Russland – Putins Staatsstreich

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick BrigGen a.D. und Publizist *)                                     

Zitat: „Man ist auf der sicheren Seite, wenn man glaubt,

dass Putin der reichste Russe ist im zweistelligen Milliardenbereich.

Er kann sich nehmen und leisten, was er will.

Er kennt keinen Unterschied zwischen Besitz und Eigentum.

Er ist der Zar Russlands – mindestens bis 2036.“

Für Putin (Jahrgang 1952) gibt es mehrere Gründe, seine Macht über Russland über die Wahlen von 2024 hinaus zu sichern. Wenn man seine Biographie studiert, wird deutlich, dass er sich für den einzigen russischen Politiker hält, der Russland sicher in die Zukunft führen kann – in einer Liga mit den Weltmächten China, Indien und den USA, auch wenn es objektive Daten gibt, die seinen Anspruch „auf Augenhöhe“ für Selbstüberschätzung halten.

Warum so früh – vier Jahre vor den nächsten Wahlen? Als ehemaliger KGB-Agent ist und bleibt er ein Sicherheitsfanatiker. Sein Hass gilt auch den Verrätern, die sich im Ausland in Sicherheit wähnen, wie die Morde ehemaliger KGB-Agenten in Großbritannien und Deutschland zeigen. Diese Morde dienen auch als Abschreckung potentieller Deserteure. Putin will seinen Staatsstreich aus einer Position der Stärke führen. Er will einen Machtkampf kurz vor den Wahlen frühzeitig entscheiden, bevor sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Russland weiter verschlechtern und seinem Ruf schaden könnten. Sein Regierungshandeln wird schon heute hinter vorgehaltener Hand mit der Stagnation unter Breschnew verglichen. Er hat mehrere Bälle in der Luft, die nicht am Boden zerplatzen dürfen. Nach den letzten Wahlen gab es bereits einzelne Demonstrationen unzufriedener Bürger gegen Putin im ganzen Lande. Heute fällt ihm der Staatsstreich leichter als 2024 – so sein Kalkül.

                         Welche Optionen gibt es für Putin?

Zunächst gab es Anzeichen, dass er den Vorsitz des Staatsrates anstreben würde, der bislang wenig Macht und Einfluss hat. Putin hat Medwedew „überraschend“ als Ministerpräsident abgelöst und als „Platzhalter“ im Nationalrat eingesetzt. Er hat Michael Mischustin als Ministerpräsident berufen und die Zusammensetzung des Kabinetts verändert. Außenminister Lawrow, ein enger Vertrauter von Putin, durfte sein Amt behalten. In seinen Augen muss Putin dieses Konstrukt als zu unsicher ansehen. Ein Nachfolger – oder spätere Nachfolger – könnten sich von Putin emanzipieren und seine Macht beschneiden wollen. Das könnte der Machtpolitiker Wladimir Putin nicht ertragen.

Er weiß zudem, dass es gegen ihn keine Ermittlungen geben würde, solange er ein Staatsamt innehat – siehe seine Nachfolgeregelung mit Jelzin.

Zur Zeit geht er einen anderen Weg. Dazu muss die Begrenzung auf zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden als Präsident wegfallen.

Die Duma hat mit großer Mehrheit einer Änderung zugestimmt, die diese Hürde beseitigt und den Weg für weitere Amtsperioden freigemacht hat. Mit dieser Lösung nähert er sich seinem Vorbild Li Xinping (Jahrgang 1953) an, der als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Vorsitzender der Militärkommission und 2013 als Staatspräsident auf Lebenszeit berufen wurde.

Der dritte Diktator im Bunde, der türkische Staatspräsident Recyp Erdogan (Jahrgang 1954), dürfte ähnliche Ziele verfolgen. Diktatoren wissen jedoch, dass Diktatoren selten im Bett sterben. Der nächste und abschließende Schritt für Putin ist eine Volksbefragung, die am 22.April, dem Geburtstag des Staatsgründers Lenin, der im Mausoleum auf den Roten Platz begraben ist, stattfinden wird. Dieser Termin war geschickt gewählt, da Lenin bei der russischen Bevölkerung in hohem Ansehen steht. Wegen der Corona-Pandemie wurde diese Volksbefragung kurzfristig verschoben. Man wird einen anderen „historischen“ Termin finden.

