Die Zerstörung Dresdens – Bericht eines Zeugen

Dresden, Blick vom Rathausturm, Ende 1945 (Foto: Richard Peter sen., Quelle: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE)

von CC Meir

Dresden, Blick vom Rathausturm, Ende 1945 (Foto: Richard Peter sen., Quelle: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE)

Können andere Kriegsverbrechen ein weiteres Kriegsverbrechen rechtfertigen ?
Die für ihre barocke Architektur, Kultur und Kunst weltberühmte Stadt Dresden und die Menschen in ihr wurden im Februar 1945 zerstört, als Deutschland militärisch bereits soweit besiegt war, dass es zur Verteidigung nicht mehr fähig war.

Mein verstorbener Vater Hans, geboren im Juni 1921, zum Zeitpunkt der Bombardierung Dresdens also 23 Jahre alt, war als einer der letzten schwer verwundet aus dem Kessel von Stalingrad ausgeflogen worden, er war im Februar 1945 nach langen Lazarett- und Krankenhaus-Aufenthalten in Dresden, wo er als “verwundeter Soldat im Studienurlaub” Architektur studieren wollte.
Er war Zeuge der vier Angriffe durch riesige Bomber-Geschwader am 13., 14. und 15. Februar 1945, er berichtete und schrieb darüber, hier Auszüge aus seinem Buch* :

„Am 14. Februar sollte Hans in Mathematik I geprüft werden und er büffelte noch fest bis in die Nacht vom 13. auf den 14. Februar. Am späten Abend hörte er Fliegeralarm, den er jedoch nicht weiter beachtete. Es folgte dann ein sehr schwerer Bombenangriff auf die Stadtmitte. Hans fühlte sich aber in seinem südlichen Stadtviertel nicht direkt bedroht.
Schließlich war dieser Angriff zu Ende und es gab Entwarnung. Er hörte ununterbrochen die Signalhörner der Feuerwehr, Technischer Nothilfe, Rotkreuz und auch von der Wehrmacht. Alle diese Helfer aus der nahen und weiteren Umgebung waren alarmiert worden und strömten in die Innenstadt von Dresden.

Hans war eingeschlafen. Er wachte auf, als ihm die Fensterscheiben um die Ohren flogen. Ein höllisches Bombardement setzte ein. Er erwischte noch schnell seine Schuhe, nahm ein paar Kleider und sauste in den Keller. Bei diesem zweiten Nachtangriff hagelte es unzählige Sprengbomben aber auch Brandbomben. Im Nu stand das Vorstadtviertel in Flammen und Häuser begannen einzustürzen. Der Luftschutzkeller war höchst provisorisch ausgestattet und bot wenig Schutz.
Das Bombardement nahm kein Ende. Die Luft war voller Rauch und Staub. …
Direkt neben Hans kauerte eine Frau mit ihrem Säugling. Sie hatte sich so über das Kind gebeugt, dass es geschützt war. Hans hörte, wie sie ihrem wimmernden Säugling ununterbrochen versicherte, sie werde ihn schützen. Sie flehte auch zu Gott. Auf seiner anderen Seite lagen zwei junge Burschen, die sich instinktiv an Hans klammerten und sich an seinem Gürtel festhielten. Somit war Hans plötzlich der Anführer einer kleinen Gruppe. Er verkündete : „Wir müssen raus, das Haus stürzt ein !“ Was es etwas später dann auch tat.
Hans war eigentlich nicht der Typ, der unbedingt den Helden spielen musste. Er war im Gegenteil ein vorsichtiger Zeitgenosse. Aber wenn es ganz dick kam, das hatte er im Krieg schon manches Mal bemerkt, war er plötzlich eiskalt und ganz klar denkend. Er orientierte sich und sah, daß eines der Kellerfenster mit Leuchtfarbe markiert war. Zum Aussteigen hingen zwei Seile herunter. …
Als Erstes mussten die beiden Burschen nach oben. Hans schärfte ihnen ein, dass sie unbedingt oben warten mussten, um die Mutter und den Säugling zu retten. Die beiden Jungen taten dies auch und jeder zog an einem der Seile, Hans stemmte die in einer Seilschlaufe sitzende Frau mit dem mit Kleiderfetzen an ihr fest gebundenen Säugling von unten hinauf. So brachten sie vereint Mutter und Kind nach oben. Als Hans oben ankam, war niemand mehr da.
Oben war die Hölle los. Noch kamen Bomben herunter und auf der Straße brannten die Brandbomben. Das waren etwa armlange, sechskantige Stäbe. Alles war sehr heiß und der Asphalt begann zu schmelzen. Ein ungeheuerer Sturm fegte durch die Strassen in Richtung Stadtmitte. Ein riesenhaftes Feuer stach hoch in den Himmel. Man konnte nicht stehen und musste auf Knien zwischen den Brandbomben durch. …
Hans Ziel war ein Studentenwohnhaus am Stadtrand in südlicher Richtung, dort wohnten ebenfalls verwundete Soldaten, die im Studienurlaub waren. Er schloss sich ihnen an. …
Das Gebäude lag etwas erhöht, man konnte über die Stadt nach Norden blicken, sah das riesenhafte Feuer, das einen gewaltigen Ton von sich gab …

