AfD: Jörg Meuthens Interview und eine “Philosophia Perennis”-Mahnung aus 2019

Michael van Laack

“Selbstreinigung oder Selbstzerstörung! ‘Una Voce’ sprechen und ohne Rücksicht auf Verluste alle ‘liquidieren’, die aus der AfD das machen wollen, was sie (noch) nicht ist: ein ewig gäriger Haufen nationaler Sozialisten und Salonfaschisten!” (Zitat aus: “Selbstreinigung oder -zerstörung: Die alternativlosen Alternativen der AfD”, 2019).

Gestern Abend sprach Jörg Meuthen im “Heute Journal” des ZDF mit Marietta Slomka, die Nachrichten nicht selten mit einem “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben”-Habitus verkündet und Interviews auch mal gern als “peinliche Befragung” im Sinn eines Hexenprozesses gestaltet. Zweifellos hätte sie so auch beim DDR-Fernsehen Karriere machen und auf Augenhöhe mit Karl Eduard von Schnitzler die Bürger von der einzig existierenden Wahrheit überzeugen können.

Manches trägt schon sektenhafte Züge

Doch ist das Thema des folgenden Artikels nicht “Sprachrohr der Bundesregierung” oder “Ehemaliger Mitarbeiter wäscht öffentlich schmutzige Wäsche”, sondern die AfD, die ihren einst lautstark und redundant propagierten “Mut zur Wahrheit” peu à peu fast gänzlich verloren hat; nicht zuletzt, weil jene Akteure, denen (nicht erst nach Meuthen) rasch der Marsch durch die Parteiinstitutionen gelang, die Partei zur “Ringsum nur Feinde”-Community entwickelten und ihnen darüber hinaus der bei den politischen Mitbewerbern nicht selten fehlende moralische Kompass zunehmend ebenfalls verloren gegangen ist.

“Vaterlandsliebe finde ich zum Kotzen”, sagte einst unser aktueller Bundeswirtschaftsminister. Manch ein AfD-Mandatsträger sagt das zwar nicht, aber handelt so. Anders ist nicht zu erklären, wie man sich als Politiker der einzigen echten Oppositionspartei an die Seite des Kriegsverbrechers Putin stellen oder Chinas Agieren mit Blick auf Taiwan oder die Uiguren verteidigen kann. Wer offen Systeme hofiert oder verteidigt, denen Demokratie verhasst ist, will sie tief im Herzen auch im eigenen Vaterland abgeschafft sehen, will eine andere Republik oder auch gar keine; und wer sich – so aus den aktuellen Vorwürfen gegen Krah und Bystron (möglicherweise kommen in den nächsten Tagen auch noch zwei andere Top-Leute der Partei hinzu) Beweise würden – von fremden Mächten bezahlen lässt… den darf man ohne Übertreibung Vaterlandsverräter nennen.

Meuthen bleibt im Interview anständig und sauber

Jörg Meuthen machte im gestrigen Interview eine gute Figur, weil er die gut getarnten Fettnäpfchen von Frau Slomka stets im Blick hatte, in die hineintretend er Vorwürfe als Tatsachen hätte darstellen sollen. Er aber blieb im Konjunktiv, wenn es um die Vorwürfe gegen Krah und Bystron ging und vermied jegliches argumentum ad hominem.

Doch benannte er auch klar die Missstände: Chrupalla und Weidel hätten die Probleme, die mit der Personalie Krah verknüpft waren, komplett ausgeblendet, als es um die Aufstellung der Liste zur EU-Parlamentswahl ging: mehrfach von der eigenen Fraktion im Parlament suspendiert, China hofierend und Menschenrechtsverletzungen kleinredend, undurchsichtiges Finanzgebaren. All das interessierte die Spitzen der Partei, weite Teile des Bundesvorstands und erst recht die Ostverbände der AfD nicht. Sie sahen in ihm das, was sie sehen wollten: einen echten rechten Mann – einen Superhelden, der alle Generationen gleichermaßen anzusprechen im Stande ist.

