Nuklearmacht Iran: Das geheime Nuklearwaffenprogramm der iranischen Revolutionsgarden

(www.conservo.wordpress.com)

Von Hans Rühle *)  

Am 14. Juli 2015 einigten sich die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit dem Iran auf ein Abkommen zur Lösung der seit vielen Jahren streitigen Fragen des iranischen Nuklearprogramms. Der „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) – fror einerseits die Fähigkeiten des Iran zur Produktion spaltbaren Materials für 10 bis 15 Jahre ein; andererseits wurden alle gegen den Iran verhängten Sanktionen und UN – Waffenembargos ausgesetzt. Kontrolliert wird das Abkommen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA). Bisher gab es keine substantiellen Beanstandungen. Der Iran, so die Wiener Behörde mehrfach, sei „vertragstreu“.

So weit, so gut – könnte man meinen. Doch dem ist nicht so. Das Atomabkommen bezieht sich nur auf die 18 vom Iran gemeldeten Anlagen („declared sites“); dementsprechend kontrolliert die IAEA auch nur diese. Es gibt im Iran jedoch nicht nur ein ziviles Nuklearprogramm, das unter der Aufsicht der iranischen Atomenergiebehörde steht. Daneben, faktisch parallel und streng geheim, wurde seit 1984 von den Revolutionsgarden ein umfassendes nukleares Waffenprogramm aufgebaut, das fast ausschließlich in militärischen Anlagen disloziert ist. Die Fortschritte, die bei diesem Programm erzielt wurden, sind, wie noch zu zeigen sein wird, dramatisch.

Lange Zeit wurde diese Situation auf kaum mehr nachvollziehbare Weise bagatellisiert. Inzwischen hat die Regierung Trump jedoch erkennen lassen, dass der bisherige Zustand nicht mehr geräuschlos hingenommen wird. In seiner Rede vom 13. Oktober 2017 sprach Trump erstmals offen von „Irans geheimem nuklearem Waffenprogramm“ und forderte am 12. Januar 2018 die bedingungslose Öffnung aller – auch militärischer – Anlagen für die Inspekteure der IAEA. Sollte der Iran dies verweigern, würden sich die USA aus dem Abkommen – das ja kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern nur ein „non-binding agreement“ ist – zurückziehen, wodurch alle amerikanischen Sanktionen gegen den Iran wiederaufleben würden.

Irans Nuklearprogramm stammte aus den 1960 er Jahren. Der Schah plante, mit einem Investitionsvolumen von $ 30 Milliarden 20 Atomkraftwerke zu bauen. Das gesamte Nuklearprogramm wurde von der iranischen Atomenergiebehörde (AEOI) überwacht und seit 1974 regelmäßig von den Inspekteuren der IAEA kontrolliert. Doch der Schah hatte unzweifelhaft Ambitionen, die über dieses zivile Programm hinausgingen. Anlässlich einer Pressekonferenz 1974 antwortete er auf die Frage nach einer militärischen Option, der Iran werde über Nuklearwaffen „zweifellos und eher als Sie glauben“ verfügen.

Als Khomeini 1979 die Macht im Iran übernahm, erbte er ein gut entwickeltes ziviles Nuklearprogramm, mit dem der Schah den Iran zu modernisieren beabsichtigte. Zwei im Bau befindliche Kernkraftwerke in Busher und Ahwaz symbolisierten diesen Leistungsstand. Doch zunächst hatte Khomeini keinerlei Interesse, das nukleare Erbe anzutreten; er betrachtete das Nuklearprogramm als westliches Teufelszeug, mit dem der Iran vom Westen abhängig gemacht werden sollte, und stoppte abrupt den Weiterbau der Kernkraftwerke. Doch die nukleare Abstinenz Khomeinis dauerte nur wenige Jahre. Als der Irak im iranisch-irakischen Krieg (1980-88) chemische Waffen einsetzte und überdies Informationen kursierten, der Irak entwickle Nuklearwaffen, sah sich Khomeini veranlasst, darauf angemessen zu reagieren.

Im April 1984 verkündete der damalige Präsident des Iran, Ali Khamenei, den höchsten politischen und militärischen Verantwortlichen des Landes unter strengster Geheimhaltung, der Höchste Geistliche Führer, Ajatollah Khomeini habe entschieden, das Nuklearprogramm wieder zu aktivieren – einschließlich der Entwicklung von Nuklearwaffen. Nur auf diese Weise, so Khomeini, könne die islamische Revolution im Kampf mit ihren Feinden – USA und Israel – dauerhaft überleben. Khamenei selbst erklärte anschließend, dass ein nukleares Arsenal für den Iran ein „Instrument der Abschreckung in den Händen von Allahs Soldaten“ sein werde.

