Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – Die Zukunft der Bundeswehr

Von Dieter Farwick, BrigGen und Publizist

Einführung:

Am Mittwoch, dem 27.04. 2022 habe ich mit obigem Thema meinen ersten Vortrag seit langer Zeit in Lübeck gehalten. Es war ein geladener Kreis von ca. 50 Damen und Herren.

Ich war davon ausgegangen, der Veranstalter sei die Gesellschaft für Sicherheitspolitik mit dem Leiter der Sektion Lübeck – einem Oberstleutnant der Reserve. Dieser Oberstleutnant war 17 Jahre Sektionsleiter in Lübeck. Mittlerweile ist er aus dieser Gesellschaft ausgeschieden – nach einem Streit.

Vor Ort hat sich herausgestellt, dass er seine Veranstaltungen im Rahmen einer anderen Gesellschaft durchführt. Nach meinen Angaben zur Person habe ich mit dem Kapitel begonnen:

Die Bundeswehr in der Zeitenwende

Das Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr hat Bundeskanzler Scholz in Übereinstimmung mit dem Finanzminister Lindner im Februar 2020 im Bundestag verkündet.

Nach Jahrzehnten der Unterfinanzierung kann dies der Beginn einer Zeitenwende für die Bundeswehr sein, die im Grundgesetz verankert ist und nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages verändert werden kann.

Wegen der anhaltenden Corona-Pandemie und der finanziellen Unterstützung der Ukraine sind 100 Milliarden eine Riesensumme für die Bundeswehr.

Diese Summe weckt Begehrlichkeiten in der Politik, in der Wirtschaft- besonders bei Rüstungsfirmen und in den Streitkräften, die nach mageren Jahren Licht am Ende des Tunnels sehen.

Mittlerweile wird deutlich, das die „Feststellung des „Sondervermögens“ mit Fragezeichen zu versehen ist. Hinter den Kulissen tobt schon der Verteilungskampf – plus Parteienstreit.

Die ersten Tage des Krieges

Die ersten Tage des Krieges verliefen anders als von Russland geplant und erhofft. Meine Thesen:

  • Putin ist kein „Feldherr“, er ist kein militärischer Führer
  • Die personelle Truppenstärke reichte für einen „Blitzsieg“ nicht aus.
  • Die personelle und waffentechnische Unterlegenheit der Ukraine wurde durch eine hohe Kampfmoral der Soldaten – unterstützt durch die Kampfbereitschaft der Zivilbevölkerung.
  • Selbst völkerrechtswidrige Beschießung und Zerstörung von Wohnhäusern, Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtung – in Kellern und Metrotunnel brach den Widerstand nicht
  • Reservisten aus dem In- und Ausland stärkten den Widerstand.
  • Über russische Soldaten gab es erste Meldungen über Fahnenflucht und Verlassen von Fahrzeugen und erfolgreichen Gegenstöße ukrainischer Kräfte
  • Der Verzicht von Belarus auf die Teilnahme am Angriff mit Russland war ein herber Rückschlag für Putin
  • Putin beendete die erfolglose Belagerung von Kiew und wählte den Donbass als neuen Schwerpunkt, was Zeit kostete.

Mir ist bei Bildern von Gefechten aufgefallen, dass es beim Heer kein „Gefecht der verbundenen Waffen“ gab und auch keine „Joint Operations“, die einen modernen Krieg kennzeichnen müssten. Das Versenken zweier Kampfschiffe im Asowschen Meer reduzierte die Führung des Beschusses auf die ukrainische Südküste zwischen Mariupol und Odessa.

Die Verluste bei den russischen Kräften waren deutlich höher als bei den ukrainischen. Das Versagen der russischen Führung und der erhoffe „Blitzsieg“ fanden nicht statt.

Die Qualität der russischen Streitkräfte war für mich enttäuschend.

