Theologische Betrachtung zu Antonio Rüdigers Fingergeste (Tauḥīd) – Teil 2

Dr. theol. Udo Hildenbrand*

Sie erinnern sich noch an den ersten Teil der Ausführungen unseres Gastautors? Dann ist ja alles in Butter! Ansonsten können Sie diesen hier lesen…

…und sich im Anschluss über den nun folgenden Teil hermachen:

Das legitime Bekenntnis an einen einzigen wahren Gott

Wie bereits angedeutet, wollen gläubige Muslime mit dem Tauhid-Finger offensichtlich ihren Glauben an Allah, den „einen und einzigen Gott“, in Verbindung mit einem körperlich sichtbaren und beweglichen Zeichen zum Ausdruck bringen. In den hier folgenden Ausführungen soll der fundamentale, unüberbrückbare Unterschied zwischen dem christlichen und dem islamischen Gottesbild und Monotheismus-Verständnis zumindest ansatzhaft aufgezeigt werden. Zunächst aber: Entgegen manchen Äußerungen auch von Islamkritikern gilt es, bei dem hier relevanten Thema „Glaubensbekenntnis“ festzuhalten:

Jeder Religion und jeder Weltanschauung ist es in unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat aufgrund der Religions-Glaubens- und Meinungsfreiheit unbenommen, sich als die einzig wahre zu bezeichnen und in dieser Intention auch werbend missionarisch tätig zu werden.

So können Muslime rechtens und uneingeschränkt – wie es etwa im „Muezzin-Ruf“ geschieht (Vgl. Kritische Stellungnahmen zum Islam, S. 171-173, 193-196) behaupten, ihr Allah sei der eine, einzige und wahre Gott, wie gleicherweise auch Christen, Hinduisten usw. nur ihren je eigenen Gott bzw. ihre je eigenen Götter als existent und andere Gottheiten als nichtexistent verkünden können. Natürlich können dementsprechend auch Atheisten und Agnostiker die Existenz Gottes bestreiten.

Allerdings darf keine Religions- und keine Weltanschauungsgemeinschaft unter keinen Umständen aus diesen freiheitsbestimmten Gegebenheiten für sich das Recht ableiten und sich dabei in totalitärer Gesinnung anmaßen, andere Religionen oder andere Ideologien zu diskreditieren, deren Anhänger zu diskriminieren, gar zu bekämpfen, zu unterwerfen und auszulöschen, wie es weltweit in zahlreichen religiös oder atheistisch dominierten antidemokratischen Autokratien oder Diktaturen zu beobachten ist.

Hinsichtlich der Glaubensfreiheit in unserem Land ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.11.1960. Darin heißt es:

Jedenfalls kann sich auf die Glaubensfreiheit nicht berufen, wer die Schranken über­tritt, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat. Das Grundge­setz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat. … Aus dem Aufbau der grundrechtli­chen Wertordnung, insbesondere der Würde der Person, ergibt sich, dass Missbrauch namentlich dann vorliegt, wenn die Würde der Person anderer verletzt wird.

Kritische Fragen zur islamischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen wäre es wohl spannend, von dem auf dem Gebetsteppich knieenden Antonio Rüdiger Antwort zu erhalten auf etwa folgende schlichte Fragen, die zwar einen bedrückenden Hintergrund haben, jedoch zugleich auch leicht zu beantworten sind:

  • Wie sehen die diesbezüglichen Verhältnisse im Blick auf Religions-, Glaubens- und Meinungsfreiheit heute in den 56 islamisch dominierten OIC-Staaten aus?
  • Gibt es einen einzigen OIC-Staat, in dem dieses Prinzip der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative als Basis einer freiheitlichen Demokratie Geltung hat?
  • In welchem der heutigen OIC-Länder und zu welcher Zeit wurde dieses Prinzip in der 1400-jährigen Geschichte des Islams in der islamischen Lehre, Gesetzgebung und Lebenspraxis auch nur ansatzhaft im Blick auf die freie Religionsausübung der Nichtmuslime realisiert?
  • Inwiefern ist die Feststellung zutreffend, dass Muslime für sich die in unserem Grundgesetz garantierte Religions-, Glaubens- und Meinungsfreiheit nachdrücklich beanspruchen, die sie jedoch in islamisch geprägten Ländern entschieden ablehnen oder sogar bekämpfen?
  • Was würde wohl nach der islamischen (Scharia-)Lehre im Blick auf die Religions-, Glaubens- und Meinungsfreiheit geschehen, würde die islamische Bevölkerung auch in Deutschland aufgrund der demoskopischen Entwicklung in einigen Jahrzehnten die gesellschaftliche Mehrheit bilden?
Ein gemeinsamer Glaube „an denselben einen Gott“ ist für beide Religionen unmöglich

Der in der besagten Tauhid-Geste bezeugte und visuell veranschaulichte islamische Ein-Gott-Glaube ist aus verschiedenen Gründen unter keinen Umständen mit dem christlichen Glauben identisch. Christen und Muslime glauben zwar jeweils „an einen einzigen Gott“ und werden zusammen mit den Juden so mit gutem Grund auch „Monotheisten“ (Ein-Gott-Gläubige) genannt. Sie glauben aber niemals an „denselben einen und einzigen Gott“.

