Der Soldat – ein Beruf sui generis!

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)

Derzeit erleben wir einmal mehr eine aufgeheizte öffentliche Diskussion über die deutschen Streitkräfte.

Die mangelnde personelle und materielle Einsatzbereitschaft der BW und die besonderen Vorkommnisse in einigen Kasernen sowie die Affäre des Oberleutnants Franco A., der über ein Jahr ein Doppelleben als Berufsoffizier und als syrischer Asylbewerber geführt hat, kommen zusammen.

Für dieses Doppelleben liegt die Hauptfehlerquelle bei BAMF, deren Mitarbeiter haarsträubende Fehler bei der Überprüfung gemacht haben. So fiel nicht auf, dass der vermeintliche Syrer kein Wort arabisch sprach, einen jüdischen Vornamen hatte und bei mindestens zwei Aufnahmestellen als Asylbewerber anerkannt worden war.

Es war die Verteidigungsministerin, die durch ihre Pauschalvorwürfe „Haltungsschäden“ und „Führungsschwächen auf verschiedenen Ebenen“ alle oben angesprochenen Probleme zu einem Brei zusammengerührt hat. Ihre späte Entschuldigung wird besonders von Soldaten als unzureichend eingestuft.

Mit einem Befreiungsschlag hat sie weitreichende Überprüfungen und strukturelle Veränderungen angekündigt – was bei ihr nicht neu ist. Sie macht Vorschläge, die während ihrer kurzen Restdienstzeit nicht zur Entscheidungsreife gelangen.

Um auch den deutschen Streitkräften gerecht zu werden, ist es angebracht, die Sonde tiefer anzusetzen:

Die frühen Jahre

Die frühen Jahre der Bundeswehr waren gekennzeichnet durch interne und öffentliche Debatten über das Bild des Soldaten.

Es gab zwei Protagonisten, die wesentlich diese Debatte bestimmt haben: General von Baudissin und seine Mitstreiter wollten die Streitkräfte „zivilisieren“. Sie bezeichneten den Beruf des Soldaten als „einen Beruf wie jeder andere“ und die BW als „einen Betrieb wie jeder andere“. In seinem Buch „Soldat für den Frieden“ lehnt er „soldatische Tugenden“ ab und bezeichnete die BW als „notwendiges Übel.

Sie „schufen“ die Begriffe „Innere Führung“ und „Staatsbürger in Uniform“, die es in der Praxis der Wehrmacht bereits gegeben hatte.

Von Baudissin lehnte eine Traditionsbindung an die Wehrmacht ausnahmslos ab. Er wurde dabei von dem pseudo-wissenschaftlichen „Militärgeschichtlichen Forschungsamt der BW“ unterstützt

Die Soldaten der BW in den frühen Jahre sind durch Generäle, Offiziere und Unteroffiziere, die in der Wehrmacht gedient hatten, ausgebildet, erzogen und gebildet worden, ohne irgendwelche Schäden an Leib und Seele erlitten zu haben. Der Verfasser kann dies aus eigenem Erleben bestätigen.

BrigGen Karst wollte hingegen dem Soldaten ein besonderes – sui generis – Berufsethos zugestehen.

Die Begründung: Der Soldat setzt nicht nur sein Leben ein, er darf Gewalt anwenden und schickt als Führer Soldaten in Einsätze, die zu Verwundung oder Tod führen können. Das setzt eine große charakterliche Eignung und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein sowie Empathie für die ihm anvertrauten Soldaten voraus.

Der Verfasser hat dieses gemeinsame Grundverständnis in seinen Jahren in der NATO täglich erlebt.

Karst sah die BW und ihre Streitkräfte in der Tradition der Wehrmacht.

In seinem Buch „Bild des Soldaten“ (erschienen 1964) hat K. klar aufgezeigt, dass der Bezug für den Soldaten – und besonders für seine Führer – seine Bewährung im Gefecht ist. Dieses Buch war für uns junge Offiziere ein wichtiger Leitfaden für die Ausübung unseres Berufes. Er wurde im September1969 vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt auf eigenen Wunsch in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Nach seiner Zurruhesetzung wurde Heinz Karst im In- und Ausland ein gefragter Referent zu Fragen des Sodatentums.

Es gab noch einmal heiße Debatten um das Verständnis vom Beruf des Soldaten.

Die „Leutnante 70“ verstanden ihren Beruf als „Beruf wie jeder andere“. Mit Dienstschluss endete für sie der soldatische Tagesdienst. Sie empfanden sich nicht als Teil des Offizierskorps.

Ironie des Schicksals: Ich bekam einen dieser Leutnante in meine Kompanie. Er entwickelte sich zu einem sehr guten Offizier, der sich vor und nach dem Dienst hervorragend um seine Soldaten kümmerte.

Kart’s geistige Erben waren die „Hauptleute von Unna“. Sie waren zu der Zeit überwiegend Kompaniechefs und wollten ihre Soldaten auf das Gefecht vorbereiten.

Ich kann mich an das Gesicht des Kommandeurs der Führungsakademie erinnern, als er bei einem Gespräch mit „zufällig“ ausgesuchten“ Lehrgangsteilnehmern 1971/2 des Heeres feststellen musste, dass für uns und unsere Soldaten im Krieg der Sieg über den Feind das oberste Ziel sei. Er war entsetzt über unsere „unpolitische“ Einstellung zum Krieg – und meldete dies auch weisungsgemäß an das Ministerium.

