Indien – die ferne, fremde 3. Weltmacht

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist*)                                                        

Seit meinem Studienaufenthalt vor einigen Jahren in Indien fasziniert mich dieses facettenreiche, geschichtsträchtige Land, das aufgrund seiner geographischen Ausdehnung besser als Subkontinent eingestuft wird. Seit Jahren verfolge ich die Entwicklung dieses Staates im Führungstrio mit China und den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit großem Interesse.

Das Prädikat „Dritte Weltmacht“ möchte ich mit einigen Fakten – im Vergleich zu Deutschland – belegen:

Indien hat rd. 1,4 Milliarden Einwohner – ist also in „ Augenhöhe“ mit dem Nachbarn China. Mit seinen rd. 83 Millionen Einwohnern spielt Deutschland aus der Sicht Indiens und Chinas in einer unteren Liga.

Das zeigt sich auch im Welthandel. Mit einer Größe von 3.287 263 Quadratkilometern liegt Indien in der Welt an 6. Stelle, ungefähr die zehnfache Größe Deutschlands. – Seit seiner Zeit als Führungsmacht der sog. „Blockfreien Staaten“ genießt es großes Ansehen in Asien. Auch dank der Führungsleistung von Nehru und Gandhi und ihrer Familien. Es ist eine „smart power“, der über beide Komponenten „soft“ und „hard power“ verfügt und seine Attraktivität über Asien hinaus politisch nutzt.– Indien ist seit Jahren erfolgreiche Weltraumnation.

– Indien ist Nuklearmacht – wie die Nachbarn Pakistan und China.

– Indien ist eine bedeutende Militärmacht – auch zunehmend auf den Weltmeeren.

– Indien ist eine High-tech-Macht, besonders im Dienstleistungssektor, der 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erbringt.

– Indien ist Mitglied des Commonwealth mit einer engen Beziehung zu Großbritannien und anderen Mitgliedern.

– Ober- und Mittelschicht haben einen hohen Bildungsstand – mit Abschlüssen an britischen und amerikanischen Universitäten.

– Indien ist ein starker Partner der Vereinigten Staaten, denen es seinen Status als Nuklearmacht verdankt.

– Mit seinen asiatischen Partnern Japan, Südkorea, Taiwan sowie Singapur und Australien ist es ein wichtiges Gegengewicht zu China.

– Indien hat eine Küstenlinie von 7.516 Kilometern. Die Nord-Süd-Achse beträgt 3.214 Kilometer, während die Ost-West-Achse 2.933 Km lang ist. Ein Blick auf den Globus zeigt die geopolitische und geostrategische Bedeutung. Der Subkontinent liegt wie ein Keil im Indischen Ozean. Er kann die wichtigen Seeverbindungen von China nach Afrika und Lateinamerika sowie nach Europa und der Arabischen Halbinsel kontrollieren. Die Arabische Halbinsel ist ein wichtiger Öl- und Gaslieferant, da Indien über wenige Rohstoffe im eigenen Lande verfügt.

– Der Anteil von rd. 80 Prozent Hindus an der Gesamtbevölkerung bildet einen homogenen Grundstock.

Indien – ausgewählte Daten und Fakten

Die ausgewählten politischen, wirtschaftlichen und militärische Daten und Fakten sollen Indien dem Leser etwas näher bringen, da deutsche Medien wenig substantielle Berichte über in Indien bringen. Die beiden anderen Weltmächte – China und USA – sind stärker im Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Russland ist für mich keine Weltmacht – mehr.

Daten und Fakten zum „Subkontinent“ Indien:

– Indien ist mit rd. 1.4 Milliarden Einwohnern die größte Demokratie der Welt.

– Die beiden Hauptsprachen sind Hindu und Englisch.

– Indien unterteilt sich in 29 Bundesstaaten und 7 Unionsterritorien mit der Zentralregierung in Neu Delhi. Diese Bundesstaaten und Territorialstaaten haben eine starke Position gegenüber der Zentralregierung und blockieren deren Anstrengungen, Indien mit Fernstraßen und Eisenbahnlinien besser zu erschließen.

– Mit seiner Fläche von 3. 287.263 Quadratkilometern ist es 10mal größer als Deutschland.

– Die religiöse Zugehörigkeit der Bevölkerung: rd.80 Prozent Hindus, rd. 13 Muslime, rd. 2 Prozent Christen, 2 Prozent Sikks und rd. 1 Prozent Buddhisten.

– Die Topographie reicht über 7.516 Kilometer vom Himalaya-Hochgebirge bis zur Meereshöhe.

