Wer bezahlt so was?

Reiche Sponsoren für sozialistische Missionare, zum Beispiel die Familie Klingsland

(www.conservo.wordpress.com)

Von Helmut Roewer*

Sozialisten wollen alle gleich machen, so gleich, dass plötzlich das Paradies auf Erden beginnt. Das steht fest. Nicht so klar ist, wann das erstrebte Ziel erreicht sein wird. Doch damit Sozialisten nicht durch Arbeit abgelenkt werden, wenn sie die Menschheit ins Paradies führen, erhalten sie eine komfortable Unterstützung von Leuten, die alles andere als Sozialisten sind. Darüber habe ich mich schon immer gewundert.

Mit diesem Beitrag stelle ich ein Beispiel für diese bemerkenswerte Neigung wirklich reicher Leute zur Schizophrenie vor. Es geht um die Familie Klingsland, ohne deren segensreiches Tun es vermutlich den realen Sozialismus russischer Prägung (1. Versuch – 1917-90/91) nicht gegeben hätte. Ich hatte mich seit Jahren nicht mehr mit dieser politischen Epoche beschäftigt. In zwei Büchern – Skrupellos und Kill the Huns – beschrieb einige Darsteller dieses schaurigen Welttheaters: Die Finanziers und was sie anstellten, um Lenin an die Macht zu bringen. Aber es fehlte mir lange Zeit das russische Endstück dieser Geldwaschanlage.

Beim Besuch einer Impressionisten-Sammlung im französischen Rouen machte es plötzlich Klick. In einem Malerei-Katalog entdeckte ich ein Bild, das ein nicht zum Thema gehörigen Foto einer Malerin zeigte, deren Namen mir nichts sagte, dafür aber der ihres dort ebenfalls abgebildeten Vaters: Fabian Klingsland. Ich suchte dann nach weiteren Details der abgebildeten, offenbar recht bekannten Malerin, Meta Muter, um über diesen Umweg in die Geheimnisse einer interessanten Familie einzudringen. Hier sind die Ergebnisse.

Eine Entdeckung in Frankreich: Die Malerin Meta Muter mit Mann, Schwester, Sohn und Vater, dem Warschauer Großhändler Fabian Klingsland, 1907.

In Warschau – damals im Zarenreich gelegen – lebte zur Wende des 19. auf das 20. Jahrhundert eine Familie namens Klingsland. Vater Fabian Klingsland war ein sehr wohlhabender Mann mit einer überschaubar großen Familie, deren Mitglieder ich noch vorstellen werde. Er selbst verdankte seinen immensen Reichtum einem international agierenden und florierenden Handelsgeschäft. Es bestand bevorzugt aus dem Import von Abführmitteln und Milchpulver. Letzteres war ein Hit jener Tage, denn es war die Babynahrung des beginnenden 20. Jahrhunderts, und der Hersteller war die schweizerische Firma Nestlé.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die wunderbare Zeit des Imports deutscher und schweizerischer Waren via Warschau ins riesige Zarenreich passé. An der deutsch-russischen Grenze tobten die Schlachten des Jahres 1914/15. Der grenzüberschreitende Waren- und Geldverkehr gehörte der Vergangenheit an, nicht jedoch der Bedarf auf russischer Seite. Ganz im Gegenteil, der Krieg verschärfte die Knappheit an medizinischen Gütern, die Preise schossen in schwindelnde Höhen, und Geschäftemacher auf beiden Seiten der Front dachten darüber nach, wie sie aus den misslichen Gegebenheiten traumhafte Gewinne destillieren könnten.

Blieb nur ein Handelsweg möglich, der über Skandinavien und die Ostsee nach Sankt Petersburg, das neuerdings Petrograd hieß. Doch da war die deutsche Reichsregierung davor, die kein Interesse hatte, Waren an Russland liefern zu lassen, die helfen würden, die katastrophale Versorgungslage in Russland zu verbessern. Es sei denn… Ja, es sei denn, ein ganz anderer Zweck wurde durch die Warenausfuhr miterledigt. In diesem Fall Kompensationsgeschäfte mit Waren, die im Deutschen Reich dringend benötigt wurden, wie vor allem Gummi, und das verdeckte Abzweigen großer Geldmengen aus diesen Geschäftsbeziehungen, um Bolschewiken und deren Propaganda vor Ort zu finanzieren. Diese war im deutschen Interesse, weil sie die russischen Soldaten und die Bevölkerung zum Kriegsboykott aufstachelte.

