Gesundheitspolitik und Herrschaftstechnik des Staates

(www.conservo.wordpress.com)

Von altmod *)

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E-Health: „Trojaner“ des Totalitarismus

2006 veröffentlichte der bekannte Psychiater und (katholische ) Theologe Manfred Lütz einen bemerkenswerten Aufsatz mit dem Titel „Gesundheit – das höchste Gut? – Die religiöse Überforderung des Gesundheitsbegriffs.“ Lütz wendet sich zuvorderst gegen eine religiöse Verklärung und Überhöhung des Gesundheitsbegriffs. Aus theologischer wie Medizin-philosophischer Sicht befaßt er sich mit dem „jedes Maß sprengende(n) Gesundheitsboom unserer Tage“ und stellt dazu fest:

„Staatlich geförderte gesundheitsreligiöse Missionskampagnen überschlagen sich; Bonus-Malus-Systeme der Krankenkassen beruhen auf der unbelegten Behauptung, ungesundes Leben belaste die Solidargemeinschaft, sind in Wirklichkeit aber volkspädagogische Maßnahmen.“

Und:

„Inzwischen sind wirklich alle Phänomene der Religion im Gesundheitswesen angekommen.“

Wie die Regierenden ihre politischen Vorhaben in ein quasi pseudoreligiöses Projekt umfunktionieren, wurde uns ja schon an einer neuzeitlichen Glaubenslehre, der „Klimareligion“ vorgeführt.

Im Konnex von „politischen“ und „pastoralen“ Machttechniken soll das Verhalten von Individuen und Kollektiven gesteuert werden. Der französische Philosoph Michael Foucault hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Gouvernmentalität geprägt.

Im Jahre 2009 erschien der Roman „Corpus delicti“ von Juli Zeh.

„Corpus Delicti behandelt die Problematik einer Gesundheitsdiktatur in naher Zukunft am Beispiel einer Herrschaftsform, die einen Unfehlbarkeitsanspruch erhebt“ so Wikipedia. In dem Roman wird eindrücklich – an Orwells „1984“ gemahnend – der Problemkreis des manipulativ zunutze gemachten Gesundheitswahns unter den Machttechniken eines Überwachungsstaates fiktional abgehandelt.

Was Zeh in ihrer Utopie als „Methode“ bezeichnet, hat aber in großen Teilen bereits in unseren derzeitigen Verhältnissen Platz gefunden.

Die Manipulation wird uns tagtäglich durch Medienbeiträge über „neueste medizinische Erkenntnisse“ geliefert: von der FAZ bis zur Apothekenrundschau, von „Visite“ bis „Hauptsache gesund“ im Fernsehen. Vor allem mittels Horrormeldungen über ansteigende Gefahren z.B. Fettleibigkeit und Diabetes durch Untätigkeit und Ernährungssünden werden wir einer Gehirnwäsche unterzogen.

Und da kommen wir auch zu dem religiösen Begriff der „Sünde“, welcher heutzutage eigentlich nur noch im Zusammenhang mit „Gesundheit“ gebraucht wird.

Die Politiker und ihre willfährigen Gehilfen bei den „Gesundheits-“ und sonstigen Kassen werden nicht müde, uns die ansteigenden Kosten für die „Gemeinschaft“ vor Augen zu halten – wie der Neo-Sozialist Tony Blair einst sich überlegte:

»Sie sind das Ergebnis von Millionen individueller Entscheidungen zu Millionen von Zeitpunkten. Diese individuellen Handlungen führen zu kollektiven Kosten… Die Frage liegt in der Luft, wer dafür zuständig ist: Das Individuum? Der Staat? Die Firma? Sollte das überhaupt ein Gebiet für irgendeine Intervention der Regierung sein?«

Die Frage ist beantwortet.

In einem aufschlussreichen Aufsatz hat sich Frau Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der freien Ärzteschaft aus Hamburg mit dem Thema „Medizin und Überwachung: E-Health als Herrschaftstechnik des modernen Staates“ auseinandergesetzt (Hamburger Ärzteblatt 07/08/2016).

Sie geht dabei auf die vorgebrachten Begriffe der „Gouvernementalität“ und des „paternalistischen Staates“ ein und erwähnt hierzu einen besonderen Gesichtspunkt, unter Verweis auf den Soziologen Oliver Decker von der Universität Leipzig, nämlich: „Die nationalstaatliche „Disziplinargesellschaft“, die sich im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt hat, kontrolliere ihre Mitglieder durch „Sichtbarmachen“. Die staatliche Dokumentation verschiebe sich in ein Zentrum, in dem die Informationen zusammenlaufen. Die Individuen müssten für dieses Zentrum sichtbar sein, ohne es selbst sehen zu können. Die Gouvernementalität zielt auf ein Regieren aus der Distanz. Mit dieser Kontrolltechnik übernehme das Individuum (inzwischen) selbst seine Prüfung und setze die herrschende Rationalität gegen sich selbst durch … Der Beobachtete übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selbst aus. Er werde zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung, so Foucault … diese Technik der Macht (führt) auf Seiten des Individuums zu einer Selbstobjektivierung, einer Prüfung der Handlung und Motive auf ihre Kompatibilität mit der gesellschaftlichen Realität.“

Dieses „panoptische Prinzip“ der Überwachung wird mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und mit Ausweitung der sog. Telemedizin (E-Health) in die Tat umgesetzt werden: Jeder Arztbesuch wird dokumentiert, jede Krankheit und jede Teilnahme an präventiven Maßnahmen wird festgehalten. Die Kontrolle der so Überwachten wird jederzeit möglich, ohne dass diese das merken. Die wüssten aber um die Überwachung und stellten ihr Verhalten künftig im kollektiv ausgeübten Zwang darauf ab.

