Das Ende der Freiheit russischer Medien

Die 15 Unionsrepubliken zwischen 1956 und 1991: 1. Armenien UdSSR 2. Aserbaidschan UdSSR 3. Belarus UdSSR 4. Estland UdSSR 5. Georgien UdSSR 6. Kasachstan UdSSR 7. Kir-gistan UdSSR 8. Lettland 9. Litauen 10. Moldavien 11. Russland 12 Tadschikistan 13. Turkmenis-tan 14. Ukraine 15. Usbekistan. CC BY-SA 3.0, Wikipedia.org

(www.conservo.blog)

Von Peter Helmes

Die Wahrheit stirbt zuerst

Die 15 Unionsrepubliken zwischen 1956 und 1991: 1. Armenien UdSSR 2. Aserbaidschan UdSSR 3. Belarus UdSSR 4. Estland UdSSR 5. Georgien UdSSR 6. Kasachstan UdSSR 7. Kir-gistan UdSSR 8. Lettland 9. Litauen 10. Moldavien 11. Russland 12 Tadschikistan 13. Turkmenis-tan 14. Ukraine 15. Usbekistan. CC BY-SA 3.0, Wikipedia.org

Es ist eine alte Weisheit, die jeder kennt, der Kriegsverläufe beobachtet: Zuerst stirbt die Wahrheit! Das erleben wir derzeit hautnah in Russland, Belarus und in der Ukraine. Und die zweite Wahrheit folgt der ersten auf den Fuß: Die Geschichte schreiben die Sieger. Auch dies werden wir erleben, die ersten Anzeichen sind schon zu erkennen.

Um diese „Wahrheiten“ zu steuern, greift der großrussische Diktatur Putin zu einem bekannten Werkzeug: Zensur! Es darf nur berichtet werden, was dem Kreml zusagt. Wer dagegen verstößt, muß mit dem gesamten Instrumentarium diktatorischer Potentaten rechnen: Haft, Berufsverbot, Beschlagnahme von privatem Hab und Gut, für Fremde: Ausweisung aus dem Land, usw. – ein Arsenal der Grausamkeiten.

Eine freie Berichterstattung ist nunmehr weder in Russland noch in den von Putin kontrollierten Gebieten möglich. Der Zar gibt die Meldung vor, ein Entrinnen ist unmöglich. Daß viele Meldungen „getürkt“ sind, nicht der Wahrheit entsprechen oder eine „andere Wahrheit“ darstellen – geschenkt!

Putin benutzt den Krieg gegen die Ukraine, um den letzten noch verbliebenen unabhängigen und kritischen Medien das Arbeiten unmöglich zu machen. Das ist eine beunruhigende, aber keineswegs überraschende Entwicklung. Russland versucht nicht einmal mehr, den Anschein aufrechtzuerhalten, daß die Pressefreiheit noch einigermaßen respektiert wird.

Das neue Mediengesetz unterbindet jegliche Kritik am russischen Krieg und ist absolut nicht zu akzeptieren. Ein (typisches) Beispiel gefällig? Die russische(!) Zeitung NOWAJA GASETA mußte auf Druck der Behörden aus ihren Texten Informationen zu Russlands Militäraktionen in der Ukraine entfernen. Es geht um das Wort Krieg. Die Redakteure machen sich keine Illusionen. So heißt es in ihrem Kommentar:

„Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Wir werden jetzt in einem Land leben, in dem jene im Trend liegen, die mit dem Propaganda-Apparat zusammenarbeiten. Und wie sollen die Andersdenkenden leben? Ohne Medien, ohne soziale Netzwerke, mit geschlossenen Grenzen? Mit der Androhung von Gefängnis für ein Wort, das wir ganz einfach aussprechen müssen? Wie werden wir weiter für das Russland kämpfen, das wir sehen wollen, das, wie Katharina die Große einst sagte, eine ‚europäische Macht‘ ist? Auf so viele Fragen gibt es noch keine Antworten. Wir werden nach Antworten suchen…“

Lange schon war Russland ein autoritär regiertes Land, in dem die Pressefreiheit unter Druck stand. Durch den Krieg gegen die Ukraine wurde es zu einem totalitären Staat, in dem nur noch eine Stimme ertönen darf: Putins russischer Nationalismus.