– Die Landwirtschaft – mit rd. 20 Prozent des jährlichen Bruttoinlandproduktes Indiens – ist weitgehend abhängig vom „pünktlichen Monsunregen“ und der Schneeschmelze, die fruchtbare Sedimente bis in den Süden Indiens bringen. In der Landwirtschaft Indiens werden rd. 60 Prozent der Gesamtfläche Indiens von rd. 200 Millionen Erwerbstätigen bearbeitet.

Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig Wetter und Klima für Indien sind.

– Die Verkehrsinfrastruktur auf dem Lande, in der Luft und auf See ist unterentwickelt und hemmt die Entwicklung des Landes.

– Indien ist am Welthandel mit lediglich unter drei Prozent beim Import und mit unter drei Prozent beim Export beteiligt. Eine magere Bilanz.

– Die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes hat sich auf 4,2 Prozent verringert.

– Die Inflationsrate hält sich seit Jahren bei rd. 4,5 Prozent.

– Die Staatsverschuldung bleibt seit Jahren bei knapp unter 70 Prozent. (In der EU galt vor der Corona- Epidemie eine Marke von 60 Prozent. Durch sehr große staatliche finanzielle Unterstützungsmaßnahmen wird das Jahr 2020 eine starke Steigerung der Staatsverschuldung bringen.)

– Dienstleistungen tragen fast die Hälfte des BIP, der Produktionsbereich rd.26 Prozent, Konsumausgaben der privaten Haushalte knapp unter 60 Prozent.

– Anteil der Militärausgaben am BIP rd.2,4 Prozent , Deutschland 1.4 Prozent ( NATO-Benchmark 2 Prozent).

– Die Bevölkerungsstruktur Indiens ist im Vergleich zu China besser aufgestellt. Das Medianalter Indiens beträgt rd. 27 Prozent gegenüber 37 Prozent in China und 47 Prozent in Deutschland. (Median ist eine statistische Größe. Sie besagt, dass in der jeweiligen Bevölkerung zwei gleich starke Teile der Bevölkerung oberhalb und unterhalb der Medianzahl liegen. Es ist keine Angabe zum Durchschnittsalter). In Indien leben 26 Prozent Menschen unter 15 Jahren und 66 Prozent zwischen 15 und 64 Jahren.

– Die Arbeitlosenquote beträgt jährlich knapp unter 5 Prozent.

– In Indien werden jährlich zwischen 10 und 12 Millionen Kinder geboren, die versorgt, verpflegt, ausgebildet und in Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie in Wirtschaft und Industrie untergebracht werden müssen.

– Der Budgetsaldo beträgt jährlich rd. 7,3 % des BIP, das 2019 bei 2.935,6. Milliarden lag. Diese Daten und Fakten sollen einen ersten Überblick über Land und Leute in Indien vermitteln.

Premierminister Narendra Modi – der strenggläubige Hindu

Vor den Wahlen im Mai 2014 galt Narendra Modi als der große Hoffnungsträger Indiens. Er war ein überaus erfolgreicher Regierungschef des Bundesstaates Gujarat, der unter Modi einen ungewöhnlichen Sprung nach oben gemacht hat. Modi pflegt einen asketischen Lebensstil. Er ist Vegetarier und verzichtet auf Tabak und Alkohol. Er gilt als „ arbeitswütig“ und „computeraffin“. Ein dunkler Fleck in seiner Biographie ist seine Rolle, die er bei dem antimuslimischen Pogrom im Jahre 2002 gespielt hat. Es gab Untersuchungen, die ihn 2012 von allen Vorwürfen und Verdächtigungen freigesprochen haben. Dank der großen Mehrheit seiner religiös-ethnischen Gefolgsleute gewann er die Wahlen am 23.05.2019 mit seiner hindu- nationalistischen Partei (BJP) mit 63 Prozent die absolute Mehrheit in dem indischen Parlament – mit 305 von 543 Sitzen. Eine Zunahme gegenüber den Wahlen von 2014. Bemerkenswert ist der Erfolg der Frauen mit 78 Sitzen. Die Wahlbeteiligung lag bei 67 Prozent.

Sehr viele Inder hofften, Modi würde seine Erfolge in Gujarat auf das ganze Land ausweiten können.

