„Im besten Deutschland, das es je gegeben hat“?

(www.conservo.wordpress.com)

von Dieter Farwick BrigGen a.D. und Publizist *)

„Wir leben heute in dem besten Deutschland, das es je gegeben hat“ – ein Kernsatz in der Rede von Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 3.10.2020 zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung in Potsdam.

Natürlich hat ein Bundespräsident das Recht und die Pflicht, in seinen Reden im In- und Ausland ein positives Bild von Deutschland zu zeichnen – als Gegenpol zu den Reden, dass Deutschland dem Untergang geweiht sei. Ein Bild von Deutschland sollte aber nicht zu weit entfernt sein von der Realität.

Steinmeier gehört heute zu den 11 Prozent der Reichen in Deutschland. Natürlich ist sein Blick vom Olymp der Reichen vom „ Sein“ bestimmt.

Was verschweigt der Bundespräsident, wenn er einen solchen Satz ausspricht? Stammt er weitestgehend aus seiner Sicht der Realität in Deutschland, oder sind es Redenschreiber in seinem Amt, die solch einen Satz ernsthaft glauben? Es wäre ein bedenkliches Zeichen für Realitätsverlust oder Realitätsverweigerung! 

Welches Deutschlandbild hat die Mehrheit der Deutschen?

# Deutschland lebt in einer unsicheren Welt voller Spannungen und Risiken sowie zahlreicher Konflikte, auf deren Verlauf Deutschland nur wenig Einfluss hat.

# Die EU befindet sich in einer großen umfassenden Krise, die sich durch die Corona-Pandemie früher und schärfer weltweit auswirkt als in den letzten Monaten vor Beginn. Als Importeur von Rohstoffen und Exporteur von hochwertigen Gütern ist Deutschland auf freie Handelswege angewiesen.

# Da der Konsument in den meisten Ländern weniger Geld zu Verfügung hat – staatlich und privat – trifft die Krise Deutschland besonders hart.

# Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland sprunghaft gestiegen. Sie hat sich verdoppelt.

# Der deutsche Staat hat Wirtschaft, Industrie und Handel mit sehr viel Geld unterstützt.

Die Frage bleibt unbeantwortet, ob, von wem und wann die horrende Verschuldung abbezahlt werden kann. Diese großzügigen finanziellen Unterstützungen werden besonders nachfolgende Generationen treffen. Es ist nicht einzusehen, dass große Konzerne – wie z.B. „Lufthansa“ und „TUI“ – besser unterstützt wurden als die Millionen der Beschäftigten von kleinen und mittleren Unternehmen. Wirtschaftsexperten rechnen mit einem Kahlschlag besonders in der Gastromie und der Reisebranche.

Die Bekämpfung der Corona-Pandemie wird uns noch einige Zeit vor schwere Herausforderungen stellen.

# Die föderale Struktur Deutschlands führt durch die unterschiedlichen Maßnahmen der Länder zu einem Flickenteppich, den die Bevölkerung nicht versteht und stark kritisiert.

# Bedenklich ist die Zunahme von Korruption in nahezu allen Lebensbereichen – bis in höchste Stellen in Politik, Wirtschaft und Industrie. Deutschland war einmal das „Land der Ingenieure“ und der „unbestechlichen Beamten“. Diese Zeiten sind vorbei.

# Großvorhaben wie der neue Flughafen in Berlin oder Großprojekte der militärischen Rüstung verzögern sich um Jahre – bei hohen Kostensteigerungen.

# Minister und Ministerinnen werden trotz schwerer Verfehlungen im Amt gehalten, was Ansehen und Vertrauen in die Politik untergräbt.

Dazu trägt auch die Vernachlässigung von notwendigen Verbesserungen bei Brücken und Straßen notwendiger Substanz erhaltender Maßnahmen bei, wie die Corona-Pandemie auch in den Schulen schonungslos aufgedeckt hat.

# Deutschland wird einen hohen Beitrag an dem EU-Haushalt der nächsten sieben Jahre leisten (müssen). Der Titel des größten Nettozahlers ist Deutschland sicher.

# Die Corona-Pandemie trifft die deutsche Bildung hart. Als „noch reiches Land“ hinkt Deutschland in den Schulen und Universitäten weit hinterher wegen mangelnder Digitalisierung und Fehlens von ausgebildetem Lehrpersonal. Die kommende nass-kalte Jahreszeit wird die Bildungseinrichtungen vor große Herausforderung stellen. Es wird zu Schließungen einzelner Klassen oder ganzer Schulen kommen, was wieder die Familien schwer belasten wird. Sie müssen ihren Beruf, die schulische Ausbildung und das Familienwesen auf einen erträglichen Nenner bringen.

