Ein Mord, den jeder begeht (aktualisierte Fassung 26.6.19, 11 Uhr)

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Von Helmut Roewer *)

Eine karge Chronologie zum Mordfall Lübcke aus meinem Sudelbuch sowie eine Bemerkung zum überraschenden Ausbruch von Bild aus dem Mainstream

Am 5. Juni 2019 notiere ich in mein Sudelbuch:

Der am Wochenende vor seinem Haus erschossene Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wäre heute keine so große Pressenummer, wenn der Ermordete nicht derjenige wäre, der vor knapp vier Jahren protestierende Bürger bei einer Anhörung dahingehend beschied, dass alle, die mit der Migrationspolitik nicht einverstanden seien, nicht gehindert wären, Deutschland zu verlassen.

Lübcke (2): Es lassen sich drei Dinge unterscheiden: Die Mordtat, die sinnlose Häme in den Kommentaren und das panikartige bis genüssliche Flügelschlagen von Mainstream. Hier wird ein im Lande herumirrlichternder teuflischer NSU 2.0 vorbereitet.

Und am 17. Juni 2019 schreibe ich:

Was für ein Glück: Nach dem ersten Fehlversuch ist es jetzt endlich, wie man hört, ein Rechtsextremist, der den Kasseler Regierungspräsidenten von zwei Wochen erschossen hat. Mainstream jubiliert, die Kommentare des Pöbels sind erschreckend.

Lübcke (2): Wird interessant sein, wie man den ursprünglich Tatverdächtigen (den tatort-bereinigenden Freund) und die gemeldete gleichzeitige Festnahme von drei RAF-Veteranen auf der Nordseefähre orwellisiert.

Zwei Tage später, am 19. Juni 2019, folgt:Der Fall des erschossenen Regierungspräsidenten bewegt sich in die erwartete Richtung. Gestern kam bereits flächendeckend das gewohnte Behördenversagen in den Fokus des polit-medialen Komplexes.

In Berlin am 22. Juni 2019 zwischen noch unbenutzten Gedecken notiert:

Es spricht überraschend einer von der Werteunion. Er betont, dass man sich gleichermaßen vom Abfackeln von Porsche-Geländewagen in Köln-Ehrenfeld durch linksextremen Pöbel und vom Mord im Kasseler Land durch Rechtsextremisten abzugrenzen habe. Nur mal so: Woher kennt er die Täter? Und auch dies: Was sind das nur für Typen, die sich im überholenden Gehorsam abgrenzen, anstatt ohne Ansehens der Person die Tataufklärung zu fordern und zu überwachen.

Werteunion (2): Es ist ohne Wert, sich von einem bestimmten Mord zu distanzieren, denn wer glaubt, er könne sich durch Abgrenzung von einer Bluttat vom Ruch der böswillig unterstellten Komplizenschaft befreien, der irrt.

Am 23. Juni 2019 bin ich überrascht:

Die mutmaßlichen US-Einkäufer des Springer-Konzerns wirken sich aus. Im Fall des Lübcke-Mordes haben sie, so wie ich es mir vorstelle, eine Abweichung vom Mainstream erzwungen. Bild sprach zwar nicht wie früher zuerst mit dem Toten, aber immerhin mit Freunden und Nachbarn des Ermordeten (alte Bullen-Weisheit: Frage den Nachbarn). Das Ergebnis: Der neue Blick irrlichtert zwischen Beziehungstat und Organisiertem Verbrechen.

Lübcke (2) oder im Westen nichts Neues: Die Spiegel-Schreiber sprechen das Urteil über den festgenommenen (Ex)-Rechtsextremisten. Kopf-ab-Journalismus in seiner schönsten Form.

Lübcke (3): Interessant ist lediglich, wie die Politik auf die sich anbahnende Kontroverse zwischen Bild und dem Rest der Medienwelt reagieren wird. Entscheidend wird sein: Vor wem haben unsere Polit-Heroen mehr Schiss?