Die Verantwortung für den schnellstmöglichen Bau von Nuklearwaffen übertrug Khomeini den Revolutionsgarden (Pasdaran), einer von ihm 1979 gegründeten elitären religiösen Miliz, die nur ihm unterstand. Sie entsprach dem, was Khomeini während seiner Jahre im Exil sich vorgestellt und auch öffentlich immer wieder verbalisiert hatte: einer „islamischen Armee“ zum insbesondere innenpolitischen Schutz der islamischen Revolution. Khomeinis Wertschätzung der Revolutionsgarden war nahezu grenzenlos. Nachdem deren Personalstärke innerhalb eines Jahres 1979 von 4.000 auf 30.000 Mann angestiegen war, schwärmte Khomeini: „Wenn es die Revolutionsgarden nicht gäbe, würde dieses Land nicht existieren.“

Bezüglich des nuklearen Waffenprogramms wurden die Revolutionsgarden diesem Ruf gerecht. Bereits 1983 gründeten sie eine Organisationseinheit für nukleare Forschung und Technologie. Danach wurde die Trennung von zivilen und militärischen nuklearen Aktivitäten vollzogen. Die iranische Atomenergiebehörde war von nun an das offizielle Gesicht des iranischen Nuklearprogramms und zuständig für den Dialog mit Universitäten, Forschungsinstituten sowie den internationalen Kontrollagenturen wie der IAEA.

Die Revolutionsgarden betrieben das streng geheime nukleare Waffenprogramm in überwiegend militärischen Anlagen. An dieser Zweiteilung der nuklearen Aktivitäten des Iran hat sich bis heute im Grunde nichts geändert. Und dies, obwohl den westlichen Geheimdiensten diese fatale Entwicklung nicht entgangen war. Bereits 1984 kam der BND – wohl etwas vorschnell – zu dem Schluss, dass der Iran ein streng geheimes Nuklearwaffenprogramm betreibe und bereits erhebliche Fortschritte bei der Anreicherung von Uran erreicht habe.

1990 waren sich die westlichen Geheimdienste weitgehend einig, dass sich hinter dem offen deklarierten Atomprogramm des Iran ein hoch professionelles Geheimprogramm der Revolutionsgarden verberge. Zu dieser Erkenntnis trug wesentlich bei, dass die Beschaffungsverhandlungen des Iran mit dem pakistanischen Atomschmuggler Khan, die Mitte der achtziger Jahre begannen, ausschließlich von Angehörigen der Revolutionsgarde geführt wurden. Eine eher zufällige Zeugin für die nukleare „Geschäftsverteilung“ im Iran war die pakistanische Ministerpräsidentin Benazir Bhutto.

Während einer offiziellen Reise in den Iran im Jahr 1995 wurde ihr bei einem einschlägigen Gespräch hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert: „… im Iran sind die Revolutionsgarden für alle wichtigen nuklearen Fragen zuständig.“ Im Jahr 2006 stellte hierzu ein Mitarbeiter des Mossad apodiktisch fest: „Es gibt im Iran zwei parallel laufende Nuklearprogramme – eines, das gegenüber der IAEA offen deklariert wurde, und ein zweites, geheimes Programm, das von den Militärs und den Revolutionsgarden betrieben wird.“

Dem zunehmenden Wissen der Geheimdienste in den achtziger und neunziger Jahren über das geheime Nuklearprogramm des Iran standen jedoch keine entsprechenden Erkenntnisgewinne der Regierungen und der IAEA gegenüber. Der Grund hierfür war, dass die IAEA durchgängig und konsequent auf dem Standpunkt beharrte, der Iran erfülle alle Verpflichtungen, die ihm der Atomwaffen-Sperrvertrag auferlegt habe; insbesondere seien alle vom Iran gemeldeten Anlagen („declared sites“) ohne Einschränkung zugänglich; Iran habe ein Programm zur friedlichen Nutzung der Nuklearenergie – und sonst nichts.