Hans wurde die Taktik dieser beiden Angriffe klar :
Sie waren genau zeitlich aufeinander abgestimmt.
Der erste Angriff Abends war rein auf die Innenstadt gerichtet und zwar vorwiegend mit Brandbomben. Als die Innenstadt lichterloh brannte, kamen aus der ganzen Umgebung Feuerwehren und Retter aller Art angefahren, versuchten die Brände zu löschen und die Opfer der ersten Angriffs zu bergen und zu versorgen.
Kurz nach Mitternacht, als diese Rettungsarbeiten in vollem Gang waren, kam der zweite Angriff, der Hauptangriff, der die ganze Stadt zertrümmerte und all die Retter und Geretteten gezielt vernichtete. …
Die beiden ersten Nachtangriffe wurden vorwiegend mit Brandbomben durchgeführt. Die Hochschule wurde völlig zerstört, ebenso der Hauptbahnhof: Der Bahnhof, die Hochschule und die ganze Umgebung waren überfüllt gewesen mit unzähligen Flüchtlingen ( Menschen, die aus Polen, Schlesien und anderen ostdeutschen Gebieten vor der Sowjetarmee massenhaft geflüchtet waren ) Unzählige Menschen verbrannten, ihre Anzahl festzustellen ist nicht möglich, da es über Namen und Zahl dieser Flüchtlinge keinerlei Informationen gibt.
Wer konnte, flüchtete noch in die Elb-Auen.

Am Morgen des 14. Februar standen Hans und ein paar Studenten vor dem Haus, als aus der Ferne so etwas Ähnliches wie ein pulsierender Orgelton zu hören war. Man konnte unzählige Flugzeuge sehen. Es war ein Spätwintertag mit völlig klarem blauen Himmel. Ein riesiger Verband der US-Air Force kam auf die Stadt zu.
Die Studenten und auch Hans verkrümelten sich so schnell wie möglich in die provisorischen Luftschutz-Bauten des Studentenhauses. Es waren Gräben, ähnlich wie Schützengräben, mit Notdächern.
Der Motorenlärm war sehr stark, wurde aber übertönt durch ein Pfeifen von Tausenden und Abertausenden von Bomben, die gleichzeitig auf die Stadt herunter fielen. Das Zischen ging in ein Brüllen über und daraufhin erfolgten riesige Explosionen, die Erde bebte ganz stark.
Hans empfand wahnsinnige Angst.

Wieder genau an der Stadtgrenze war auch diesmal das Ende des Bombardements, sodass das Studentenheim gerade noch eben ausgespart blieb. Als die Studenten aus ihren Löchern gekrochen kamen, konnten sie sehen, dass die Stadt nun total zerstört war. Die letzten Bomben waren vielleicht 50 Meter vor dem Studentenheim explodiert. Auf einem nahe liegenden Sportplatz waren einige dieser riesigen Sprengbomben eingeschlagen und hatten Trichter mit 20 bis 30 Meter Durchmesser und Tiefe ausgeworfen.
Die Zünder waren „auf Zeit“ eingestellt.
Hans vermutete, dass diese Zeitzündung den Zweck hatte, dass die Bomben die Gebäudedecken und auch die Decken über den Luftschutzkellern durchschlagen sollten und erst dort explodieren sollten um alle zu töten, die den beiden ersten Nachtangriffen entkommen waren.

Hans konnte es nicht glauben, als am 15.2.1945 wieder am helllichten Tag am blauen wolkenfreien Himmel erneut ein Geschwader zum Angriff ansetzte. Wie bei den Angriffen zuvor war keine deutsche Abwehr zu sehen oder zu hören. Diesmal ging Hans nicht in den Luftschutzkeller, er war wie versteinert, hatte keinerlei Gefühle, auch keine Angst mehr.
Er stand da und schaute sich alles an, was da ringsum passierte. Wieder kam ein grosser Verband der US-Air Force wie am Tag vorher geflogen, exerziermäßig geordnet. In genauen Abständen flogen diese Bomberflugzeuge in Reih und Glied heran. …
Hans begann die Reihen in der Breite und in der Tiefe zu zählen und erhielt einen Wert von etwa 700 Maschinen. Weitere Hunderte von Flugzeugen begleiteten den Verband.



Auch dieser Angriff ging vorüber.
Hans hatte eine Freundin in Dresden – Ursula. Er machte sich auf die Suche nach ihr. Gefunden hat er Ursula nicht.

In den völlig zerstörten Stadtteilen herrschte ein penetranter Geruch, der ähnlich war wie verbrannter Gänsebraten an Weihnachten. Ihn schauderte, als ihm klar wurde, dass dies Menschenfleisch war. Leichen waren zum Teil nicht völlig verbrannt, nur eingeschrumpft. Es war ein grauenvolles Erlebnis. Nirgendwo im Krieg hatte er solche Dinge gesehen.