Das russische Spundloch für diese Transaktionen wurde die Firma Fabian Klingsland. Sie musste das Gewünschte nicht erst lernen, weil sie es seit Jahrzehnten betrieben hatte, nämlich die Import-und Exportgeschäfte in Richtung Deutschland und die Schweiz. Sie eignete sich auch deswegen sehr gut, weil sie neben ihrem Hauptsitz in Warschau eine Filiale in der russischen Hauptstadt Petrograd unterhielt. Das war von Nutzen, denn im August 1915 waren deutsche Truppen im Verfolg der Sommeroffensive in Warschau einmarschiert. Die Stadt war damit vom übrigen Russischen Reich abgeschnitten.

Das gigantische Geschäft, was nunmehr zustande kam und aus den Elementen Kriegsschieberware plus Bolschwiki-Finanzierung bestand, wurde 1916 bei einem Treffen in Kopenhagen abgesprochen. Es trafen sich vier Personen, die einander gut kannten, weil sie zur Firma Fabian Klingsland gehörten, und ein Fünfter, den man ungestraft als einen der größten Gauner der sozialistischen Bewegung bezeichnen darf. Das war Alexander Helphand, Parteideckname: Parvus, der hier – man muss lachen, wenn man’s liest – die Interessen des Deutschen Reiches vertrat. Hierfür war er mit einer Million Goldmark aus der Staatskasse ausgestattet worden – ein seinerzeit unfassbar großer Betrag.

Unterschrift Dr. Helphand: Der sozialistische Revolutionär und Abenteurer Alexander Parvus-Helphand quittiert am 27. Dezember 1915 im deutschen Auswärtigen Amt den Empfang von einer Million Mark zur Förderung der Revolution in Russland.

Die anderen vier der Kopenhagener Party waren diese hier. Hermann Fürstenberg, aus Warschau angereist, der Schwiegersohn und Geschäftsteilhaber von Fabian Klingsland. Jakob Fürstenberg (1879-1937), aus Zürich angereist, der Bruder von Hermann Fürstenberg. Dieser Jakob hatte seinen Namen polonisiert und nannte sich fortan Hanecki und, weil das für russische Zungen unaussprechbar war, Jakub Ganezkij (Якуб Ганецкий). Er hatte eine langestreckte Biographie als sozialistischer Revolutionär und war seit wenigen Jahren der engste Vertraute des Bolschewiki-Führers Wladimir Lenin. Man muss hinzufügen: Jakob-Jakub kümmerte sich ums Praktische, zum Beispiel um die Finanzen, und schirmte seinen Vormann gegen kompromittierende Kontakte ab, die Lenin in den Geruch eines deutschen Agenten gebracht hätten. Da war der Meister empfindlich. Bleibt hinzuzufügen, dass die beiden Fürstenberg-Brüder aus einer überaus wohlhabenden Warschauer Kaufmanns-Familie stammten. Sie sollen zudem mit Alexander Helphand verwandt gewesen sein.

 

Aus Petrograd waren zwei Personen angereist: Mieczyslaw Koslowski und die 36jährige Eugenia Sumenson. Die Sumenson (*1880) war seit Jahren Angestellte bei der Firma Fabian Klingsland. Sie war eine kinderlose Witwe, ihre Ehe in Warschau hatte grade mal dreieinhalb Jahre gedauert. Danach war sie gezwungen gewesen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Da sie eine höhere Schule absolviert hatte, versuchte sie es zunächst als Lehrerin, dann stieg sie um und wurde Korrespondentin bei Klingsland. Hierbei muss sie in die Geschäfte, wie zum Beispiel die Kontoführung, hineingewachsen sein, denn im Sommer 1915 kurz vor dem deutschen Einmarsch in Warschau wurde sie nach Petrograd entsandt, um dort über das Kriegsgeschehen mit seinen neuen Grenzen hinweg als Geschäftsführerin den Standort der Firma zu sichern. Auch Koslowski (1/13.1.1867 Wilna-4.3.1927 Moskau) hing eng mit der Firma Klingsland zusammen, und zwar als deren Anwalt. Ansonsten war er ein sozialistischer Revolutionär mit einem langandauernden Vorlauf.