Die Pause vor der zweiten russischen Welle nutzten die ukrainischen Kräfte für Ausheben von Gräben und Geländeverstärkungen sowie für den Bau von Sperren. Außerdem wurden die ukrainischen Kräfte durch großzügige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland und umfangreiche Waffenlieferungen in ihrer Kampfkraft deutlich verstärkt.

Der von Putin befohlene Sieg bis zum 9.Mai zur Erinnerung an den „ Großen Vaterländischen Sieg 1945.

Erstaunlich sind die hohen Verluste in der russischen Generalität.

Heute gibt es keinen schnellen Vormarsch russischer Kräfte, sondern einen zähen Stellungskrieg. Der 9. Mai rückt in weite Ferne.

Das deutsche Heer im Wandel der Zeit

Vor den Auslandseinsätzen hatte sich das deutsche Heer das Ansehen seiner Bündnispartner erarbeitet- an erster Stelle durch gemeinsame Gefechtsübungen – z.B. Reforger – und in Wettbewerben mit anderen NBATO-Staaten.

In den ersten Jahren litt das deutsche Heer unter älteren Panzern und Waffensystemen.

Zusätzlich kam es zu wiederholten Kürzungen bei Betriebsstoff und Munition sowie zu Kürzungen bei den Kilometern, die die – besonders – Kettenfahrzeuge betrafen.

Bedienungsvorschiften gab es überwiegend in englischer Sprache.

In dieser Zeit war improvisieren angesagt. Kommandanten der Panzer und Schützenpanzer waren leistungswillige und -starke Wehrpflichtige.

Kp/BattrChefs waren ständig gefordert, Nachwuchs für Unteroffizier- und Offizierslaufbahnen zu finden.

In den meisten Standorten gelang es, ein Drittel der Wehrpflichtigen weiterzuverpflichten. Neben Gefechts- und Schießausbildung wurde viel Wert auf Sport gelegt, um die persönliche Fitness und den Zusammenhalt der Einheit zu verbessern.

Rückkehr zur Wehrpflicht

Ein schwerer politischer Fehler mit negativen Auswirkungen bis in die Gegenwart war das Aussetzen der Wehrpflicht von der Kanzlerin und dem Verteidigungsminister zu Guttenberg. Die Aussetzung der Wehrpflicht wurde von dem damaligen Finanzminister Schäuble aus finanziellen Erwägungen gefordert.

Diese fragwürdige Entscheidung hat besonders das Heer im Mark getroffen, das sich von dem Schlag bis heute nicht erholt hat.

Für mich besteht die einzige Lösung ist es, eine Allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen einzuführen.

Die Corona-Pandemie hat den Notfall in der Alten- und Krankenpflege sehr deutlich gemacht. Bei einer langen Lebensdauer ist Männer und Frauen zuzumuten, ein Jahr plus der Gemeinschaft und dem Staat zu „spenden“.

Diese Zeit sollte die Wartezeit für einen Studienbeginn verkürzen und einen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten.

Wie kann- zusätzlich zu den Jahreshaushalten – mit 100 Milliarden Euro die Einsatzbereitschaft und das Ansehen der Streitkräfte wieder verbessert werden ?

Die sinnvolle Verwendung von 100 Milliarden Euro ist eine Mammutaufgabe in den folgenden Jahren. Leider gibt es in der heutigen Bundeswehr zu wenig Generäle und Offiziere, die so ausgebildet sind, dass sie in der Lage sind, bei der Bundeswehr das Ganze vor seinen Teilen zu sehen und Prioritäten zu setzen. Starke Partikularinteressen erschweren die Auswahl.

Das Ziel muss die Kriegstüchtigkeit sein – von Personal und Material. Dieses Konzept muss mit der NATO abgestimmt sein.

Das Ende der Unterfinanzierung

Deutschland muss endlich, seinen Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttosozialproduktes anheben, wie es in der NATO 2014 abgesprochen war. Das deutsche Bruttosozialprodukt liegt bei rund3 Billionen Euro.

Es fehlen noch 0,6 Prozent zum Ziel zwei Prozent.