Als 1991 die iranische Widerstandsgruppe „Volksmudschaheddin“ (MEK) anlässlich einer Pressekonferenz darauf hinwies, dass die Revolutionsgarden an der Entwicklung von Nuklearwaffen arbeiteten, bezeichnete der damalige Chef der IAEA, Hans Blix, diese Information als Bluff – und ging zur Tagesordnung über. Als die Vertreter einiger Staaten ihn aufforderten, die Aussagen der Widerstandsgruppe vor Ort zu überprüfen, sah sich der „blinde Schwede“, wie ihn seine nicht wenigen Kritiker nannten, zum Handeln veranlasst. Er ließ eine Gruppe zusammenstellen, die mehrere Anlagen überprüfen sollte. Den Inspekteuren schärfte Blix ein, größte Zurückhaltung im Umgang mit den zu Überprüfenden zu üben; es handle sich nicht um eine harte „challenge inspection“, sondern nur um ein bloßes „Vertrautmachen“ mit Örtlichkeiten und Personal. Im Übrigen mussten, wie bei der IAEA unter Blix üblich, Inspektionen mehrere Tage vorher angekündigt werden. Das Ergebnis der Inspektion von sechs Anlagen ergab keinerlei Beanstandungen.

Diese hier beschriebene Prüfungspraxis der IAEA dauerte von 1984 bis 2002, als die bereits genannte Widerstandsgruppe „Volksmudschaheddin“ durch Offenlegung der Anreicherungsanlage in Natanz, des Schwerwasserreaktors in Arak und weiterer kritischer Anlagen das nukleare Lügengebäude des Iran zum Einsturz brachte. Was blieb war die nunmehr unbestreitbare Erkenntnis, dass der Iran die Welt 18 Jahre lang belogen und betrogen hatte – 18 Jahre, in denen das offene zivile Nuklearprogramm gemächlich vor sich hin dümpelte, während die Revolutionsgarden unbehelligt Nuklearwaffen entwickeln konnten. Die Gefahr, enttarnt zu werden, war durch die wachsende Kritik an der Arbeit der IAEA zwar erheblich gestiegen, das Risiko, gestoppt zu werden, blieb jedoch gering.

Das Wissen um die Rolle der Revolutionsgarden wurde von den Geheimdiensten gehütet, die nationalen Regierungen jedoch nur „nach Bedarf“ oder auf Anfrage informiert. Da jedoch keine westliche Regierung Veranlassung sah, diesen Aspekt des iranischen Nuklearprogramms zu thematisieren und damit eigenen Handlungszwang auszulösen, fand keine öffentliche Diskussion dieser Materie statt. Damit waren alle zufrieden – fast alle.

Die israelische Regierung versuchte vergebens, ihre neuesten Erkenntnisse über den Iran den westlichen Regierungen zu vermitteln und Gegenmaßnahmen anzumahnen. Die Reaktionen waren gespenstisch, wie das deutsche Beispiel zeigt. Als General Moshe Ya‘alon, der Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes, in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre Deutschland besuchte, teilte ihm der deutsche Außenminister mit, Deutschland kenne das iranische Nuklearprogramm genau. Und weiter: „Wir sollten einen nuklearen Iran akzeptieren:“ „Die Europäer wissen, wie man damit umgeht.“ „Wir sollten nicht versuchen, das zu verhindern.“ Ya‘alon war wütend und übergab einige Zeit später Teile seines Materials an die Volkmudschaheddin, die sie 2002 öffentlich machten.

Danach begann eine turbulente Zeit. Auf der einen Seite fanden ab 2003 öffentlichkeits-wirksam Verhandlungen zwischen England, Frankreich, Deutschland und dem Iran über dessen Nuklearprogramm statt, beschränkt im Wesentlichen auf die vom Iran gemeldeten Anlagen. Einziges Kriterium waren hierbei die Anzahl der von Pakistan ab 1985 gelieferten bzw. vom Iran auf der Basis pakistanischer Blaupausen nachgebauten P-1-Zentrifugen; auf der anderen Seite, unbeeinflusst von den Verhandlungen, liefen in mehreren militärischen Anlagen moderne P-2-Zentrifugen auf Hochtouren. Die P-2-Zentrifugen, die das jeweils vierfache einer P-1-Zentrifuge produzierten, hatten es den Revolutionsgarden ermöglicht, mehrere kleine Anreicherungsanlagen zu betreiben und auf diese Weise ihre Anreicherungskapazität zu diversifizieren.