Diese sehr hohen Erwartungen konnte er bei der Verwaltungsstruktur des Landes und der „Seuche Korruption“ nicht erfüllen. Im indischen Parlament sitzen etliche verurteilte kriminelle Abgeordnete – trotz eines Gesetzes, dass sie aus dem Parlament auszuschließen sind. So ist es Modi nicht gelungen, sein Versprechen, mehr Jobs zu schaffen, zu halten. Die Arbeitslosenquote ist besonders bei der jungen Generation zu schaffen, die arbeiten wollen. Er hat auch sein Versprechen nicht erfüllt, die Armut zu lindern. Das Arbeitslosenproblem wird Modis Hauptsorge bleiben. Ein schweres Problem haben auch die „kleinen“ Landwirte, die ihre Kreditzahlungen nicht mehr aufbringen können. Wenn sie ihre Familien nicht mehr ernähren können, ist der Selbstmord ein letzter Ausweg.

Modi hat die Sicherheit der Frauen, die „Freiwild“ für manche Männer sind, nicht fühlbar verbessert. Das ist kaum nachvollziehbar, da gerade in Indien viele Frauen in der Politik große Leistungen vollbracht haben. Seine Anhänger sind durch seine Persönlichkeit und seine harte anti-muslimische und anti-islamische Rhetorik unverändert beeindruckt. In seiner Partei hat er keine Konkurrenten. Es gibt allerdings einen großen Nachholbedarf – u.a. im Gesundheitswesen, in Bildung und Umwelt, bei Erneuerbaren Energien, Krankenversicherung, Zugang zu Bildung.

Corona-Pandemie in Indien

Für eine Überraschung sorgt der „ Economist“ vom 25. April 2020 für sein Zwischenergebnis: „Das indische Government kann der Gewinner dieser Pandemie sein“. Die Pandemie schiebt Themen, die für die Regierung nicht günstig sind, in den Hintergrund. Zudem hat Modi früh und umfassend reagiert: Seit dem 24. März 2020 hat Modi harte Maßnahmen angeordnet. Er hat Indien durch seine Ausgangssperre in das größte Gefängnis für 1.4 Milliarden Menschen verwandelt. Und 87 Prozent der Bevölkerung akzeptieren diese Entscheidung als notwendig und sinnvoll. Wer die Slums in Neu-Delhi und Mumbai und die Zeltreihen auf Zufahrtsstraßen der Metropolen und die öffentlichen sanitären Einrichtungen gesehen hat, läge mit seiner Prognose deutlich falsch. Die Zahlen der Infektionen und der Toten liegen für die 1.4 Milliarden Inder bei über 61.000 Infektionen und über 2041Toten.

Deutschland meldet über 170.000 Infektionen. Mit 7000 Toten liegt Deutschland mit seinen 80 Millionen Einwohnern deutlich höher. Selbst das „Musterland Schweden“, das mit seinen moderaten restriktiven Maßnahmen als „lobenswerte Alternative“ gilt, hat bei seinen rd. 10 Millionen Einwohnern über 3175 Tote zu beklagen. (Die hier genannten offiziellen Zahlen sind Zwischenwerte, die von mir nicht verifiziert werden können.)

Als Verbreiter der Infektionen gelten in Indien die rd. 40 Millionen Wanderarbeiter, die in den Küstenregionen ihren Job verloren haben und mangels öffentlicher Verkehrsmöglichkeiten seit Wochen zu Fuß auf dem Heimweg in das Landesinnere sind – ohne Versorgung und Unterkunft. Zum Teil werden sie wieder von ihren Firmen zurückgerufen. Es ist zu befürchten, dass die Märsche in das Landesinnere zu ihren Familien eine große Dunkelziffer an Infektionen und Toten aufweisen. (vgl. „The Economist“ vom 25. April 2020.)

Wie alle Industriestaaten in der Welt verzeichnet Indien große Einbrüche – mit der Folge des Abflachens des Wirtschaftswachstums. Da niemand weiß, wie lange die Pandemie – auch in Indien – grassieren wird, sind alle Prognosen nur mit großer Vorsicht und Skepsis zu betrachten.

„Expect the unexpected“

Da die Bevölkerung in Indien jünger ist als in China und Deutschland (siehe oben) könnte Indien von der Altersstruktur her besser aus der Krise hervorgehen. Durch den Rückgang im Tourismus, der vor Corona ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war, werden wieder die ärmeren Menschen getroffen, die zum Schaudern der westlichen Touristen auch verkrüppelte Kinder zu den touristischen Hot Spots schicken, um Kugelschreiber und Shampoo zu erbetteln.