Diese Volksbefragung ist eine Farce. Es gibt keine Mindestteilnahme der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, keine Auszählung der Stimmen und keine Mindestzahl der Stimmen für die Zustimmung des Antrages der Duma. Das würde bedeuten, dass Wladimir Putin bis 2036 weiter als Präsident regieren darf – wenn nicht gar zwischenzeitlich auf Lebenszeit. Bis 2036 käme Wladimir Putin auf 37 Regierungsjahre – 32 als Präsident und vier Jahre als Ministerpräsident.                        

                        Russland – eine gelenkte Demokratie?

Das war immer die Aussage von Putin mit der Ergänzung des Systems der „vertikalen Macht“. Des Durchregierens vom Kreml bis in jede Kommune. Die Gouverneure der „Länder“ sind von Putin eingesetzt oder von seiner Partei manipuliert. Der Weg Putins zum Alleinherrscher Russlands mindestens bis 2036 reißt allen sog. “Russlandverstehern“ ihre Argumente aus der Hand. Russland ist eine lupenreine Diktatur – keine „lupenreine Demokratie“, wie der ehemalige Bundeskanzler Schröder immer wieder betont. Auch noch nach dem Staatsstreich?

                        Russlands Herausforderungen der Zukunft

Falls es wegen der Corona-Pandemie eine Weltwirtschaftskrise geben sollte, wovon auszugehen ist, wird Russland nicht verschont bleiben, obwohl noch keine belastbaren Daten vorliegen. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass auch die russische Wirtschaft unter unterbrochenen Lieferketten leidet. Man kann auch nicht erwarten, dass die Wirtschaft Russlands durch die Umdrehung eines Schalters wieder anspringt. Der entscheidende Stabilitätsfaktor bleibt zunächst Wladimir Putin.

                         Wie sieht es in der russischen Wirtschaft aus?

Die größte Herausforderung für Russland ist die Energiewirtschaft. Der Verkauf von Öl und Gas ist für den Gesamthaushalt von zentraler Bedeutung. Der niedrige Preis für Öl und Gas reißt ein großes Loch in die Haushaltskasse – verstärkt durch den Rückgang des Bedarfs. Dazu kommt der Anteil der erneuerbaren Energie weltweit sowie der steigende Export der USA des durch Fracking gewonnenen Öls und Gas – auch nach Europa. Die „grüne“ Kampagne gegen die weitere Verwendung von fossilen Brennstoffen dämpft zusätzlich die Abnahme von Öl und Gas weltweit. Russland hat sich jahrzehntelang auf den Export von Öl und Gas fokussiert – wie andere OPEC-Staaten auch. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Auf der Arabischen Halbinsel hat z.B. das Emirat von Dubai schon vor Jahren eine Wende weg von Öl und Gas eingeleitet – mit Erfolg. Sie sind unabhängig vom Export von Öl und Gas. Andere Emirate werden folgen – ausgenommen Abu Dhabi, das noch auf Jahrzehnte mit dem Export von Öl und Gas rechnen kann. Selbst das benachbarte Saudi-Arabien hat die Signale der Zeit erkannt. Es kann allerdings weiterhin von den kurzen Versorgungswegen profitieren zu den Nachbaremiraten.

Die Erderwärmung kann für Russland und seine Landwirtschaft zum Vorteil werden, wenn sich der Permafrost auflöst. Allerdings rechnen Experten mit einem erhöhten Austritt von Gasen.

Ein großes Problem in Russland bleibt die Korruption in allen Berufs- und Lebensbereichen.

                          Die Überalterung der Bevölkerung

Für die überalternde Bevölkerung Russlands mit der Zunahme von chronischen Erkrankungen zeigen sich wesentliche negative Folgen.

– Durch unzureichende Altersversorgung wird sich die Lebensqualität verschlechtern.