Zwar hat der Iran über viele Jahre geleugnet, die unstreitig 1995 von Pakistan gekauften Pläne für die P-2-Zentrifugen materiell umgesetzt zu haben; inzwischen ist aber insbesondere durch Aussagen von Khans früheren Mitarbeitern geklärt, dass nicht nur Pläne für die P-2 in den Iran gelangt sind, sondern auch Prototypen. Da der Iran Ende der Neunzigerjahre Tausende von Ringmagneten für P-2-Zentrifugen und große Mengen an Martensit-gehärtetem Stahl über Tarnfirmen weltweit beschafft hat, ist offensichtlich, dass es im Iran eine umfangreiche Produktion von P-2-Zentrifugen gegeben hat, bzw. noch gibt. Umso erstaunlicher ist, dass sich der Iran bis heute weigert, Auskunft über den Verbleib der P-2-Zentrifugen zu geben.

Über die Lösung dieses Problems sind sich die Experten inzwischen weitgehend einig: die P-2-Zentrifugen laufen ausnahmslos in militärischen Anlagen, die von der IAEA nicht kontrolliert werden (dürfen) und produzieren seit ca. 20 Jahren das für den nuklearen Bombenbau erforderliche hoch angereicherte Uran.

Inzwischen, noch während der Verhandlungen – bzw. Scheinverhandlungen – zwischen den Europäern und dem Iran, hatte dieser unter Mithilfe eines russischen Spezialisten einen entscheidenden Durchbruch bei der „weaponization“, der konkreten Gefechtskopfkonstruktion, erzielt: einem Bereich, in dem der Iran schon seit Beginn der neunziger Jahre aktiv war. Seit jenen Jahren verfügte der Iran nachweislich über ursprünglich chinesische, später von den Pakistani modifizierte Pläne für einen kompakten Gefechtskopf, der ohne größere Probleme in eine Raketenspitze der Shahab-3 integriert werden konnte. Die ersten offenen Meldungen hierüber erschienen erstaunlicher Weise in der japanischen Presse. Im August 2003 berichtete die Sankei Shimbun über die Präsenz iranischer Nuklearwissenschaftler und Techniker in Nordkorea während der vergangenen drei Jahre.

Aus militärischen Kreisen zitierte dieselbe Zeitung Informationen, es habe Diskussionen der Iraner und Nordkoreaner über nukleare Sprengköpfe gegeben. Im Juni 2004 meldete dann die Sankei Shimbun, Iraner und Nordkoreaner planten gemeinsame Tests wichtiger Komponenten für die Zündung eines nuklearen Sprengsatzes. Letzteres war der klare Hinweis auf die Absicht des Iran, bereits kurzfristig einen „kalten Test“ eines nuklearen Gefechtskopfes durchzuführen. Und alsbald verdichteten sich die Informationen aus den westlichen Geheimdiensten, dass der Iran in den vom Militär und den Revolutionsgarden betriebenen Anlagen einen „kalten Test“ durchgeführt habe.

„Kalter Test“ bedeutet in diesem Kontext, dass in einem durchkonstruierten Original-Gefechtskopf, bei dem man nur den Kern an spaltbarem Material durch eine Attrappe ersetzt hatte, ein echter Zündvorgang ausgelöst werden konnte. Die Zündung eines auf dem Implosionsprinzip beruhenden Gefechtskopfes ist der schwierigste Schritt beim Bau einer Nuklearwaffe. Ist der kalte Test bestanden, dann ist der Weg zur Bombe nur noch eine Frage von Tagen – vorausgesetzt, das dafür nötige spaltbare Material, also hoch angereichertes Uran oder waffenfähiges Plutonium, ist in ausreichender Menge vorhanden. Das dürfte für den Iran auch schon in der Zeit zwischen 2002 und 2005 kein Problem gewesen sein.

Um diese Informationen richtig einordnen zu können, empfiehlt sich ein Blick nach Pakistan. Als dort 1987 ein Implosionsgefechtskopf einen kalten Test bestand, war das Land nach dem Selbstverständnis seiner Regierung eine Atommacht geworden – auch wenn es noch Jahre dauern sollte, bis man dies öffentlich zugab und es der Welt noch viel später durch „heiße“ Tests bewies. Pakistan machte den entscheidenden Schritt zur Nuklearmacht – „crossed the line“, wie der pakistanische Generalstabschef jener Jahre es später formulierte – mit einem erfolgreichen kalten Test des Gefechtskopfes und in dem Wissen, über genügend spaltbares Material für eine Nuklearwaffe zu verfügen.

