Ukraine: Erfolgreiche Offensive ist vielen “Pazifisten” ein Dorn im Auge

Peter Helmes

Nahe der zurückeroberten Stadt Isjum in der Ukraine sind mehrere hundert Gräber entdeckt worden. Präsident Selenskyj spricht von klaren Hinweisen auf Folter. Diese entsetzlichen Vorgänge folgen einem traurigen Muster. Von Tschetschenien bis Syrien ist Russland dafür bekannt, Kriege unter brutaler Mißachtung der Menschenrechte und des Lebens der Zivilbevölkerung zu führen. In der Ukraine ist das, was in der Stadt Butscha nahe Kiew passiert ist, vielleicht das schändlichste Beispiel.

Es muß jetzt zeitnah eine gründliche Untersuchung der mutmaßlichen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung geben, gefolgt von ernsthaften Bemühungen, die Täter zu verfolgen und zur Rechenschaft zu ziehen. Alles andere wäre eine schwere Ungerechtigkeit gegenüber den Opfern und Überlebenden. Und es würde das inakzeptable Signal an Putin senden, daß seine Truppen ungestraft Gräueltaten begehen können.

“Frieden machen”, bevor Putin auf die Niederlagen “irrational” reagiert?

Eine Gegenoffensive, das wußten die Ukrainer, war nur eine Frage der Zeit. Offen war aber, ob sie erfolgreich sein würde. Das ist der Fall. Die Welt hat nun die Vorstellung von einem Sieg der Ukraine. Die Diskussion über Verhandlungen und ein Abkommen – obwohl Wladimir Putin nicht die geringsten Anzeichen dafür gab, daß er mitspielen würde – wird nun sicherlich abebben zugunsten einer neuen, stärkeren Unterstützung. Mitgefühl und Empathie sind eine ausgezeichnete Motivation, aber Vertrauen und Glaube an die Ukraine sind besser.

Trotzdem werden die Rufe nach Frieden jetzt sicher lauter werden. Aber solange die ukrainische Gegenoffensive andauert, klingen solche Forderungen hohl. Es wäre der gleiche Frieden, wie der, der 1938 von Neville Chamberlain verkündet wurde, sprich: Der Krieg würde lediglich ausgesetzt, Russland könnte durchatmen, aufrüsten und danach wieder jemanden angreifen.

Schlachten wurden gewonnen, der Krieg noch lange nicht!

Die ukrainische Gegenoffensive hat fantastische Erfolge erzielt und strategisch wichtige Orte wie Isjum und Kupjansk zurückerobert. Aber der Krieg ist noch lange nicht gewonnen. Entscheidend ist, daß der Westen weiter Waffen und Munition liefert, und zwar in einem weitaus größeren Umfang als bisher. Die Ukraine braucht unter anderem Artilleriesysteme. Gefordert hat Kiew das schon seit langem – aber stieß immer auf Gummiwände.

Einige mögen auch aus Naivität oder Dummheit einen sofortigen Waffenstillstand fordern. Aber Russland gibt Hunderte von Millionen Dollar aus, um außerhalb seiner Landesgrenzen eine öffentliche Meinung zu schaffen, die den Interessen Moskaus gegenüber positiv gestimmt ist. Russisches Geld fließt hierfür an Politiker und Experten, an Denkfabriken und an politische Parteien – vor allem kleinere und rechtsextreme Parteien. Daher hören wir Rufe nach der Aufhebung der Sanktionen, weil diese angeblich Russland nichts anhaben könnten und letztlich nur uns selbst schaden würden. Das ist zu durchsichtig.

Putin vernetzt sich enger mit anderen Autokraten

So nutzt Präsident Putin jede Chance, Stimmung für sich zu machen. Es ist ihm immerhin  beim jüngsten Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation gelungen, die internationale Isolierung wegen des Ukraine-Kriegs ein Stück zu durchbrechen. Auch ist zu erkennen, daß Moskau nicht nur Verbündete in Ostasien, sondern auch in Süd- und Westasien sucht, um die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen des Westens zu umgehen. Ein Zeichen, daß Peking mit Moskau ein Militärbündnis bilden und seine neutrale Position im Ukraine-Krieg aufgeben will, gab es nicht. Wer damit gerechnet hat, kennt China nicht gut genug.

Vor diesem Hintergrund versteht man, welche Bedeutung der Gipfel der Autokraten für Xi hatte. China konnte der Welt vorführen, daß nicht nur Russland, sondern auch Länder wie Indien und Pakistan bereit sind, ein geopolitisches Gegengewicht zum Westen in Gestalt von USA, NATO und EU zu bilden. Für China ist es günstig, daß der Westen gerade seinen Fokus auf Russland und den Krieg in der Ukraine richtet. Denn so kann sich Peking um seine eigenen Angelegenheiten und Probleme kümmern.

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