NATO-Gipfel am 29. Juni: Ein “Pflichtgeschenk” an die Türkei!

Peter Helmes

Schweden und Finnland hatten längst ihre Bereitschaft erklärt, der NATO beizutreten. Aber ein solcher Akt muß EINSTIMMIG von allen Bündnisstaaten beschlossen werden. Und da lag in den letzten Monaten der Hund begraben: Die Türkei verweigerte ihre Zustimmung, weil sie insbesondere Schweden vorwarf, „Terrororganisationen“ wie z.B. die PKK zu unterstützen. Erdogan kündigte an, den Beitritt abzulehnen, wenn die nordischen Regierungen ihre Politik nicht änderten. Gestern Abend war deshalb die Überraschung groß, als NATO-Generalsekretär Stoltenberg verkündete, das türkische Veto sei hinfällig geworden.

Was hat die Türkei für ihr Einlenken bekommen?

Es war alles andere als klar, daß die Türkei den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Allianz akzeptieren würde. Die Regierung Erdogan ist bekannt für eine Politik, die es ihr ermöglicht, sowohl Mitglied der NATO zu sein als auch privilegierte Beziehungen zu Russland zu unterhalten. Was ist der Preis, den die Türkei im Austausch für ihre Zustimmung erhalten hat? Sicherlich keine Kleinigkeit:

Zunächst errang Erdogan Aufmerksamkeit – national und international. Und er erhielt auch Handfestes: Am Abend wurde eine Absichtserklärung zu Waffenexport und Terrorismusbekämpfung unterzeichnet. Dem Sicherheitsbedürfnis der Türkei wurde damit Respekt gezollt. Außerdem verschärft Schweden seine Anti-Terror-Gesetze – ein Dialogöffner, den Premierministerin Magdalena Andersson zu den Gesprächen mitbringen konnte. Daß diese Initiative schon seit ein paar Jahren läuft, spielt für den türkischen Präsidenten Erdogan eine untergeordnete Rolle. Innenpolitisch kann er sich als Gewinner präsentieren.

Finnland und Schweden für die “neue” NATO hochwichtig!

Nota bene, in der Türkei wird die kurdische PKK als Terrororganisation eingestuft. Der größte Erfolg Erdogans ist deshalb, daß beide Länder garantieren, die YPG in Syrien nicht mehr zu unterstützen. Das Versprechen Schwedens und Finnlands, den Kampf gegen die Terrororganisation zu verstärken, ist auf dem Papier nicht viel wert. Dennoch ist es wichtig. Zumindest werden diejenigen, die die Türkei mit einem internationalen Haftbefehl sucht, nicht mehr in den Parlamenten dieser Länder reden können.

Um es deutlich zu sagen: Der türkische Präsident Erdogan bekommt de facto eine Berechtigung für seine Unterdrückung der kurdischen Minderheiten.

Die Frage ist, wie sich die internationale Gemeinschaft dazu positioniert. Die Repressionen Moskaus gegen Tschetschenien oder die Unterdrückung der Uiguren durch Peking werden als Terrormaßnahmen eingestuft. Es kommt vor, daß die Unterstützung von Minderheiten und nationale wie internationale sicherheitspolitische Interessen wie die der NATO im Widerspruch zueinander stehen. Um dies zu entschärfen, ist die internationale Gemeinschaft gefragt.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, darf man diese Entwicklung getrost als bedeutende politische Niederlage für Wladimir Putin ansehen.

Eine der wichtigsten Forderungen des russischen Präsidenten vor seinem katastrophalen Beschluß zum Einmarsch in die Ukraine war, daß die Nato keine neuen Mitglieder aufnehmen sollte. Eine andere war, daß die Nato ihre Truppen aus den östlichen Mitgliedsstaaten zurückziehen sollte. Nun bekommt die Nato zwei neue Mitglieder – und verstärkt ihre Verteidigung im Osten erheblich.

Russland ist eine unmittelbare Sicherheitsbedrohung für den gesamten Westen

Es ist damit zu rechnen, daß die Teilnehmer des NATO-Gipfels Russland zur größten Bedrohung für ihre Sicherheit erklären werden. Zum ersten Mal seit 30 Jahren – seit dem Ende des Kalten Krieges – kehrt die Nordatlantische Allianz damit zu jener Aufgabe zurück, für die sie 1949 gegründet wurde: die Sowjetunion einzuhegen. Im neuen strategischen Konzept, das beim Gipfel in Madrid verabschiedet werden soll, wird Russland als „direkte Sicherheitsbedrohung“ für die NATO bezeichnet. Und es ist auch das erste Mal, daß das Bündnis China als „strategische Herausforderung“ einstuft.

Die Botschaft der Einheit und Entschlossenheit, die die westlichen Verbündeten in diesen Stunden an Wladimir Putin senden, kann nicht mißverstanden werden. In einer Art Grand Slam, der in der vergangenen Woche mit dem Europäischen Rat in Brüssel begann, beim G7-Gipfel in Elmau fortgesetzt wurde und mit dem NATO-Gipfel in Madrid seine finale Station erreicht hat, sagt der Westen dem Kreml-Chef, daß er bereit ist, dessen imperiale Absichten und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine so lange wie nötig zu bekämpfen. Und daß er beabsichtigt, die politischen und wirtschaftlichen Kosten, die auf den Kremlchef zukommen, zu erhöhen, um ihn eines Tages an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Kein schlechtes Ergebnis der Gipfelei!

*****

Sie lesen gern die Debattenbeiträge, Analysen, Satiren und andere Inhalte,

die wir Ihnen auf conservo bieten?

Dann können Sie unser Engagement hier unterstützen:

PayPal