Denn gläubige Christen können nicht an einen Gott glauben, der sich angeblich geoffenbart hat in einem Bild, das ihrem eigenen durch Jesus Christus verkündeten trinitarischen Gottesbild zutiefst widerspricht. Sie können niemals einen Glauben teilen, der die Gottessohnschaft Jesu strikt ablehnt, ihn zum Propheten degradiert, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung sowie das Wirken des Gottesgeistes leugnet und gar bekämpft.

So können Christen auch niemals an einen Gott glauben, der – wie der Allah des Korans – Anweisungen zu einem persönlichen und zwischenmenschlichen Leben und Handeln gibt, die der Botschaft des menschgewordenen Gottessohnes und so auch der Erlösungslehre sowie der universalen Friedens- und Liebesethik des Neuen Testaments und damit auch dem christlichen Menschenbild und den christlichen Lebensvorstellungen in weiten Teilen unüberbrückbar entgegenstehen. Dies gilt insbesondere auch im Blick auf die unantastbare Würde des Menschen, die ausnahmslos allen Menschen gleicherweise ohne Rücksicht auf deren Zugehörigkeit etwa zu einer bestimmten Religion oder zu einem bestimmten Geschlecht zusteht.

Übrigens kann die Selbstaussage Jesu: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6)  auf die Tatsache verweisen, dass die Menschen auch hinsichtlich der Gottesfrage an verschiedene, sogar an eine Fülle unterschiedlichster und gegensätzlichster „Wahrheiten“ glauben und diese verkünden. Dennoch kann es letztlich nur eine Wahrheit geben. Denn die Wahrheit ist unteilbar. Entsprechend lautet das christliche Bekenntnis: Jesus Christus ist diese eine Wahrheit in Person.

So entbehrt es auch jeglicher Logik und widerspricht jeder vernunftorientierten Überlegung, dass sich ein und derselbe Gott geoffenbart haben soll, zunächst in seinem menschgewordenen Sohn Jesus Christus und einige Jahrhunderte später auch noch in Mohammed mit dessen pointiert anti-jesuanischen und anti-christlichen Lehre und Lebensweise.

Nein! Da der Allah des Korans nicht mit dem Gott der Bibel identisch ist, können Christen und Muslime nie an „denselben einen Gott“ glauben. Sie hätten ein schizophrenes Gottesbild, einen schizophrenen Gottesglauben. Jedenfalls ist der im Tauhid-Finger symbolisierte Ein-Gott-Glaube der Muslime in keiner Weise mit dem Ein-Gott-Glauben der Christen kompatibel, gar identisch.

Muslime lehnen das Bild vom dreieinen Gott kategorisch ab

Umgekehrt gilt allerdings ebenso: Kein einziger gläubiger Muslim will und kann an einen dreieinen Gott glauben, den die Christen im Apostolischen Glaubensbekenntnis bezeugen. Es sei denn, er übt – etwa in einer Nachteil- oder Gefahrensituation – das islamlegitimierte Prinzip der Verhüllung/Verstellung/Verschleierung („Taqīya“) (Vgl. Kritische Stellungnahmen zum Islam, S. 62 u. Sure 3, 28) aus. Er würde als Abtrünniger gelten und beim Bekanntwerden seiner Abwendung vom Islam mit Gefahren für Leib und Leben rechnen müssen – nicht nur in islamischen Ländern!

So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Christen im Koran der Vielgötterei (Polytheismus/Tritheismus) beschuldigt werden, dass sie Lügner seien und mit ihren verfälschten Lehren die Wahrheit verdunkelten. Ist der Glaube der Christen an den dreieinigen Gott nach Sure 5, 74 nicht sogar ein strafbares Verbrechen? Eine Fülle antichristlicher Aussagen unterschiedlicher Art ist im Koran nachzuweisen.

Aus der Darstellung dieses Abschnittes ist zu schließen: Weder das biblische noch das koranische Gottesbild, weder der monotheistische Gottesglaube der Christen noch jener der Muslime ermöglichen die Sinnhaftigkeit der von Christen gelegentlich verbreiteten Behauptung, Christen und Muslime glaubten an „denselben einen und einzigen Gott“

Nicht nur ihretwegen sei an dieser Stelle auf ein trinitarisches Lobpreis- und Bekenntnishymnus aus dem Gebetsschatz der Kirche aus jüngerer Zeit hingewiesen:

Dir ziemt das Lob, Vater, der du reich bist in aller Pracht. Aber nicht weniger Ehre ziemt dir, dem Sohn, und dir, dem Heiligen Geist. Eure Herrschaft und Werke sind gleich von Ewigkeit bis in Ewigkeit. Dies ist die Dreiheit und Einigkeit, da drei sind einer und einer drei: Vater und Sohn und Heiliger Geist. Amen.“ (STUNDENBUCH für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Zweiter Bd. Freiburg u.a., 1978, S. 578.)