Indien hat den Touristen viel zu bieten

Deutsche zog es besonders in das „bunte Rajasthan“ mit seinen malerischen Städten und – natürlich dem Tempel Taj Mahal, das schönste und größte muslimische Bauwerk Indiens. Die britische Kolonialmacht war gut beraten, „British-Indien“ mit „ sanfter Hand“ zu regieren. Lediglich 30.000 Briten haben den riesigen Subkontinent „verwaltet“. So können heute die Touristen Übernachtungen in ehemaligen Maharadscha-Residenzen genießen.

Indiens Sicherheits- und Außenpolitik

Die geringe Teilnahme am Welthandel zeigt das frühere geringe Interesse an der Sicherheits- und Außenpolitik. Vorrang hatte das Ziel – nach dem Erreichen der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien und der Trennung von West- und Ostpakistan (heute Bangladesch) – die innere Lage zu stabilisieren. Die Abtrennung der überwiegend muslimischen Teile von dem hinduistisch geprägten Kernland schürte den religiösen Konflikt, der Pakistan und Indien zu „Erzfeinden“ gemacht hat. Beide Staaten sind Nuklearmächte, die beide bemüht sein sollten, die Eskalation in den Einsatz von Nuklearwaffen zu vermeiden. Diese Erkenntnis hat bislang größere Konflikte verhindert. Aber ein besonderer Konfliktherd ist Kaschmir.

Kaschmir – die schwärende Wunde

Kaschmir, das an Indien, Pakistan, Afghanistan und China grenzt, ist ein Relikt der Aufteilung von Britisch-Indien des Jahres 1947. Nach mehreren Kriegen wird noch heute die Region von Pakistan, Indien und China administriert. Eine VN-Resolution von 1948, die eine Volksbefragung anordnete, blieb bis heute unerfüllt. So kommt es heute immer wieder zu terroristischen Attacken, vermutlich vom pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützt, und zu Konflikten entlang der „line of control“ zwischen pakistanisch und indisch geführten Kräften.

In der letzten Zeit ist die Anzahl der militärischen Scharmützel drastisch reduziert worden. Im Juli 2011 trafen sich die Außenminister zu einem Gespräch. Es war die Rede von einer neuen Ära der bilateralen Beziehungen beider Länder.

Diese „ neue Ära“ hat Modi mit einem Federstrich im August 2019 beendet. Er hob – einseitig ohne Vorgespräche – die Autonomie Kaschmirs auf. Internet und Telephon wurden gekappt.

Pakistan erklärte, dass es für sie keine militärische Option gäbe. Es wolle den Konflikt diplomatisch klären. Einige pakistanische Maßnahmen: Ausweisung des indischen Botschafters, Einstellung des Zugverkehrs mit dem „Friedenszug“ zweimal wöchentlich zwischen Islamabad und Neu-Delhi. Indien will in den neu geschaffenen Unionsterritorien Jammu und Kaschmir baldige Neuwahlen durchführen. Die gute Nachricht: Der militärische Konflikt kann vermutlich vermieden werden. Die schlechte Nachricht: Das Verhältnis Indiens zu seinen Nachbarn bleibt angespannt.

Indien und seine Nachbarn

Das gilt besonders für China und Pakistan, die Modi weiterhin als gefährliche Erzfeinde sieht. Aus geopolitischer und geostrategischer Sicht ist das ein Vorteil für die westliche und südasiatische Seite. Mit seinen illegalen Aktivitäten im „Südchinesischen Meer“, das China weiterhin als chinesisches Hoheitsgebiet ansieht, obwohl der Staatsgerichtshof in Den Haag schon vor Jahren entschieden hat, das es sich um ein internationales Gebiet handelt. Das scheint China zu ignorieren. Sein aggressives Verhalten hat zu einer Allianz der Anrainerstaaten geführt – mit den USA im Rücken. So hat China ein Eigentor geschossen, da es selbst zu dieser – auch militärischen – Allianz stark beigetragen hat. Es hat sich selbst eingesperrt.

Eine politische oder militärische Allianz zwischen China und Indien wird es auf absehbare Zeit kaum geben, was für die übrige Welt sicherheitspolitisch eine gute Nachricht ist.

Indien hat sich nach seiner Unabhängigkeit wenig um seine unmittelbaren Nachbarn gekümmert. Das Verhältnis zu Myanmar und Bangladesch hat sich gebessert.

Die USA sind ein wichtiger Partner – und umgekehrt.

Das Verhältnis zu Russland, das vor Jahren ein wichtiger Handelspartner war – besonders im Bereich der Waffenexporte nach Indien – hat sich abgekühlt. Heute führen die USA mehr Waffensysteme nach Indien ein.