# Die föderale Struktur Deutschlands führt in den Entscheidungen und daraus folgenden Maßnahmen zu einem Flickenteppich, der jüngst Reisebeschränkungen innerhalb Deutschlands zur Folge hatte. Diese unterschiedlichen Bedingungen kann man vielleicht in „normalen“ Zeiten überwinden, aber nicht in einer Grenzen überschreitenden Pandemie.

Es ist nicht einsehbar, warum der Bundestag nicht in der Lage ist, innerhalb einer Sondersitzung ein Kapitel „Gesundheitsnotstand“ in die bestehende Notstandsgesetzgebung aufzunehmen. Dazu bedarf es aber einer starken politischen Führung – keiner hilflosen Moderation.

Bereits vor dem Beginn der Pandemie hat die deutschen Regierung Entscheidungen getroffen, deren Folgen heute und in Zukunft wirken werden.

„Wir schaffen das!“

Das war die optimistische Parole der Kanzlerin zur Bewältigung der illegalen Masseneinwanderung von Asylbewerbern im September 2015.

Das Fazit heute: Aufnahme und Integration sind weitestgehend gescheitert

Die deutsche Gesellschaft wurde durch die unterschiedlichen Belastungen gespalten. Das Grundvertrauen der Deutschen in die Regierungen des Bundes und der Länder wurde angeschlagen und durch die Corona-Epidemie endgültig zerstört

• Demonstrationen gegen Regierungsmaßnamen wurden häufiger, gewalttätiger und blutiger. Besonders ausländische Teilnehmer nehmen die Staatsgewalt nicht ernst.

• Die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten nehmen zu.

• In etlichen größeren Städten nehmen die moslemisch dominierten „no-go-areas“ deutlich zu.

• In manchen Städten üben kriminelle Clans Macht und Gewalt in „ ihren“ Vierteln aus.

• Die gefühlten Verunsicherungen besonders älterer Menschen sind deutlich zu spüren.

• In der Regierungszeit von Frau Merkel wurde die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet, dass sie im In- und Ausland an Ansehen verloren hat und nur noch als „bedingt einsatzbereit“ gilt. Die unnötige Aussetzung der Wehrpflicht hat die Bundeswehr im Kern stark beschädigt.

Wie sehr deutsche Soldaten in Deutschland angesehen werden, zeigen Beispiele aus Berlin – der „failed capital“. Das Angebot der Bundeswehrführung, den Gesundheitsämtern bei der Bewältigung administrativer Aufgaben zu helfen, wurde von einem Berliner Bezirk abgelehnt und erst nach Gesprächen akzeptiert. Warum wurden die Soldaten nicht zurückgerufen? Sie haben Anspruch auf würdige Aufnahme.

• Unter Frau Merkel ist die Familie bewusst zerstört worden. Die Spitze dieses Zieles war die „Ehe für alle“, die von der Parteivorsitzenden Merkel im Eilverfahren durch den Bundestag gepeitscht wurde.

Das beste Deutschland, was es je gegeben hat?

Für mich persönlich ist diese Rede des obersten Repräsentanten Deutschlands angesichts der aufgezeigten Fehler und Versäumnisse deplatziert und zeigt, wie wenig Empathie er für die persönliche Lage der Hälfte der deutschen Bevölkerung hat, die die Lage in und für Deutschland anders beurteilt. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist – bis auf lobenswerte Ausnahmen – einem ausufernden Egoismus und fehlendem Verantwortungsbewusstsein gewichen.

Vertreter aller Generationen lehnen die amtlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ab. Der Widerstand gegen das Tragen von Nase und Mundmasken wird als heroische Tat gefeiert. Sie tun so, als ob es die letzte Chance in ihrem Leben ist, noch einmal richtig zu feiern. Wenn allerdings der Bundespräsident bei offiziellen Auftritten ohne Maske auftritt, gibt er kein Vorbild ab.

Ein Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn müsste deutlich machen, dass die Corona-Pandemie keine deutsche Erfindung ist.

Die Rede des Bundespräsidenten ist eine Enttäuschung für Menschen, die noch glauben und hoffen, dass wir mehrheitlich die Pandemie mit begrenztem Schaden überstehen werden, wenn wir uns selbst nicht zu wichtig nehmen, sondern gemeinsam mit gegenseitigem Respekt, Zurückhaltung, Selbstdisziplin und Demut die ernsthaften Folgen dieser Pandemie meistern.

Unsere Eltern und Großeltern haben in ihrem Leben zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise überwunden, in dem sie – auch als Trümmerfrauen – das „Wirtschaftswunder“ in Deutschland haben entstehen lassen, aus eigener Kraft und weitgehend ohne Staatshilfen. Warum sollte es dieses Mal nicht klappen?

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe. Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision.
In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt.
Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London. In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt. Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
www.conservo.wordpress.com      13.10.2020
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