Blick in den fernen Spiegel: Die Welt vor und nach „Corona“

(www.conservo.wordpress.com)

Von altmod *)

Es heißt, es ist die größte Katastrophe, welche unser Land und die ganze Welt seit dem 2. Weltkriegs heimsucht. Und jetzt hat es also auch uns erwischt, diese bevorzugte Generation der „Baby-Boomer“ und deren Nachfahren.
70 Jahre ohne Krieg, ohne existenzbedrohende Wirtschaftskrisen a la 1929, ohne lebensbedrohende Seuchenszenarien wie die spanische Grippe 1919 oder die Pest im Mittelalter. Ungarkrise 1956, Kubakrise 1962, Ölkrise 1973, diverse Börsen- oder Finanzkrisen von 1987 bis 2008 oder 2010, 9/11 haben wir bewusst erlebt. Aber alles scheint wohl ein echter „Fliegenschiss“ gegen das, was wir gegenwärtig erleben müssen. Keines der genannten Ereignisse ist derart tief ins öffentliche und unser privates Leben eingetreten, wie die sog. Coronakrise.

Gegenwart

Wir können den Horrormeldungen in den Medien jeglicher Gattung nicht mehr entgehen oder uns entziehen.

* Die Angst vor einem unheimlichen Eiweißkonglomerat – genannt Virus – wird Tag für Tag mehr befeuert.* Jeder, der nur marginal mit Medizin, Epidemiologie und Seuchenhygiene zu tun hat, ist bemüßigt, seine eigentlich unmaßgebliche Meinung zum Thema beizutragen: Mathematiker, Soziologen, Philosophen, „wissenschaftliche Marxisten“ und trägt zu weiterer Verwirrung bei.

* Qualitäts-Blättchen berichten reißerisch von schrecklichen Todeskämpfen in überfüllten Krankenhäusern, zeigen Bilder von Kolonnen von Militärfahrzeugen, mit denen die Särge der an Corona Verstorbenen abtransportiert werden.

*Berichte von total überforderten Ärzten und Pflegern.

* Intensiveinheiten und Beatmungsgeräte, Schutzanzüge oder Atemmasken fehlen allerorten.

* Kollaps der angeblich weltbesten Gesundheitssysteme.

* Menschen, die von ihrer Arbeit unmittelbar leben – nicht aber wohl die im Öffentlichen Dienst alimentierten Aktenschieber und Amtsknechte, Volksbeschwafler und Fälscher z.B. an den Universitäten – geraten über Nacht in massive finanzielle und berufliche Existenzängste.

* Die Leute ernähren sich eingesperrt in ihren Wohnungen möglicherweise bald nur noch aus Konserven.

* Personen werden immer mehr von all ihren Beziehungen abgeschnitten und geraten in soziale Isolation.

* Körperliche Berührungen jeglicher Art werden untersagt.

* Das Gehen an die frische Luft und in die Sonne wird möglicherweise auch bald unterbunden, und draußen wartet vielleicht die Polizei oder wie in Frankreich das Militär, wenn du den Anweisungen nicht Folge leistest.

* Dazu das Voneinander-Dividieren von Jung und Alt.

.* Millionen geraten durch die sich immer mehr radikalisierenden staatlichen Verordnungen in einen Zustand der Ohnmacht und Hilflosigkeit.

* Menschen gelangen in eine Art Trauma-Situation, der nur gereifte, lebensstarke Personen noch ohne Fremdhilfe entkommen können.

Der ferne Spiegel

Als mir das alles durch den Kopf ging, erinnerte ich mich an eine für mich sehr wichtige Lektüre, an eines meiner Lieblingsbücher: „Der ferne Spiegel“ von Barbara Tuchman*. In ihrer historischen Betrachtung verknüpft sie die Ereignisse des so ausnehmend katastrophalen 14. Jahrhunderts mit der Lebensgeschichte eines französischen Adligen. Sie berichtet von den merkwürdigen Auswüchsen, welche diese Zeit hervorgebracht hat und welche durch die Katastrophen tief gesunkene, kollektive Moral der Gesellschaft des 14. Jahrhunderts zu erklären ist. So zogen erneut hysterische Bewegungen durch die Städte; ähnlich den Flagellanten und den Kinderkreuzzügen, die schon im 13. Jahrhundert in ganz Europa apokalyptische Stimmung verbreitet hatten.
Sie schreibt auch: „Zum großen Unglück dieses Jahrhunderts trug kein einzelner Faktor mehr bei als das ständige Missverhältnis zwischen dem Anwachsen des Staates und den Mitteln zu seiner Finanzierung.“

