“Tod dem Diktator”: Steht im Iran der Scharia-Terror vor dem Ende?

Peter Helmes

Im Nahen Osten setzen autoritäre Staaten auf die Unterdrückung der Frauen, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken – etwa davon, die täglichen Probleme der Bevölkerung zu lösen. Die Frauen stehen im Zentrum, weil die Regierungen damit diejenigen Bürger gewinnen können, die eine vergleichbar rückständige Weltsicht haben.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Raisi im vergangenen Jahr hat die Unterdrückung zugenommen. Unter seinem Vorgänger Rohani wollte der Iran stärker nach Westen blicken und war zu einem Atomabkommen als Gegenleistung für eine Lockerung der Sanktionen bereit. Aber der überraschende Ausstieg der USA aus dem Abkommen unter Trump hat den moderaten Flügel der Regierung geschwächt und mit Raisi einen konservativen Politiker an die Macht gebracht.

Die Sanktionen haben der iranischen Wirtschaft enorm geschadet, was ebenfalls immer wieder Protestwellen auslöste. Es wird vermutet, daß dabei hunderte Menschen ums Leben kamen. Das Regime hat inzwischen seine Gangart verschärft, vor allem gegenüber Frauen.  Aber die aktuellen Proteste sind wohl nur ein kurzer Sieg, ein Moment der Freiheit und der Euphorie, der nicht lange anhalten dürfte.

Kopftuch falsch getragen? Kopf ab!

China und Russland werden ihren Schulterschluß mit Teheran verstärken, weil sie ähnliche Proteste im eigenen Land befürchten. Der Westen wird vermutlich lieber über eine Rückkehr zum Atomabkommen verhandeln, statt den Demonstrantinnen zu helfen. Die Bevölkerung ist erschöpft und verarmt – und sie steht einem fast unbesiegbaren Sicherheitsapparat gegenüber

Trotzdem – oder gerade deshalb? – kommt es jetzt in Iran nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini zu Protesten. Die junge Frau war vor einer Woche in Teheran von der Religionspolizei wegen angeblich „unislamischer“ Kleidung festgenommen worden: Sie hatte ihr Kopftuch nicht „religionsgerecht“ gebunden. Sie verstarb wenig später im Krankenhaus.

„Tod dem Diktator!“ – “Wieviel Ernirdrigung müssen wir noch erdulden?”

Das Regime spricht von einem Herzinfarkt, aber die Familie will nicht daran glauben. Ebenso wenig konnten die Mullahs damit die Proteste verhindern, die sich seither ereignen. Vor dem Krankenhaus versammelten sich Demonstranten, die mit Gewalt von der Polizei vertrieben wurden. Die sozialen Medien füllen sich mit Aufnahmen von Frauen, die aus Protest ihre Kopftücher verbrennen und sich die Haare abschneiden. Auf Aminis Beerdigung rissen sich Frauen demonstrativ die Kopftücher herunter, und es ertönte der Ruf „Tod dem Diktator“.

Auf einem Film ist der Ruf einer Frau zu hören: „Wie viel Erniedrigung müssen wir noch erdulden?“. Die Frage ist ebenso traurig wie relevant – erst recht, solange sie die iranische Polizei mit Tränengas und Massenverhaftungen beantwortet.

Natürlich wurde der offizielle forensische Bericht zur genauen Todesursache von Mahsa Amini noch nicht veröffentlicht, aber was auch immer das Ergebnis dieser Untersuchung sein mag, es wird von der Bevölkerung nicht so einfach akzeptiert werden. Die Menschen vertrauen dem Staat nicht mehr. Zu groß ist inzwischen die Kluft zwischen Volk und Staatsgewalt.

Nun scheint es, daß mehr als 16 Jahre nach dem offiziellen Beginn der „Sittenwächter-Patrouille“ eine grundlegende Überprüfung dieser Institution sowie des Hijab-Gesetzes erfolgen muß. Im Wesentlichen ist eine Überprüfung der Gesetze, die mit Gewalt durchgesetzt werden, die Verzweiflung, soziales Unbehagen und eine unterschwellige landesweite Wut verursachen und damit einen hohen Preis fordern, längst überfällig.

Die Mullahs spüren den Atem des Volkes im Nacken

Das scheint auch die Regierung zu spüren; denn für sie sind die Proteste eine große Herausforderung, zumal das Regime derzeit auch über eine Neuauflage des Atomabkommens verhandelt. Präsident Raisi weilt gerade bei der UNO-Vollversammlung in New York, um dort die Stimme des Iran gegenüber der Welt zu erheben, und er versprach eine Untersuchung des Falls.

Aber seine ultrakonservative Regierung geht währenddessen weiter mit Härte gegen die Bevölkerung vor. US-Außenminister Blinken erklärte, Teheran müsse die systematische Verfolgung von Frauen beenden und die Proteste erlauben, wenn der Iran die Rolle des internationalen Parias ablegen wolle. Auch wir in Europa dürfen nie vergessen, welchen Mut diese Frauen täglich unter Beweis stellen.

Zum anderen läßt sich durch den Angriff auf die Hälfte der Bevölkerung möglicher Protest insgesamt besser unterdrücken. Gerade darum sind die Kundgebungen nach dem furchtbaren Tod von Mahsa Amini eine gute Nachricht in dieser dunklen Region: Männer und Frauen protestieren gemeinsam gegen dieses tyrannische Regime. Diese Gemeinsamkeit zeigt, daß  sich die gesamte Bevölkerung unterdrückt fühlt. So erinnert die Situation an die Lage vor dem „Arabischen Frühling“, der im revolutionären Prozeß in der Region nur ein erster Schritt von vielen war.

Bei aller gebotenen Diplomatie: Der Westen muß gegen die barbarischen Unterdrücker im Iran Härte zeigen und beweisen. Freundliches Abnicken ist da gewiß nicht hilfreich. Die freie Welt muß ihren Beitrag leisten, indem sie sich klar äußert und an den Sanktionen festhält. Iranische Frauen riskieren alles für ihre Freiheit. Nie dürfen wir uns vor ihren Unterdrückern verneigen.

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