Die Krankenkassen bezahlen oder bezuschussen inzwischen – natürlich aus den Beträgen der Versichertengemeinschaft – „Wearables“ oder „Fitnesstracker“, wie z.B. die AppleWatch. Über Smartphones kann das tägliche Bewegungsprofil aufgezeichnet werden, spezielle, auch von den Kassen zur Verfügung gestellte „Apps“, registrieren Kalorienzufuhr- und Verbrauch und geben entsprechendes „Feedback“.

Das Schizophrene dabei: angeblich lehnen ⅔ der Versicherten die Datenweitergabe an Krankenkassen usw. ab, blenden aber aus, dass mit dem Gebrauch dieser Geräte ihre Daten über Clouds in die Server der (amerikanischen) IT-Konzerne wandern.

Doch die Ausspäher mit spezifischen Absichten sitzen nicht nur im Silicon Valley.

Laut Hamburger Ärzteblatt fordern Vertreter der kassenärztlichen Bundesvereinigung, endlich eine „patientenvollständige Datenanalyse“ umzusetzen.

Bei Verweis auf den Datenschutz kommen Gegenäußerungen wie „Datenschutz kann töten“ (wie der Genuss von Zigaretten!?). Der Patient müsse doch nicht dauernd persönlich beim Arzt erscheinen, Telemedizin würde das Problem lösen. Auch die Angelegenheit der Unterversorgung mit Ärzten z.B. auf dem Land könne dadurch gelöst werden.

Schöne neue Welt, wie sie sich Politiker und Lobbyisten der Gesundheitsindustrie ausmalen.

Dazu noch ein Zitat aus dem Hamburger Ärzteblatt:

„Erst kommen die Boni für die eifrigen Datensammler, später die Mali etwa für Raucher oder Träger „schlechter“ Gene. Heute freuen sich Versicherte noch, wenn die AOK ihnen Geld für eine Apple Watch zuschießt. Nicht klar ist ihnen, was die digitale Welt bei Krankheit alles möglich macht. Aber ist es uns Ärzten klar? Was ist Krankheit? Was ist Zufall oder Schicksal? Oder selbstverschuldet durch irrationale Lebensführung? In welchem Verhältnis steht das Individuum zum Kollektiv? Darf man solche Fragen überhaupt noch stellen? Alle Gene sind entschlüsselt und 300 internationale Großfirmen aus den Bereichen Labor, Pharma, Banken und IT-Industrie haben sich in der Organisation BIO Deutschland quasi zu einem Goldgräberverband zusammengeschlossen.“

Unfehlbarkeitsanspruch der Obersten Instanzen, Erzeugung von schlechtem Gewissen bei sündigem Verhalten, bei mangelndem Bewußtsein oder Glaubenstreue, Bußwerke – verordnet von Ärzten und Institutionen – die mittelalterlichen Geißelungen entsprechen, das alles sind Bestandteile eines orthodoxen Wahns.

Man will die Einzelpersonen in ein Lebensschema zwängen, das dem propagierten Ideal nahekommt, ohne dass noch Raum für persönliche Freiheiten erlaubt wird. Andersdenkende müssen in so einem System exkludiert werden.

Die viel geschmähte „Kirche“ konnte es nicht besser.

Der gläserne Bürger ist das Ideal des totalen Überwachungsstaates und schon seit geraumer Zeit von „demokratischen“ Politikern und unseren besorgten Gesundheitsmanager, die sich alle auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger berufen (können).

Die gesundheitspolitischen Manöver, wie ich sie hier geschildert habe, sind ein trojanisches Pferd des Totalitarismus für die freie und offene Gesellschaft.

Juli Zeh hat die Grundregel dieses wohl bald nicht mehr fiktionalen, totalitären Systems in ihrem Roman so ausgemalt:

„Gesundheit ist das Ziel des natürlichen Lebenswillens und deshalb natürliches Ziel von Gesellschaft, Recht und Politik. Ein Mensch, der nicht nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon.“

Es ist ein Essenzielles von „Biopolitik“- wie Foucault diese sieht: „Disziplinierung des individuellen „Lebens“ und Regulierung eines statischen Bevölkerungskörpers.“

Das hatten wir schon einmal – in minimal semantischer Modifizierung:

„Du bist nichts; dein Volk ist alles!“

Aber wie erlaubt sich ein vermeintlich „liberaler“ Geist in der „liberalen“ ZEIT abwiegelnd zu schreiben:

„Ein bisschen Diktatur darf sein. Der Staat darf seine Bürger zu einem gesunden Leben zwingen. Denn wer die Menschen sich selbst überlässt, zementiert auch die soziale Ungleichheit.“

Also: der Zweck heiligt die Mittel!

*) „altmod“ ist Blogger (altmod.de), Facharzt und Philosoph sowie regelmäßiger Kolumnist bei conservo
www.conservo.wordpress.com   4. August 2016
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