„…DEM LICHT … ENTGEGENGEHEN, DEM LICHT DER VÖLKER, DAS UNSER HERR, JESUS CHRISTUS IST”

Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, El Greco 1568
  • Predigt von Monseigneur Michel Aupetit zu EPIPHANIE 2021 in Saint-Germain l’Auxerroix in Paris
  • Eine Predigt, die auch für 2022 als Wegweisung dient

Von Dr. Juliana Bauer

Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, El Greco 1568

Paris, am Fest der Epiphanie/Dreikönig 2021

„Zu Beginn dieser Messe wünschte ich euch ein frohes neues Jahr und hoffe wirklich, dass es für uns alle ein gutes werden wird.“ Erzbischof Aupetit wiederholte am Anfang seiner Predigt den Neujahrswunsch für alle, die „hier sind und die uns sehen und hören über KTO und Radio Notre Dame.“ Dann jedoch war er für einen Moment skeptisch, da er, wenn er ehrlich sei, sagen müsse, dass „wir nicht wissen, was in diesem Jahr sein wird. Denn,“ fuhr er, mit Blick auf die damaligen massiven Corona-Beschränkungen fort, „bezüglich dessen, was wir durchgemacht haben, können wir uns die Frage stellen, ob wir ein weiteres Jahr eingesperrt verbringen werden.“

Paris, am Fest der Erscheinung des Herrn/Dreikönig 2022

Die Epidemie und die gegen sie ergriffenen Maßnahmen schränken die Menschen in Europa u.a. Erdteilen noch immer drastisch ein.

Und – Mgr Aupetit feiert nicht mehr das Dreikönigsfest mit der Diözese Paris. Das Dreikönigsfest bzw. das Fest der Epiphanie, das für ihn und das Bistum einen bedeutenden Zeit-Moment markierte: die Einsetzung Michel Aupetits als 141. Erzbischof von Paris an Epiphanie, dem 6.Januar 2018.

Doch die letzten Wochen des Jahres 2021 brachten für ihn, sein Erzbistum und viele andere Christen eine einschneidende, ja eine schmerzliche Veränderung: Papst Franziskus enthob den Erzbischof von Paris aufgrund nicht nachvollziehbarer Motive seines Amtes. „Wir … wissen … nicht, was in diesem Jahr sein wird.“ Nein! Wir wussten es nicht, was da kommen würde. Mit Sicherheit rechnete keiner der Gläubigen damit, wohl auch nicht Mgr Aupetit selbst, dass er ein Jahr später nicht mehr der Pariser Oberhirte sein würde.

„Schaut auf die Magier! Sie sind völlig frei…“

Doch kehren wir zurück zu seiner Predigt, die ein hoffnungsvolles, ein wunderbares Licht auf unseren Weg wirft.

Michel Aupetit lenkte seine Reflexionen auf das Evangelium, das vom verheißungsvollen Aufbruch der Weisen zu Christus hin berichtet und den er in „einer neuen Weise“ betrachtete. Das Evangelium, welches ihn anregte, die Frage nach Beschränkung und Befreiung zu stellen. Er sprach dabei eine Realität an, welche gerade viele politisch Agierende, aber auch viele der kirchlichen Obrigkeit zu vergessen scheinen: die innere Freiheit des Menschen. Der emeritierte Pariser Oberhirte erläuterte dazu eigenwillige, nicht auf den ersten Anhieb verständliche Gedanken. „In der Tat hat mich dieses Evangelium dazu gebracht, in einer etwas neuen Weise darüber nachzudenken, nämlich über Beschränkung und Befreiung und darüber, dass diejenigen, die hierherkommen, letztlich nicht eingesperrt bleiben werden… zumindest nicht in ihren Köpfen…“– sprich in ihrem Innern. Ein Satz, der insbesondere auf die innere Freiheit eines Christen anspielte.

„Schaut auf die Magier,“ fuhr Michel Aupetit dann fort, „sie sind völlig frei. Sie wagen es, sich aufzumachen und sich auf einen weiten Weg zu begeben“ (was für zahlreiche Europäer aufgrund der politischen Bestimmungen noch immer kaum oder nur äußerst eingeschränkt möglich ist, Anm.). Die Magier machten sich auf den Weg, „um einen König der Juden zu finden und anzubeten, der ihnen a priori jedoch fremd ist. Sie sind Gelehrte, Weise, Philosophen, die in der Lage sind, die Zeichen am Himmel zu lesen, Astrologen, die nach Wissen streben und die staunen können. Aber ja!“ Das Staunen ist ein für Mgr Aupetit wesentliches Kriterium des Sich-Öffnens für Gott. „Sicher, sicher, sie erfahren keine Offenbarung (im biblischen Sinn). Sie repräsentieren diejenigen, die Gott mit allen Möglichkeiten und Mitteln menschlicher Intelligenz und Weisheit suchen. Das ist sehr ehrenwert. Wie es auch heute noch viele Menschen gibt, die auf dem Weg der Weisheit, der Intelligenz Gott suchen.

