Zwischen Raub- Beute- und Trophäenkunst – zum Tod der sowjetrussischen Kunsthistorikerin Irina Antonowa

(www.conservo.wordpress.com)

von Notan Dickerle, Anwärter auf den Leuchtturmpreis für mutigen Journalismus gegen “Bunt”

Sie war eine der letzten Funktionäre, die noch unter Väterchen Stalin gedient hatten und etwas stalinistisch Verbiestertes haftete ihr zeitlebens an. Als der Schatz des Priamos unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit der Sammlung Alter Meister der Gemäldegalerie Dresden von Berlin gen Moskau transportiert wurde, half Irina Antonowa als Mitarbeterin des Puschkin-Museums bereits beim Packen und bei der Inventarisierung. Während die Sowjetunion die Alten Meister 1955 im Rahmen der sozialistischen Völkerfreunschaft an die DDR zurückgab, blieb der Schatz des Priamos bis zum Untergang des Sowjetreiches verschwunden und galt als verschollen.Irina Antonowa wußte, daß dem nicht so war. 1961 war sie von Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow zur Direktorin des Puschkin-Museums ernannt worden, eine Funktion, die sie erst 2013 im Alter von 91 Jahren abgab. Als die Zeiten mit Glasnost und Perstrojka transparenter wurden, ließ sich der Verbleib des Goldes von Troja in Moskau allerdings nicht mehr verheimlichen. Irina Antonowa reagierte wütend auf entsprechende Veröffentlichungen – wußte sie doch nur zu gut, daß die kriegsbedingte dauerhafte Verbringung von Kulturgütern in andere Länder gemäß Artikel 56 der Haager Landkriegsordnung völkerrechtswidriger Kunstraub ist. Sie wollte den Schatz ihrem siegreichen Land aber unbedingt als „Trophäenkunst“ erhalten, als deren Hüterin sie sich betrachtete. Als die Regierung Kohl bei Boris Jelzin die Rückführung nach Deutschland einforderte, organisierte Antonowa den Widerstand durch einen (damals noch analogen) Nazi-Shitstorm, wie wir ihn sonst nur von der anderen Seite des Atlantiks kennen. Wie nicht anders zu erwarten hatte die energische Dame Erfolg: die Duma sprach sich mit großer Mehrheit gegen eine Rückgabe aus, Völkerrecht hin oder her, und Präsident Jelzin zuckte traurig mit den Schultern. Die ihn beratenden neoliberalen „Chicago-Boys“ halfen der deutschen Regierung nicht, die ihrerseits wohl auch keine auf Restitutionsfragen spezialisierte Anwaltskanzlei beauftragte, wie dies die Erben jüdischer Ansprüche gegen deutsche Kunstbesitzer regelmäßig tun. In diesen Fällen handelt es sich allerdings auch um „Raubkunst“, denn Nazis sind Räuber, Sieger machen dagegen Beute – es lebe der kleine Unterschied!

Für eine deutsche Fernsehdokumentation mit dem Titel „Die verlorenen Schätze der Museumsinsel“ darauf angesprochen, warum sie die Existenz von Beutekunstdepots in dem von ihr verwalteten Museum immer verschwiegen habe antwortete Frau Antonowa, die Journalisten hätten sie schließlich nie danach gefragt.

Irina Antonowa, die bis zuletzt den Ehrentitel einer Präsidentin des Puschkin-Museums führte, ist am Montag, 30. November, im Alter von 98 Jahren gestorben. Den Schatz des Priamos, von Heinrich Schliemann 1873 entdeckt und ausgegraben, hatte dieser übrigens zunächst dem Pariser Louvre und anschließend der Eremitage in St. Petersburg angeboten. Erst nachdem beide Museen ihn nicht haben wollten schenkte er ihn „dem deutschen Volk zu ewigem Besitze“. Inzwischen hat auch die Türkei Ansprüche auf ihn geltend gemacht…

www.conservo.wordpress.com     3.12.2020
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