Willsch MdB: „Geisterfahrer der europäischen Solidarität“

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Aus dem neuen „Hauptstadtbrief“ von Klaus-Peter Willsch:

Willsch
Klaus-Peter Willsch

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Unterstützer,  wenn die europäische Lösung nicht in Europa zu finden ist, muss sie eben außereuropäisch gesucht werden. So oder ähnlich könnte man aus Sicht des Kanzleramtes die Schlagrichtung des vergangenen Flüchtlingsgipfels vom 7. März und des nächsten von dieser Woche zusammenfassen. Die Türkei soll es jetzt lösen. Firmieren könnte das Ganze dann als Plan A.2.b.

Die Treffen der Staats- und Regierungschefs reihen sich mittlerweile aneinander wie Wochentage. Wer verstehen will, findet dieser Tage Trost im Duden: Si|sy|phus|ar|beit: sinnlose, vergebliche Anstrengung; schwere, nie ans Ziel führende Arbeit. Beschlossen wird dabei in aller Regel vor allem eines: man will sich wieder treffen.

Während die Floskel vom „Ende des Durchwinkens“ noch als Papiertiger durch Schlagzeilen und Regierungserklärungen geprügelt wurde, haben die Balkanländer Fakten geschaffen. Damit werde die vom Bundeskanzleramt propagierte Alternativlosigkeit der europäischen Lösung torpediert, heißt es. Von „Alleingängen“ ist die Rede. Alleingänge? Ein Plural ohne semantischen Sinn – wie die „Einzelfälle“ in der Silvesternacht. Wer genau ist eigentlich der Geisterfahrer der europäischen Solidarität, wenn Deutschland mit seinen Forderungen alleine da steht, Österreich aber gemeinsam mit neun südosteuropäischen Staaten im Februar eine Konferenz abhält, die umgehend konkrete gemeinsame Maßnahmen hervorzubringen im Stande ist? Hier steht politischer Realismus gegen deutsche Hybris.

Deutschlands offene Grenzen haben die Kapazitäten der Transitländer so überstrapaziert, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als die Grenzen dicht zu machen. Deutschland profitiert von den seither drastisch gesunkenen Zugangszahlen am meisten, behält aber seine moralische weiße Weste. Verantwortlich für die Bilder an den Grenzzäunen sind schließlich andere.

Noch ein weiterer wesentlicher Teilaspekt dieser Entwicklung blieb in der Debatte bislang leider unerwähnt: der Kontrollverlust an der deutschen Grenze und die damit einhergehende Gefährdung integraler Bestandteile unserer Staatlichkeit wurde seinerzeit damit relativiert, dass man Grenzschließungen und -kontrollen ohnehin nicht wirksam durchsetzen könne. Illegale Einwanderer könnten auf die grüne Grenze ausweichen. Die Balkanländer haben „uns“ nun eines Besseren belehrt. Selbstverständlich kann, ja muss ein funktionierender Staat jederzeit Herr seiner Integrität sein. Schon damals habe ich gesagt, eine Rechtfertigung für die Aufgabe staatlicher Souveränität darf es nicht geben.

Die europäische Lösung nach deutscher Vorstellung ist in weite Ferne gerückt. Derzeit wäre es wohl zutreffender, von einer türkisch-deutschen Lösung zu sprechen – zumindest mit Blick auf den Verhandlungsgegenstand des derzeitigen Gipfels. Früh habe ich davor gewarnt, die Türkei an den Lautstärkeregler zu lassen, jetzt spielt sie die Musik.

Ausgerechnet Erdogan würden damit die erfolgreichsten Zugeständnisse der EU an die Türkei gelingen – das wohl „falscheste“ politische Signal angesichts der innenpolitisch höchst prekären Lage des Landes. Der Popularitätsschub würde Erdogan und seine AKP in ihrem freiheitsfeindlichen und repressiven Kurs weiter stärken. Auch Cengiz Aktar, Professor für Politische Wissenschaften an der Istanbuler Sabanci-Universität, warnt vor einer Abschaffung der Visumpflicht: „Da sind zum Beispiel all die potentiellen Asylanten aus der Türkei, deren Zahl wegen des andauernden Krieges in Kurdistan täglich wächst. Und dann gibt es mehrere tausend türkische IS-Mitglieder. Wer wird sie daran hindern, in das Territorium der Schengen-Zone einzureisen, wenn die Visumpflicht fällt?“

Das IW Köln hat sich in einem aktuellen Gutachten übrigens an einem mittelfristigen Preisschild für die Flüchtlingskrise versucht: Ausgehend von stark sinkenden Zuwanderungszahlen zwischen den Jahren 2015 und 2017 taxiert das Institut die Kosten für den deutschen Steuerzahler im gleichen Zeitraum auf 55 Milliarden Euro.”