Es stimmt, die Weisen erfuhren keine Offenbarung … Aber sie machten sich auf den Weg…“ Hier sprach Michel Aupetit ein weiteres Charakteristikum des gläubigen Menschen an: das Nicht-Stehen-Bleiben, das Sich-Auf-Den-Weg-Machen, Neuem entgegen. Was nun auch für ihn selbst eine neue Bedeutungsdimension erreichte (déclaration Michel Aupetit, 2 décembre 2021). Die Magier machten sich also auf und folgten dem Stern, „wohingegen die Schriftgelehrten und Hohepriester, die die Offenbarung (Gottes) hatten – wir hörten es im Evangelium – … jämmerlich (in ihren Vorstellungen) gefangen bleiben. Sie bewegen sich nicht, sie gehen nicht zu dem Kind in der Krippe, obwohl sie aufgrund ihrer Offenbarung genau wissen, wo der Messias geboren werden soll.

Wenn ich die Schriftgelehrten und Pharisäer betrachte, glaube ich, dass wir uns alle selbst die Frage stellen müssen, ob nicht auch für uns die Gefahr besteht, dass wir uns auf unsere kleinen religiösen Gewissheiten beschränken und wir nicht in der Lage sind, das Unerwartete von Gott zu bestaunen. Denn Gott überrascht uns immer. Und ich glaube, dass diese Schriftgelehrten, diese Hohepriester eingeschränkt in ihrem Verstand, ihrem Denken (wörtlich: in ihrem Kopf) sind.“

An dieser Stelle erlaube ich mir eine Frage nach den „Hohepriestern“ und den „Schriftgelehrten“ der Hierarchie der römisch-katholischen Kirche, ohne hier auf konkrete Aspekte und Fakten einzugehen. Sind nicht auch sie vielfach eingeschränkt in ihren „jahrhundertealten“ Köpfen? Eingeschränkt, uneinsichtig und – störrisch? „Cocciuto come un mulo“ wie die Italiener zu sagen pflegen. „Störrisch wie ein Maulesel.“

„Ich sehe einen Stern aus Jakob aufgehen…“

Folgen wir weiter der Predigt des emeritierten Erzbischofs.

„Dieser geheimnisvolle Stern, der die Schriftgelehrten nicht interessiert, dieses kosmische Ereignis war jedoch von Bileam, einem heidnischen Propheten prophezeit worden, stellt euch vor! Ihr findet es im Buch Numeri, dem 4.Buch Mose. Ich zitiere ihn: „Ich sehe einen Stern aus Jakob aufgehen, ein Zepter sich erheben in Israel” (Num. 24,17) … … Das lässt uns nachdenken, nicht, weil uns die Offenbarung zu Teil wurde, nicht, weil wir die Chance haben, das Wort Gottes zu kennen und dass wir befreit sein werden. Ja, wir müssen uns immer überraschen lassen… 

Und welcher Stern wird uns aus unserer körperlichen wie spirituellen Gefangenschaft herausführen? Dieser Stern ist unser Glaube, wie Papst Franziskus uns in seiner ersten Enzyklika erinnert: ‚Der Glaube ist kein Licht, das all unsere Dunkelheit zerstreuen würde, sondern die Lampe, die unsere Schritte in der Nacht führt und die für unseren Weg ausreicht.‘ Ihr seht also, der Glaube lässt uns Gott nicht komplett erkennen. Er genügt als Licht, um, wie auch die Magier, nicht irregeführt zu werden. Das ist der Glaube. Den Glauben zu empfangen, ist ein Geschenk Gottes.“

Erzbischof Aupetit führte dann die Verbindung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Offenbarung und Erkenntnis aus. Der Glaube könne durch ein intellektuelles Werk vorbereitet werden. Intellektuell-geistiges Erfassen und Glaube schlössen einander nicht aus. Vom Beginn des Christentums an, wies Michel Aupetit darauf hin, seien es die Intelligenz, die Erkenntnis der Christen gewesen, die sie einsetzten, um das Geheimnis Gottes zu verstehen. Doch sie wussten, und wir wüssten es im Grunde auch, dass wir nicht allein durch unser intellektuelles Wissen Gott und die göttliche Realität begreifen könnten; es sei nicht möglich, Gott in unser Wissen einzuschließen. Durch die Offenbarung aber würde uns der Weg gezeigt. Die intellektuelle Arbeit könne den Glauben jedoch etwas mehr erhellen. Den Glauben, der ein Geschenk Gottes sei, um aus unserem Gefangen-Sein herauszukommen,

„um dem Licht entgegenzugehen, dem Licht der Völker, das unser Herr, Jesus Christus ist…

Dem Licht der Völker Und diese Völker kommen heute, um den Sohn Gottes anzubeten… … Und wir? Wie können wir den Glauben empfangen? Es ist wieder Papst Franziskus, der antwortet: ‚Der Glaube besteht in der Verfügbarkeit, sich durch den Ruf Gottes immer wieder neu verwandeln zu lassen.‘ Voilà. Ihr wollt befreit sein? Seid ihr dem Ruf Gottes verfügbar? Jeden Tag ruft er uns, umzukehren. Sind wir seinen Zeichen gegenüber sensibel, die er uns gibt? Sensibel seinem Ruf gegenüber? Sich verwandeln zu lassen. Die wahre Frage ist in der Tat diese: sind wir verfügbar?

