Der deutsche Fußball und die „Hand Gottes“ – Adios, Diego Armando Maradona!

(www.conservo.wordpress.com)

von Notan Dickerle, Anwärter auf den Leuchtturmpreis für mutigen Journalismus gegen “Bunt”

Viele Fußballspiele finden an diesem Wochenende nach einer Schweigeminute und mit Trauerflor statt: der argentinische Superstar Diego Armando Maradona ist am vergangenen Mittwoch kurz nach seinem 60. Geburtstag einem Herzinfarkt erlegen. Seine aktive Karriere begann früh und dauerte bis in die Mitte der 90-er Jahre. Höhepunkt waren seine Jahre beim SSC Neapel, den Maradona aus der Bedeutungslosigkeit zu zwei Meisterschaften führte (weswegen er in der süditalienischen Stadt bis heute teilweise wie ein Heiliger verehrt wird) sowie die Teilnahme an vier Fußball-Weltmeisterschaften: 1982 in Spanien, 1986 in Mexiko, 1990 in Italien sowie 1994 in den USA.

In zwei der vier Turniere erreichte die Nationalmannschaft von Argentinien das Endspiel, und beide Male hieß der Gegner Deutschland. Maradona triumphierte 1986 in einer Weltmeisterschaft, die für alle Zeiten mit seinem Namen verbunden bleiben wird. Zwar gelang dem kompakten kleinen Stürmer beim 3:2-Erfolg seiner Jungs gegen die deutsche Auswahl kein eigenes Tor, im Viertelfinale gegen England dagegen zwei der berühmtesten Treffer der Fußballgeschichte: Beim Führungstor beförderte er den Ball regelwidrig mit seiner Hand über den englischen Torhüter hinweg ins Netz, der wenig erfahrene tunesische Schiedsrichter ließ sich narren und erkannte das Tor an. Maradona freute sich nach dem Spiel diebisch: „Es war der Kopf Maradonas und die Hand Gottes“, die das Tor gemacht hätten, wurde unter Sportsfreunden bald zu einem bis heute gültigen Kultspruch.

Wenige Minuten später legte der inspirierte Angreifer einen noch spektakuläreren und zudem sportlich einwandfreien Treffer nach: Argentiniens 2:0 nach einem Dribbling von Maradonna über das halbe Spielfeld, bei dem er die gesamte englische Abwehr ausspielte, wurde 2002 von der FIFA zum „WM-Tor des Jahrhunderts“ gewählt. Vier Jahre später hatten die Südamerikaner im Finale das Nachsehen gegen die Deutschen, was insbesondere an der bärenstarken Leistung des Verteidigers Guido Buchwald lag, dem es gelang, Maradona weitgehend auszuschalten. Bereits vor diesem Spiel hatte Buchwald übrigens den Spitznamen “Diego” erhalten, der also nicht auf seine Sonderaufgabe in diesem Endspiel zurückgeht.

Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika kreuzte sich der Weg Maradonas mit der deutschen Nationalelf noch einmal: die “Hand Gottes” war trotz mangelnder Erfahrung im Trainergeschäft 2008 zum Coach der Argentinier ernannt worden, die den Deutschen im Viertelfinale mit 0:4 unterlagen.

Auch während des “Sommermärchens” 2006 gab es einen deutschen Sieg gegen Argentinien im Viertelfinale, allerdings erst im Elfmeterschießen und ohne einen Maradona in Funktion, der sich gleichwohl in der Nähe seiner Mannschaft aufhielt und sich im Berliner Hotel Adlon über das Abspielen des Musical-Songs “Don’t cry for me, Argentina” in seiner Anwesenheit beschwerte – Primadonna Maradona!

Ursprünglich war er ein Underdog, geboren in einer slumähnlichen Vorstadt von Buenos Aires, ein Unterprivilegierter, der zudem nur 165 cm maß, aber eine spektakuläre Inselbegabung für den Fußball mitbrachte. Charakterlich war er seiner kometengleichen Karriere nicht gewachsen und schon früh in so ziemlich jede vorstellbare Art von Skandal verstrickt: vom Kokain über Prostituierte bis zu Kontakten zur Camorra. Dem Alkohol blieb er bis zuletzt zugetan. Neben zwei ehelichen war er Vater von mindestens sechs Kindern. Gerne zeigte sich der aus proletarischem Milieu stammende Fußballer an der Seite sozialistischer Diktatoren wie Fidel Castro und Hugo Chavez, dessen Nachfolger Nicolas Maduro er seiner Sympathien versicherte. Nach seiner politischen Position befragt bezeichnete sich Maradona als Peronist.

Die Fettlebe wirkte sich ab Ende der 80-er Jahre auf die sportlichen Leistungen Maradonas aus, obwohl es ihm nach Durchhängern immer wieder gelang, seine Form zu steigern. So überraschte der 33-jährige bei der WM 1994 in den USA in zwei Partien der Vorrunde, bevor er wegen Einnahme eines Appetitzüglers gesperrt wurde, der ihm von seinem Fitnesstrainer verabreicht worden war und verbotene Substanzen enthielt. Erst mit 37 Jahren beendete er seine Spielerkarriere bei den “Boca Juniors”, dem Verein, in dem er sie im Wesentlichen auch begonnen hatte. Obwohl gesundheitlich seit langem schwer angeschlagen – sein Leben stand schon mehrmals auf der Kippe – war er bis zuletzt als Trainer aktiv bzw. bis zum April des Jahres, als die Fußballsaison in Argentinien wegen COVID-19 abgebrochen wurde.

“Maradona odiato e amato” sang einst ein Liedermacher aus Neapel über sein Idol, das – wie die meisten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßenden Ausnahmeerscheinungen, denen das Schicksal eine Begabung einfach in den Schoß gelegt hat – geliebt und gehasst wurde, viel mehr aber geliebt, weil sich so viele Underdogs mit ihm identifizieren konnten. Maradonas emotionale Hingabe an das, was er tat, seine rückhaltlose Selbstverschwendung, dürfte dabei eine große Rolle gespielt haben. Sein Manndecker von 1990, Guido Buchwald erinnert sich: “Bei jedem verlorenen Zweikampf sah er immer verzweifelter aus, das habe ich gespürt… Nach dem Spiel haben wir uns die Hand geschüttelt, dann haben wir uns im Dopingraum gesehen, wir waren beide ausgelost. Er war ein Häuflein Elend.”

Ansonsten war Maradona “auf dem Platz eine absolute Größe – außerhalb des Feldes hat er das Leben leider nicht im Griff gehabt.” Die “NZZ” bestätigt das in kühleren Worten: “Diego Armando Maradona war auf dem Platz ein Zauberer, außerhalb der Stadien aber eine tragikomische Figur. In der argentinischen Gesellschaft blieb er stets der Underdog aus den Slums.”

Jetzt hat Argentinien immerhin ein Staatsbegräbnis sowie eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Bereits am Donnerstag wurde Maradona im Familienkreis neben seinen Eltern beigesetzt, nachdem ihm nahezu eine Million Menschen im Präsidentenpalast die letzte Ehre erwiesen haben. Auch der im Niedergang befindliche deutsche Fußball hat mit ihm einen historischen Gegenpart verloren, der an einige der größten und emotionalsten Momente seiner Geschichte erinnert – als es noch keinen Videobeweis gab, dafür aber “die Hand Gottes”…  

www.conservo.wordpress.com   30.11.2020

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