In einem Brief an den damaligen Präsidenten Pakistans, General Zia Ul Haq, schrieb der stolze A. Q. Khan – der im eigenen Land später als „Vater der pakistanischen Atombombe“ zu Ruhm und Ehre gelangte – „wir sind nun in der Position, jederzeit eine Nuklearwaffen zünden zu können.“ Wendet man diese Definition einer „Nuklearmacht“ auf den Iran an, dann ist das Land seit 2005/2006 Nuklearmacht. Und in der Tat veränderte sich die öffentliche Rhetorik der iranischen Führung in ihrer Selbstdarstellung in jenen Jahren erheblich. Im April 2006 verkündete Ahmadinedschad, der Iran sei nunmehr Mitglied des „nuklearen Clubs“. Kurze Zeit später bezeichnete er Iran als „ein nukleares Land“.

Es ist müßig, der Frage weiter nachzugehen, ob der Iran durch erfolgreiche kalte Tests und ausreichend hochangereichertes Uran in den Jahren 2005/2006 zur Nuklearmacht geworden ist.

Inzwischen sind mehr als zehn weitere Jahre vergangen – Jahre, die bezüglich des iranischen Nuklearprogramms einen dramatischen Verlauf genommen haben. Es begann am 24. Januar 2007 mit einem Artikel über „Nordkorea hilft Iran beim Test von Nuklearwaffen.“ Erschienen war der Artikel im „Daily Telegraph“, Verfasser war der Auslandschef des Blattes, Con Coughlin. Der Artikel beginnt mit der Feststellung, Nordkorea helfe dem Iran bei der Vorbereitung eines unterirdischen nuklearen Tests ähnlich dem, den es im Oktober des vorangegangenen Jahres selbst durchgeführt hatte. Im Vorfeld der konkreten Vorbereitungen stelle Nordkorea dem Iran alle Daten und Informationen zur Verfügung, die der erfolgreiche Test erbracht habe. Damit könnte das Wissen vertieft werden, das der Iran durch die Präsenz mehrerer Spezialisten beim Test schon gewonnen habe.

Coughlin, der bekannt – manche Kollegen nennen es berüchtigt – ist für seine Vernetzung in der britischen Geheimdienstszene, berief sich als Quelle seines Artikels auf einen „European defence official“. Coughlin, der als Autor des Buches „Khomeini‘s Ghost“ seine intime Kenntnis der nuklearen Verantwortlichkeiten im Iran inzwischen nachgewiesen hat, hatte seine Informationen wohl kaum überinterpretiert. Denn es gab im Iran schon Jahre vorher Überlegungen zur Durchführung eines heißen Tests. Anders ist nicht zu erklären, wie der Laptop, der 2003 dem BND mit über 1000 Seiten geheimer Informationen durch einen Überläufer zur Verfügung gestellt worden war, den Lageplan für einen 400 m tiefen Schacht zur Durchführung eines heißen nuklearen Tests enthalten konnte. Dazu kam es jedoch nicht. Das Risiko der Entdeckung und eines darauf folgenden Militärschlages der USA bzw. der Israelis war selbst den ansonsten wenig zimperlichen Revolutionsgarden zu hoch.

Doch es gab noch eine andere Möglichkeit, wie Nordkorea dem Iran bei der Durchführung eines dringend benötigten Tests behilflich sein konnte: indem es sein Territorium in Form eines vorbereiteten Testgeländes zu Verfügung stellte. Das geschah am 12. Mai 2010, als in Nordkorea ein unterirdischer Nukleartest stattfand. Er sollte geheim bleiben – und blieb es auch fast zwei Jahre lang. Am 4. März 2012 veröffentlichte die Welt am Sonntag einen Artikel mit dem Titel „Hat der Iran seine Bombe schon in Nordkorea getestet?“

Ausgelöst hatte diesen provokanten Beitrag ein Bericht der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ vom Februar 2012. Hierin wurden Erkenntnisse des schwedischen Nuklearphysikers Lars-Erik De Geer vorgestellt, der für die schwedische Verteidigungsforschungsagentur in Stockholm Radioisotope in der Atmosphäre erforscht. De Geer hatte Daten ausgewertet, die von verschiedenen Messstationen in Südkorea, Japan und Russland im Auftrag der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) gesammelt worden waren. Die Organisation selbst hatte keine eigene Auswertung unternommen.

