
Michael van Laack
Schon wieder ein neues Kirchenjahr. Die Zeit scheint an uns vorüberzufliegen. Denn es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als ich genau dasselbe 2021 gedacht habe. Möge die Adventszeit für uns auch eine Zeit der Besinnung sein. Vor allem in diesen Tagen, in denen rechts wie links so viele nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein scheinen. Im Staat, in der Gesellschaft, in der Kirche. Getrieben von Ängsten verlieren immer mehr Menschen das Wesentliche aus dem Blick.
Heute möchten wir unseren Lesern – wie bereits zu anderen liturgischen Höhepunkten des Kirchenjahres – Texte von Autoren vorstellen, deren Werke in den vergangenen Jahrzehnten gewissermaßen verdunstet sind, ohne dass adäquater Ersatz gefunden werden konnte. Denn in der Gegenwart gehört leider zu fast jeder Adventsbetrachtung aus den einstmals unverbrüchlich römisch-katholischen Verlagen (wie z. B..) Herder / Freiburg i. Br.) mindestens ein Querverweis auf Buddha oder Allah. Lediglich einmal mehr liturgisch auf die Ankunft des Erlösers zu warten (der doch schon längst da ist, meinen sie), sei ebenso langweilig wie antiökumenisch und schon auch ein wenig islamophob.
Für heute habe ich aus meiner Bibliothek die kurze Einführung (A.) in die Adventszeit von Peter Morant (Das Breviergebet, Deutsche Ausgabe des Breviarium Romanum – Band 1: Advent bis Dreifaltigkeitssonntag, Freiburg, 1964) gewählt. Daran angeschlossen einige Gedanken (B.) von Franz Xaver Reck (Das Missale als Betrachtungsbuch, Erster Band, Freiburg, 1909) zum Evangelium des Sonntags. Letztere ist besonders gut geeignet für alle alten und jungen „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“-Fans.
A. Vorbereitung auf die erste und zweite Ankunft Christi
Die Menschheit erfährt Gott dadurch, dass Er aus dem Dunkel der Verborgenheit heraustritt und Seine ewigen Heilspläne in der Zeit an ihr vollzieht. Bei aller Einheit und Geschlossenheit dieser Heilsgeschichte, in der Er jeden einzelnen Menschen aus der Verlorenheit der Sünde zu sich heimholt, lassen sich mehrere Entwicklungsstufen erkennen. Die entscheidendsten sind die Menschwerdung des Gottessohnes und die alles Weltgeschehen abschließende und vollendende Wiederkunft des Herrn.
Die Vorbereitung und der Anstieg zur ersten Stufe war das Alte Testament, und die Wegbereitung zur Parusie ist die ganze messianische Zeit. Die pilgernde Kirche als Ganzes und jeder Gläubige im Besondern haben immer wieder Grund, sich jährlich mit alttestamentlicher Sehnsucht auf das Kommen Jesu im Fleische vorzubereiten, also in Buße und Freude Advent zu feiern, weil unser Ja zur gnadenvollen Begegnung mit Ihm immer wieder verblasst und doch für die Annahme der Erlösung entscheidend ist.
Auf solche Weise erleben wir die Ankunft des Herrn in Gnade und Kraft und gewinnen die entsprechende innere Verfassung und Ausrichtung für die glorreiche Ankunft des ewigen Richters.Jesaja, Maria, Johannes – Wegbegleiter der Erwartung
Jesaja, Maria, Johannes: Auch sie waren (Er)Wartende
Der Doppelcharakter des Advents: Vorbereitung auf das Kommen des Herrn in der menschlichen Geburt und Sein Kommen zur Endvollendung, steht im Brevier-Gebet wie in der Messliturgie am ersten Adventsonntag im Vordergrund (vgl. Parusie-Erwartung in der 3. Lesung der Matutin und in allen Kapiteln dieses Tages) . Die übrigen Sonntage und alle Wochentage sind von der Blickrichtung auf Weihnachten beherrscht. Als Sprecher und Dolmetsch der altbundlichen Messias-Erwartung tritt in den Wechselgebeten und Antiphonen und vor allem in den Lesungen der Matutin der Prophet Isaias auf (mit gewissen Auslassungen liest die Kirche das ganze Buch).
