‘S ZRINGEHIÄTLI

Für meine Mutter und Großmutter

(www.conservo.wordpress.com)
Aus einer Geschichtenreihe von Dr. Juliana Bauer

Oma Rita mit ihrem Lieblingshuhn

Vorbemerkung: Liebe Leser, es folgt eine weitere Oma-Geschichte, die nach der „Ode an Oma“ eingereicht wurde. Wer auch eine Geschichte über eine Oma oder seinen Opa erzählen möchte, schicke sie bitte an: Maria_Schneider@mailbox.org

Ja, das Wort Ziringen (gespr. Ziring-gen) kennt man heute kaum noch. Meine Großmutter sprach nur von Ziringen. Ob ich mir ein Ziringensträußle gepflückt habe. Natürlich fragte sie mich das im Wonnemonat Mai. Denn – Ziringen sind Flieder. Schlicht und einfach Flieder, der auf den botanischen Namen Syringa hört.

Als ich vor ein paar Jahren mein Büchlein in alemannischer Mundart publizierte, gab ich ihm den obenstehenden Titel. Was soviel bedeutet wie Das Fliederhütchen. Erzählten mir Mutter und Großmutter doch von einer drolligen Nachbarin aus den 30iger Jahren, die nie ohne ihr Ziringehiätli das Haus verließ und damit stets auffiel. Und da viele meiner Mundartgeschichten von meiner Oma handeln, mit der ich Jahre erlebte, die zu den schönsten meines Lebens zählen, widmete ich ihr und meiner Mutter, ihrer Tochter, das Büchlein.

Oma, bei der ich mich rundum wohl fühlte, nahm mich am Sonntagnachmittag sowie in den Schulferien mit in den schönen Stadtpark, in dem mich viele Tiere belustigten; ins hochinteressante Museum, das sie Naturalienkabinett nannte; in Kaffeehäuser; zu reizenden, liebenswerten Schulfreundinnen, von denen manche auch Enkelkinder in meinem Alter hatten; auf den Jahrmarkt usw. Die Park- und Freundinnenbesuche wurden stets mit Kakao und feinsten Kuchen gekrönt, was für mich kleines Leckermaul jedes Mal wie ein kleines Fest war.

Und sie las mir Märchen vor – die Gebr. Grimm, Andersen, Bechstein, Hauff. 

Sie konnte auch herrlich aus alten Tagen erzählen, aus ihrer Kinder- und Schulzeit. So erzählte sie mir einige Geschichten, Geschichten, die ich lustig fand, aber auch von Dingen, die ich nicht erleben wollte.

“Der Kaiser lebe hoch” – Schule in der Kaiserzeit

Oma ging in den 90iger Jahren des 19.Jahrhunderts zur Schule. Damals war Kaiser Wilhelm II. der Herrscher deutscher Lande. Die Lehrkräfte aller Schulen im Land waren angehalten, gebührend an seinen Geburtstag zu erinnern. Großmutter vergaß das Datum nie, war der kaiserliche Geburtstag doch acht Tage nach ihrem eigenen. An beiden Tagen durfte sie im „schönen Sonntagskleid“ zur Schule. Und an „Kaisers Geburtstag“ gab es immer etwas Feines zum Naschen. Aber erst, wenn sie alle laut und kräftig die Kaiserhymne „Heil dir im Siegerkranz“ gesungen und dreimal „Der Kaiser lebe hoch“ gerufen hatten. Dann wurden an die Kinder süße Brezeln verteilt. 

Nach Großmutters Erzählung dachte ich damals: Der Adenauer kann so viele Geburtstage feiern, wie er möchte. Wir bekommen keine süßen Brezeln oder etwas ähnlich Leckeres.

Und heute, liebe Leute!

Heute erhalten die Kinder Maulkörbe und Nasenzwicken! Zu ihrem „besonderen Schutz.“ Auf Extra-Anordnung der Eis-Königin, die von Kinderseelen soviel weiß wie der Esel vom Lautenspiel.

Eine “Sacktuch-Maske” für Mina

Dazu die nächste Geschichte aus Großmutters Schulzeit. Sie wusste auch von strengen Erziehungsmethoden zu berichten. Dass es z.B. „Tatzen“ auf die kleinen Hände gab, mit einem dünnen Stock, dem so genannten Meerrohr. Eine harmlosere Geschichte erzählte jedoch davon, wie es der Mina erging. Und wie diese, eine „Ulk-Nudel,“ sich zu wehren wusste. 

Und jetzt heißt es aufgepasst, liebe Großeltern, wenn ihr diese Geschichte lest. Denn jetzt könnt ihr euren Enkeln einen tollen Tipp fürs Maskentragen geben…!!! Einen Tipp, der meines Erachtens besser ist, als Grün zu wählen!

„Also Oma, was war mit der Mina,“ wollte ich wissen. Da prustete meine Großmutter schon vorher vor Lachen. „Die Mina tratschte immer mit ihrer Nachbarin während des Unterrichts und störte. Ermahnungen des Lehrers nutzten nichts. Da musste sie in die Ecke stehen. Das half aber auch nichts. 

Eines Tages wurde es dann dem Lehrer zu dumm. Als er Mina in die Ecke schickte, schimpfte er, dass sie jetzt endlich lernen müsse, den Mund zu halten. Sein Schimpfen bekräftigte er dazu in besonderer Weise: er holte ein Sacktuch aus der Hosentasche“ – so nannte Oma das Taschentuch – „legte es zu einem breiten Streifen zusammen und band es der verdutzten Mina um den Mund. Und richtig fest.”

Eine Maske von außergewöhnlicher Art! Wenigstens blieb das Näschen frei!

“Nach einer Weile wurden wir auf Mina aufmerksam, schauten immer wieder zu ihr hin und fingen an zu kichern. Ja, und weißt du, was die Mina machte? Rate mal. Aus ihrem Tuch tropfte es. Immer mehr. Bald war das ganze „Sacktuch“ voll mit Spucke. Auch der Lehrer wurde aufmerksam und traute seinen Augen nicht. ‚Aber das ist ja furchtbar‘, begann er zu zetern und nahm Mina schnell das Tuch ab. Den Lehrer schüttelte es“, sagte Oma lachend, „das ekelte den richtig. Doch als wir alle in lautes Lachen ausbrachen, lachte er schließlich mit.“ Oma amüsierte sich nach mehr als 60 Jahren immer noch.

Und wissen Sie, was sie sagen würde, wenn sie die maskenverschandelten Kindergesichter sehen würde? Sie würde mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten „Die Kinder sollen es machen wie die Mina!“ „Maidli“, würde sie mir ans Herz legen, „verzehl du de Kinder, was d’Mina g’macht het.“

Und den heutigen Lehrern würde ich ein solches Amüsement aus Großmutters Zeiten gönnen! Am besten täglich!

Ich bin noch heute dankbar, dass ich meine Großmutter, die bei uns wohnte, lange hatte. Bis zu ihrem 93. Lebensjahr war sie kerngesund, dann machte sich „das Alter bemerkbar.“ Sie wurde fast 94 Jahre alt.

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