Der Alleinherrscher Chinas Xi Jinping unter Druck?

(www.conservo.wordpress.com)

Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es für China nur eine Richtung: nach oben. Mit einer beispiellosen Gewaltanstrengung erkämpfte sich China einen Platz an der Spitze neben den USA, es überflügelte ehemals führende Wirtschaftsmächte – inklusive europäische Staaten und Japan, es wurde Exportweltmeister vor Deutschland, es mauserte sich von der „billigen“ Werkbank zu einem High-Tech-Staat. Sein Militär macht der Weltmilitärmacht USA starke Konkurrenz zu Lande, im Wasser und in der Luft bis zum Weltraum. Den Preis zahlt die Bevölkerung.

China ist ein nahezu „ perfekter“ Überwachungsstaat – also Unrechtsstaat. Das gilt insbesonders für die westliche Provinz Xianang, die Blaupause für die Ausweitung auf das Riesenreich liefert. Jeder chinesische Bürger – auch jede ausländische Firma hat oder bekommt ein Punktekonto, auf dem alle positiven und negativen Leistungen und Verstöße aufgelistet und bewertet werden. Negative Leistungen führen zu einem Punktabzug, dem Sanktionen beigefügt werden- vom Hausarrest bis zur Entlassung aus dem Betrieb. Positive Leistungen unterstützen z.B. Aufnahme und Karriere in der Kommunistischen Partei. Seine weltpolitischen Ambitionen verkündete Xi Jinping mit der Gesamtstrategie „ One belt – one road“.

Wie bei einer Krake führen seine Tentaklen in alle Himmelsrichtungen – auch bis zum Binnenhafen in Duisburg, der riesigen Umladestation für Europa, neben dem „griechischen“ Hafen von Piräus. Mittlerweile umfasst das gigantische, geostrategische Projekt mit den Investitionen von rd.60 Billionen Dollar in rd. 60 Staaten, denen China „ nationale“ Projekte mit handelsüblichen Krediten ermöglicht. China kann davon ausgehen, dass hochverschuldete Staaten die Zinsen nicht mehr aufbringen können und China die Projekte übernimmt. Mittlerweile erkennen einige Kreditnehmer, dass alle Vorteile in der Hand Chinas sind. Arbeitskräfte und Baumaterial kommen aus China. Auf Sri Lanka sind ein kompletter Flugplatz für Passagiere und eine Tiefseehafenanlage zu besichtigen – mit Personal und ohne Passagiere und Fracht. Freunde hat sich China mit seinen Projekten nicht gemacht.

Viele Beobachter erkennen nicht, dass „One belt – one road“ keine Teilstrategie für die Ausweitung für Tourismus und Handel ist, sondern eine umfassende von Xi Jingping gesteuerte Gesamtstrategie – auch mit einer starken militärstrategischen Komponente, die ein Ziel hat: Chinas Rückkehr als Reich der Mitte.                              

Wo und wann ist der Virus aufgetreten? Der Ausgangsort ist die Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan – mit ihrem Fischgroßmarkt. Es gibt einen tragischen Helden: Li Wentiang, einen Arzt in einem Krankenhaus in Wuhan. Er meldete am 30. Dezember 2019 seinen Kollegen, dass auf dem Fischgroßmarkt sieben „SARSFälle“ erkannt worden seien. Er warnte vor dem Ausbruch einer Epidemie. Für diese Meldung wurde er nicht gelobt, sondern verhört, verhaftet und gezwungen, eine „Schweigepflichtserklärung“ zu unterschreiben. Gegen diese Erklärung hat er verstoßen, was seine Verhaftung zur Folge hatte. Nach wenigen Tagen ist er verstorben. Seine Warnung ist nicht auf die Ebene der „Entscheider“ in der Provinz Hubei und in der Hauptstadt Wuhan gebracht worden. Nur die haben die Autorität und die Macht, andere zu informieren und Entscheidungen zu fällen. Der Verdacht fällte auf Fledermäuse, die in dem Labor untersucht werden.

Der Reflex in einer Diktatur lautet: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“

Die getroffenen Maßnahmen waren spektakulär. Die Kommunistische Partei Chinas und ihre zahlreichen Helfer schafften es in 12 Tagen, in Wuhan ein komplettes Krankenhaus mit 1000 Betten aus dem Boden zu stampfen. Der Zustand der Unsicherheit und der Vermutungen wird noch einige Zeit – vielleicht sogar noch Monate – dauern. Bauernopfer hat es jedoch schon einige gegeben. Höhere Politiker und Beamte der Provinz Hubei und ihrer Hauptstadt Wuhan sind bereits entlassen worden Zwei Fragen schweben im Raum:

# Warum gibt es ein solches Labor, in dem gefährliche Viren untersucht werden, im Zentrum Wuhans nur 280 Meter vom Großfischmarkt entfernt?

# Wie konnte es zu einem Austritt des gefährlichen Viren kommen? Gab es keine ausreichende Sicherheitsvorkehrungen, oder war es die Folge menschlichen Versagens?

