Die unterfinanzierten deutschen Streitkräfte erhalten mehr Geld

Kampfjets. Bild: Pixabay

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist

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Nach Jahrzehnten der Unterfinanzierung hat der Finanzminister Lindner zusätzlich zu den Jahreshaushalten ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro festgelegt. Er läutet so eine Trendwende für die Bundeswehr ein.

Allerdings – seine Forderung nach mehr Managern in den Streitkräften ist abwegig – wie die amerikanischen Streitkräfte im Vietnam-Krieg gelernt haben.

Die Streitkräfte brauchen Führer, die im Einsatz Vorbild sind und führen können.

Die Verbesserung der Einsatzbereitschaft ist dringend notwendig

Vor Schnellschüssen wird jedoch gewarnt. 100 Milliarden entsprechen rd. zwei deutschen Jahreshaushalten für die Verteidigung und Abschreckung.

Die Streitkräfte schieben große Bugwellen an nicht beschafften Waffen und Gerät vor sich her. Werden diese zunächst angeschafft? Oder werden diese an den Forderungen der Zukunft gemessen. Hoffentlich.

  • Die Effizienz von Waffen und Gerät muss für Winter- und wärmere Regionen getestet werden.
  • Der aktuelle Krieg zwischen Russland und der Ukraine kann wertvolle „Lessons learned“ anbieten.
  • Das „Gefecht der verbundenen Waffen“ des Heeres und „Joint Operations“ der Teilstreitkräfte sind jährlich zu üben – unter „kriegsnahen Bedingungen“.

Bei den Überlegungen über Waffen und Gerät darf der Mensch nicht übersehen werden.

Der angesprochene aktuelle Krieg zeigt sehr deutlich, dass der Mensch ein bedeutender Faktor ist. Ein gut geführter und angemessen ausgestatteter Kämpfer kann technische Defizite mildern oder sogar ausgleichen.

Die zivile Bevölkerung kann die Soldaten unterstützen in dem Schutz der Infrastruktur sowie in dem Ausbau von Stellungen. Im Orts- und Häuserkampf kann die Bevölkerung ein dichtes Netz der Nahaufklärung bilden.

Die deutschen Soldaten und unsere zivile Zivilbevölkerung können die Qualität der ukrainischen Soldaten und der Zivilisten ad hoc nicht erreichen. Sie müssen fair informiert und ausgebildet werden.

In ihrem Jahresbericht 2021 spricht die Wehrbeauftragte die wichtigsten Mängel der Bundeswehr an – wie ihre Vorgänger auch, deren Mängelliste jedoch kaum zur Kenntnis genommen worden ist. Bundeswehr und Verteidigung waren wenig populär in den 16 Jahren der Merkelregierung.

Das muss sich ändern.

An erster Stelle muss eine glaubwürdige Abschreckung stehen, die den Preis einer Erpressung oder einer Aggression hoch schraubt. Das geschieht nicht mit Worten, sondern mit Taten.

Wie wird die Fähigkeit zur Abschreckung und Verteidigung aussehen?

Diese Frage muss nicht sofort beantwortet werden.

  • In den ersten 10 Monaten muss eine sorgfältige Bestandsaufnahme durchgeführt werden.
  • Sie muss durch interne und externe Kenner der Bundeswehr durchgeführt werden und in einer Prioritätenliste der Teilstreitkräfte abgebildet werden.
  • Der Verteilerschlüssel zwischen Bedarfsträgern kann im Prinzip übernommen werden.
  • Das gesamte Sondervermögen darf nicht in ersten Jahren ausgegeben werden.
  • Auch für Folgeaufwendungen muss ausreichend Geld verfügbar bleiben.

Bei der Beschaffung von Waffen und Gerät sollte man auf langjährige multinationale Entwicklungen verzichten, da – nach Erfahrungen der letzten Jahre – diese teurer werden und länger bis zu Einführungen in die Streitkräfte dauern.

Die Produktion und die Vorbereitungen in den Streitkräften müssen zeitlich und technisch in Teilschritten überwacht werden.

Nur notwendige Änderungen sind zu akzeptieren – kein „Nice to have“.

Der Verkauf deutscher Waffensysteme an Nicht-NATO-Staaten muss im Einzelfall überprüft werden.

Deutschland braucht endlich einen Nationalen Sicherheitsberater

Diesen Sicherheitsberater mit einem interdisziplinären Team fordere ich seit rd. 40 Jahren. Seine Ernennung scheitert bislang an verschiedenen Partikularinteressen und überflüssigen Eifersüchteleien.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde die deutsche Regierung immer wieder „überrascht“ durch bedrohliche Entwicklungen.

Die Regierung muss mit verschiedenen Frühwarnsystemen in die Lage versetzt werden, für Deutschland negative globale Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, um pro-aktive Entscheidungen treffen zu können.

  • Um seine Position zu stärken, sollte der Nationale Sicherheitsberater einem Staatsminister oder Staatssekretär im Kanzleramt direkt unterstellt werden.
  • Die Beschaffung von Waffensystemen und komplexem Gerät hat heute einen schlechten Ruf.
  • Ein Bundesamt für Beschaffung muss geführt werden – nicht administriert und nicht von Lobbyisten und teuren Beratern bedrängt.
  • Der Zugang zum Bundesamt für Beschaffung muss permanent für Lobbyisten und externe Berater gesperrt sein – auch außerhalb der offiziellen Gebäude.
  • Für die Zukunft müssen Digitalisierung und Systeme zur Cyberabwehr besondere Priorität erhalten.

Es sollte auch überprüft werden, ob alle Zeitoffiziere während ihrer aktiven Dienstzeit ein Studium benötigen oder ob man ein Studium besser am Ende der aktiven Zeit oder im Anschluss anbietet.

Die jahrelange Unterbrechung durch ein Studium, das in den meisten Verwendungen nicht der beruflichen Aus- und Weiterbildung dient, bringt weder dem Dienstherrn noch den betroffenen Offizieren mehr Vorteile, sondern eher Nachteile – dies gilt besonders für Einsätze in der Kampftruppe.

Das viele Geld von Herrn Lindner lockt auch ausländische Bewerber an. Günstige Angebote müssen sorgfältig geprüft werden. In den Nachkriegszeiten steht das nationale Interesse im Vordergrund.