Merkels selbstherrliche Rechtfertigung ihrer Russland-Politik

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Peter Helmes

Merkels erstes großes Interview als Ex-Bundeskanzlerin war erwartbar hohl und ließ jegliche Selbstkritik vermissen. Merkel zeigt auch mit Abstand vom Amt keinerlei Spur von Selbstkreflexion und denkt wohl auch nicht daran, eigene Fehler im Umgang mit Putin einzuräumen. Sie sehe nicht, sagte sie, daß etwas falsch gewesen wäre, und werde sich deshalb auch nicht entschuldigen. Sie habe „ausreichend versucht“, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. Um Entschuldigung bitten werde sie nicht.

Die Frau, die die deutsche Nachkriegsgeschichte so lange prägte wie sonst nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl, zeigte nahezu keine Einsicht darin, daß ihre Russlandpolitik wenigstens in Teilen falsch gewesen sein könnte.

Mit Verlaub: Das ist schon ein starkes Stück! Das ist zu viel Starrsinn, zu viel Selbstgewißheit, zu wenig Einsicht und zu wenig Selbstreflexion – und das angesichts einer Lage, in der täglich die katastrophalen Folgen der von Merkel maßgeblich mitverantworteten Politik deutlich wird.

Gewiß, ich will es ihr glauben, daß sie Wladimir Putin als Person nie auf den Leim gegangen ist und daß sie ihn von Anfang an als das einschätzte, was er ist: ein unberechenbarer Autokrat und ein Feind der Demokratie. Doch die nötigen Konsequenzen hat sie daraus nicht gezogen.

Mit Schmuddelkindern spielt man nicht – Außer mit Putin natürlich!

Nach ihrem Ausscheiden hat Merkel sich ein halbes Jahr lang in Schweigen gehüllt, sie hat auch nicht auf die Kritik der neuen CDU-Führung unter Friedrich Merz reagiert. Sie wird von vielen als eine der Verantwortlichen für die gegenwärtige Lage angesehen, weil sie die Aufnahme der Ukraine in EU und NATO verhindert hat. Jetzt hat sie nach einem halben Jahr ihr Schweigen gebrochen. Doch keine Reue und kein Wort der Entschuldigung. Lediglich die trotzige Anmerkung, daß die deutsche Russland-Politik richtig war.

Die Kanzlerin a.D. sah keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen, schon gar nicht  für ihre früheren diplomatischen Bemühungen. Nach der Annexion der Krim habe sie  gemeinsam mit Frankreich versucht, eine weitere Verschärfung der Situation in der Ostukraine zu verhindern, was zum Minsker Abkommen führte. Daher habe die Ukraine sieben relativ ruhige Jahre für die eigene Entwicklung gehabt. In Kiew sieht man das genau umgekehrt: als sieben vergeudete Jahre, in denen sich der Westen unter der Führung von Deutschland und seiner Kanzlerin von Putin an der Nase hat herumführen lassen.

Die Ukraine hätte sich militärisch besser aufstellen können – Ach so!

Da zeigt der Merkelsche Starrsinn Methode: Kaum jemand hätte von der ehemaligen Kanzlerin erwartet, daß sie mit solchem Eifer argumentieren würde, sie habe sich nichts vorzuwerfen und sehe auch keine Notwendigkeit für eine kritische Analyse ihrer Russland-Politik.

Ist das Festhalten an einer solchen Linie nicht ein Kardinalfehler oder zumindest sträfliche Naivität, zumal wir hier von dem politisch und wirtschaftlich mächtigsten Land Europas sprechen? Aus Merkels Erklärungen läßt sich schließen, die Ukraine könne dankbar sein, daß sie sieben Jahre Zeit hatte, sich auf die Abwehr der russischen Aggression vorzubereiten. Zeit, die sie durch das unter Beteiligung der Kanzlerin ausgehandelte Minsker Abkommen gewonnen habe. Ihr Herz habe aber schon immer für die Ukraine geschlagen, versicherte Merkel.

Man kann Merkel nicht die alleinige Schuld am Ukraine-Krieg geben

Viel größere Verantwortung müßten die USA und Großbritannien übernehmen – denn beide Staaten haben 1994 gemeinsam mit Russland das Budapester Memorandum unterzeichnet. Mit diesem Memorandum haben sich die drei Atommächte Russland, die USA und Großbritannien gemeinsam auch gegenüber der Ukraine verpflichtet, deren Souveränität und Territorium zu garantieren. Hätten die USA und Großbritannien 2014 bei Krim-Annexion ihre Pflicht richtig ausgeführt und eine klare Linie gezeigt, hätte sich die Lage wohl anderes entwickelt.

Deutschland ist eines der wichtigsten Länder in der EU und Merkel war die Russlandversteherin schlechthin: Sie konnte mit Putin auf Russisch und Deutsch reden, beide gehörten zur selben Generation und waren in ähnlichen Regimen aufgewachsen. Am Ende ihrer Amtszeit war Merkel die einzige, die Putin seit dem Beginn seiner Karriere kannte. Deshalb folgte ihr die EU auch, als sie befand, Europa müsse mit Russland im Gespräch bleiben. Es stellt sich die Frage, wie die Ukraine heute aussehen würde, wenn Merkel vor zehn Jahren klare Kante gezeigt hätte.

Klare Kante? Scholz setzt lieber Merkels Weichspülerei fort!