Um welchen Virus handelt es sich?

Labore und Virusforscher aus aller Welt in enger Verbindung mit der WHO haben bislang keine Antwort. Überraschend waren die ersten Kommentare. Obwohl man den Virus und seine Gefährlichkeit noch nicht kannte, wurde die deutsche Bevölkerung vom Robert-Koch-Institut und renommierten Virologen „beruhigt“. Auch der Gesundheitsminister erklärte mehrfach, dass Deutschland bestens vorbereitet ist. Es gab die Annahme, dass der Virus nicht von Mensch-zu-Mensch übertragen werden könnte. Ein fataler Irrtum.

Nachdem weltweit an die 70.000 Menschen infiziert und rd. 2000 Menschen an dem Virus gestorben sind, sähen die Kommentare heute anders aus. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen ansteigen, da die Erkrankung eine lange Inkubationszeit und Ähnlichkeiten mit grippalen Infekten aufweist.

„Die heimliche Pandemie“ So lautet der Titel eines Berichts im „Spiegel vom 15.02.2020“

Wegen der angesprochenen Probleme weiß man noch nicht, wo überall der Virus zugeschlagen hat. Es gibt erste Meldungen aus allen Teilen der Welt – von Singapur über Afrika bis Europa. Die WHO hat bereits am 30.01. „die internationale Gesundheitsnotlage“ ausgerufen. Die Organisation sorgt sich insbesondere wegen der Gefahr, dass schwache Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika nicht über ein Gesundheitssystem verfügen, um diesen Vrus zu erkennen und zu behandeln. Es ist zu befürchten, dass sich die Pandemie global weiter ausbreitet. In dem Artikel wird der Braunschweiger Epidemologe Krause deutlich: „Es ist dringend geboten, die Bevölkerung und das Gesundheitspersonal jetzt darauf vorzubereiten, dass sich die Lage dramatisch zuspitzen kann ….Wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wiegen.“ (s. Spiegel „Die dritte Schlacht“ vom 15.02.2020).

Das sind andere deutsche Äußerungen, die man heute am 22.02 2020 sehr ernst nehmen muss, ohne in Hysterie und Panik zu verfallen. Der Arzt wurde verhört und verhaftet und starb im Alter von 33 Jahren nach Tagen im Krankenhaus an dem Virus, vor dem er gewarnt hatte. Seine Warnung ist nicht auf die Ebene in Wuhan und der Provinzregierung in Hubei gebracht, wo auch unangenehme Meldungen den Vorgesetzten vorgelegt werden, die auch die Autorität haben, die Öffentlichkeit zu informieren und Maßnahmen zu treffen.

Das geschah in der Provinz in Wuhan in spektakulärer Weise. So wurde von der Kommunistischen Partei und ihren zahlreichen Helfern innerhalb von 12 Tagen ein komplettes Krankenhaus mit 1000 Betten und entsprechendem Personal aus dem Boden gestampft. Eine grandiose Leistung, die jedoch den eingetretenen Zeitverlust nicht mehr wettmachen konnte. Im Verlauf der Epidemie erwies sich die Annahme als falsch, der Virus können nicht von Mensch-zu-Mensch übertragen werden. Ein weiterer fataler Irrtum.

Welche Auswirkungen hat der Coronavirus Covid-19 in China?

Ins Auge fällt sofort die Auswirkung auf das Leben der Menschen. Millionenstädte wurden unter Quarantäne gestellt, die Einkaufsläden sind geschlossen, der Individualverkehr mit Autos wurde verboten, der öffentliche Transport mit Flugzeug, Eisenbahn und Metro sowie Tram wurde auf ein notwendiges Minimum für Menschen limitiert, die für den Kampf gegen den Virus benötigt wurden. Das Staatsfernsehen zeigt leere Straßen. Die notwendigen Medikamente und Lebensmittel wurden von Pflegepersonen zu den Häusern und Wohnungen gebracht. Für westliche Staaten und Gesellschaften eine unvorstellbare Leistung, wohl nur in einer Diktatur möglich. Im Gegenzug zu früheren Zeiten war die Bevölkerung nicht allein auf Staatsmedien angewiesen. Um die 800.000 Internetnutzer finden Mittel und Wege, sich in nationalen und internationalen Systemen zu informieren. Sie konnten die Unterschiede zwischen den staatlichen und den „sozialen“ Medien erkennen und bewerten. Mutige Blogger mit Kameras schlichen in die überforderten Hospitäler, lieferten unbeschreiblich unmenschliche Photos und erzählten von bösen Menschenrechtsverletzungen.

„Dazu kommt, dass die Epidemie die erste Großkatastrophe ist, der Peking in Echtzeit in den sozialen Medien begegnen muss – und der dort geäußerte Unmut ist beträchtlich. Unter anderen kritisieren Nutzer, dass der Parteiführer in der Krise lange abwesend war. Stattdessen schickte er Premierminister Li Keqiang. “Wo ist jene Person?“ fragten Chinesen, bis die Zensoren diesen Code verstanden und blockierten.“ (s. Spiegel vom 15.02.2020)

Daher wurde die Nachricht, Xi Jingping habe bereits am 7. Januar die Anweisung gegeben, den Virus zu bekämpfen, mit Skepsis registriert.