Das kann das „reiche“ Deutschland in zwei Schritten das Ziel erreichen und sein Ansehen in der NATO verbessern.

Der erste Schritt einer politik- militärischen Bestandsaufnahme muss der Blick auf mögliche Aggressoren sein – z.B. Russland. Dessen weiteres Verhalten wird wesentlich durch das Ende dieses Krieges bestimmt. .

Diese Gesamtstrategie „ Hybride Kriegsführung“ umfasst die relevanten politischen, wirtschaftlichen Faktoren.

Sie zielt auf die De-Stabilisierung des möglichen Opfers und auf die Zerstörung des Behauptungs- und Verteidigungswillens. Diese Tatsache zeigt sich auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine.

„Man“ greift erst dann an, wenn die „hybride Kriegsführung erfolgreich war und man Gegner politisch, sozial und militärisch so geschwächt hat, dass er auf eine Verteidigung „verzichtet“. So hat Putin die Ausgangslage zwischen Russland und der Ukraine eingeschätzt – und sich verschätzt. Mindestens bis zum heutigen Tag.

Die „hybride Kriegsführung“ beginnt bereits im Frieden.

Für Putin war es kein Krieg, sondern eine militärische Operation. Ein Verrat an der hybriden Kriegsführung.

Ein Widerstand wie von der Ukraine ist in Deutschland nicht zu erwarten. Bei uns hat die „Hybride Kriegsführung“ bereits erfolgreich gewirkt.

Am Tage des Angriffsbeginns hat der deutsche Inspekteur des Heer seinen Offenbarungseid geleistet, als er öffentlich verkündete, das Heer sei „blank“ – nicht einsatzfähig. Da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen.

Dieser Inspekteur war Jahre verantwortlich für die Kriegstüchtigkeit des deutschen Heeres. Er müsste seine Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Mit ihm ist eine Wende nicht zu erreichen.

Der Weg in eine bessere Zukunft des deutschen Heeres

Es bedarf einer in die Tiefe gehende Bestandsaufnahme – ohne Rücksicht auf Verantwortlichkeiten. Es darf keine Schnellschüsse geben – ausgenommen sind Hilfen für die Ukraine. In der Prüfkommission sind kompetente Offiziere und Unteroffiziere gefragt – keine Lobbyisten und keine „Berater“ von außen. Generelle Vorgaben folgen.

Gesamtziel: Kriegstüchtigkeit für Personal und Material – das schließt die Bevölkerung ein. Da die „ hybride Kriegsführung“ bereits im Frieden beginnt, müssen Soldaten und die Zivilbevölkerung bereits im Frieden auf diese Gefahr hingewiesen werden. Ein stabiler Staat und eine informierte Gesellschaft sind die beste Abwehr gegen Maßnahmen der „hybriden Kriegsführung“.

Ziel:

Das vorrangige Ziel der Bundeswehr muss die Kriegstauglichkeit von Personal und Material sein. Der derzeitige Stand der Kriegstauglichkeit ist nicht zu tolerieren.

Diese Zahlen hatten im deutschen Heer die Ablösung der zuständigen Führer zur Folge.

Vorgaben:

  • Erste  Priorität ist die Verbesserung der persönlichen Schutz- und Kampfausrüstung.
  • Die finanziellen Mittel des „ Sondervermögens“ werden ab sofort bis auf 70 Prozent auf vier Jahre ausgeplant.
  • Die verbleibenden 30 Prozent  werden gesperrt für die Beschaffung späterer Projekte.
  • Die bereits bewilligten Ausgaben für das Jahr 2002 werden prioritär überprüft, danach die Mittel des 4 – Jahresplanung.
  • Erlöse durch den Verkauf von Waffen und Gerät werden in die Finanzreserve für das IV. Quartal 2002 übertragen.
  • Zur Erreichung des Zieles von zwei Prozent des Bruttosozialproduktes bis 2024 fehlen Deutschland 0,6 Prozent. Diese Differenz kann in zwei Schritten von 0,3 Prozent erreicht werden – auch durch Mittel des Sondervermögens.
  • Es wäre ein deutliches Signal an die NATO-Mitgliedsstaaten und die Weltöffentlichkeit.
  • Finanzminister und Verteidigungsminister müssen den Kanzler unterstützen, das „Sondervermögen“ gegen Partikularinteressen zu verteidigen.
  • Rüstungsfirmen werden versuchen, ein möglich großes Stück von dem großen Kuchen zu bekommen.
  • Die Hochglanzbroschüren sind bereits im Druck.
  • Neue Projekte, die von Teilbereichen vorgelegt werden, müssen Gegenfinanzierungen aufweisen