Sechs Monate nach Antritt der neuen Regierung unter Führung von Kanzler Scholz macht Deutschland einen orientierungslosen Eindruck. Zu den zentralen Punkten der Außenpolitik unter Merkel gehörte die Annäherung an Russland, die zu einer Abhängigkeit von russischen Energielieferungen geführt hat. Trotz aller Warnungen blieb Merkel bei dieser Position und vertraute Putins Wort. Aber ihre Hoffnungen, daß gute Beziehungen zu Russland zu einer langsamen Demokratisierung führen könnten, haben sich zerschlagen.

Die ukrainische Führung wirft Deutschland zu Recht vor, das Land nicht genügend gegen die Bedrohung durch Russland geschützt zu haben – angefangen mit seiner Blockadepolitik gegen einen Nato-Beitritt über den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 (mit der Erdgas von Russland nach Deutschland transportiert werden sollte) bis hin zu der Weigerung vor Kriegsbeginn, an die Ukraine Waffen zu liefern – und jetzt mit der betont „langsamen“ Auslieferung schwerer Waffen, die die Ukraine aber dringend benötigt.

Deutschlands Gasabhängigkeit begrenzt Europas Souveränität

Merkel (und ihr früherer Außenminister Steinmeier) hatte eine falsche Russland-Strategie zur Grundlage, die Deutschland in eine fatale Abhängigkeit bei der Energieversorgung gebracht hat. So hatte Merkel 2014 in der sich zuspitzenden Krim-Krise zwar angekündigt, die Abhängigkeit von Russland in Energiefragen überprüfen zu wollen, später dieses Vorhaben aber wieder fallen lassen. Der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte damals gewarnt, Deutschlands Gasabhängigkeit könne „die Souveränität Europas ernsthaft begrenzen“.

Steinmeier hatte als Außenminister immer wieder mehr Dialog mit Russland eingefordert. Zur Nato nahm er ein eher distanziertes Verhältnis ein. Im Juni 2016 kritisierte er in der „Bild am Sonntag“ die Nato-Manöver in Osteuropa mit den Worten: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.“ Es wäre „fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen“, sagte Steinmeier damals.

Scholz’ Taktik: Immer schön im Unkonkreten bleiben!

Die unklare Haltung der Bundesregierung wurde auch beim kürzlichen Besuch von Bundeskanzler Scholz in Litauen deutlich, wo er versprach, zusätzliche Bundeswehrkräfte in dem baltischen Staat zu stationieren. Aber was heißt das denn?

Auf der einen Seite gibt sich Deutschland als Litauens Sicherheitsgarant und führt das NATO-Bataillon in Litauen an. Aber auf der anderen Seite haben die Litauer die deutschen Reaktionen auf den Krieg mit Sorgen beobachtet. Vermutlich könnten sie ruhiger schlafen, wenn nicht Deutschland, sondern beispielsweise Großbritannien oder die USA die Führung innehätten. Wie unentschlossen Deutschland ist, wurde auch deutlich, als Scholz keine konkreten Details nannte, sondern nur von einer allgemeinen Stärkung der NATO-Ostflanke sprach. Und dazu hat der Kanzler mehr als die 100 Tage seit Kriegsbeginn gebraucht? Die Bedenken der Litauer hat er damit jedenfalls nicht ausgeräumt.

Osteuropa nicht mehr durch die russische Brille betrachten

Spätestens im Jahr 2008 hätte Deutschland umdenken müssen. Man hätte aus dem russisch-georgischen Krieg lernen können (und müssen), spätestens aber aus der Annexion der Krim.  Zumal sich Putin nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten 2012 deutlich radikalisiert gezeigt hat. Daß die Bundesregierung an ihrer Strategie „Wandel durch Handel“ festhielt, darf man getrost unter der Rubrik „Realitätsverweigerung“ einordnen.

Die Bundesregierung muß endlich und dringend umdenken und eine neue Strategie entwickeln, die aufhört, Osteuropa immer „durch die russische Brille“ wahrzunehmen. Stattdessen muß sie zwischen Russland und anderen osteuropäischen Ländern klar unterscheiden lernen und sich nicht ständig von Putin treiben lassen! Dafür brauchen wir auch eine langfristige Vision für eine neue Sicherheitsarchitektur und Energiepolitik in Europa, in der Russland nach Putin auch einen Platz hat. Vor allem aber muß die deutsche Politik aus der Rolle der Getriebenen herauskommen.

Der größte Fehler der deutschen Ostpolitik – ob unter Schröder, Merkel oder Scholz – war und ist der naive Glaube, daß man mit immer dichteren ökonomischen und politischen Beziehungen „Russland sozialisieren“ könne und Russland deshalb auf seine neoimperialen Ambitionen verzichten werde. Deutlicher gesagt: Die neue Ostpolitik ist in den Trümmern von Mariupol versunken.

Deutschland bleibt verlässlich unzuverlässig

Wladimir Putin ist – entgegen der Meinung westlicher Entspannungsträumer – offensichtlich bereit, den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf zu nehmen.

Nun hat Deutschland in den letzten Monaten zwar eine 180-Grad-Wende hingelegt, was die Energie- und Verteidigungspolitik betrifft, aber die deutsche Führungsrolle in Europa ist unter Scholz weiter geschwächt worden. Er flüchtet sich mehr noch als Merkel in Worthülsen oder murmelt Unverständliches – mit voller Absicht: Man soll ihn besser nicht verstehen. Das Ergebnis läßt sich leicht messen – und dazu braucht man nicht einmal die Klagen des ukrainischen Botschafters zu hören: Deutschland gilt im westlichen Bündnis zunehmend als unzuverlässiger Partner.

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