Wie ein friedlicher Spaziergang „geframt“ wird

Heidelberger Spaziergänge. 7.2.2022. (c) Sven Geschinski

Von Sven Geschinski

Polizeibeamte in martialischer Aufmachung am Anfang der Hauptstraße, Heidelberg. Sicher ist sicher – bei all den singenden, Blumen tragenden Spaziergängern.

„Zwei Personen wurden (…) als ‚Lenker‘ der Demonstration ausgemacht. Gegen sie wird wegen des Verdachts ermittelt, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Einer von ihnen hatte zudem ein Messer und Drogen einstecken (…). An der Ecke Hauptstraße/Kettengasse griff aus bislang unbekannten Gründen ein Teilnehmer Polizeibeamte an.“

Wenn man den die Dinge stark verkürzenden Polizeibericht über den Spaziergang am 7.02.2022 durch die Heidelberger Innenstadt liest, könnte man auf seltsame Gedanken kommen. Dass dieser verzerrende Eindruck der Realität gewollt ist, kann durchaus unterstellt werden. Wie war es also wirklich?

Gegen 18 Uhr am Montagabend des 07.02.2022 bleiben immer mehr Fußgänger auf dem Bismarckplatz stehen, Einzelpersonen, kleine Grüppchen und Gruppen. Mindestens 400 Spaziergänger werden die Polizisten später zählen. Das Anti-Konflikt-Team der Polizei ist auch vor Ort und alle gemeinsam, Spaziergänger und Polizeibeamte, setzten sich um 18.30 Uhr in Bewegung.

Spaziergänger sammeln sich am Bismarckplatz, Heidelberg

Durch die Hauptstraße geht der fröhliche, ruhige und friedliche Zug. Ein Kanadier, der die Fahne seines Landes über die Köpfe der Mit-Spaziergänger wehen lässt, fällt besonders auf. Er übt sich in Solidarität mit den kanadischen Truckern, die derzeit zu Tausenden im zweitgrößten Land der Erde gegen das Impfregime unter Trudeau protestieren.

Spaziergänger Richtung Innenstadt, Heilig-Geist-Platz

So geht es durch die gesamte Hauptstraße – bis zum Marktplatz. Die ruhige, friedliche Stimmung, die an ein Happening erinnert, wird jäh zerstört. Auf dem Marktplatz stehen Kastenwagen quer, aus dem Lautsprecher plärrt eine barsche Stimme, dass dies eine Versammlung sei und die Leiter gesucht würden. Aber natürlich gibt es keine Versammlungsleiter. Es ist auch keine Versammlung. Viele Fußgänger haben einfach nur autonom beschlossen, in eine Richtung zu gehen.

Der Zug weicht aus und umrundet die Heiliggeistkirche. In Höhe der Kettengasse, vor einer polizeilichen Postenkette, plötzlich lautstarker Tumult. Später heißt es von Seiten der Polizei, eine Einzelperson habe einen Polizisten angegriffen. Von anderen Beobachtern bestätigt werden kann diese Darstellung jedoch nicht, und so mancher fragt sich, ob sich nicht ein Agent Provocateur unter die Reihen der Spaziergänger gemischt hat.

Die unbeschwerte Stimmung ist endgültig verflogen. Der Zug setzt sich wieder in die Untere Straße in Bewegung, wird aber am Ausgang zur Hauptstraße von zwei Polizei-Kastenwagen blockiert. Viele haben den Eindruck, dass ein Kessel gebildet werden soll. Die Spaziergänger weichen in Richtung Neckar aus, spazieren an der B 3 entlang und nach dem Marstall wieder hoch zur Hauptstraße. Dort stehen Motorradpolizisten. Als sie von Spaziergängern freundlich angesprochen werden, verschwinden sie auf ihren schweren Maschinen in Richtung hintere Hauptstraße.

Singende Spaziergänger in der Hauptstraße, Heidelberg

Einige Spaziergänger heben an, zu singen. „Die Welle der Freiheit“ heißt das kleine Lied. Viele halten immer noch Kerzen oder kleine Blumen in der Hand, als Zeichen der Friedfertigkeit.

Am Bismarckplatz steht ein halbes Dutzend Kastenwagen der Polizei. Als sich der Spaziergang, der nur noch lose besteht, auflöst, greift sich ein Trupp Bereitschaftspolizisten zwei Fußgänger, die vorläufig festgenommen werden. Das Messer, von dem in dem späteren Polizeibericht die Rede ist, entpuppt sich übrigens als Multitool-Werkzeug.

Polizeiwagen am Bismarckplatz, Heidelberg

Im Gegensatz zu den Wochen zuvor hatte es die Polizei diesmal auf Konfrontation angelegt. Die aus Bruchsal herbeigekarrte Bereitschaftspolizei war ein deutliches Zeichen dafür. Sie tat dann auch mit ihren Blockaden am Marktplatz und in Höhe der Kettengasse genau das, was sie in den Augen der Ordnungsbehörden tun sollte: Sie übte Repression aus. Ihre martialische Ausrüstung und ihr barscher Ton und die vielen sinnlos am Bismarckplatz herumstehenden Einsatzwagen sollten einschüchtern.

Dass gegen friedliche Spaziergänger solch ein völlig unverhältnismäßiger polizeilicher Aufwand getrieben wird, lässt tief auf die Seelenlage der politisch Verantwortlichen blicken. Es ist die Angst der Regierung vor dem Volk, die sie zu solchen hanebüchenen Mitteln der Repression greifen lässt. Landesinnenminister Strobl sprach vorletzte Woche von 80.000 Montagsspaziergängern in 400 Orten Baden-Württembergs. Und es werden immer mehr…

Fotos: Sven Geschinski