File:Bundesarchiv Bild 183-Z0309-310, Zerstörtes Dresden.jpg
Blick vom Turm der Kreuzkirche auf die durch die Luftangriffe zerstörte Innenstadt Dresdens in Richtung des Pirnaischen Platzes (1945) Bundesarchiv, Bild 183-Z0309-310 / G. Beyer / CC-BY-SA 3.0


Nun zu den Tiefflieger-Angriffen : Damals waren nicht nur in Dresden, sondern über ganz Deutschland, feindliche Jagdflugzeuge -„Marauders“ genannt- in der Luft. Spaziergänger, Schulkinder auf dem Schulweg, Bauern beim Pflügen und andere Leute wurden von herabstossenden Jagdflugzeugen beschossen und auch getötet. … Besonders verwerflich waren die Tiefflieger-Angriffe auf die Menschen, die sich aus der brennenden Stadt in die Elb-Auen geflüchtet hatten.

Auch das wurde später, wie das 4. Bombardement am 15. Februar durch die US-Air Force, als „Mythos“ dargestellt. Ein junger deutscher Historiker, der einen angeblich „umfassenden Bericht“ über die Bombardierung Dresdens zusammengestellt hatte, äußerte, er habe in den Akten der West-Alliierten keinerlei Hinweise auf diese Ereignisse finden können. …
Solche Historiker sind mit ihrer Darstellung schnell bei der Hand. Sie ignorieren dabei völlig, dass sie nur aus einseitigen Quellen geschöpft haben. Der Sieger schreibt bekanntlich die Geschichte und zwar so, daß peinliche Dinge auf der Siegerseite einfach geleugnet werden und Akten über die Schuld des Siegers verschwinden. -„Vae victis“ (Wehe den Besiegten)

„Bomber Harris“, der zuständige britische Luftmarschall erklärte später, daß er durch die Vernichtung der Zivilbevölkerung der deutschen Rüstungsindustrie das Personal entziehe. Nun war das Reich 12 Wochen vor der Kapitulation schon völlig besiegt. Beweis dafür ist unter anderem die Tatsache, daß gegen die Fliegerangriffe auf Dresden keinerlei Widerstand von deutsche Seite geleistet wurde. Weder Fliegerabwehrkanonen oder Raketen wurden abgefeuert, kein deutscher Jagdflieger war zu sehen. …

Die Zahl der Opfer der Angriffe auf Dresden wurden später herunterfrisiert auf „nur“ 30 000 bis 40 000 Tote, das ist viel zu wenig. Der Streit um die Zahlen ist gespenstisch.

Die Industrie-Vorstädte waren nicht angegriffen worden. …
Alle diese Angriffe waren direkt auf die Zivilbevölkerung gerichtet.

Jahre später hat Hans dann erfahren, dass Winston Churchill die Motivation für die Bombardierung Dresdens aufdeckte : Er habe den anrückenden Russen zeigen wollen, welche gewaltige Luftmacht die Alliierten haben.
Er wollte also nur die Muskeln spielen lassen, und deshalb wurden vieltausend Menschen getötet, eine intakte Kunststadt vernichtet.
Hans war verbittert und dachte : Dagegen war Nero noch ein Waisenknabe.“

*) P.P. Meir „Zephir und Zyklon“

************
Hans wurde 1921 als Sohn eines süddeutschen Fabrikanten geboren, nach Notabitur wurde er mit 17 zum Militär eingezogen und musste eine Offiziers-Ausbildung absolvieren. Nach dem Frankreich-Feldzug, den als „Blumenkrieg” bezeichnete, weil es beim Einmarsch kaum nennenswerte Kampfhandlungen gab, musste er als Kompanieführer in den Russland-Feldzug, wo er beim Kampf um Stalingrad schwer verwundet wurde. Sein Unglück war aber auch sein Glück, weil er als einer der letzten aus dem Kessel ausgeflogen wurde. Nach dem zynischen Kalkül der Selektion wurde er deshalb gerettet, weil angenommen wurde, dass man ihn noch zusammenflicken und nochmal in den Krieg schicken könnte. Er überlebte die Verwundung, eine Sepsis und als “verwundeter Soldat im Studium“ auch die Zerstörung Dresdens. 


Nach dem Krieg schlug er sich in den amerikanischen Sektor durch, wo er in Stuttgart Architektur studierte und seine spätere Ehefrau traf, auch eine Architektur-Studentin. Er diente sich ihr als Dolmetscher des Schwäbischen ins Hochdeutsche an und rettete sie vor dem Hungertod mit Hilfe eines Sackes Kartoffeln, den er wunderbarerweise requirieren konnte. Beide wurden über 90 und starben kurz nacheinander. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. 


Noch als Student konzipierte Hans ein völlig neues architektonisches Konzept einer Schule, gewann damit einen Architekten-Wettbewerb und erhielt den Auftrag zum Bau der Schule. Diese Schule wurde als eines der ersten Bauwerke der 1950ger Jahre unter Denkmalschutz gestellt, war Vorbild für unzählige Schulgebäude. Er arbeitete als erfolgreicher Architekt hauptsächlich von Schulen, Sport-Stätten und Kliniken bis zum Rentenalter. Danach bildhauerte er und schrieb Gedichte, Kurzgeschichten und Bücher unter dem Namen P.P. Meir.