Parteitag: Die CDU bleibt ein Risikopatient!

Peter Helmes

Vor dem 35. CDU-Parteitag machten sich nicht wenige Christdemokraten Sorgen: Was für ein Signal sendet es denn in Zeiten von Krieg und Krise, wenn sich die Partei vor allem mit sich selbst beschäftigt? Doch die Selbstbeschäftigung ist nötig. Die CDU hat die Bundestagswahl auch deshalb verloren, weil sie nach 16 Jahren Merkel-Regierung nicht mehr mit Sicherheit sagen konnte, wofür sie steht.

Die CDU hat in den vergangenen zwei Tagen um die Frage gerungen, auf welchen Werten ihre Politik basieren soll. Das christliche Menschenbild bedeutet aus ihrer Sicht, daß die Menschen gleichwertig sind, aber dennoch verschieden. Der Staat soll Chancengleichheit herstellen, aber nicht für gleiche Ergebnisse sorgen. Leistung soll sich lohnen.

Frauenquote ist eine Zäsur für die CDU

Eine Frauenquote, wie sie die CDU für ihre eigene Partei beschlossen hat, paßt auf den ersten Blick nicht in dieses Konzept. Deshalb gab es auch heftigen Widerstand. Doch am Ende setzte sich die Quote als Instrument auf dem Parteitag trotzdem durch. Die CDU hat keine bessere Lösung, um ihr Frauenproblem endlich zu lösen. Der Beschluß ist eine Zäsur für die CDU. Es spricht für die Partei, daß sie hier Flexibilität bewiesen hat. Doch auch wenn die Christdemokraten sich auf ihre Grundwerte verständigt haben: Für welche Inhalte die Partei künftig stehen soll, hat sie damit nicht geklärt. Merkwürdig unbestimmt war hier die Rede von Parteichef Friedrich Merz.

CDU stellt Weichen für neues Grundsatzprogramm

Die CDU hat auf ihrem ersten Präsenzparteitag seit Beginn der Corona-Pandemie die Weichen für ein neues Grundsatzprogramm gestellt. Die Delegierten beschlossen dazu in Hannover eine Grundwertecharta.

Als Ziele werden unter anderem Generationengerechtigkeit, Kinder- und Familienfreundlichkeit, Bildung, Klimaschutz und wirtschaftliche Stärke genannt. Auf Basis der Charta soll bis Anfang 2024 ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet werden. Das Bisherige stammt aus dem Jahr 2007.

Außerdem hat die CDU die Forderung nach einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr für junge Menschen beschlossen. Die Delegierten stimmten zum Abschluss des Parteitags dafür, daß es solch einen Dienst unmittelbar nach dem Schulabschluß geben sollte. Damit werde die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen und der Staat als Ganzes widerstandsfähiger gemacht.

Streit um „linken Kampfbegriff“

Wesentlich umstrittener war auf dem Parteitag das Bekenntnis zur Gleichstellung von Mann und Frau. Junge Union, Mittelstandsvereinigung und mehrere Kreisverbände nannten die Formulierung einen „linken Kampfbegriff“ und verlangten, ihn durch „Chancengleichheit“ zu ersetzen. Am Ende stimmte der Parteitag für die Beibehaltung des Begriffs.

Frauenquote beschlossen

Schon am Freitag, 9.9., hatte die CDU nach jahrelanger Debatte eine zeitlich befristete Frauenquote für die Partei beschlossen. Damit muß schrittweise ein Teil der Posten mit Frauen besetzt werden; ab 2025 gilt eine Quote von 50 Prozent.

Angebot der Zusammenarbeit an die Bundesregierung

Außerdem haben CDU-Chef Merz und der CSU-Vorsitzende Söder der Bundesregierung angesichts der Energiekrise eine Zusammenarbeit angeboten. Merz erklärte, man streite zwar um Einzelheiten und sei in vielen Punkten nicht der Meinung der Bundesregierung. Dennoch sei es wichtig, in schweren Zeiten zusammenzuarbeiten.

Söder wirft Ampelkoalition Planlosigkeit vor

CSU-Chef Söder sagte in seiner Rede auf dem CDU-Parteitag, die Regierung solle sich helfen lassen. Zuvor hatte er der Ampelkoalition Planlosigkeit in der Energiekrise vorgeworfen. Gleichzeitig gestand Söder mit Blick auf die verlorene Bundestagswahl Fehler der Union ein. Aber man habe daraus gelernt. Söder sprach von einem Neustart der Union, der gelungen sei.

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Hinweis der Conservo-Redaktion: In den nächsten Tagen veröffentlicht Peter Helmes einen weiteren Artikel zum Thema, der mehr in die Tiefe gehen und weitere Themenfelder in den Blick nehmen wird.

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Pressestimmen zum CDU-Parteitag

ndr.de (Ein Kommentar von Katharina Seiler, Hauptstadtstudio Berlin)

Der CDU-Parteitag in Hannover sollte bestenfalls auch eine Initialzündung für die niedersächsische CDU im Landtagswahlkampf werden. Das Ziel wurde zumindest teilweise erreicht.