Am selben Tag erreicht mich ein Kommentar aus Jena (zellerzeitung.de Nr. 783), den ich den Lesern nicht vorenthalten will:

Ein Mord ZellerUnd schließlich am 24. Juni 2019, als ich an diesen Zeilen hier sitze:

Selbst offensichtlicher Irrsinn ist steigerungsfähig: CDU-Spitzenmann Tauber, der allen Andersdenklenden die Grundrechte entziehen will, bezichtigt die Mit-CDU-lerin Erika Steinbach der Mitschuld am Lübcke-Mord. Was meint er bloß? Tatbeteiligung durch Anstiftung?

Ein Mord Tauber

Tauber (2) oder nur mal so: Wendet man die Rechtsgrundsätze dieses großen Demokraten auf die ungezählten Messermorde an, so…

Tauber (3): Solche Typen sind erfahrungsgemäß die ersten, die einnässen, wenn’s einmal ernst wird. Ein Trost für ihn: Die Bundeswehr, bei der er jetzt die B 11-Besoldung Monat für Monat im Geschenkpapier abholen darf, führt neuerdings auch Windeln im Zubehör.

  1. Juni 2019

Schnellschuss: Der festgenommene Stephan Ernst hat den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten bereits gestanden, berichtet die Presse über den angeblichen Inhalt einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestagsinnenausschusses vom Vortag.

Lübcke (2): Die erste Reaktion auf die Meldung über das Mordgeständnis sind Zweifel an deren Bonität. Das ist der NSU-Effekt.

Lübcke (3): Jetzt ist die Treibjagd eröffnet. Wer kannte den Mörder, wer hätte ihn kennen müssen? Ein braunes Netzwerk und seine Helfershelfer in den Behörden. Da ist viel Raum für das Sommerloch-Palaver.

Nach nochmaligem Nachdenken über die Entwicklung in der Mordsache Lübcke: Von Anbeginn war klar, dass wir hier ein ideales Schlachtfeld im Kampf gegen Rechts vor uns haben. Bei solcher Sachlage sind wir seit dem Auftauchen des sog. NSU daran gewöhnt worden, dass Fakten den Parolen weichen müssen. Justizopfer werden als Kollateralschäden in Kauf genommen.

Zurück nach Kassel: Nach glänzendem Auf-Galopp hat eines der Mainstream-Pferde den Parcours verlassen. Es ist die Bild, die in letzter Zeit den einen oder andern Jockey abgeworfen hatte, der nicht in der Lage war, den rasanten Abstieg des Springer-Blattes zu stoppen. Überrascht hat mich der prinzipielle Kurswechsel nicht so sehr. Erstaunlich fand ich allerdings, dass er nach dem in der Presse diskutierten Teilaufkauf des Springerkonzerns (z.B. https://finanzmarktwelt.de/finanzinvestor-kkr-will-massiv-bei-axel-springer-einsteigen-mehrheitsuebernahme-128052/) so schnell kam.

Ich kann mir drei Szenarien vorstellen: (1) Die neuen amerikanischen Eigentümer haben den Kurswechsel angeordnet (nicht sehr wahrscheinlich). (2) Die neuen Eigentümer haben mit der Abwicklung des Printbereichs gedroht (kann sein). (3) In den Redaktionen geht die nackte Angst um, dass dem Wechsel die Abwicklung folgt (ziemlich wahrscheinlich). In den Fällen 2 und 3 haben die Redaktionen von sich aus Knall auf Fall auf Sensations-Journalismus umgeschaltet oder, wenn man so will, zurückgeschaltet: Seht her, wir können auch Zeitungen machen, die das Volk interessiert und kauft.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob meine Annahme stimmt, und wie der Hase läuft. Die Frage lautet also: Werden wir wirklich einen Kampf zwischen Mainstream und der Bild erleben? Das ist, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, kein Kampf um die Wahrheit, sondern ums Überleben.

©Helmut Roewer, Juni 2019
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*) Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Panzeroffizier, zuletzt Oberleutnant. Sodann Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Rechtsanwalt und Promotion zum Dr.iur. über ein rechtsgeschichtliches Thema. Später Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesinnenministeriums in Bonn und Berlin, zuletzt Ministerialrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Präsident einer Verfassungsschutzbehörde. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand freiberuflicher Schriftsteller und Autor bei conservo. Er lebt und arbeitet in Weimar und Italien.
www.conservo.wordpress.com       26.06.2019
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