“Was in der Zeitung steht…” – Der Suizid des Limburger Regens Christof May muss als Zäsur begriffen werden.

Michael van Laack

„Der Tod von Christof May trifft uns alle. Wir haben einen engagierten und sehr geschätzten Seelsorger verloren.“ Mit diesen dürren Worten gab das Bistum Limburg gestern den Tod des Leiters seines Priesterseminars bekannt. Bis zur Stunde (10.06.22 – 13.00 Uhr) gibt es keine ausführlichere öffentliche Stellungnahme zu diesem traurigen und tragischen Ereignis. Selbstverständlich muss sich die Bistumsleitung erst einmal sammeln, aber…

Mangelhafte Kommunikation des Bistums

Vor allem durch Bischof Bätzing, der May am Mittwoch zunächst vorläufig von allen Aufgaben entbunden hatte, wie es die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener zwingend vorschreiben. Am folgenden Tag nahm sich der Regens dann das Leben.

Dies könnte man – und leider tun es nun – nachdem einige Medien bereits am Nachmittag “Unter drei” kommunizierte Informationen heute an ihre Leser durchgestochen haben, schon manche in den (a)sozialen Netzwerken, als Schuldeingeständnis werten. Aber davor warne ich ausdrücklich. Als ich von 1993/94 Postulant der Salvatorianer (SDS) im Kloster Steinfeld in der Eifel war, besuchte uns dort regelmäßig ein Priester aus einer nicht weit entfernt gelegenen Pfarrei. Irgendwann erfuhren wir dann von seinem plötzlichen Tod. Er hatte sich im Treppenhaus des Pfarrhauses das Leben genommen.

Hexenjagden – Vor dem Tod und oft auch danach

Zwei Ministranten hatten ihn beschuldigt, sie missbraucht zu haben. Stille polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen liefen, sein Bischof stützte ihn nur kurz, ließ ihn dann fallen. Und aus dem Generalvikariat wurden Informationen über den Priester an Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand durchgestochen. Eine sehr kurze innergemeindliche Hetzjagd begann, an deren Ende sein Freitod stand. Und ein Abschiedsbrief, in dem er äußerte, Gott stelle ihn hier auf eine Probe, die er nicht bestehen könne. All die Blicke, all das Fingerzeigen, als das Zweifeln an ihm, der bisher in der Gemeinde hochgeschätzt war.  – Etwas mehr als ein Jahr später stellte sich heraus, dass die beiden Ministranten dem Pfarrer lediglich “eins auswischen wollten”, weil sie sich bei der Einteilung zu den Gottesdiensten benachteiligt sahen…

Natürlich ist es richtig und wichtig, dass es die oben erwähnten “Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz” gibt. Und dennoch: Wir wissen alle, wie Medien sich in den vergangenen Jahren ohne Unterscheidung, ob es sich um einen Beschuldigten, Angeklagten oder gar Geständigen handelte, auf jene Menschen gestürzt haben, die dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs ausgesetzt waren. Deshalb muss die Kirche meiner Ansicht nach noch einmal überprüfen, wie sie ihre Fürsorgepflicht gegenüber Beschuldigten verbessern kann. Und auch, wie sie Freistellungen und Amtsentbindungen in der Öffentlichkeit kommuniziert. Vor allem aber muss die elende Durchstecherei aus den Generalvikariaten oder den Gemeinden so gut wie möglich verhindert werden.

Das Stichwort „Missbrauch“ löst massive Dynamiken in Medien und Gesellschaft aus

Christof May war zwar keine Gallionsfigur der LGBTIQ-Community, aber sehr wohl ein Priester, der sich in der Frage der Segnung Homosexueller, allgemeinen Reformen in der Kirche wie auch zum Umgang mit Missbrauchstätern mehrfach klar positioniert hatte und ein entsprechend positiven Echos vor allem aus den kirchenfernen Leitmedien und reformfreudigen Kirchenzeitungen bekam. Diese Tatsache – sollte er tatsächlich die ihm vorgeworfenen Taten begangen habe, was nun wohl nicht mehr zweifelfrei bewiesen werden kann (es sei denn, er hätte einen ihn belastenden Abschiedsbrief hinterlassen) – könnte einen extremen inneren Druck bei ihm ausgelöst haben, denn er wird sich im Klaren gewesen sein, dass Öffentlichkeit dies als scheinheiliges Agieren werten würde. Und zwar unabhängig davon, ob er die ihm vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen hat oder nicht. Ein bisschen was bleibt immer hängen!

Wenn es Klick gemacht hat, ist es zu spät!

Der Fall May muss als Zäsur begriffen werden, schrieb ich in der Überschrift. Folge dieser Zäsur muss sein, dass nicht nur Opfer nicht alleingelassen werden, sondern auch Täter nicht mit ihrer Schuld und Beschuldigte nicht mit dem Druck, von dem wir alle wissen, wie rasch und massiv er aufgebaut wird. Nicht jeder Mensch ist psychisch so stark, dass er eine solche Situation durchsteht, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen.

Auch Unschuldige können rasch zerbrechen, weil irgendetwas im Kopf Klick macht. Zweifellos kann nicht immer jemand neben diesen Menschen stehen, Händchen halten und lauschen, ob ein Klick zu hören (wahrzunehmen) ist. Aber häufiger als nie könnte man es schon tun. Der Suizid von May zeigt, dass Kirche als Arbeitgeber auch auf diesem Feld noch viel nachzuholen hat. Er zeigt aber auch, dass immer mehr Klerikern Gottesfurcht und Gottvertrauen fehlt.

Zum Abschluss noch ein Song von Reinhard Mey. Einen besseren Abschluss des Artikels hätte ich selbst nicht schreiben können.

“Was in der Zeitung steht”!

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