Derselbe Gott? Eine krasse Unkenntnis der christlichen Glaubenslehre!

Die hier aufgezeigte Thematik soll nachfolgend noch beleuchtet werden durch eine längere Aussage von Kardinal Gerhard Müller. Er war Theologieprofessor, Bischof von Regensburg und Leiter der römischen Glaubenskongregation. Die auch ihm vorgelegte spannungsgeladene Frage, ob Christen und Muslime „an denselben einen Gott glauben“, sorgt seit der Konzilszeit bis auf den heutigen Tag auch in der christlichen Ökumene bei Laien und Theologen bis hin zu den Bischöfen immer wieder für Verwirrung, Streit und Auseinandersetzung.

Doch welche Theologen, welche Schulen und Institutionen der verschiedenen Strömungen des Islams haben sich ihrerseits je im Sinne eines gemeinsamen Glaubens von Muslimen und Christen an „denselben einen und einzigen Gott“ positiv geäußert? Müssten sie nicht im Augenblick der Bestätigung dieser These den Apostasie-Vorwurf befürchten, der Leib und Leben bedroht?

Eine Vorbemerkung zur Aussage vom „demselben einen Gott“:  Wenn das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) in „Lumen gentium“ 16, der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, davon spricht, dass Christen und Muslime an „denselben einen Gott“ glauben, gilt zunächst festzuhalten: Dieses Konzil hat sich selbst als Pastoralkonzil verstanden nicht als ein dogmatisches und hat folglich auch kein einziges Dogma formuliert. Daher müssen auch alle neuen, während dieser Kirchenversammlung formulierten theologischen Lehräußerungen mit den Dogmen der katholischen Kirche uneingeschränkt übereinstimmen. Dazu Kardinal Müller im Abschnitt “Muslime und katholischer Glaube” aus dem Werk “Wahrheit. Die DNA der Kirche“:

Das Konzil hat vor allem betont, dass die Muslime an einen einzigen Gott glauben, und das verbindet sie mit uns, allerdings nicht in der Tiefe des Gottesglaubens, den wir von Alten Testament her mit den Juden teilen. Der Gott der Väter in der Vermittlung des Mose ist Gott, den Jesus als seinen Vater angesprochen hat und den wir Christen nach seiner Anordnung auch als ´Vater unser´ ansprechen. Wir Christen glauben an den einen Gott in drei Personen. Es ist der Gott und Vater Jesu Christi und es ist nicht Allah, der Gott, als dessen Prophet sich Mohammed verstand. Man kann also nicht, wie es die sogenannte liberale Theologie versuchte, uns zu erklären, sagen, dass es sich nur um verschiedene Varianten eines gleichen Grundschemas handelt. Wir Christen glauben an Gott, an den einzigen wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, an den Vater Jesu Christi. Und wir glauben, dass dieser Gott in drei Personen zu uns spricht, und wir getauft sind auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es ist ein und derselbe Gott, der einzige Gott, der sich in Christus vollkommen uns mitgeteilt hat… Christus ist als wahrer Gott und Mensch der Treffpunkt der vielen Wege der Menschen zu Gott und des einen Weges Gottes zu allen Menschen.“  

Zu weiteren Klärung verweist Kardinal Müller sodann auf die philosophische Überlegung, es könne ontologisch (seinsmäßig) nur einen Gott geben, was per definitionem auch gar nicht anders möglich ist. Wenn es tatsächlich einen Gott gibt, kann es nur einen einzigen Gott geben. In klassischer Weise definiert so auch der mittelalterliche Theologe und Philosoph Anselm von Canterbury (um 1033-1109) in seinem „ontologischen Gottesbeweis“, Gott sei „das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ („id, quo nihil maius cogitari potest“).

Zu diesem ontologischen Aspekt der Gottesfrage führt der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation aus:

Und dennoch gibt es über die philosophische Vernunft und die religiöse Verehrung des Absoluten eine Verbindung zu der Gottessuche in der Menschheitsgeschichte… Es gibt ontologisch nur einen Gott, was auch von der philosophischen Vernunft ausgewiesen werden kann. Wenn wir aber im Glaubensbekenntnis… sagen: Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, dann ist das nicht derselbe Gott, an den die Muslime glauben…

Ein solche Meinung [vom angeblich gemeinsamen Gottesglauben der Christen und Muslime] kann eigentlich nur einer krassen Unkenntnis der christlichen Gotteslehre, der Trinitätslehre, des Glaubensaktes kommen. Oder es handelt sich um eine fahrlässige Übernahme der Volksmeinung … Doch das hat nichts mehr mit einem Glaubensbekenntnis zu tun, das uns bei der Taufe übergeben wurde. Ein liberale Vergleichgültigung der Glaubensinhalte steht keinem Menschen, der den Namen Christi trägt, gut an.

ENDE DES ZWEITEN TEILS

Der Schlussteil erscheint am Donnerstag, 02.05.24

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*) der Autor ist katholischer Theologe (Priester) und Publizist (u.a. bei conservo).

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Titelbild, Artikelüberschrift und Einpflegen der Anmerkungen in den Fließtext von der conservo-Redaktion

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