Der CDU-Parteitag, der nach fast drei Jahren erstmals wieder in Präsenz stattfand, wollte das Signal setzten: Die CDU ist wieder da – nach dem quälenden internen Führungsstreit und nach dem Wahldesaster bei der Bundestagswahl. Jetzt mit einem neuen Parteichef Friedrich Merz, der eine zerstrittene Partei geeint haben will und sie klar auf Oppositionskurs setzt. Und weil die niedersächsische Landtagswahl nicht mehr weit entfernt ist, sollte der Parteitag auch zum Turbozünder für den Wahlkampf des CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann werden. Ich würde sagen: Ziel erreicht – zumindest teilweise.

Der Oppositionskurs steht. Im Fach Attacke hat CDU-Chef Merz geliefert. Mit einem verbalen Feuerwerk gegen die Bundesregierung hat er der Partei die Seele gestreichelt und für stehende Ovationen gesorgt. Und auch inhaltlich legte ein Leitantrag zur Energiepolitik die Finger in die richtigen Wunden der Ampel-Regierung, zum Beispiel als der Parteitag den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke forderte.

Etwas schwieriger wurde es für die CDU dagegen bei den Debatten zur Frauenquote und zur Gleichstellung der Frau. Da wurde kontrovers und emotional und auch viel länger diskutiert, als es der Parteispitze Recht sein konnte. Und dabei wurde sichtbar, dass die CDU doch nicht ganz so geeint ist, wie sich das der neue Parteichef wünscht. Da prallten die Ansichten diametral aufeinander: Zwischen denjenigen, die eine CDU pur wollen mit einem Schwerpunkt auf wirtschaftsliberalen und konservativen Werten und denjenigen, die mit der CDU dran bleiben wollen an neuen gesellschaftlichen Veränderungen und die damit eben auch wählbar bleiben wollen – und das nicht nur für CDU-Mitglieder.

Am Ende hat die CDU mit knappen Abstimmungsergebnissen für die Frauenquote und die Gleichstellung gerade nochmal die Kurve bekommen. Für Jungwähler dagegen wird die CDU nicht attraktiver werden, wo ihnen doch ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr drohen könnte, für das sich die CDU auf dem Parteitag entschieden hat.

Ob das nun der Turbozünder für Wahlkämpfer Althusmann wird? Mal sehen. Zumindest haben ihm die Delegierten keine größeren Knüppel zwischen die Beine geworfen. (…)

taz:

Der CDU-Chef hat seine Ziele beim Parteitag durchgesetzt. Und damit die Junge Union wie viele seiner politischen Anhänger vor den Kopf gestoßen. (…)

Bei den parteiintern wichtigen und umstrittenen Entscheidungen hat sich der eher liberale Teil der CDU durchgesetzt – ausgerechnet unter Merz. Die ebenfalls umstrittene Entscheidung, ein soziales Pflichtjahr zu fordern, wurde quer zu diesen Lagern gefällt – allein die Junge Union, die davor eindringlich gewarnt hatte, stand dreimal auf der Verliererseite.

Ist damit klar, dass Merz die CDU in der Mitte halten wird? Mitnichten. Merz will vor allem zurück an die Macht, er will Kanzler werden. Die Frauenquote ist für ihn ein Instrument, das helfen soll, ihn ins Kanzleramt zu befördern. Dafür muss er zudem die Partei beieinander halten. Das konservative Lager, darunter die eigentlich überzeugten Merz-Fans aus Mittelstandsvereinigung und Junger Union, sind mit dem Ausgang des Parteitags höchst unzufrieden.

Dort grummelt es. Merz hat versucht, ihr geschundenes Herz mit Stammtischparolen zu wärmen: mit billigen Angriffen auf die Grünen etwa und Attacken gegen das Gendern und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die man auch bei der AfD hören kann. Markus Söder hat dies in seinem Grußwort noch einmal getoppt. Doch mit Rhetorik werden sich die Konservativen nicht abspeisen lassen. Merz wird ihnen etwas bieten müssen. Wohin die CDU steuert, ist deshalb noch nicht entschieden.

Die STUTTGARTER ZEITUNG bemerkt:

„Inmitten einer Zeit multipler Krisen hat sich die Union vor allem Zeit dafür genommen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das kann für eine Partei gelegentlich notwendig sein und muss nicht kritisiert werden. Was aber dabei auffiel, war dieser latente Unterton der Beunruhigung, dass die Zeiten unübersichtlich sind und Gewissheiten wegbrechen.“

Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG aus Ravensburg findet:

„Für welchen Kurs die Partei steht, bleibt vage. Auf der einen Seite stehen diejenigen, denen kein Grünen-Witz zu schlecht ist. Auf der anderen sucht die CDU auf Landesebene die Zweierbeziehung mit der Ökopartei. Die Debatte um eine Frauenquote hat gezeigt, wie schwer es einem Teil der Delegierten fällt, neue Wege zu gehen.“

Für die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle bleibt unklar, wohin Parteichef Merz die CDU steuern will:

„Ein bisschen mehr Programmatik und weniger Polemik wären in einer Zeit, in der viele Menschen im Land existenzielle Sorgen haben, besser gewesen. Was Merz gelungen ist: Er hat seine CDU wiedererweckt, die in 16 Regierungsjahren das Führen von Debatten verlernt hatte. Die Auseinandersetzungen um Frauenquote, Gleichberechtigung und um ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen hatten Substanz und Feuer.“

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