannien. So rechnen Politikexperten nach den Wahlen mit einem Viertel der Sitze für euroskeptische Parteien im Parlament. Der Anteil kann sich im Endspurt vor den Wahlen noch steigern. Den Wählern muss deutlichgemacht werden, dass sie einen – wenn auch bescheidenen – Beitrag zu dieser erfreulichen Option leisten können.

Was sind erstrebenswerte Ziele?

# Die beiden großen Blöcke – die Europäische Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei Europas – müssen kräftig gestutzt werden.

# Damit verlieren die beiden Spitzenkandidaten – Weber und Timmermans – den „angeblichen“ Anspruch der Wahlsieger auf die „ automatische“ Nachfolge von Jean-Claude Juncker als EU-Präsident.

# Beide sind Anhänger einer „tiefen Integration“ in der EU – mit Brüssel als Zentralmacht.

# Beide wollen die „Nationalstaaten“ weiter marginalisieren.

# Beide wollen beide Tagungsorte – Brüssel und Straßburg – beibehalten.

# Beide wollen den Umfang der EU-Bürokraten von rd. 35.000 Mitarbeitern nicht reduzieren.

# Beide wollen die zu große Anzahl der Kommissare nicht reduzieren.

# Die europakritischen Parteien müssen an Gewicht im EU-Parlament gewinnen, um den Weg in die falsche Richtung zu sperren.

# Sie müssen das „Europa der Vaterländer“ gegen die zu erwartenden Widerstände durchsetzen.

# Die Auswahl des Personals für Spitzenpositionen muss sich an den jeweiligen Beiträgen zum EU-Haushalt ausrichten.

# Das neue Parlament muss die Suche für eine Alternative für ein besseres Europa starten.

# Das bessere Europa sollte sich an erfolgreiche Allianzen der deutschen und europäischen Geschichte orientieren – z.B. an der „alten Hanse“, die vierhundert Jahre den Frieden gesichert hat, weil sie auf die Bildung einer „politischen Union“ verzichtet hat.

Das bessere Europa sollte alle potenten europäischen Staaten umfassen – besonders die Schweiz und Norwegen. Den möglichen Mitgliedsstaaten müssen weitgehende nationale Souveränität und Eigenverantwortung übertragen werden.

# Ein notwendig werdender Austritt muss klar geregelt sein.

# Nach einem Austreten von Großbritannien aus der EU muss der EU-Haushalt entsprechend gekürzt werden.

# Alle „Ämter“ – auch die von Abgeordneten und Bürokraten – sollten auf zwei Legislaturperioden begrenzt werden.

Zusammenfassung

Die EU und die Eurozone sind nach wenigen Jahren de facto gescheitert. Die notwendige Reform können beide Organisationen aus eigener Kraft nicht leisten.

Es gibt aus der deutschen und europäischen Geschichte erfolgreiche Alternativen, die es wert sind, überprüft zu werden, um ihre Erfolgsgeheimnisse zu ergründen. Dazu bedarf es einer Vision mit Zukunftsoptimismus und Nationalstolz, die eine Begeisterung vieler Menschen entfachen kann, wie es meine Generation in jungen Jahren erleben durfte. Wir brauchen ein Europa der nationalen Vielfalt – und der Menschen, die stolz auf ihre Nation als Mitglied eines vereinten Europas sind.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
www.conservo.wordpress.com      16.05.2019
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