Eine Analyse verschiedener kurzlebiger Radioisotope veranlasste De Geer zu der Aussage, Nordkorea habe im Jahr 2010 wahrscheinlich zwei geheime unterirdische Kernwaffentests auf der Basis hochangereicherten Urans durchgeführt. Zwar gab es sofort Widerspruch von anderen Nuklearwissenschaftlern; die Datenbasis des Schweden war jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt recht solide, zumal er auf umfangreiche Erfahrungen aus dem Kalten Krieg bei der Interpretation von Messdaten sowjetischer Nukleartests zurückgreifen konnte. Danach vergingen zwei Jahre intensiver Diskussionen De Geers mit seinen Kritikern aus der elitären Zunft der Nuklearwissenschaftler. Im Dezember 2013 meldete sich De Geer in einer Fachzeitschrift wieder zu Wort. Er blieb bei seinen grundsätzlichen Aussagen, räumte allerdings ein, dass es nur einen einzigen Test gegeben habe – am 12. Mai 2010. Dabei legte er Wert auf die Feststellung, dass bei einer nuklearen Explosion wie der hier diskutierten Signale gemessen worden wären, die eine andere Erklärung als einen nuklearen Test definitiv ausschließen würden.

Ob sich bei diesem Stand der Debatte jedoch ein internationaler, fachübergreifender Konsens über einen unterirdischen Nuklearversuch im Mai 2010 hätte dauerhaft etablieren lassen, ist fraglich. Immer und überall standen Zweifel im Raum, ob man ohne seismische Erkenntnisse eine derart weitgehende Aussage treffen konnte oder sollte. Doch diese insgesamt unbefriedigende Lage änderte sich schneller als erwartet.

In der Januar/Februar Ausgabe 2015 einer seismologischen Fachzeitschrift veröffentlichten zwei chinesische Wissenschaftler erstmals unbestreitbares seismisches Material über das Ereignis am 12. Mai 2010. Die Daten stammten vom „China Earthquake Networks Networks Center“. Insgesamt bestätigen sie die Aussagen De Geers eindrücklich. Zufrieden stellten die Chinesen fest: „Unsere Studie liefert den seismologischen Beweis für einen kleinkalibrigen Nukleartests in Nordkorea am 12. Mai 2010.“

Damit war die lange Zeit strittige Debatte über einen geheimen unterirdischen Nuklearwaffentest Nordkoreas Mai 2010 beendet – hätte man meinen können. Doch noch immer gab es Widerständler, die das Offensichtliche nicht wahr haben wollen. Daher blieb ihnen als einziges „Argument“ die mehr als waghalsige Annahme, bei den Erkenntnissen von De Geer einerseits und den Chinesen andererseits über das Ereignis vom 12. Mai 2010 handele es sich nur um eine zufällige Koinzidenz seismischer und radiologischer Daten.

Was aber bewegte die Abweichler zu ihren ungewöhnlichen Alleingängen? Zumindest eine Erklärung lag auf der Hand. Mit dem Verfahren, die Frage dezidiert offen zu halten, versagten sie sich absichtsvoll der Notwendigkeit, die Tatsache eines geheimen unterirdischen, auf Uran basierenden Kernwaffentests in Nordkorea im Mai 2010 sicherheitspolitisch zu interpretieren. Da warteten möglicherweise Antworten, auf die sich die Kommentatoren – zumindest noch – nicht einlassen wollten.

Doch eine dieser möglichen Erklärungen für den Test ließ nicht lange auf sich warten. Es war die Erkenntnis, dass der Test in Nordkorea ein Fremdtest für den Iran war. Denn alle Überlegungen, ob es außer dem Iran ein Land gebe, dessen Nuklearprogramm im Jahr 2010 genug spaltbares Material für einen nuklearen Sprengsatz generiert hatte, und das in seinem nuklearen Entwicklungsstadium dringend einen Realtest brauchte, hatten nur die Antwort: der Iran. Hinzu kam die enge militärische Kooperation zwischen Nordkorea und dem Iran bei der Durchführung der „kalten Tests“ und – nicht zuletzt – das Angebot der Nordkoreaner vom Januar 2007, Iran beim unterirdischen Test eines kleinkalibrigen Gefechtskopfes mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Nicht ohne Grund heißt es in einem Papier aus dem „Umfeld“ des BND, „es existieren Hinweise darauf, dass Nordkorea im Mai 2010 möglicherweise für den Iran einen Nukleartest ausgeführt hat.“ Dies ist – bei aller professionellen Zurückhaltung – eine bemerkenswerte Aussage.