– .Der Versuch, die Ein-Kind- Strategie durch finanzielle Anreize zu überwinden, ist unbefriedigend verlaufen. Es fehlt der dringend benötigte Nachwuchs, um den zunehmenden Fachkräftemangel zu kompensieren.

– Eine überalternde Bevölkerung verliert an Dynamik, Innovations- und Risikobereitschaft.

– Der Islam in südlichen Landesteilen wird seinen Anteil an der Bevölkerung vergrößern und aktiver werden.

                           Die Belastung des Staatshaushaltes durch das Militär

Die außenpoltischen Ambitionen Putins verlangen ein Militär, das die Ressourcen des Landes übersteigt. Es erinnert an den „militärischen Overstretch“, der eine wesentliche Ursache für den Kollaps der Sowjetunion war. Für die verschiedenen Auslandseinsätze von Syrien und der Arktis, von Russland bis Lateinamerika braucht man viel und gut qualifiziertes Personal. Die Wehrpflicht bringt dem Militär qualifizierte junge Menschen, die andererseits dem Arbeitsmarkt fehlen. Außerdem werden junge Soldaten getötet und verwundet. Diese Ausfälle werden gerne der Bevölkerung verschwiegen, aber offene Gräber und Begräbnisse sprechen eine deutliche Strafe.

Die Belastung durch zu hohe Rüstungsausgaben wird nicht mit der Bevölkerung kommuniziert. Auf der anderen Seite verdient Russland durch den Export moderner Waffensysteme notwendige harte Devisen. Die Einsätze im Nahen/ Mittleren Osten bieten die Gelegenheit, Personal und moderne Waffensysteme unter Einsatzbedingungen zu testen. Das gilt natürlich auch für andere Staaten. Das Leben der Soldaten in militärischen Liegenschaften ist mit westlichen Staaten nicht zu vergleichen. Es ist kein Wunder, dass betuchte Familien durch Korruption versuchen, den Brüdern und Söhnen den gefährlichen Einsatz in der Truppe zu ersparen.

                        Wie reich ist Wladimir Putin? – Ein “Staatsgeheimnis“

Es ist kein Geheimnis, dass Putin unter „bösen“ und „guten“ Oligarchen eine deutliche Trennung macht. „Böse“ Oligarchen sind ehrgeizige, erfindungsreiche Menschen, die unter dubiosen Umständen reich geworden sind, aber geglaubt haben, in der Politik Putin Konkurrenz machen zu können.

Kommen sie Putin und seiner Gefolgschaft zu nahe, weil sie wissen, wie man mit Macht und Einfluss superreich werden kann, wird ihr Überleben gefährdet. Wem es nicht gelingt, mit ausreichend Startkapital rechtzeitig ins Ausland zu gelangen, für den wird der Boden in Russland sehr heiß. Sie landen auch vor Gericht und verschwinden auf Jahre im Gulag. Ihr Vermögen geht über an den Staat.

Die „guten“ Oligarchen möchten auch gut leben und reich werden. Aber sie beachten die roten Linien, die Putin und seine „Silowiki“ überwachen. Diese „Silowiki“ sind überwiegend ehemalige Angehörige der Geheimdienste und des Militärs, die Putin ewige Treue geschworen haben – und damit gut leben. Sie sollen auch Putin geraten haben, den Staatsstreich frühzeitig durchzuführen – auch aus der Angst heraus, bei einem anderen Präsidenten womöglich ihre Pfründe und Privilegien zu verlieren.

Es gibt immer wieder Versuche, das Vermögen von Putin herauszubekommen. Wer dabei erwischt wird, bekommt keine zweite Chance. Seine Datschen und Paläste – besonders der in Sotschi – sind weitgehend bekannt. Dass er ein Fan teurer Uhren ist, zeigt er offen. Nur mit seinem Konto muss man vorsichtig sein.

Man ist auf der sicheren Seite, wenn man glaubt, dass Putin der reichste Russe ist im zweistelligen Milliardenbereich. Er kann sich nehmen und leisten, was er will. Er kennt keinen Unterschied zwischen Besitz und Eigentum. Er ist der Zar Russlands – mindestens bis 2036.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
www.conservo.wordpress.com      27.03.2020
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