Und das hier ist es, was das Quintett verabredete: Helphand hatte das Geld und würde die Exportware im Deutschen Reich beschaffen. Der deutsche Zoll würde ihn gewähren lassen. In seine in Kopenhagen (und später in Stockholm) ansässige Export-Import-Firma Handels- og

Eksportkompagniet stieg der Lenin-Vertraute Jakob Fürstenberg-Hanecki-Ganezkij als Teilhaber ein, der dafür sorgte, dass Gelder aus dem laufenden Geschäftsbetrieb für Bolschewiki, die sich nicht im russischen Machtbereich befanden, abgezweigt wurden. Die Waren-Geschäftsabwicklung würde zwischen der Helphand-Gesellschaft in Kopenhagen und Stockholm und der Klingsland-Firma in Petrograd stattfinden, die von Sumenson geführt wurde. Diese hatte auf Weisung von Fürstenberg-Hanecki Gelder aus dem Geschäftsbetrieb abzuzweigen, die an Koslowski auszuhändigen waren, damit der sie an die richtigen Adressaten unter den Bolschewiki weiterleiten konnte.

Wie geplant, so getan. Man konnte es an der in großer Auflage im Untergrund gedruckten Bolschewiki-Zeitung Prawda ablesen. Die Dinge änderten sich dann um Nuancen, als Lenin mit deutscher Hilfe im April 1917 nach Russland eingereist war und dort ernsthaft mit dem Umsturzgeschäft begann. Der für Anfang Juli 1917 geplante Aufstand scheiterte, weil er mit Hilfe französischer Abhör- und Entzifferungsspezialisten aufgedeckt worden war. Die Provisorische Regierung in Petrograd war auf diese Fremdkräfte angewiesen, denn die kurz zuvor in Petrograd durchgeführte Februarrevolution hatte nicht nur den Zaren und seine Regierung, sondern auch den zaristischen Sicherheitsapparat weggefegt. Deswegen hatte die neue Obrigkeit auch Mühe, eine erfolgreiche Observation der Verdächtigen zu arrangieren. Dass die Sumenson bei Banken ein- und ausging, das fand man heraus. Auch, dass sie sich mehr als schicklich in der Wohnung von Koslowski befand.

Wie dem auch sei: Die Festnahme von Sumenson fand Anfang Juli 1917 statt. Sie räumte im Verhör offenbar nur scheibchenweise ein, was nicht zu widerlegen war.

Jewgenija Mawrikijewna Sumenson, eine bürgerliche Frau in Warschau, 37 Jahre alt, eine lutherische Frau, eine Witwe, ich habe keine Kinder, ich habe keine Immobilien, ich bin nicht vorbestraft, absolvierte das Warschauer Frauengymnasium, lebte dauerhaft in Warschau und ungefähr einen Monat vor der Eroberung Warschaus zog ich nach Petrograd.

Beim Verhör kam ihr zugute, dass die Barauszahlungen aus der Firmenkasse an Koslowski ohne Quittung erfolgt waren und ihr Telegrafenverkehr mit Stockholm ziemlich kryptisch war. Dennoch wurden die zusammengereimten Ergebnisse unverzüglich in die Bolschewiki-feindliche Presse durchgeschoben, die sogleich ein Fass aufmachte: Lenin, der deutsche Agent.

Eine ganze Reihe von Bolschewiki wurde stehenden Fußes festgenommen, auch Koslowski. Nur Lenin entging dem, weil es ihm gelang, im letzten Moment dank falschem Pass und mit Perücke, dafür ohne den Lenin-Bart, aus Petrograd ins nahe, immer noch zum Zarenreich gehörigen Finnland zu entkommen. Daraus kam er wieder hervor, um die Oktoberrevolution zu inszenieren. Das ist bekannt. Geld gab’s mittlerweile genug. Die Geldwaschanlage der Firma Klingsland war durch reisende Kuriere aus Schweden, die unter dem Kommando von Lenins Statthalter vor Ort, Karl Radek, arbeiteten, ersetzt worden.

Bleibt die Frage: Was passierte mit den Sponsoren der ersten Stunde? Die bis dahin Regierenden hatten eine Untersuchungskommission eingesetzt, die nach Parteiproporz zusammengesetzt war und sich erwartungsgemäß auf nichts einigen konnte. Je weiter sich die Kräfte der Februarrevolution auseinanderdividierten, desto enger wurden die Beziehungen von deren sozialistischen Teilen mit den verfemten Bolschewiki, bis man dann im November 1917 vorübergehend gemeinsame Sache machte.

Sumenson und Koslowski und all die anderen im Juli 1917 inhaftierten Bolschewiki kamen auf freien Fuß. Sumenson verschwand im Nichts. Es gibt zwei Varianten über ihr weiteres Schicksal. Sie sei den stalinistische Säuberungen in den 1930er Jahren zum Opfer gefallen, bzw. sie sei nach New York emigriert und dort in der jüdischen Gemeine gestorben. Für keine der Varianten, die einander ausschließen, habe ich einen glaubwürdigen Beleg gefunden.