In einem Punkt kommt Indien nicht weiter – mit seinem Wunsch nach einem Sitz im VN- Sicherheitsrat. Mit seinem Status als Weltmacht hat Indien einen berechtigten Anspruch – mehr als das „ kleine“ Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass Indien als Hindustaat keine Unterstützung aus der muslimischen Welt erhält. Außerdem wird eine Änderung der Zusammensetzung des VN-Sicherheitsrates nur in einer umfassenden Reform der VN-Struktur möglich sein. Die wird es in absehbarer Zeit nicht geben.

Es ist mir nicht bekannt, wie andere asiatische Staaten die Vertuschung des Ausbruchs der Corona-Epidemie durch China beurteilen. Sie werden mehr Opfer zu beklagen haben, weil sie erst nach Wochen mit ihren medizinischen Gegenmaßnahmen starten konnten.

Das ohnehin angeschlagene Vertrauen in die chinesische Regierung wird meiner Erwartung entsprechend nicht gestiegen sein.

Indien – die Militärmacht im Übergang

Indien unterhält eine der größten Armeen der Welt Die Gründe sind Feindschaft zu China und Pakistan sowie die „schwärende Wunde Kaschmir“. Die Abhängigkeit vom Import von Rohstoffen – z.B. Öl, Gas und Kohle – von der Arabischen Halbinsel, aus Afrika und aus dem fernen Australien hat starke Auswirkungen auf die militärische Rüstung – besonders der Ausrüstung der Seestreitkräfte. Sie befinden sich im Übergang von einer Küstenmarine in eine sog. “Blue-water-marine“ mit den Einsatzgebieten im Pazifik und im Indischen Ozean.

Diese Ambitionen werden auch deutlich durch zwei in Dienst gestellte Flugzeugträger. Sie sind ein klares Zeichen, dass sich Indien an dem Schutz der wichtigen Seeverbindungen beteiligen will.

Die Bedrohung im Inneren

Die Bedrohung durch Terrorakte kommt von zwei Seiten: Dem Islam und durch kommunistisch-maoistische Terrorgruppen im östlichen Teil Indiens. Die Zahlen zu deren Anschlägen sind rückläufig. Es ist keine nationale oder existentielle Bedrohung. Die Warnzeit vor größeren Attacken reicht für Gegenmaßnahmen von Polizei und Militär aus.

Die Terrorgefahr durch muslimische Gruppen erscheint größer, als der Anteil von 13 Prozent vermuten lässt, zumal der Islam in den östlichen Bundesstaaten verteilt ist. Modi ist nicht Teil einer Lösung, sondern mit seiner sehr strengen hinduistischen Ausrichtung gegen den Islam eher ein Teil des Problems – gestützt durch rd. 80 Prozent seiner Glaubensbrüder und Wähler.

Unter religiösen und wirtschaftlichen Spannungen leiden die im Gesetz verankerten Meinungs- und Pressefreiheit.

Es gibt eine facettenreiche Medienlandschaft, die aber „unsichtbare“ Grenzen gesetzt sind. Das internationale Internet erlaubt jedoch den „freien“ Zugang zu Informationen aus aller Welt.

Wie sieht die Zukunft Indiens aus?

Der bestimmende Faktor für die nahe Zukunft bleibt die Corona-Pandemie. Länge und Folgen der aktuellen Lage hängt weitgehend von der Frage ab, wann überprüfte Medikamente und Impfstoffe für die Breitenanwendung zur Verfügung stehen. Dieses Datum kann nicht genau bestimmt werden.

Die vor der Pandemie aktuellen Herausforderungen sind auch die zukünftigen: die Bildung, die Armut, die Gesundheit und das Wirtschaftswachstum als Motor für Arbeitsplätze.

Niemand kann heute vorhersagen, wie Indien nach Ende oder Abflauen der Corona-Pandemie ausschauen wird. Je länger die Pandemie andauert, wird das Jahr 2020 mit einem noch höheren Rückgang beim BIP enden. Auch das Jahr 2021 wird unter dieser Hypothek zu leiden haben.

Ein besonders weltweit erfolgreicher und lukrativer Bereich ist der mit dem sog. „Operationen-Tourismus“ aus reicheren Ländern. Die hohe Qualität der Operateure bei vergleichsweise zu niedrigen Kosten – im Gegensatz zu den USA oder Saudi Arabien locken viele zahlungskräftige Patienten nach Indien. Das kann die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nähren.

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Quellenangaben: – Fischer Weltalmanach 2019 – Dieter Farwick, Wege ins Abseits, „Wie Deutschland die Zukunft verspielt“, Osning-Verlag, 2012.
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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
www.conservo.wordpress.com      12.05.2020
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