(Einschub:)                                                                                                                                       FAZ-Herausgeber Holger Steltzner hat die Lage kürzlich treffend beschrieben:                                                                                                                          „Man könnte es auch überheblich nennen, wenn in Berlin – im Machtgefühl des Regierens ohne Opposition – so getan wird, als gebe es eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise unter deutscher Führung, obwohl jeder sieht, dass die Politik der Grenzschließung der kleineren Länder entlang der Balkan-Route die Flüchtlingszahlen reduziert hat – und das gegen den Willen Berlins…““

Willsch zur Türkei:                                                                                                                  „…Die Verhandlungen mit der Türkei sind nun aber ungleich delikater. Es liegt weit jenseits meines Verständnisses, wie man nach den innenpolitischen Erdrutschen in der Türkei überhaupt einen Beitritt zur ohnehin schon fragilen europäischen Wertegemeinschaft ins Gespräch bringen kann. Der Rechtsstaat gehört nicht auf den Verhandlungstisch.

Auch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zeigte sich fassungslos: „Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir uns noch ernst nehmen.“

Ausgerechnet Erdogan würden damit die erfolgreichsten Zugeständnisse der EU an die Türkei gelingen – das wohl „falscheste“ politische Signal angesichts der innenpolitisch höchst prekären Lage des Landes. Der Popularitätsschub würde Erdogan und seine AKP in ihrem freiheitsfeindlichen und repressiven Kurs weiter stärken.“

Willsch: Migrationsstrom: Beitrag zum Fachkräftemangel?                                    „Leistet der Migrationsstrom denn nun wenigstens den erhofften Beitrag zum Fachkräftemangel?

Ein tagesaktuelles Gutachten des IW Köln „zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Flüchtlingsmigration“ lässt aufziehende dunkle Wolken erahnen. Die Arbeitsmarktdaten für Personen aus den Hauptherkunftsländern stimmen pessimistisch:

„Besonders ungünstig stellt sich die Lage in dieser Dimension bei den Syrern dar.“ 13.696 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dezember 2015 stehen 56.830 Arbeitslose (Stand: Februar 2016) und 130.016 Bezieher von Grundsicherung (Stand: November 2015) gegenüber.

Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gingen zudem nur einer qualifizierten Tätigkeit nach, mehrheitlich aber ungelernten Helfertätigkeiten. Zweidrittel der Flüchtlinge verfügten zudem über keinerlei berufliche Bildung. Nur selten brächten sie die Engpassqualifikationen mit, die den Fachkräftemangel im Wesentlichen bestimmen. Das sei nicht zuletzt der Wirtschaftsstruktur ihrer Herkunftsländer geschuldet, deren Kernbranchen und Gewerbestruktur sich grundlegend von unserer Industrie unterscheiden.“

Willsch zur Bargeld-Diskussion:                                                                                          „Das Bundesfinanzministerium (BMF) bereitet eine Obergrenze für Bargeldzahlungen vor. Bei 5.000 Euro soll Schluss sein. Dass dazu bereits konkrete Pläne vorliegen, dementierte das BMF mir gegenüber zwar mit einer lapidaren Stellungnahme: „Die Diskussion auf EU-Ebene steht noch ganz am Anfang, daher ist es zu früh, über den Kreis der Verpflichteten oder konkrete Zahlen zur Höhe einer Bargeldobergrenze zu spekulieren.“ Was solche Dementis wert sind, haben wir leider schon oftmals erfahren. Das Ministerium wolle zunächst eine Bewertung der Europäischen Kommission abwarten. Es geht also gar nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“.

Bargeld ist gedruckte Freiheit! Ich weiß nicht mehr genau, ob ich überhaupt schon mal einen 500er in den Händen hatte. Ein Bargeschäft mit mehr als 5.000 Euro habe ich jedenfalls noch nie getätigt. Mir ist aber wichtig, es zu können, wenn ich will! Das sieht auch der Großteil der Bürger unseres Landes so! Finger weg vom Bargeldverbot!“

(Quelle: Anschreiben MdB Willsch´s zum „Hauptstadtbrief Nr. 134“ v. 18.03.2016 und „Hauptstadtbrief Nr. 134: http://www.villmarer-nachrichten.de/Hauptstadtbrief%20Nr.%20134)

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28. März 2016

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