Ohne Olympischen Geist – Kommentar zum Abschluß der Olympischen Winterspiele

Kamila Walijewa und ihr Hund Lëva, ein Zwergspitz. Bild: Team Tutberidze Official, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

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Von Peter Helmes

IOC-Präsident Bach hat mit einem vierfachen ‚sehr zufrieden‘ seine Bewertung abgegeben. Das ist die höchste Anerkennung, die man von „offizieller Seite“ den Chinesen geben kann. Typisch – und auch beschämend –, daß ausgerechnet ein so Grundwerte armer Funktionär wie der Deutsche Thomas Bach sie ausspricht – ohne auch nur eine Spur von Kritik erkennen zu lassen.

Denn was auch immer es war, was wir in Peking sehen konnten, mit Olympischem Geist hatte das nichts zu tun. Die Welt sollte die Abschlußfeier zum Anlaß nehmen, so etwas nie wieder zu tun. Nicht die Olympischen Spiele im Allgemeinen, natürlich. Aber nie wieder in einem Polizeistaat.

Absurde Olympische Winterspiele: Kunstschnee, wohin man schaut

Das bleibende Bild der Olympischen Spiele 2022 in Peking wird die 15-jährige russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa sein. Sie brach nach einer katastrophalen Kür, die sie aus dem Rennen um eine Medaille warf, in Tränen aus. Walijewa war zuvor positiv auf eine verbotene Substanz getestet worden, doch das Schiedsgericht für Sport erlaubte ihr trotzdem, an der Kür teilzunehmen. Ihre abschließende Darbietung war ein schmerzhaftes Beispiel für den mentalen Zusammenbruch eines Kindes, eines Teenagers. Die ganze Tortur erinnerte stark an Kindesmißhandlung, und ihre Trainerin schimpfte sie aus, während sie schluchzte.

Die Olympischen Spiele sind seit langem von Kontroversen geprägt, und dies war ein weiterer Tiefpunkt. Es hat den Ruf von Peking 2022 als die ‚Skandalspiele‘ zementiert.

Aber Vorsicht. Man muß die ganze Wahrheit sehen und sollte nicht – weil es vielleicht ins eigene Bild paßt – auf einem Auge blind sein: Die westlichen Länder können sich nicht zurücklehnen und ihre moralische Überlegenheit zur Schau stellen. Die sexuelle Belästigung, der z.B. die amerikanischen Turnerinnen durch den Trainer ausgesetzt waren, hat die Schattenseiten des Sports aufgezeigt. Natürlich wird man einwenden, daß im ‚offenen‘ amerikanischen System die schmutzige Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt ist, was in einem Land wie Russland nicht geschehen wäre.

Aber es zeigt, daß im Leistungssport überall auf der Welt nicht alles in Ordnung ist und daß das System transparenter gestaltet werden muß. Es reicht nicht aus, und es ist sogar sinnlos, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das IOC muß mit Hilfe seiner Mitglieder, die die Länder der Welt repräsentieren, schleunigst das eigene Haus in Ordnung bringen. Ob das mit den vorhandenen Kräften und Funktionären möglich ist, muß leider in Frage gestellt werden. Denn der Wurm steckt im System.

Diese Winterspiele waren sicher nicht der Aufbruch in eine neue, vernünftigere Zeit von Olympia. Hier ging es um neue Märkte, um neue Wintersportgebiete, das Zurschaustellen der Leistungen einer Wirtschaftsweltmacht und ihrer dominierenden Kommunistischen Partei. In dieser Kombination sollten Olympische Winterspiele keine Zukunft haben.

Das Reich der Mitte demonstrierte seine Macht, sein Können, seine Wirtschaftskraft. China bot dem Sport keine Bühne. Es war genau umgekehrt. Das IOC machte bereitwillig die Bühne frei für diesen großen Auftritt. Die Hüter der Ringe befinden sich in bester Gesellschaft internationaler Unternehmen. Wie sie baut das IOC auf den riesigen Wirtschaftsmarkt mit enormem Wachstumspotenzial. 300 Millionen Chinesen sollen nun Wintersport betreiben, betonte IOC-Präsident Thomas Bach immer wieder. Die Absatzzahlen der Wintersportindustrie lassen daran zweifeln – auch, wie lange die angebliche Begeisterung anhält, die so künstlich war wie der Schnee. Emotionen und Empathie lassen sich eben nicht auf Bestellung erzeugen.

Doch die Kritik ist scheinheilig. Selbstverständlich herrscht in China eine Diktatur. Natürlich wird sich das Land durch Olympia keinen Deut in Richtung Demokratie bewegen – genauso wenig wie Katar durch die Fußball-WM. Doch viele westliche Städte wollen die teuren Sportfeste eben gar nicht mehr ausrichten. Die Berliner lehnten die Sommerspiele ab, die Münchner die Winterspiele. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn Diktatoren dankbar zugreifen.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (20.2.22) bilanziert: „Die Führung des Internationalen Olympischen Komitees hat die vergangenen Wochen damit verbracht, nach Kräften die Linie der Kommunistischen Partei Chinas zu unterstützen. Politische Korrespondenten berichten unterdessen von nochmals verschärfter Repression des Staatsapparats in Tibet und Xinjiang – wegen der Olympischen Spiele. Auf Nachfragen zu Lagern und Zwangsarbeit in Xinjiang antworten die chinesischen Olympiaorganisatoren, die Fragen basierten auf Lügen. Das IOC antwortet, dass diese Fragen andere beantworten sollten. Und wird wiederum von den Chinesen vorgeführt, die zu Taiwan auf olympischer Bühne die Ein-China-Politik ausbreiten. Das IOC hat sich wieder einmal, um sein Geschäft zu sichern, einem brutalen Unrechtsstaat angedient. Hat deren Wünsche bedient und Propaganda verbreitet. Die Chinesen haben die Geschenke angenommen. Und weitergemacht wie immer.“ Dem ist nichts zuzufügen.

Und noch ein weiteres: Das allgemein verbreitete Fokussieren auf den Medaillenspiegel verdeckt die wahre Leistungsbreite im Sport. Nur, wer eine Medaille gewinnt, erscheint in der Tabelle. Und wenn eine Nation z.B. „nur“ zehn Silbermedaillen einfährt, eine andere  aber „nur“ 1 Goldmedaille, steht die Nation mit „nur Silber“ hinter der Goldenen. Das ist nicht nur ungerecht, sondern leistet dem Sport einen Bärendienst – genauso wie die Praxis, nur Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen aufzuzeigen und die Ergebnisse ab Platz 4 nicht. Es ist dringend an der Zeit für eine gerechtere Leistungs- und Erfolgsübersicht.

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