Ohne noch eine wirkliche Katastrophe erlebt zu haben, konnte man in den angeblich fortschrittlichsten, aktuellen Jahrhunderten schon Ähnliches beobachten: die Züge der Klima-hysterischen Jugend an den von ihnen ausgerufenen „Fridays for Future“.
Auch wir konnten wie im 14. Jahrhundert Gruppen beobachten, die einer Art Tanz- und Vergnügungswahn verfallen sind und u.a. bei sog. „Love Parades“ durch die Straßen ziehen. Wenngleich die Teilnehmer heute nicht davon überzeugt sind – wie damals – von Dämonen besessen zu sein, tanzen sie doch berauscht durch Alkohol, Ekstasie und dröhnende Musik offensichtlich gegen neue, eigene Dämonen an.
Dämonen, die aus einer geistigen Verwahrlosung bei bisher noch so nie erlebtem, höchstmöglichem Wohlstand geboren wurden.

»Spontane Symptome einer verstörten Zeit«, nennt Tuchman solche Phänomene, die auf die »wachsende Macht des Irrationalen« hindeuteten.

Die Ereignisse im 14. Jahrhundert mit drei verheerenden Pest-Epidemien, welche die Bevölkerung der damals bekannten Welt um fast zwei Drittel reduziert hatte, werden gewiss nicht so richtig vergleichbar sein mit dem, was uns möglicherweise noch blüht.

»Die Geschichte wiederholt sich nicht«, sagte Voltaire, »aber immer tut es der Mensch.« Für Thukydides war, wie wir wissen, dieses Prinzip die Grundlage seiner historischen Arbeiten.
Schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts hat ein anderer Historiker sich diesen »phänomenalen Parallelen« zugewandt, schreibt Tuchman:

„In den Nachwehen des Schwarzen Todes und dann des Ersten Weltkrieges findet man die gleichen Mißlichkeiten: wirtschaftliches Chaos, soziale Unruhe, steigende Preise, Profitsucht, Niedergang der Moral, geringe Produktivität, industrielle Trägheit, frenetischer Vergnügungswahn, Verschwendungssucht, Luxus, Ausschweifung, soziale und religiöse Hysterie, Habgier, Geiz und Mißwirtschaft.“

Das haben wir in Teilen schon erlebt, hat sich nicht erst mit „Corona“ gezeigt, aber wir wissen, dass wir dem noch verstärkt gewärtig sein müssen.

Die Lektüre des „Fernen Spiegels“ hat mir aber auch etwas ganz Wesentliches vermittelt: dass Hoffnung in Erfüllung gehen muss, obwohl der Mensch es „tut“ (Voltaire) , dass es weiter geht.

Der Slowenische Philosoph Slavoj Žižek hat geschrieben – für jeden Arzt und Naturwissenschaftler eigentlich schon immer eine Binsenweisheit:

Was wir zu akzeptieren haben und womit wir uns abfinden sollten, ist die Existenz einer in einer tieferen Schicht vorhandenen Lebensform – das untote, stumpfsinnig repetitive, präsexuelle Leben von Viren, die schon immer da waren und uns immer wie ein dunkler Schatten begleiten werden. Sie stellen eine Gefahr für unser Überleben dar und brechen aus, wenn wir es am wenigsten erwarten.

Auf einer allgemeineren Ebene werden wir von Virus-Epidemien an die ultimative Zufälligkeit und Bedeutungslosigkeit unseres Lebens erinnert. Welche grossartigen spirituellen Gebäude wir als Menschheit auch immer hervorbringen mögen – eine geistlose natürliche Kontingenz wie ein Virus oder ein Asteroid kann alles beenden, ganz zu schweigen von der Lektion der Ökologie, die darauf hinausläuft, dass wir, die Menschheit, auch ungewollt zu diesem Ende beitragen könnten.

Hieronymus Bosch: Apokalypse

So einer apokalyptischen Sicht, solch pessimistischen Schlußfolgerungen kann ich mich nicht anschließen.

An das Ende der Menschheit haben so manche auch im 14. Jahrhundert geglaubt. Das ist damals nicht eingetreten – wie jeder Blick in den „Fernen Spiegel“ zeigt – und wird uns ganz bestimmt auch mit „Corona“ nicht treffen.
Was zukünftige Historiker bestätigen werden.

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*Barbara Tuchman: „Der ferne Spiegel – das dramatische 14. Jahrhundert“ – Büchergilde Gutenberg Frankfurt a.M. 1980

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*) „altmod“ ist Facharzt und Blogger (http://altmod.de/) sowie Kolumnist bei conservo
www.conservo.wordpress.com      22.03.2020
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