„Man fiel als Stasi-Mensch quasi wie auf Watte“

  • Erfahrungsbericht zum Übergang von der DDR in die wiedervereinigte Bundesrepublik
  • Erschreckende Parallelen zur heutigen Gesellschaft

(www.conservo.wordpress.com)

Von Freya, langjährige Foristin bei Conservo und gelernte DDRlerin

Dieses Bild der Berliner Mauer wurde 1986 von Thierry Noir am Bethaniendamm in Berlin-Kreuzberg fotografiert. Man sieht eine Grenzstreife der DDR. Bild: Noir, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Danke für diesen Artikel, lieber Peter.

Ja, da ist so gut wie alles falsch gelaufen, aber das berauschte Volk hat es damals zur Zeit der Wende genau so nicht gemerkt, wie es heute nicht merkt, was geschieht.

Ich habe zur Zeit der Wende an der Ostseeküste gelebt und dort als junge Gaststättenleiterin ein gutgehendes Lokal direkt an der Küste betrieben. Eigentlich hatte ich es gar nicht vor, mein Leben und mein Land zu verlassen, um in der Ferne eine Fremde zu sein und zu bleiben.

Aber es begab sich dann so, dass ich zunächst mehr und mehr gemerkt habe, WER die neuen Verhandlungspartner für die nun anreisenden West-Geschäftsleute waren. Es waren nämlich die Betriebsleiter, die Hotelchefs und sonstigen Führungspersonen, die seinerzeit von der Stasi dort eingesetzt wurden. Da gab es weder eine „Säuberung“ noch eine Fahndung nach Stasi-Maulwürfen – im Gegenteil. Man verstand sich schnell, und die Westler waren sehr froh, die Übernahmen und Neuerwerbungen mit „kompetenten Leuten“ abwickeln zu können, die sich ja schließlich mit der Betriebsmaterie auskannten. So war das an der Basis.

Der normale Bürger konnte nur staunend daneben stehen und sich fragen, was das soll? Meine Beobachtung ging dann noch weiter. Es wurden auch keinerlei Lehrer oder Dozenten oder Leute aus Räten, die ganzen Generationen streng die DDR-Parolen einprügelten und die allesamt glühende Verfechter des SED-Regimes waren, gegen unbelastete Personen ausgetauscht. Man fiel als Stasi-Mensch quasi wie auf Watte und wurde mit offenen Armen und einer regelrechten Kuschelmanier entweder gleich als neuer Betriebschef wieder eingesetzt, oder man bekam, wo man nicht auf seinem Posten bleiben konnte den nächstbesten Posten zugeschanzt.

Ich war damals so enttäuscht, ich fand das so daneben, so abartig, dass ich meinen damals 6jährigen Sohn an die Hand nahm und angewidert den Osten verließ. Freilich nur um nach langen Jahren und wirklich zähem Ringen um ein neues Leben für mein Kind und mich, feststellen zu müssen, dass mir der Osten offenbar gefolgt war, denn als ich am Ende meiner über zwanzig Jahre im Westen einige Jahre in einem Amt arbeitete, da kam es mir schon so vor, als würden sich die alten Strukturen wieder aufbauen. Heute wissen wir, dass es so war.

Noch eine kleine Anekdote zum Mauerbau:

Eigentlich ahnte ja niemand, dass eine Mauer gebaut werden würde, und selbst wenn man etwas ahnte auf DDR-Seite, dann hätten sich normale Leute ja niemals träumen lassen, was da wirklich auf sie zukommt. Man hätte nur geglaubt, das sei eine Maßnahme gegen Schwarzhändler oder so – auf jeden Fall vorübergehendes Zeug.

Aber zwei junge Männer aus Berlin wussten es besser. Sie waren damals im Ostseeurlaub bei meinen Eltern, die ein junges Ehepaar waren. Also ein kleiner Freundeskreis, der sich von Früher kannte, die Tage und Abende zusammen verbrachte und viel Spaß hatte. Plötzlich kam, bei einer ihrer Zusammenkünfte in der Wohnung meiner Eltern aus dem Radio (Ich weiß nicht, bei welchem Sender) die Nachricht aus Berlin, es würde mit einem Mauerbau begonnen werden. Die beiden jungen Männer, die damals beide ihre Arbeitsplätze in Berlin West hatten aber in Berlin Ost wohnhaft waren, sprangen auf, rafften ihre paar Klamotten zusammen, sprangen in ihr Auto und rasten auf direktem Wege nach Berlin; das sind so ziemlich 80 Kilometer von der Insel Usedom. Noch in dieser Nacht schwammen sie beide an einer ihnen bekannten Stelle durch die Spree und erreichten glücklich das andere Ufer.

Sie hatten es noch geschafft, rauszukommen. Das gelang schon wenige Stunden später so gut wie niemandem mehr. Meine Eltern und die beiden Freunde blieben noch viele Jahre im Briefkontakt, aber man hat sich in diesem Leben nicht wiedergesehen.

Diese Geschichte wurde in meiner Familie über Jahrzehnte immer wieder erzählt, und die Aussage „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“ bringt mir diese Anekdote sofort in Erinnerung.

Nun arbeitet man gerade wieder an einer Spaltung der Deutschen. Diesmal geht es um Geimpfte und Ungeimpfte und wir sollten uns, auch aus den Lehren der Vergangenheit heraus, auf Einiges gefasst machen. Mir kommt es langsam so vor, als ob gerade wir Deutschen das, was wir in der Nationalhymne beschwören nämlich „Einigkeit und Recht und Freiheit“ auf keinen Fall haben sollen.

So, als ob es uns nicht zustehen würde, aus welchem Grund auch immer. Kein Wunder, dass sogar unsere Hymne inzwischen bei der obersten Riege der ganzen Heimatvernichter („Politiker“, Hintermänner und Mitläufer) so unbeliebt ist.

Nochmals herzlichen Dank für diesen wichtigen Beitrag, einem Meilenstein gegen das Vergessen.
mit patriotischen Grüßen
Freya

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