Das vorläufig letzte Teil des Puzzles um den geheimen unterirdischen Test in Nordkorea lieferte John Bolton, der inzwischen zum nationalen Sicherheitsberater ernannte langjährige Staatssekretär im amerikanischen Außenministerium und spätere UN-Botschafter. In einem Artikel im Wall Street Journal vom 28. September 2017 bezog sich der mit der Faktenlage der amerikanischen Geheimdienste bestens vertraute Spitzendiplomat scheinbar hypothetisch zweimal auf iranische Aktivitäten „unter einem Berg in Nordkorea.“

Der Hintergrund dieser Aussage, die sich ja offensichtlich auf den unterirdischen iranischen Nukleartest in Nordkorea bezog, war zwar nur für Kenner der Materie verständlich – aber nichtsdestoweniger deutlich. Näher konnte man als Geheimnisträger an die reale Sachlage nicht heranschreiben, ohne sich strafbar zu machen. Doch, wie gesagt, für Kenner der Materie war es weit genug, um den Nukleartest vom Mai 2010 eindringlich als Qualifizierung des nuklearen Status des Iran als realer Nuklearmacht werten zu können.

Trotz dieser vergleichsweise soliden Indizienkette blieb es in Washington außergewöhnlich still. Und das, obwohl sich die selbstherrliche liberale Medienszene der Hauptstadt unter normalen Umständen eine solche Story nicht hätte entgehen lassen. Doch es war keine normale Zeit. In Washington regierte Obama und war inzwischen gerade dabei, mit dem Iran ein umfassendes Atomabkommen zu schließen, dass dem Iran für zehn Jahre den Weg zur Nuklearmacht verbauen sollte. Ein nachgewiesener vom Iran nicht mehr ernsthaft bestreitbarer „heißer“ Nukleartest hätte diesen Verhandlungsansatz wie ein Kartenhaus zum Einsturz gebracht.

Schweigen war das Gebot der Stunde, das von Regierung und Geheimdiensten vorgegeben und von der Obama-hörigen Presse willig umgesetzt wurde. Wie für Obama, der zu Beginn seiner Amtszeit die Maxime ausgegeben hatte: „Kein Krieg mit Iran, keine iranische Nuklearwaffe“, die Lage bezüglich des Iran wirklich war, formulierte ein führendes Mitglied von George W. Bushs geheimer „Iran Task Force“ in kleiner Runde schon kurze Zeit nach Obamas Regierungsantritt kurz und schmerzhaft:

„Entweder lügen die Geheimdienste weiter, oder es gibt eine Katastrophe für Obama.“

Die Antwort ist bekannt: Die Geheimdienste informierten zunächst ihren neuen Präsidenten zu Beginn seiner Amtszeit im Herbst 2008 über alle Details des iranischen Nuklearprogramms. Dabei erfuhr er nicht nur, dass der Iran noch rund ein Dutzend militärischer Anlagen der IAEA nicht gemeldet hatte, sondern auch, dass in diesen Anlagen seit den frühen neunziger Jahren von den Revolutionsgarden die nukleare Waffenproduktion des Iran mit viel Geld und modernsten technischen Mitteln durchgeführt wurde.

Ein zeitgleich erstellter Geheimbericht der IAEA vermittelte Obama den unerfreulichen Sachstand, dass der Iran nicht nur über „genügend Informationen“ verfüge, um eine Nuklearwaffe zu bauen, sondern auch der „wichtigste Teil“ eines Gefechtskopfes wahrscheinlich bereits getestet worden sei; letzteres war der klare Hinweis darauf, dass der Iran bereits einen kalten Test durchgeführt hatte. Und das war noch nicht alles. Anlässlich einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats im Frühjahr 2009 fragte Präsident Obama den damaligen Direktor der CIA, Michael Hayden, wieviel spaltbares Material der Iran in Natanz gelagert habe. Hayden antwortete: „Das ist fast ohne Bedeutung. Kein Elektron oder Neutron in Natanz wird je in einer Nuklearwaffe enden. Sie produzieren das waffenfähige Uran in einer geheimen militärischen Anlage, ohne das die IAEA es mitbekommt.“

Vor dem Hintergrund dieser Informationen und angesichts der Maxime, in seiner Amtszeit weder einen Krieg mit dem Iran noch eine nukleare Bewaffnung des Iran zuzulassen, entschied sich Obama, die vorgetragenen Erkenntnisse der Geheimdienste unter ein absolutes Schweigegebot zu stellen und eine neue „Faktenlage“ herstellen zu lassen, die ihm eine Politik erlaubte, in der das Nuklearwaffenprogramm der Revolutionsgarden gar nicht thematisiert wurde.