Koslowski machte in der Sowjet-Hierarchie Karriere. Er gestaltete den Vorschriftenapparat der kommunistischen Geheimpolizei Tscheka. 1928 ist er verstorben. Jakob Fürstenberg-Hanecki-Ganezkij hatte hingegen schlechte Karten: Nach Lenins Tod begann sein Abstieg. 1935/36 war er Chef der Direktion für Zirkusse und Kulturparks. Insider des russischen Literaturbetriebes sind sich sicher, dass er Michail Bulgakow in dessen Roman Der Meister und Margerita als Vorbild für die lächerliche Figur des Rimsky gedient habe.

Zuletzt war Fürstenberg-Ganezkij Direktor des Revolutionsmuseums. Er wurde schließlich am 27. November 1937 als angeblicher Verschwörer erschossen. Damit war der letzte Zeuge der Finanztransaktionen, die Lenin & Co an die Macht gebracht hatten, ausgelöscht. Zur Sicherheit ließ Stalin auch noch die Ehefrau Gisa Ganezkaja (1889-1937) und deren gemeinsamen Sohn Stanislaw (1913-1938) umbringen. Nur die Tochter Chanka-Hanka überlebte, wenn auch weggesperrt in zwanzigjährige Haft und Verbannung. Sie kam erst Jahre nach Stalins Tod wieder frei.

Fabian Klingsland erlebte in Warschau 1919 noch die Ausrufung des polnischen Staates. 1924 ist er mit weit über achtzig Jahren verstorben. Sein Grab hat merkwürdiger Weise die Zeitläufte überdauert. Die Beteiligung seiner Kinder, ein Sohn und drei Töchter, an der Herstellung des großen sozialistischen Experiments der Menschheit ist nur zum Teil nachweisbar. Eine Tochter, Gustawa Hirszberg (*1876), starb bereits 1911. Die Tochter, die Heinrich Fürstenberg – einen der Hauptakteure – heiratete, spielte keine zu bemerkende Rolle. Der Sohn Zygmund Klingsland (1883­1951) soll ein bekannter Literaturkritiker und ein Diplomat gewesen sein. Wo er sich in der fraglichen Zeit der Revolutionierung Russlands aufhielt, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Vermutlich war auch er in Paris.

Bleibt noch die Tochter Meta Muter, die Malerin (26.4.1876 Warschau-14.5.1967 Paris). In Wirklichkeit hieß sie Maria-Melania Klingsland, später verheiratete Mutermilch. Das muss ihr womöglich selbst angesichts des Hauptgeschäfts ihres Vaters, der mit Milchpulver reich wurde, komisch vorgekommen sein. Jedenfalls nannte sie sich, nachdem sie noch in Warschau den sozialistischen Literaten Michal Mutermilch (1874-1947) geheiratet hatte, fortan Meta Muter. Das Paar zog nach Frankreich. Auf einigen Fotos ist die Malerin mit den Größen der Malerei, des polnischen Exils und der französischen Sozialisten zu sehen. Die Liebe zu diesen ging so weit, dass sie wegen des Linksaußens Raymond Lefebvre (1891–1920) ihren Mann 1917 verließ. Der Oberrabiner von Paris vollzog 1919 die Scheidung des Ehepaars Mutermilch.

Doch das neue Glück hielt nicht lange. Metas Raymond ist Anfang November 1920 in Sowjetrussland verschollen, nachdem er den Kongress der Zweiten Kommunistischen Internationale als französischer Delegierter in Moskau aufgesucht und sodann versucht hatte, den Rückweg nach Westeuropa mit einem Segelkutter durch die Barentsee nach Norwegen zu nehmen. Muter blieb in den beiden folgenden Jahrzehnten in der Linksschickeria von Frankreich etabliert und erfolgreich. Ihrem politischen Aktivismus blieb sie auch nach dem Zweiten Weltkrieg treu: 1953 gründete sie eine Vereinigung zum Schutz der polnischen Oder-Neiße-Grenze. 1967 ist sie in bescheidenen Verhältnissen und fast blind verstorben.

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*) Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Panzeroffizier, zuletzt Oberleutnant. Sodann Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Rechtsanwalt und Promotion zum Dr.iur. über ein rechtsgeschichtliches Thema. Später Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesinnenministeriums in Bonn und Berlin, zuletzt Ministerialrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Präsident einer Verfassungsschutzbehörde. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand freiberuflicher Schriftsteller und Autor bei conservo. Er lebt und arbeitet in Weimar und Italien.

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