Diejenige, die uns diesen Weg des Glaubens zeigt, ist die Jungfrau Maria. Maria, die dem Unerwarteten gegenüber, das von Gott kam, verfügbar war.“ Sie habe, so Michel Aupetit, die Botschaft des Engels aufgenommen, der ihr etwas verkündete, was unmöglich schien. Sie sei in ihrem Denken und in ihrer Entscheidung nicht festgefahren gewesen. „Maria“, erläutert Mgr Aupetit weiter, „ist die Tochter Zions des Propheten Jesaja. Sie repräsentiert das auserwählte Volk, das seinen Messias willkommen heißt und dadurch das Heil für alle Völker öffnet

So können alle Völker, alle, die suchen, die sich auf den Weg machen, alle diejenigen, die auf ewig aus der Gefangenschaft befreit sein werden, das Kind in der Krippe entdecken und bestaunen, das Kind, das Maria in ihren Armen hält. Wir haben gehört, wie der heilige Paulus es uns in der zweiten Lesung bekräftigte: ‚Alle Nationen sind durch die Verkündigung des Evangeliums mit demselben Erbe verbunden, mit demselben Leib und Mitgenossen derselben Verheißung in Christus Jesus‘ (Eph. 3, 6).

Und wir, die wir nicht das auserwählte Volk sind, wir haben aber die Chance, unseren Herrn, Christus zu kennen und durch ihn gerettet zu werden. Also, liebe Brüder und Schwestern lasst uns die Befreiten des Evangeliums sein, lasst uns zur Messe kommen, um den König der Könige zu treffen, und uns auf eine Mission zu begeben, die Frohe Botschaft von Erlösung und ewigem Leben, die allen offensteht, zu verkünden.“

Textlesungen: Jes. 60,1-6; Eph. 3,2-3.5-6; Matth. 2,1-12

Homélie de Mgr Michel Aupetit, Messe du 3 janvier 2021 à Saint-Germain-l’Auxerrois, KTOTV

Homélie de Mgr Michel Aupetit – Messe de l’Épiphanie à Saint-Germain-l’Auxerrois, Dimanche 3 janvier 2021 – Diocèse de Paris, L’Église catholique à Paris.

Übersetzung: Dr. Juliana Bauer

Einige Anmerkungen

Der 6.Januar in Frankreich

Die Messe zum Fest der Epiphanie fand am 3.Januar 2021 statt. Der 6.Januar ist in Frankreich kein Feiertag, sodass Dreikönig jeweils am vorhergehenden oder nachfolgenden Sonntag gefeiert wird.

Die „erste Enzyklika“ von Franziskus – ein päpstliches Gemeinschaftswerk

Zur genannten „ersten Enzyklika“ von Papst Franziskus: Es handelt sich um Lumen fidei („Licht des Glaubens“), von Benedikt XVI. begonnen und um Beiträge von Franziskus ergänzt sowie von diesem vollendet.

Ein kuriales Geschehnis von aufschlussreicher Art

Am Ende der Messe geschah etwas Ungewöhnliches. Im Rahmen seiner „Wochenverkündigungen“ erlaubte sich Le Recteur de la Cathédrale, der Domdekan von Notre Dame, Mgr Chauvet, eine „feine“, wenn auch leicht von Humor gepaarte Spitze seiner Art gegen die Predigt Mgr Aupetits: sie „war“, meinte er, „ein wenig verloren, denn der Zug der Könige, von dem wir sangen, wurde heute Abend zum Marsch der (von der Ausgangssperre) Befreiten … …“ und dass der Leiter der Maîtrise Vocale nun den Titel ändern müsse… …

Eine in der Öffentlichkeit durchaus unangemessene Äußerung eines Angehörigen des Domkapitels gegenüber der Predigt seines Erzbischofs. Gehörte die Äußerung zu den zahlreichen Kritiken an Mgr Aupetit, die man später von seinen kurialen Mitarbeitern berichten wird?

Eine Äußerung, die aber auch offenlegt, wie wenig der Domdekan, immerhin einer der „hohen Schriftgelehrten“ von Notre Dame, von den wunderbaren Predigtworten seines Bischofs begriffen zu haben schien. Oder begreifen wollte…! Auch schien er die von Lukas überlieferten Worte Jesu vergessen zu haben, der „den Gefangenen und Zerschlagenen“ die Freiheit verkündete (Luk. 4,18).