Putin in Osaka: „Liberalismus hat sich überlebt.“ – Ansonsten: G20-Gipfel für die Katz

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Von Peter Helmes

G20-Treffen in Osaka (28/29.6.19) – fast schon eine langweilige Routine und „business as usual“. Man redet (mehr oder weniger) miteinander und häufig aneinander vorbei.

 Merkel war auch dabei – aber ihr gesunkener Einfluß als (ehemalige) „Weltenlenkerin“ war nicht zu übersehen, festzumachen an der Personalie Manfred Weber (CSU/EVP). Der galt bis dahin als der neue EU-Kommissionspräsident, aber dank der fehlgegangenen „Unterstützung“ der deutschen Kanzlerin kam er als einfacher EP-Abgeordneter raus aus dem europäischen Postenschacher, das in Osaka fröhliche Urständ´ feierte – Macron sei Dank. Die Schacherei geht also weiter.

Trumps Führungsvorstellung

Nicht zu übersehen auch die zunehmende Kritik an der Rolle, die die USA inzwischen für die Welt spielen bzw. nicht mehr spielen. Trump hat sehr eigene Vorstellungen von der Führungsrolle seines Landes, auch Im Welthandel. Egal ob es darum geht, die Weltwirtschaft zu stärken, Barrieren für den Freihandel abzubauen, globale Klimaprobleme zu bewältigen, Armut zu bekämpfen oder die Lage im Nahen Osten zu entspannen – ohne die Supermacht USA geht nach wie vor nichts.

Das besonders aus der EU forcierte Ziel, „die Welthandelsorganisation zu reformieren, die Sicherheit zu stärken, den Klimawandel zu bekämpfen und Migrationsfragen anzugehen“ und dafür auf dem Gipfel die Verteidigung des Multilateralismus und des regelbasierten Handels zu fordern, wurde jedoch (wieder ´mal) weit verfehlt.Ohne Amerika kann nur wenig erreicht werden. So haben im Vergleich zum vorigen Jahr diejenigen Maßnahmen zugenommen, die den Welthandel behindern. Die Strafzölle der USA gegen China beispielsweise. Den Chinesen ist bisher ein Schaden von mehreren hundert Milliarden Dollar entstanden. Die Vereinigten Staaten von Amerika mußten ein Export-Minus von über 150 Milliarden Dollar hinnehmen. Der Handelskrieg wird auch dem Welthandel schaden. Solche Spannungen gab es zuletzt während des Kalten Kriegs. Es kann also nicht oft genug betont werden, daß diese G20-Treffen sinnlos sind.

Klar ist jetzt auch dem Letzten geworden, daß die Beschlüsse der G20-Treffen nicht bindend sind. Die Gipfel dienen weniger dazu, Lösungen für die gemeinsamen globalen Probleme zu finden. Vielmehr sind sie zu einer Plattform geworden, wo Spitzenpolitiker die Gelegenheit wahrnehmen (können), miteinander reden. Es scheint, daß Putin die Lage klarer erkannt hat als die Chinesen, die zu jammern anfangen.

Die G20-Staaten tragen 75 Prozent zum globalen Handel bei. Damit spielen sie eine entscheidende Rolle für die Weltwirtschaft. Aber angesichts unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen sind Interessenkonflikte unter den Mitgliedstaaten oft unvermeidbar. Und so maulen die Chinesen, „statt gemeinsam Lösungen zu finden, greifen manche Industrienationen auf Protektionismus und Unilateralismus zurück und schüren damit Konfrontationen“, wie WENHUI BAO aus Shanghai schreibt.

Immerhin, Putin und Trump haben sich zu später Stunde zusammengesetzt. Was sie genau besprochen haben, wissen wir nicht. Aber sie werden dem Eindruck entgegentreten müssen, daß ihre bilateralen Verhandlungen in der Luft schweben, weil sie (noch) keine Grundlage unter sich haben.

