Martin Renner: Ohne demokratischen Widerstand landen wir in der “besten Gesellschaft aller Zeiten”!

Conservo-Redaktion

(Martin Renner*) Hier einmal eine kleine Vorschau, wie es kommen wird – wenn nicht bald ein demokratischer Widerstand erstarkt. So wird es kommen, so wird es sein, so sei es.

Stellen sie sich vor, sie lebten in der besten Gesellschaft aller Zeiten. In einer Gesellschaft, in der auch der letzte Winkel menschlichen Zusammenlebens politisiert ist: Von der Wiege bis zur Bahre, von der Kinderkrippe bis ins Altersheim, von der Schule, über Ausbildung oder Studium bis in den Beruf hinein, in der Kirche, im Verein, auf dem Marktplatz ebenso wie beim Besuch des Sportstadiums.

Überall vorbildliche Bürger, welche – gefragt oder ungefragt – ihre universalen Werte öffentlich vorleben. Es gibt keine Unstimmigkeiten mehr, denn man ist sich grundsätzlich einig. Alle sind sich einig. Immer.

Endlich sind sich alle einig

Ein solch erstrebenswerter Zustand fällt natürlich nicht vom Himmel. Es braucht dazu die besten Politiker aller Zeiten, welche die beste Regierung aller Zeiten bilden. Früher musste man dazu noch Wahlen abhalten und war es Aufgabe der damals noch existierenden Parteien, sich zu einigen, wer die elitären Logenplätze besetzen durfte. Aber jetzt sind sich alle einig.

Aufgabe der Regierung ist es, zu verteilen, was die Gesellschaft erwirtschaftet. Oder eben zu entscheiden, wie viel mehr die Gesellschaft leisten muss, falls einmal etwas schief läuft. Das kommt aber nur vor, wenn die Wissenschaft und die Experten einmal mehr falsche Empfehlungen abgegeben haben.

Alles ist so einfach in dieser besten Gesellschaft aller Zeiten. Niemand muss mehr etwas lernen, denn per Gesetz sind ohnehin alle einig. Und sind alle gleich. Na gut, es gibt noch Dicke und Dünne, Kräftige und Schmächtige, Schnellere und Langsamere. Aber man spricht nicht mehr darüber. Denn das ist zum Wohle aller nicht mehr erlaubt.

Das hat nur Vorteile: Jeder kann sich kleiden, frisieren und gebärden, wie er möchte. So etwas wie Benimm im zwischenmenschlichen Umgang gibt es nicht mehr. Wozu auch, bunter Vielfalt mit Toleranz zu begegnen, ist oberstes Gebot. Das ist zum Wohle aller. Auf diese Weise darf jeder seine Individualität ausleben. Und niemand merkt, dass er damit seiner Individualität beraubt wird. Er nur noch vollkommen unwerter Teil eines willenlosen Kollektivs. Aber schließlich dient auch das dem Wohle aller, weswegen sich niemand beschweren wird.

Der Staat, der Staat und nochmal der Staat

Damit es hier keine Rückfälle mehr gibt, hat man auch die Familie als Institution abgeschafft. Jeder darf nach Belieben mit jedem, wobei dass jetzt falsch ausgedrückt ist. Man hat die künstlich konstruierten Geschlechterrollen abgeschafft.

Wer mit wem warum Sex hat – interessiert niemanden. Gezeugte und ihre vorgeburtliche Existenz überlebende Kinder werden unmittelbar nach der Geburt staatlichen Institutionen überantwortet. Der Staat kümmert sich fortan und wird die Kinder ins Kollektiv eingliedern. Es bedarf keiner Erziehung durch die Eltern mehr, denn erstens sind sich alle einig und zweitens kann die universalen Werte doch niemand besser darlegen, als der Staat.

Alle sind glücklich in dieser besten Gesellschaft aller Zeiten. Ein Menschheitstraum wurde Wirklichkeit: Alle sind sich einig, alle sind gleich. Natürlich verfügt niemand mehr über Privateigentum oder Besitz. Das ist zum Wohle aller verboten.