Und so geschah es: die Regierung Obama log sich eine vergleichsweise harmlose Bedrohungsanalyse – im Wesentlichen als Gefahr durch die in Natanz und Fordo aufgewachsene Zahl von Zentrifugen – zusammen, und die Geheimdienste logen fortan in diesem Sinne mit. Auch die Medien spielten mit – wobei unklar ist, ob sie die eigentliche Gefahr durch das parallele Nuklearwaffenprogramm der Revolutionsgarden nicht kannten oder nur Obamas Politik um jeden Preis zum Erfolg verhelfen wollten.

Das vorläufige Ende der Geschichte ist derzeit zu besichtigen. Die USA, einige Westeuropäer, Russland und China haben mit dem Iran ein Atomabkommen geschlossen, dass dem Iran für die nächsten 10 bis 15 Jahre die Herstellung von Nuklearwaffen unmöglich machen soll.

Doch hier kann man nichts mehr unmöglich machen.

Spätestens seit den Jahren 2005/2006 wussten alle westlichen Geheimdienste nachweis-lich, dass der Iran in Anlagen der Revolutionsgarden kalte Tests mit Originalgefechts-köpfen durchgeführt hatte. Damit war eine wichtige Schwelle überschritten: der Iran, der danach in der Lage gewesen wäre, jederzeit einen heißen Test durchzuführen, war zur virtuellen Nuklearmacht geworden. Auch war allen Geheimdiensten klar, dass es sich bei kalten Tests um Vorbereitungshandlungen für einen heißen Test handelte, auf den dann unweigerlich die Phase der Produktion folgen würde. So kam es dann ja auch.

Im Mai 2010 wurde der Iran durch seinen unterirdischen Test in Nordkorea zur realen Nuklearmacht. Seit dieser Zeit bauen die iranischen Revolutionsgarden ungestört ein Arsenal von Nuklearwaffen auf – während der Rest der Welt glaubt, mit dem Einfrieren des Potenzials von Zentrifugen in Natanz und Fordo den Iran ruhiggestellt und damit den Nahen Osten sicherer gemacht zu haben. Natürlich gibt es weiterhin Zweifler, die auf eine „smoking gun“ als letzten Beweis für ein nukleares Waffenprogramm bestehen. Für sie existiert die „smoking gun“ erst, wenn ein Atompilz sichtbar wird. Das wäre nichts anderes als politisches Harakiri – das Ende aller Politik mit ihrem grundsätzlichen Anspruch, Gefahren vorbeugend abzuwehren und Risiken zu minimieren.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das Atomabkommen mit dem Iran von Anfang an eine Farce war. An der realen Gefahr, die vom parallelen Nuklearwaffenprogramm der Revolutionsgarden ausgeht, ändert dieses Abkommen nichts. Keiner hat das klarer gesehen als John Bolton. Seinem Ruf als unbequemer, unnachgiebiger Überzeugungstäter gerecht werdend, hat er in der National Review vom 28. August 2017 einen Plan vorgestellt, wie die USA sich vom Atomabkommen mit dem Iran lösen könnten:

die Geheimdienste der westlichen Partner des Abkommens müssten nur ihre Dossiers über den Iran ohne Einschränkungen öffnen und die Fakten in einem Weißbuch der Öffentlichkeit vorlegen. Sollte dies gelingen, bedürfe es keiner weiteren Begründungen mehr, warum das Atomabkommen eine Farce sei und warum es folgenlos aufgegeben werden könne. Mit anderen Worten: wenn erst alle Fakten über das parallele nukleare Waffenprogramm der Revolutionsgarden bekannt würden, gebe es nicht nur einen öffentlichen Aufschrei des Entsetzens, sondern auch spontan massiven Druck auf die Regierungen, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

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*) Der Jurist und Ökonom Hans Rühle war von 1978 bis 1982 Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung und von 1982 bis 1988 des Planungsstabs des Bundesministers der Verteidigung. Danach koordinierte er den Aufbau der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und leitete eine Dienststelle der NATO. (Quelle: Wikipedia)

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