Allein für Deutschland, überall nur Feinde

Dieses permanente Ignorieren von Tatsachen habe, so glaubt der EU-Parlamentarier, mit einer “Wagenburgmentalität” zu tun, die sektenhafte Züge anzunehmen drohe. Jegliche Kritik von außen werde als Versuch wahrgenommen, die Partei zu zerstören; jede Kritik von innen sei Feindzeugnis. Nur so sei es, meint Meuthen, zu erklären, dass die Partei jetzt dort steht, wo sie steht, kaum mehr vor und zurück kann, ständig in der Defensive ist und aktuell nur noch die Option hat, ihre Spitzenkandidaten, die sie bekanntlich aus rechtlichen Gründen nicht mehr los wird, zu verstecken; oder aber, sage ich, die Option,. Krah und Bystron wieder voll ins Rennen zu werfen und so eine Spaltung zu riskieren (die es aus meiner Sicht schon vor Jahren hätte geben müssen). Denn trotz des von Meuthen beschriebenen Siegs des Flügels gehört nach meiner Kenntnis ein gutes Drittel der Bundestagsfraktion zu Maximilian Krahs schärfsten internen Kritikern. Und auch in der Mitgliederschaft ist der Dresdener Ex-Anwalt nicht (mehr) unumstritten.

Sei dem, wie es mag: Ja, Meuthen hat recht mit allem, was er im Interview sagt. Doch letztendlich haben wir es seiner Zögerlichkeit und seinem fast schon Arbeitsverweigerung darstellenden Unwillen, bei den Zuspitzungen von Krisen auf der Zeitachse der Parteigeschichte Führung und Stärke zu zeigen, zu verdanken, dass das Dilemma der Partei derartig massiv und stabil ist.

Sein größter Fehler war, sich mit der Auflösungserklärung des Flügels zufriedenzugeben. Denn die Akteure, die Konservativismus- und Liberalismus-Bashing betrieben, parteiintern unbehelligt intrigierten bzw. mobbten und hinter der Maske des Sozialpatriotismus das Schnellroda-Konzept eines nationalen Sozialismus verbargen, verschwanden ja nicht, nur weil Strukturen (zumindest offiziell) aufgelöst wurden.

Meuthen war ein Zauderer und Zögerer

2018 bis 2020 habe ich Jörg Meuthen auch immer wieder an seine Verantwortung erinnert, doch von ihm kam leider stets nur vertröstendes Gefasel, ich sähe das entweder zu dramatisch, die Zeit fürs Handeln sei noch nicht reif oder (auch immer wieder gern genommen) es stünden Wahlen vor der Tür. Erst nach diesen Wahlen könne man dies und jenes angehen. Wenn die Wahlen dann vorbei waren, standen zumeist schon die nächsten vor der Tür.

Seinen Rück- und Austritt habe ich zwar mehr als nur bedauert, weil mir klar war, dass ab diesem Moment die Ampel für den Flügel auf Dauergrün stand. Doch war – betrachtet man die Entwicklung der Jahre zuvor – der Rückzug eine logische Konsequenz. Es ging schon lange vor dem Austritt nicht mehr um das “Ob” sondern nur noch um das “Wann”.

Zögerliche, widersprüchliche und/oder Probleme aussitzende Parteivorsitzende hatten in der Bundesrepublik Deutschland niemals lange Amtszeiten, wenn sie nicht gleichzeitig Kanzler waren, wodurch ihr Schicksal als eng mit dem der Partei verknüpft galt und sie den jeweiligen Parteiapparat eisern im Griff behielten, auch wenn sich zahlreiche Abegordnete der jeweiligen Regierungspartei regelmäßig die Lippen blutig küssen ließen oder tagtäglich neu auf die Zähne oder bzw. in die Zunge beißen mussten.

Ein leider sehr gut gealterter Artikel auf PP

Das gestrige Interview des ehemaligen AfD-Vorsitzenden hat mir manche Artikel in Erinnerung gerufen, die ich vor einigen Jahren zu dem Thema auf “Philosophia Perennis” veröffentlichte, als ich den Blog gemeinsam mit DDr. David Berger führte. Es fühlt sich an, als sei seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen, obwohl unsere Trennung erst zweieinhalb Jahre zurückliegt. Denn mittlerweile ist PP zu einem offiziösen Sprachrohr der völkisch-nationalen Community und ihrer Führungsfiguren mutiert, freilich nicht erst seit Davids Parteieintritt vor ein paar Wochen. Der Prozess verlief eher schleichend. AfD-kritische Artikel kann sich David nicht mehr leisten. „Jubeln oder Schweigen“ ist die neue Unabhängigkeit.

“Ein Blick auf die Welt mit von der philosophia perennis geschärften Augen” stand seinerzeit noch im Blogtitel. Das ist vorbei! Andere stellen in diesen Tagen die Linsen scharf, durch die David seine Leser in die Welt blicken lässt. Die Weisheit hat endgültig ausgedient. Mich betrübt das sehr, nicht nur weil ich einen Freund verloren habe, sondern auch und vor allem, weil das grosse Freiheitspotenzial von PP, das trotzige “Wenn es notwendig ist oder wir es für geboten halten, schwimmen wir auch mal gegen den Mainstream der eigenen (rechten) Blase und liefern unseren Lesern ggf. schwer verdauliche Kost ohne Selbstvergewisserungsgarantie bei Lektüre” zumindest im Bildsinn meistbietend versteigert und verschleudert wurde.