Rahmenbedingungen

  • Die Mitgliedschaft in der NATO
  • Der notwendige Unterstützung der gefährdeten Baltischen Staaten
  • Landes- und Bündnisverteidigung sowie Heimatschutz
  • Das derzeitige Fehlen der Wehrpflicht
  • Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Abschreckung und Verteidigung
  • Planungskonferenzen starten noch im Juli 2022

Zuteilung der finanziellen Mittel an die Bedarfsträger:

  • Der Autor hat Zahlen für die Zuteilung ausgerechnet. Da sie sensitiv sind, wird auf ihre Publikation zu diesem Zeitpunkt verzichtet.
  • Die Unterfinanzierung hat schwerwiegende Folgen für das Personal und Material. Der Inspekteur des Heeres hat seinen Offenbarungseid geleistet, ohne für sich Konsequenzen zu ziehen.
  • Das ist ein schlechtes Vorbild.

Generelle Vorgaben:

  • Identifizierung mit dem Soldatenberuf zu verbessern.
  • Leasing statt kaufen.
  • Kaufen statt entwickeln – z.B. Drohnen
  • Märkte besser beobachten – auch im Ausland
  • Digitalisierung, Automatisierung und Roboter weiter entwickeln
  • Verkaufsangebote auf der Homepage mit Beratung – auch ins Ausland
  • Beschaffung neu gestalten – mit neuer Struktur und Nähe zum Bedarfsträger

Zusammenfassung der Auswahlkriterien:

  • Waffen- und Aufklärungssysteme für die „ Ersten Stunden“
  • Beschaffungen zeitlich  staffeln nach Prioritäten der Gesamtstreitkräfte
  • Notwendig sind besonders Systeme für „ Gefecht der verbundenen Waffen“ der Landstreitkräfte und für „ Joint Operations“ der Teilstreitkräfte.

( Hier sind wichtige Lehren aus dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu ziehen)

  • Verbesserung der „ Cyber Security“
  • wieder vermehrte Übungen im Gelände – auch für Stäbe
  • Auslandsverwendungen für qualifizierte   Offiziere und Unteroffiziere
  • Vermehrt Geländebesprechungen und vermehrte Stabsrahmenübungen
  • Das obligatorischen Studium für Zeitoffiziere sollte am Bedarf orientiert werden und in die letzten Jahre der jeweiligen Dienstzeit verlegt werden.
  • Die Unterbrechung der militärischen Verwendungen durch das Studium unterbricht das Sammeln von Erfahrungen in der Praxis.
  • Dieses fehlende Wissen kann nach dem Studium nicht aufgeholt werden. Die Offiziere zeigen ein zu großes Praxisdefizit, das die persönliche Kriegstüchtigkeit erschwert.
  • Die „Friedensarmee“ muss wieder eine Armee werden, die auch Kriege erfolgreich führen kann, wenn sie es muss.

Die Bundeswehr bedarf mutiger Generäle, Stabsoffiziere, Offiziere, die den Mut haben, eine eigene Meinung standfest zu vertreten.

Diese Haltung gab es vermehrt in den ersten zwanzig Jahren der Bundeswehr. Heute ist diese Haltung selten zu sehen, weil eine aufrechte Haltung zu häufig Nachteile für die Laufbahn bringt.