Als unmittelbarer Wegbereiter des Heilandes erhebt Johannes der Täufer in den Evangelien der drei letzten Sonntage seine mahnende Stimme. Am Feste der Unbefleckten Empfängnis und am Mittwoch und Freitag der Quatember-Woche tritt Maria, die seligste Jungfrau und reine Mutter des Gottessohnes, bescheiden und erhebend vor das Auge des Beters. Drei große Gestalten führen uns in der Stille der lieblichen, erwartungsvollen Adventszeit zu Christus hin: der alttestamentliche Evangelist und Prophet Isaias, der ernste Bußprediger Johannes und die gütige, liebenswürdige Gottesmutter. Sie wecken in unserer Seele einen Dreiklang von seltener Harmonie: Sehnsucht, Buße und Liebe, und untermalen alle auf ihre Weise die Vaterunser-Bitte: Es komme Dein Reich!
B. Gedanken zum ersten Adventssonntag
Lesung: Röm 13, 11-14 / Evangelium: Lk 21, 25-33
Der Herr redet vom Weltgericht; diese Rede fällt in seine letzten Lebenstage, da die Stunde nahe war, wo er von einem menschlichen Gericht als Übeltäter gerichtet und verdammt werden sollte. Er hatte sein Ende längst vor Augen. Und da es unmittelbar nahe war, redet er vom Weltende und Weltgericht und lässt keinen Zweifel, dass dieser Tag kommen wird und kommen muss und er selber der Richter sein wird und sein will.
Am Ende also wird die Welt doch noch das Fürchten lernen. Man hat nichts gefürchtet im Leben oder hat gefürchtet, was zu fürchten nicht nötig, am Ende gar unwürdig war. Man hat nur einen nicht gefürchtet: Gott den Herrn. Nun lernt man seine Furcht noch am Ende der Tage. Wäre man klug gewesen, man hätte mit ihr begonnen, nicht geendet, dann wäre das Ende gewiss ein anderes.
Gehört denn aber die Furcht Gottes in das Leben des Menschen hinein? Ist sie wirklich ein Element der göttlichen Pädagogik – auch die Furcht vor Gericht und Verdammnis? Dass sie dies ist, ergibt sich klar aus den Worten des Herrn: ‚Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in der Hölle zu verderben vermag.‘ (Mt 10, 28).
Fürchtet Euch nicht so sehr vor Gott, sondern mehr vor Euch selbst!
Wenn es uns aber anstößig erscheint, dass selbst Christus, sonst so milde, uns diese Furcht zumutet, so liegt der Grund hiervon nicht in Gott, sondern in uns. Gott ist seinem Wesen nach die Liebe: Deus caritas est (1. Joh 4, 16) – und sein Verhältnis zu uns ist Offenbarung dieser Liebe. Und unser Verhältnis zu ihm? Es soll Bestätigung unserer Liebe sein! Derselbe göttliche Heiland, welcher gebietet: ‚Fürchtet vielmehr jenen, der Seele und Leib in der Hölle zu verderben vermag‘, hat auch das Gebot bestätigt: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben aus Deinem ganzen Herzen…“ (Mk 12, 30).
Wenn wir dieses Gebot akzeptieren und befolgen, kann der Herr auf das Gebot der Gottesfurcht verzichten: denn das Gebot der Liebe ist, wo es beachtet und befolgt wird, Gottes und des Menschen würdiger. Aber auch am Gebot der Furcht vor Gericht und Verdammnis haftet nichts Gottes Unwürdiges; er verlangt diese Furcht nicht, damit er gefürchtet sei, denn er will geliebt werden; aber er verlangt dieselbe, damit wir durch sie den Schrecken der Verdammnis entgehen und verlangt sie von uns Menschen, weil er uns besser kennt, als wir uns selber kennen!