Zwar hat David Berger im Mai 2022 alle fast 1.000 Artikel aus meiner Feder und 250 weitere von Gastautoren, die ich unter meinem Account auf PP online gestellt hatte, gelöscht. Doch wozu gibt es “archive.org”…

Und so erlaube ich mir, nachfolgend noch einmal große Teile meines Artikels vom 12. Juni 2019 zu zitieren, in dem ich die Partei verteidigte, gleichzeitig warnte und vieles von dem als unbedingt zu verhindern beschrieb, was wir heute als Ist-Zustand sehen. Die AfD hat ihre Selbstreinigung nicht vollzogen, als noch genug Reinigungsmittel und säuberungswillige Fachkräfte vorhanden waren. Ob sie eine weitere Chance bekommt, die Kraft zur Umkehr hat und den Mut zur Wahrheit wiederfindet, ist fraglich; denn die Zäsur, die nötig wäre, um alles Notwendige auf den Weg und zum Abschluss bringen zu können, ist tief: Kein Oberflächenschnitt sondern eine OP am offenen Herzen.

Aus meiner Sicht ist eine Kurskorrektor allerdings unwahrscheinlich, denn der übermächtige Ostteil der Partei ist seit Jahren im Hero-Modus. So wie die Grünen glauben, nur sie könnten das Weltklima retten, glaubt der real immer noch existierende Flügel, nur er könne Deutschland retten, die Spaltung der Gesellschaft heilen, sämtliche Probleme im Alleingang lösen und die arg ramponierte Demokratie restaurieren.

Genug gefaselt! Es folgt nun in Auszügen mein seinerzeitiger Beitrag, erschienen auf einem Blog, der unabhängig war und es sich deshalb leisten konnte, unter Meinungsaustausch nicht zu verstehen: ‘Du kannst gern mit deiner Meinung zu uns kommen, doch wenn du nicht mit unserer Meinung nach Hause gehst, bist Du kein echter Patriot, kein Verteidiger der Demokratie und ganz gewiss nicht unser Kamerad!’

Nein, die Alternative für Deutschland ist keine zutiefst nationalsozialistische Partei. Auch wurde nicht erst durch sie der Antisemitismus in Deutschland wieder hoffähig, ebenso wenig stellt die Bundestagsfraktion einen Haufen von Salonfaschisten dar. Dass ihr all das vorgeworfen werden kann, dass mancher sinnvolle, gar notwendige Vorschlag oder Antrag der AfD u.a. unter Verwendung solcher Behauptungen abgeschmettert wird (wie zuletzt das generelle Verbot der Terror-Organisation Hisbollah), hat sie sich hauptsächlich selbst zuzuschreiben.

Keine Partei spricht nur mit einer Stimme. Schon früh sprach man mit Blick auf große Parteien davon, in ihnen gebe es einen rechten und einen linken Flügel, bei den Grünen später von Realos und Fundis. Die AfD wird vereinfachend in einen liberalkonservativen (bürgerlichen) und einen nationalkonservativen Flügel eingeteilt, wobei letzterer von sich behauptet, DER „Flügel“ schlechthin und die “wahre AfD” zu sein, während die anderen aus verschiedensten Motiven nicht zu ihm gehörten.

Schon an diesem Bild zeigt sich die – man möchte fast schon schreiben: selbst gewählte -Schieflage der Partei. Denn mit nur einem Flügel kann man nicht fliegen, ebenso wenig mit zwei Flügeln, die in verschiedene Richtungen wollen. Könnten die Flügel unabhängig voneinander den Kurs eines Vogels bestimmen, würde es ihn in der Mitte zerreißen, seine Innereien würden auf den Boden klatschen und von den hungrigen Katzen gefressen.

Das Gehirn verhindert Gott sei Dank, dass die Extremitäten der Tiere und der Menschen ein Eigenleben führen. Sein Wollen steuert die Handlungen des Lebewesens. – Und so ist eben auch bei Parteien. Die Vorstände in Bund, Land und Kommunen steuern die jeweiligen Parteikörper, üben Kontrolle über die Glieder aus. Und fassen entsprechende Beschlüsse zum Wohl der Partei, wobei hier natürlich auch das hierarchische Prinzip greift, greifen muss. Auch in einer Demokratie geht es nicht ohne, um Ordnung zu erhalten. Deshalb sollte Alexander Gaulands Bild von der AfD als „gäriger Haufen“ eher Sorgen machen, als dass wir uns über dieses Alleinstellungsmerkmal zu freuen.