Jedem Bürger steht Speicherplatz in der Staats-Cloud zur Verfügung. Hier darf er digitalisierte persönliche Erinnerungen speichern – und einmal im Halbjahr auch abrufen. Öfter wäre kollektivgefährdend.

In dieser Staats-Cloud sind auch sämtliche Daten aller Bürger erfasst. Von den Fingerabdrücken bis zu den Erbanlagen, Krankenakte, Lebenslauf, biologischer Stammbaum, gezeugter Nachwuchs für das Kollektiv, der Kontostand der digitalen Währung, sowie jede im Netz getätigte schriftliche Meinungsäußerung. Und natürlich auch die gesammelten Bonus- oder Maluspunkte, früher als Sozial-Punkte-Konto bekannt.

Hurra, ein Hoch auf die erfolgreiche Transformation

Wer über einen längeren Zeitraum hinweg die erforderlichen Sozial-Punkte vorweisen kann, darf einen Antrag auf Wohnortwechsel stellen. Eine Staffelung der erforderlichen Punktzahlen bestimmt hierbei, in welchem Radius man seinen Lebensmittelpunkt jeweils verlagern darf. Natürlich muss auch die jeweilige neue Gebietsregierung dem Umzug zustimmen.

In den vergangenen Zeiten der Großen Transformation, also vor der heute üblichen staatlichen Wohnortzuweisung, galt hierbei: Wessen Stammbaum den Vermerk „Achtung: Biologischer Nachfahre von Staatsbürgern ehemaliger Industrienationen“ trug, der hatte einen nicht ausgleichbaren Malus in seinem Sozial-Punkte-Konto.

So konnte man die erwünschte Diversität sicherstellen. Zu frisch waren die Erinnerungen an die Revolten, als man die entstandenen gesicherten Wohnanlagen (gated communities) der damals noch wohlhabenden Autochthonen verbot.

Abirrungen vom Kollektiv gibt es nicht mehr

Grenzen oder Nationen gibt es heute nicht mehr, sieht man einmal von den barbarischen chinesisch, indischen, russischen Blockstaaten ab. Es existieren lediglich jeweilige Gebiets-, Regional- und Kommunalregierungen, welche den enormen staatlichen Verwaltungsapparat organisieren und beaufsichtigen. Es bedarf in dieser Hierarchie auch keiner Gewaltenteilung mehr – denn man ist sich ja in allem einig.

Regionale Sprachen hat man ebenfalls abgeschafft. Derzeit arbeitet man an der Eindämmung und Ausmerzung der verschiedenen Dialekte. Hier oder da halten sich leider hartnäckig verschiedene Einflüsse der vergangenen Landessprachen.

Da die Nutzung solcher gegen das Kollektiv gerichteter Sprachabirrungen unmittelbaren Einfluss auf die Sozial-Punkte-Konto haben, ist man aber guter Dinge, des Problems binnen weniger Generationen Herr zu werden.

Es empfiehlt sich, dem Kollektiv und schon gar nicht der Gebietsaufsicht, Verzeihung, der Gebietsregierung oder deren untergeordneten Behörden unangenehm aufzufallen.

Per Gesetz ist jeder Bürger aufgefordert, das Kollektiv auf Verfehlungen oder unkonventionelles Verhalten Einzelner per lautem „Wir sind mehr“-Ruf aufmerksam zu machen. So erzieht sich die Gesellschaft selbst und das ist doch eindeutig und definitiv zum Wohle aller.

Ja, es ist ein Segen, dass wir die Demokratie endlich überwunden und transformiert haben. Und wer das anders sieht, der möge schweigen. So er nicht ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes wegen seiner staats-delegitimierenden Ansichten werden will.

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*) Martin E. Renner MdB ist Betriebswirt und Freier Autor (regelmäßige Kolumne bei conservo und PI). 2013 war er einer der 15 Gründungsinitiatoren sowie Mitglied im Gründungsvorstand der Partei Alternative für Deutschland (AfD).

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