Für den Alleinherrscher kam es zu einem riesigen Vertrauensverlust, der schon über Monate durch die Krise in Hongkong hinzunehmen war.

Ältere Menschen können sich noch an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und anderen Städten im Juni 1998 erinnern. Dieses Massaker ist bislang von den chinesischen Regierungen nicht aufgearbeitet worden.

Die chinesische Wirtschaft leidet. Die Produktionsstätten sind geschlossen. Lieferketten von und nach China sind unterbrochen. Selbst wenn die Arbeiten wieder aufgenommen werden können, wird es einige Zeit dauern, bis die unterbrochenen Lieferketten wieder laufen und die Werktätigen nach längerer Zwangspause an ihrem Arbeitsplatz gesund eingetroffen sind. Lieferengpässe wird es weltweit geben. Alle materiellen Einbrüche und die Dellen im Wirtschaftswachstum werden nach Monaten gelindert oder vergessen sein. Nachhaltiger ist der Vertrauensverlust bei der chinesischen Bevölkerung und den Handelspartnern.

„Die dritte Schlacht dagegen ist voll entbrannt. Sie entspinnt sich im Netz, es geht um nichts weniger als um die Legitimität der Herrschenden. Denn es ist die Kommunistische Partei Chinas, die für die Unversehrheit ihrer Bürger verantwortlich ist. Erweckt sie den Eindruck, darin zu versagen, bröckelt ein Pfeiler ihrer Macht.“ ( s. Spiegel vom 15.02.2020)

Wie geht es weiter?

Es gibt keinen Grund zur Schadenfreude. Dazu sind wir zu stark abhängig von China – als Produzent und Konsument. China ist für die gesamte Welt ein wichtiger Handelspartner. Je länger die Räder in China still stehen, umso stärker und nachhaltiger werden die globalen Auswirkungen sein. In Deutschland wird besonders die Automobilindustrie belastet werden. Dann drohen Lohnausfall, Arbeitszeitkürzungen und Entlassungen, die unsere Sozialsysteme über Gebühr belasten.

Für die Zukunft ist es nicht nur für Deutschland sehr wichtig, eine große Abhängigkeit von anderen Staaten zu verringern oder durch eine gegenseitige Abhängigkeit zu mildern. Ein überzogenes Gewinnstreben kann zu menschengemachten Katastrophen führen. Seit Jahren gibt es in den Produktionsstätten und Lebensmittelketten nur eine geringe Lagerhaltung. „Just in time“ hieß die Parole. Dieses System muss auch überdacht werden.

Die Welt ist in Unordnung. Auch ohne Pandemien gibt es Risiken für Wirtschaft und Handel. Dazu zählen auch flächendeckende Stromausfälle – auch in Krankenhäusern und Arztpraxen. Solange der Brennstoff noch reicht, wird es Verkehrschaos geben, zumal die Ampeln ausfallen. Die Elektrifizierung bei den Eisenbahnverbindungen ist ein Unsicherheitsfaktor.

Auch für private Haushalte ist ein Vorrat an Getränken und Lebensmitteln vorzusehen. Der Individualverkehr kommt nach kurzer Zeit zum Erliegen. Auch der Massentourismus in den Urlaub oder zu sog. “Klimakongressen“ mit tausenden Teilnehmern aus aller Welt wird zum Erliegen kommen. Dazu gibt es eine skurile Nachricht: Der Schwarzwald ist für Chinesen ein beliebter Ort – auch zum Kauf von Kukucksuhren jeglicher Art und Größe. Es gibt keine chinesischen Touristen mehr, die diese Uhren en gros gekauft haben. Diese Läden sind leer. Das World Wide Web – sprich das Internet – wird nicht mehr funktionieren – so wenig wie die gewohnten Kommunikationseinrichtungen – auch durch den Weltraum. TV und Radio bleiben stumm. Auch die medizinische Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten und Behandlungen sollte nicht von täglichem Nachschub und der Verfügbarkeit von Ärzten und Pflegepersonal abhängig sein. Die Landwirtschaft wird Probleme bekommen, wenn die Kühe in großen Farmen nicht mehr zeitgerecht gemolken werden können. Erste Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten aus Asien gefährden bereits heute Menschenleben. Depots mit lebenswichtigen Medikamenten sollten per Gesetz dezentral angelegt werden. Die Versorgung mit Strom und Gas wird nicht mehr funktionieren. Ein Notstromaggregat sollte kein Luxus sein. Es kann Leben retten!!!

Wir müssen die gegenwärtige Pandemie als Weckruf in einer unsicheren Welt betrachten!!! Wie in der Schweiz sollte es in Deutschland regelmäßig Übungen geben, in denen die „Katastrophenvorsorge“ auf den Prüfstand gestellt wird.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
www.conservo.wordpress.com      25.02.2020
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Conservo-Redaktion