Präsident Putin, der den Zusammenbruch der Sowjetunion als „Tragödie“ bezeichnet, hat Angst vor der Macht der Wahrheit. Die Angriffe auf den Fernsehturm in Kiew und auf ein britisches Fernsehteam in der Ukraine sind Beleg dafür, daß dem Kreml bewußt ist: Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Die internationale Gemeinschaft muß Russlands diktatorische Politik stoppen!

Lassen wir uns nicht täuschen: Bemühungen, Fluchtkorridore für Zivilisten aus ukrainischen Städten einrichten zu wollen, sind zu begrüßen, aber sind nicht auf Dauer angelegt. Denn Eines ist klar: Danach wird Putin die Feuerkraft wohl massiv erhöhen.

Darauf deuten zwei Einträge in seinem Lebenslauf hin: Im zweiten Tschetschenien-Krieg (1999) rief Moskau  die Zivilisten auf, Grosny zu verlassen. Wenig später wurde die Stadt flächendeckend bombardiert. Ähnliches ereignete sich 2016 in Syrien, als Russlands Armee die Rebellenhochburg Aleppo mit einem Bombenteppich überzog. Kann die Zivilbevölkerung sicher abziehen, haben Russlands Truppen freie Bahn.

Ich habe Zweifel, ob der russische Präsident sich jemals vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag rechtfertigen muß; denn die Anklageerhebung ist in der Regel ein langwieriger Prozeß. Ob das Gericht Putin für solche Verbrechen für schuldig befindet, bleibt abzuwarten. Was jedoch die Angriffe auf Zivilisten in der Ukraine betrifft, so besteht kaum ein Zweifel daran, daß Russland Blut an seinen Händen hat.

Putin spielt um alles. Er ist bereit, auch andere in seinen Krieg zu verwickeln.

Das gibt der russische Präsident deutlich zu verstehen, und in dieser Sache kann man ihm glauben: ‚Wenn ich schon verlieren muß, dann sollen alle verlieren.‘ Die Erfahrungen der Menschen in Kiew könnten schnell auch unsere werden.

Es scheint immer deutlicher zu werden: Sobald der Landkrieg scheitert, wird die Antwort sein, dasselbe zu tun, was Russland einst in Tschetschenien und Syrien getan hat – einfach solange bombardieren, bis nichts mehr übrig ist.

Deshalb wäre es richtig und konsequent, die Nato aufzufordern, die Ukraine bei der Durchsetzung einer Flugverbotszone über ukrainischem Luftraum zu unterstützen. Sollte das westliche Verteidigungsbündnis dies ablehnen, sollte die Ukraine weitere Waffen erhalten,  nämlich Kampfjets, Hubschrauber, Drohnen und wirksame Luftabwehrsysteme. Die Nato-Mitgliedsstaaten könnten auch die Vorkehrungen treffen, damit deren Piloten als Teil einer internationalen Einsatztruppe unter ukrainischer Einsatzleitung die zivile Infrastruktur des Landes schützen. Russlands Kriegsverbrechen an der ukrainischen Bevölkerung müssen ohne weitere Verzögerung gestoppt werden.

Ja, ich weiß, die Nato-Staaten können zwar keine Flugverbotszone verhängen; denn das würde sie in einen direkten Konflikt mit Russland verwickeln und damit den Krieg ausweiten. Aber sie können und müssen der Ukraine Panzer-, Flugzeug- und Schiffsabwehrwaffen liefern. Außerdem ist es von entscheidender Bedeutung, die Streitkräfte an der Ostflanke der Nato, in Polen, Rumänien, der Slowakei und den baltischen Staaten, noch weiter zu verstärken.

Es ist zwar kein Trost, aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Auch der grausamste Krieg endet mit einem Friedensabkommen oder zumindest mit einem Waffenstillstand, der auf der Schaffung eines Auswegs aufbaut. Jedes Zugeständnis an Putin wird ihn in seinem Streben nach Rückeroberung des sowjetischen Machtbereichs ermutigen. Der sicherste Ausweg wäre die Absetzung Putins. Aber das ist etwas, was nur in Moskau erledigt werden kann. Nicht nur von engagierten demokratischen Bürgern, sondern auch von den Oligarchen und den Kräften, die von der Öffnung zur Welt, die Putin gerade beerdigt hat, profitiert haben.

www.conservo.blog     7.3.2022