Menschenrechtsgerichtshof: Aleviten werden in der Türkei diskriminiert

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Von Peter Helmes

Ein deutliches Urteil! Fast auf den Jahrestag des Armenier-Genozids steht die Türkei erneut am Pranger:

Die Türkei behindert nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die rund 20 Millionen Aleviten im Land in ihrer Religionsfreiheit.

Aleviten würden ohne nachvollziehbare Rechtfertigung anders behandelt als die Mehrheit der sunnitischen Muslime, entschieden die Straßburger Richter.

Damit hatte eine Beschwerde von mehr als 200 Aleviten Erfolg. Sie wollen unter anderem erreichen, dass ihre Gebetshäuser und Gottesdienste offiziell anerkannt werden. Die Regierung in Ankara hatte ein entsprechendes Gesuch der liberal-islamischen Religionsgemeinschaft 2005 zurückgewiesen.

Erinnerung an den Armenier-Genozid                                                      Der Geist, der hier durch die türkische Regierung weht, weckt unwillkürlich Erinnerungen an den Genozid, den vor gut einhundert Jahren die Türken an den Armeniern verübt hatten – was die Türkei, allen voran Erdogan, zwar heftigst bestreitet, inzwischen jedoch von fast allen Historikern so gesehen wird. Dem Genozid fielen bis zu eineinhalb Millionen armenischer Christen zum Opfer. Und das ehemalige Deutsche Reich (unter Kaiser Wilhelm II) war daran nicht ganz unbeteiligt.

Die Türkei schleppt eine Altlast mit sich rum, die ihr so peinlich ist, daß sie aggressiv reagiert, wenn man daran auch nur tippt: das Armenien-Blutbad bzw. der Völkermord (1915). Die Verharmlosung dieses Genozids gehört zur Stammargumentation am Bosporus. Man dreht den Spieß um und spricht zynisch vom „armenischen Aggressor“.

Die versuchte Ermordung eines ganzen Volkes und der grausame Tod von mindestens 1 bis 1,5 Millionen Kindern, Greisen, Männern und Frauen durch die islamischen Türken begann am 24. April 1915. Es war ein von den Jungtürken geplanter Genozid an den Armeniern. Zuerst waren es „Säuberungsaktionen“, von Konstantinopel (Istanbul) ausgehend in die gesamte Türkei. Dann trafen türkische Mordkommandos in armenischen Dörfern ein, die die armenischen Familien beraubten, umbrachten oder auf einen „Todesmarsch ins Nichts“ schickten, in Gegenden, wo sie elendiglich krepieren mußten. Tote in Massengräbern und Gräber mit Leichen am Straßenrand pflasterten den Weg in die Wüste. Die, die nicht ermordet wurden, verhungerten dort. Die Aktion gegen die Armenier erstreckte sich über zwei Jahre. Und die Welt schaute weg.

Vor rund einem Monat, am 24. April (2016), jährte sich zum 101. Mal der Tag der Trauer für die Armenier. Die ganze Welt sollte sich bewußt sein, daß die Türken an diesem Tag (und vielen folgenden) vor einhunderteins Jahren einen grausamen Genozid an den Armeniern begonnen haben. Grausamkeiten, Mord, Folter oder Vertreibung mit Hungertod – das waren die Werkzeuge der Türken, die sie gegenüber den verhaßten, zumeist christlichen Armeniern anwendeten. Das öffentliche Gedenken an diesen Tag, vor allem in Deutschland, hielt sich in engen Grenzen, als ob man sich an das Massaker gewöhnt habe.

Türkei leugnet Völkermord                                                                           Heute weiß die Welt um die Massaker, und viele sprechen offen von Genozid. Aber in der Türkei steht diese Wahrheit auszusprechen unter Strafe. In vielen Staaten ist das Leugnen des Völkermordes durch die Nazis strafbar. Wenn es aber um Armenien geht, dann ist die Vermeidung dieses Ausdrucks für manche Regierung offizielle Politik. Kein Wunder, daß dies bei Armeniern auf Unverständnis stößt. Deutschland kann sich in einem solchen „Spiel“ nur abermals blamieren.

Es geht hier und heute nicht mehr um Verurteilung oder gar Rache. Es geht allerdings um Anerkennung der klaren Tatsachen. Aber solange politische, wirtschaftliche und militärische Interessen den Dialog mit der Türkei bestimmen, wird Ankara wenig Anlaß sehen, seine Haltung – Leugnung des Genozids – zu ändern.

Beschämender deutscher Kuschelkurs mit der Türkei                       Das ist ein beschämender Kuschelkurs gegenüber einem Präsidenten, der immer autoritärer regiert und längst bereit ist, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien seinem Machthunger zu opfern.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich wiederholt die Wertung des Massakers als Völkermord verbeten und sieht darin eine Verunglimpfung seines Landes. Wenn es um die Massaker im Jahr 1915 geht, reagiert der türkische Obermufti empfindlich.

Deutschland sollte auf dessen Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil, diplomatischer Druck auf die Türkei ist nötig, damit sie ihre Politik der permanenten Leugnung nach 101 Jahren endlich aufgibt.

Das darf es nicht geben: Erst Armenien – bald auch Berg-Karabach (siehe https://www.conservo.blog/2016/04/09/erst-armenier-genozid-der-tuerkei-folgt-jetzt-berg-karabach/) und auch die Aleviten? Die Weltöffentlichkeit wird wachsam sein müssen!

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  1. April 2016
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