Im September 1986/7 flammte die Diskussion um die Einschätzung von Soldaten erneut auf. Ein Arzt hatte Soldaten als „Mörder“ bezeichnet und wurde vom Landgericht Frankfurt frei gesprochen. Dieses Urteil löste in den Streitkräften Wut und Entsetzen aus,

Wer ist der Sieger in dieser Debatte um das Berufsverständnis des Soldaten? Offiziell gibt es weder Sieger noch Verlierer. Trotz der „Generation Einsatz“ – so bezeichnen sich die Offiziere, die im Einsatz waren – geht der Trend im Offizierskorps eher zur Auffassung „Ein Beruf wie jeder andere“.

Diese Einstellung wird durch die Pauschalvorwürfe der Ministerin deutlich verstärkt.

Die Einstellung „sui generis“ fordert ein Berufsethos mit Vorbildcharakter und Führungsverantwortung, das heute weniger gefragt zu sein scheint. Leider werden von der militärischen Führungsspitze keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, den negativen Trend zu ändern.

Sie haben ihre Vorbildfunktion weitgehend aufgegeben. Die Politiker – angefangen bei Volker Rühe – haben der hohen Generalität das Rückgrat gebrochen. Der Druck zur Anpassung nahm zu – wie auch die Bereitschaft zur Anpassung

„Damit kann ich leben“ ist ein beliebter Kommentar, wenn man zwar gegen die bevorstehende Entscheidung ist, aber nicht den Mut hat, seine abweichende Meinung zu sagen.

Die Vorkommnisse der Gegenwart

Ob Illkirch, Pfullendorf oder Augustdorf. Jedes Vorkommnis ist widerwärtig und scharf zu verurteilen.

Jedoch dürfen diese Vorkommnisse nicht zu Pauschalverurteiligungen und zu schnellen „Bauernopfern“ führen – wie es z.B. im Falle des Generalmajor Sch. in Leipzig geschehen sein soll. Er soll seine Entlassung nicht auf dem „Dienstweg“ erhalten, sondern über die Medien erfahren haben. Es gab kein „Recht auf Gehör“, dass jedem Soldaten zusteht. Steht die Ministerien außerhalb des Gesetzes?

Für mich haben diese Vorkommnisse mit der de facto-Abschaffung der Wehrpflicht zu tun. Es fehlt den Streitkräften an qualifiziertem Nachwuchs, der in Industrie und Wirtschaft besser gefördert und bezahlt werden kann.

Außerdem bleibt er vor Ort in seinem Freundes- und Bekanntenkreis sowie Sportverein eingebunden. Unter dem Nachwuchsmangel leidet in der Folge auch die Qualität der Offiziere und Unteroffiziere.

Negativ sind auch die in kurzen Zeitabständen wahrzunehmenden Auslandseinsätze – mit negativen familiären, sozialen und beruflichen Folgen.

Der „Bericht 2016 des Wehrbeauftragten“ macht deutlich, dass die Truppe personell und materiell „auf dem Zahnfleisch“ geht. Sie ist nur noch „bedingt einsatzbereit“. Dennoch „bettelt“ die Ministerin um den Einsatz weiterer Soldaten – ob im Baltikum oder in Mali.

Mit ihrer Absicht, Kasernen zum x-ten Mal umzubenennen und „Bilderstürme“ zu veranlassen, zeigt sie ihre Geschichts- und Orientierungslosigkeit. Dass ein Bild des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform ebenfalls abgehängt wurde, zeigt die Absurdität des Vorganges.

Die Bundeskanzlerin lässt sie offenkundig gewähren.

Beide empfinden keine Empathie für Soldaten. Das spüren die Soldaten und verlieren den letzten Rest an Vertrauen – leider auch in ihre militärischen Vorgesetzten. Für sie fängt der Kopf an zu stinken.

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Was ist zu tun?

Eine bittere Feststellung:

Die BW ist mit der derzeitigen politischen Führung und der militärischen Führung nicht beratungsfähig und daher nicht innovationsfähig.

Das ist die eigentliche Krise der BW und ihrer Streitkräfte.

Frau von der Leyen und ihre soldatenferne Umgebung haben ihr Pulver verschossen, trotz – oder wegen? – millionenteurer Beratung von außen. Das gilt auch für ihre Wunderwaffe Staatssekretärin Suder, die engagiert worden war, um den Bereich Rüstungsbeschaffung neu zu regeln.

Vor den Bundestagswahlen wird sich leider nichts Gravierendes ändern.

Danach?

Nach Jahren des Rückgangs brauchen die BW und ihre Soldaten eine neue politische Leitung und militärische Führung.

Es gibt genügend aktive und ehemalige Offiziere und Beamte, die für eine gründliche Beurteilung der Lage zur Verfügung stehen. Danach muss die Struktur mit dem notwendigen Personal und Material entwickelt werden – auf der Grundlage ausreichender Finanzen

Der neue Minister – oder Ministerin – braucht einen kompetenten Planungsstab, der als Frühwarnsystem und Minenräumtrupp und gegen Partikularinteressen der Teilstreitkräfte arbeiten muss.

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*) Legende zur Person des Autors:

BrigGen a.D. Dieter Farwick wurde 1961 in die Kampftruppe eingezogen.

Als Berufssoldat durchlief er Führungspositionen bis zum Stellv. Divisionskommandeur. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.

www.conservo.wordpress.com   17. Juni 2017
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