Putin löst eine angebliche „Welle der Skandalisierung“ aus

Trotzdem machte Putin besondere Schlagzeilen. „Floydmasika“ von unserem Partnerblog „Bayern ist frei“*) schreibt dazu:

„Beim Gipfel von Osaka gab Russlands Präsident Wladimir Putin um Mitternacht der Financial Times ein Interview. Englisch untertitelte Auszüge gibt es hier:
Eine Welle der Skandalisierung löste insbesondere eine Passage in diesem Teil aus, der das Phänomen Trump erklärt.

Darin bemerkt Putin, dass Trump, anders als die herrschenden „sogenannten liberalen“ Ideologen, verstanden hat, wo die Interessen seiner Wähler liegen und dass diese Interessen von der herrschenden Ideologie in vielfacher Hinsicht schlecht bedient werden.
Gut gefahren dabei seien (bei der „Globalisierung“ unter „liberalen“ Vorzeichen) hunderte Millionen Chinesen, die der Armut entkommen seien, aber in Amerika selbst habe die Mittelklasse eher dem Abbau ihrer Arbeitsplätze zugeschaut, während an der Spitze wenige reicher wurden.

Als ein weiteres Bespiel für die Inadäquatheit der „liberalen“ Ideologie nennt er die Politik der Offenen Grenzen. Anders als die im Westen weiterhin dominierenden „Liberalen“ habe Trump verstanden, dass an der Grenze zu Mexiko etwas getan werden müsse, wohingegen seine „liberalen“ Gegner nur ihre „Werte“ vor sich her trügen, um ihr Nichtstun zu rechtfertigen. Einen „Kardinalfehler“ habe Angela Merkel 2015 begangen.

Schließlich seien unter dem Vorwand der Gleichstellung von allerlei sexuellen Orientierungen und angeblichen Geschlechtern die Wertesysteme, auf dem das Leben der großen Mehrheit beruhe, unterminiert worden.

Wie bei aller demonstrierten Freundlichkeit die Interviewer der FT mit antirussischen Klischees arbeiten, zeigt Putin am Beispiel Venezuela auf.


Das Treffen von Putin und Trump dauerte länger als erwartet, und die amerikanischen Politiker und Medien nahmen an der Freundlichkeit von Trump Anstoß. Einer Journalistin, die ihn fragte, ob er sich auch russische Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf verboten habe, antworte er, indem er sich lächelnd Putin zuwandte und ihn aufforderte: „Unterlasse bitte jegliche Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf“.

Derzeit sind es Firmen wie Google, Facebook etc., die sich anschicken, die Wahlen von 2020 zu hacken, und bislang unternimmt niemand etwas.

Was die angeblichen Einmischungen von Russland von 2016 betrifft, so kam bei 2 Jahren Hexenjagd durch die Eselspartei und den Tiefenstaat nur heiße Luft heraus, und es zeigt sich umgekehrt, dass die Hexenjagd von Anfang an auf Fälschungen und Irreführungen beruhte (z.B. Steele-Dossier, ungeprüfte Behauptungen der Clinton-Kampagne), die ihrerseits noch juristischer Aufarbeitung bedürfen. Dennoch stellen Leitmedien wie z.B. „Die Presse“ weiterhin Trump unter Verdacht:

„Die liberale Idee setzt voraus, dass nichts getan werden muss. Die Migranten können ungestraft töten, plündern, vergewaltigen, weil ja ihre Rechte als Flüchtlinge zu schützen sind. Welche Rechte sind das? Jedes Verbrechen muss bestraft werden“,

so Putin in dem Interview. Mit seinen Aussagen zog der Kreml-Chef scharfe Kritik von EU-Ratspräsident Donald Tusk auf sich. „Wer immer behauptet, dass die liberale Demokratie überflüssig ist, der behauptet auch, dass Freiheiten überflüssig sind, dass die Rechtsstaatlichkeit überflüssig ist und dass Menschenrechte überflüssig sind“, sagte er – und konnte sich auch einen Seitenhieb auf Putin nicht verkneifen. „Was ich wirklich überflüssig finde, sind Autoritarismus, Personenkult und die Herrschaft von Oligarchen“, sagte er. […]