Womit wir beim Kernproblem der Alternative für Deutschland wären: Der Flügel, dem mit Blick auf aktuelle Umfragewerte zu Landtagswahlen mächtigsten Teil der Partei. Wer ihm wirklich zuzurechnen ist, lässt sich kaum abschätzen, denn es gibt ja kein Flügelparteibuch – Alle haben das Parteibuch der AfD, aber es ist einfach unerträglich, wie sie im Namen der Partei wildern in den Territorien der Demokratie- und Menschenfeinde: all die Gedeons mit ihren antisemitischen Ressentiments, all die Höckes mit einem historischen Bild aus den Geschichtsbüchern des frühen 20. Jahrhunderts, all die Sayn-Wittgensteins, die von einem Deutschland in den Grenzen der EU träumen. Nach Auflösung der EU selbstverständlich.

Was diese Kader in Bund und Ländern sprechen und schreiben, wirkt selbstverständlich in die kommunalen Ebenen hinein und verleitet manches Ratsmitglied, sich wieder groß und mächtig zu fühlen, das alte Deutschland neu zu beschwören.

Irrsinnigerweise werden diese Leute auch noch beklatscht von nicht wenigen Mitgliedern und noch mehr Wählern. Man bejubelt die Provokateure als Nationalhelden, statt ihnen einen Tritt in den Allerwertesten zu geben, ihnen Grenzen aufzuzeigen, sie aller Ämter zu entheben und wenn möglich auch aus der Partei auszuschließen.

Ja, das würde und wird der Partei einige Prozentpunkt kosten. Aber besser solche Einbußen in Kauf nehmen, als sich den Feinden der Demokratie in den eigenen Reihen zu unterwerfen und so zuzulassen, dass die Feinde der AfD die Partei am Ende tatsächlich verbieten, so die Demokraten in ihr nicht schon vorher mit den Füssen abstimmen und sie verlassen, bis nichts mehr überbleibt als ein wahrhaft gäriger, weil nicht mehr blauer, sondern brauner Haufen.

Die intellektuelle Maske des Faschismus

Last but not least muss die AfD sich auch von jenen trennen, auf die so sie so gern stolz sein möchte: dem staatswissenschaftlichen und philosophischen Arm der Rechtsintellektuellen. Beispielhaft hierfür nenne ich das Rittergut Schnellroda, dass ich nur deshalb nicht Bauernhof nenne, weil ich im Folgenden ein paar andere unfreundlichere Worte zu schreiben habe:

Zweifellos – der Antaios-Verlag hat viele gute rechte Literatur auf den Markt gebracht, hat auf Buchmessen tapfer für Diskursfreiheit gekämpft. Das aber ist nur die Maske.

Denn Götz Kubitschek und sein inner circle (unhöflich: Entourage) stehen ideologisch weiter rechts als die NPD. Kubitschek hat nie die Ideologie der NPD kritisiert, lediglich ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre Strategie. Sein Versuch, in die AfD einzutreten, scheiterte kläglich. Er selbst mag ja noch einer der Harmloseren sein im Kreis der esoterischen Hitleristen, Gottfried Feder-Nachbeter und Israelfeinde, die ihn umgeben. Ein sich frugal Ernährender und ein Walhalla auf Erden Herbeisehnender. Betrachtet man aber die Entwicklung der Zeitschrift und des Portals Sezession näher, finden sich dort immer häufiger Beiträge, die wahrlich Prädikate wie islamophob, homophob, christenfeindlich und tendenziell antisemitisch verdienen – schlicht und ergreifend demokratiefeindlich.

Jegliche Zusammenarbeit (Joint Ventures), jegliches Werben für Produkte solcher Verlage (wie gesagt, Antaios soll nur als Beispiel dienen) muss die Alternative für Deutschland vermeiden. Keine Rosinenpickerei!

Fazit

Unsere Partei wird keine zehn Jahre mehr überleben, falls sie Bürger und Verfassungsschutz wirklich für so dumm halten sollte, zu glauben, dass alles seien nur bedauerliche Einzelfälle und Antisemiten wie Gedeon und Scharfmacher wie Höcke lupenreinste Demokraten, die – einmal an der Macht – alle Bürger Deutschlands gleichbehandeln würden.

Selbstreinigung oder Selbstzerstörung! „Una Voce“ sprechen und ohne Rücksicht auf Verluste alle „liquidieren“, die aus der AfD das machen wollen, was sie (noch) nicht ist: ein ewig gäriger Haufen von nationalen Sozialisten und Salonfaschisten!

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