Betont freundschaftlich gegenüber Putin gab sich hingegen US-Präsident Donald Trump – obwohl sich das Verhältnis zwischen Russland und den USA unter seiner Amtszeit eingetrübt hat. Moskau und Washington streiten über den Atomabrüstungsvertrag INF, über die US-Sanktionen wegen der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, über die Syrien-Politik. Zudem ist die Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahl zugunsten Trumps seit mehr als zwei Jahren ein großes Thema in den USA. Eine Untersuchung durch Sonderermittler Robert Mueller hat Einmischungen bestätigt, unklar ist aber, inwiefern Trump und dessen Umfeld verwickelt waren.

Der US-Präsident scheint sich für die kommenden Wahlen darüber keine Gedanken zu machen. Im Gegenteil: Er machte sich bei einem Treffen mit Putin am Rande des G20-Gipfels sogar über eine entsprechende Journalistenfrage lustig. „Mischen Sie sich nicht in die Wahlen ein“, sagte er lächelnd und zeigte mit dem Finger auf den russischen Staatschef neben ihm.

Genauso tendenziös berichten Standard, FAZ und andere Qualitätsmedien. Alle heben z.B. die Aussage Putins, Verräter wie Skripal gehörten bestraft, hervor, ohne seine folgende Aussage zu zitieren, wonach Skripal bereits lange genug im russischen Knast gesessen hatte, als der ungeklärte Anschlag von Salisbury stattfand, für dessen russische Urheberschaft England nicht die Spur eines Beweises hat.

Die FT, die das Interview führte, ereifert sich über die angebliche Liberalismuskritik und Populismuspropaganda von Putin und antwortet mit einem strammen antipopulistischen Tirade ihres Vorstandes („Board“), der die Verknöcherung des „Liberalismus“, als dessen Zentralorgan sich die FT versteht, perfekt illustriert. Außer Beschmierung eines „populistischen“ Konglomerats von Feinden (Orban, Salvini, Le Pen, Farage), die Putin anführe, liefert der Artikel nicht einmal Anregungen zur Anpassung der „liberalen“ Ideologie an die Realität sondern plumpeste Durchhalteparolen, die in einer verklausulierten Aufforderung zum Festhalten an der EU und ähnlichen transnationalen Projekten gipfeln, deren Sinn darin besteht, heilige Regeln des „Liberalismus“ in Beton zu gießen und dem Zugriff des Souveräns zu entziehen.

Ähnlich abwegig interpretiert EU-Ratspräsident Donald Tusk das Interview von Putin. Während Putin den Liberalismus als solchen keineswegs diskreditiert und explizit seine Daseinsberechtigung anerkennt, machen Tusk, FT-Vorstand und andere aus dem Interview einen ideologischen Generalangriff in Et-Tu-Brute-Stil (Whataboutism), den sie mit ihrer eigenen generellen ideologischen Kriegserklärung beantworten. FT berichtet:

Donald Tusk, the European Council president, said he “strongly disagreed” with Mr Putin.

“What I find really obsolete is authoritarianism, personality cults and the rule of oligarchs,” he said.

FT insinuiert anschließend, auch am Brexit sei Putin schuld:

„As the de facto ruler of Russia for almost two decades, Mr. Putin, 66, has been regularly accused of covertly supporting populist movements through financial aid and social media, notably in the 2016 US presidential election, the Brexit referendum and the recent European Parliament elections.“

Auch hier sehen wir wieder, wer derzeit wirklich ideologische Kriege führt. Putin, der den Niedergang der Sowjetunion erlebte, fühlt sich wie viele Russen sowohl vom ideologischen Starrsinn der späten Sowjetunion als auch dem des späten Westens abgestoßen und ist sich bewusst, welchem Abgrund Russland seit 2000 entgehen konnte. (*Quelle: https://bayernistfrei.com/2019/06/29/putin-liberalismus/#more-82924)

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www.conservo.wordpress.com    29.06.2019
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